OGH 3Ds1/17b

OGH3Ds1/17b11.9.2017

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Notare hat am 11. September 2017 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden und die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher sowie die Richter aus dem Notarenstande Dr. Zeger und Dr. Hetfleisch über die wegen des Ausspruchs über Schuld und Strafe erhobene Berufung des Dr. ***** M***** gegen das Erkenntnis des Oberlandesgerichts Wien als Disziplinargericht für Notare vom 25. Jänner 2017, AZ 35 Ds 1/17h, nach mündlicher, nicht öffentlicher Berufungsverhandlung in Anwesenheit der Schriftführerin, Richteramtsanwärterin Mag. Wukovits, LL.M., der Vertreterin der Generalprokuratur Erste Generalanwältin Prof. Dr. Aicher, des Beschuldigten und dessen Verteidigers Dr. Leon zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0030DS00001.17B.0911.000

 

Spruch:

 

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Dr. ***** M***** mehrerer, zu I./ 2), II./ 4), 5) und 7) und III./ als Disziplinarvergehen nach § 156 Abs 1 Z 2 NO, zu I./1) und II./1)–3) und 6) als Ordnungswidrigkeit beurteilter Berufs- und Standespflichtverletzungen nach § 155 Abs 1 Z 1 und 2 NO schuldig erkannt und nach § 157 Abs 1 NO zu einer Geldbuße von 45.000 Euro als Disziplinarstrafe verurteilt.

Danach hat er als öffentlicher Notar in ***** von 3. April 2008 bis November 2011 im Zuge seiner Geschäftsbeziehung mit der 'P*****', in deren Rahmen für den Erwerb einzelner Immobilien Kommanditerwerbsgesellschaften gegründet wurden, deren Komplementär die P***** GmbH und deren Kommanditist er selbst oder einer seiner Substituten waren, im Bezug auf zumindest 123 Anleger ihm in der NO oder in einer anderen Rechtsvorschrift für die Ausübung seines Berufes auferlegte Pflichten (§§ 5 Abs 3, 109a Abs 1 Abs 2, 140d, 36a, 36b NO; die Richtlinien der Österreichischen Notariatskammer vom 08. 06. 1999 über die Vorgangsweise bei notariellen Treuhandschaften, THR 1999, sowie die Richtlinien der Österreichischen Notariatskammer vom 21. 10. 1999 über das Verhalten und die Berufsausübung der Standesmitglieder, STR 2000) vorsätzlich verletzt, und zwar

I./ durch Außerachtlassung von Vorschriften der NO,

1.) da er

a) trotz der Qualifikation des Geschäftsmodells der 'P*****' als Geschäft im Sinne des § 36a Abs 1 Z 3 NO (geldwäschegeneigtes Geschäft) die Vornahme geeigneter Prüfungen und Beurteilungen ebenso wie die Einrichtung geeigneter Strategien und Verfahren innerhalb seiner Kanzlei unterließ (§ 36a Abs 2 NO),

b) trotz Vorliegens in § 36a Abs 1 NO angeführter Geschäfte mit von der P***** GmbH angeworbenen – daher bei Anknüpfung von auf eine gewisse Dauer angelegten Geschäftsbeziehungen (§ 36b Abs 1 Z 1 NO) – physisch nicht anwesenden Anlegern (Ferngeschäft; § 36b Abs 3 NO) ohne direkten persönlichen Kontakt Treuhandvereinbarungen abschloss, treuhändig von diesen Geld entgegen nahm, welches an die jeweilige Projekt‑Kommandit‑(erwerbs‑)gesellschaft nach Eintragung der Anleger als Kommanditisten in das Firmenbuch weitergeleitet werden sollte, die gebotene Identitätsprüfung (§ 36b Abs 2 NO) unterließ, sondern sich erst nach Erlag und Weiterleitung des Treuhandgeldes mit der Vorlage von beglaubigten Vollmachten begnügte und letztlich keine Maßnahmen gemäß § 36b Abs 3 NO traf, um sicherzustellen, dass die erste Zahlung der Anleger im Rahmen des Geschäfts über ein Konto abgewickelt wurde, welches im Namen des Kunden bei einem Kreditinstitut eröffnet wurde, das in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/60/EG fällt, und

c) obwohl ihm die Einhaltung dieser Sorgfaltspflichten nicht möglich war, Auftragsverhältnisse begründete und die Beendigung der Geschäftsbeziehung (§ 36b Abs 7 NO) unterließ;

2./ da er

a) auf Grund der getroffenen Vereinbarungen nicht ohne Mitwirkung der Komplementärgesellschaft oder der Notariatskandidaten die Eintragung ins Firmenbuch veranlassen konnte (§ 109a Abs 1 NO) und

b) nicht bloß geringfügige Einzahlungen von zumindest 120 Anlegern auf notariellen Anderkonten entgegen nahm und nicht in das „Treuhandregister des Österreichischen Notariats“ eintrug (§§ 109a Abs 2, 140d Abs 1 NO);

II./ durch Außerachtlassung von Bestimmungen der Treuhandrichtlinien THR 1999,

da er den Vorgaben des von zumindest 123 Anlegern unterfertigten Beteiligungsangebotes bzw den Treuhandvereinbarungen zuwider, wonach der Treuhänder ermächtigt wird, die auf das Treuhandkonto des Treuhänders eingezahlten Einlagen erst nach Eintragung des Anlegers als Kommanditist im Firmenbuch an die Projektgesellschaft freizugeben, die Treuhanderläge bereits vor Eintragung der Anleger, und zwar bis 2010 taggleich mit deren Einlangen bzw nach wenigen Tagen an die jeweilige Projektgesellschaft weiterleitete (Pkt 3 iVm § 5 Abs 3 NO) und

da die von ihm von den Anlegern entgegengenommenen „Anbote auf Abschluss eines Treuhandvertrages“ den Punkten 1) 23.2 (Bindung der Auflösung des Treuhandverhältnisses bzw der Kündigung an die Zustimmung des Notars), 2) 23.3 (kein Rücktrittsverzicht im Anbot), 3) 23.6 (keine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht), 4) 23.7 (keine Regelung bzw Einverständnis der Treugeber über Nachfolge auf Seiten des Treuhänders), 5) 23.8 (keine Einwilligung zur Registrierung) und 6) 38.3 (Abspeicherung aller erforderlichen Daten der Treugeber) nicht entsprachen und die Treuhandschaften überdies entgegen 7) Punkt 39 THR 1999 nicht registriert wurden, wobei die Verletzung der Punkte 23.7., 23.8. und 39 geeignet war, einen nicht bloß unbedeutenden, EUR 3.600.-- weit übersteigenden Schaden herbeizuführen;

III./ Bestimmungen der Standesrichtlinien STR 2000, indem er Ein- bzw Auszahlungen übernahm, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit einer Eintragung im Firmenbuch erfolgten und daher kein Mehrwert der notariellen Beteiligung an der Übernahme der Treuhandgelder erkennbar war, seinen zumindest 123 Treugebern gegenüber die Verpflichtung gemäß Punkt 8. der Standesrichtlinien STR 2000 vernachlässigte, was ebenso wie I.) 2./ geeignet war, einen nicht bloß unbedeutenden, EUR 3.600.-- weit übersteigenden Schaden herbeizuführen, und dessen schuldhaftes Verhalten überdies geeignet war, die Ehre oder Würde seines Standes zu beeinträchtigen.

Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen des Ausspruchs über Schuld und Strafe.

Rechtliche Beurteilung

Konkrete Tatumstände gegen die Annahme von Treuhand zugunsten der Anleger durch das Oberlandesgericht führt der Berufungswerber ungeachtet der Bindung des Berufungsgerichts an das Rechtsmittelvorbringen nicht ins Treffen, Einhaltung der mit dieser Annahme verbundenen, vom Oberlandesgericht in Anschlag gebrachten Pflichten ebenso wenig, sodass der gegen den Ausspruch über die Schuld erhobenen Berufung kein Erfolg beschieden sein kann.

Ob „die Einzahlungen an die Projektgesellschaften vor Ende des jeweiligen Kalenderjahres systemimmanent notwendig und damit unabhängig von den später erfolgten Eintragungen der Kommanditisten ins Firmenbuch waren“ und „die Vorgangsweise“ des Beschuldigten im Interesse und mit konkludenter Zustimmung zweier Anleger „erfolgt ist“, ist unerheblich, weil damit weder die Treuhandschaft für die Anleger noch die damit verbundenen berufs- und standesrechtlichen Verpflichtungen, deren Missachtung den Schuldspruch begründet, in Frage gestellt werden.

Entgegen der Auffassung der Mängelrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO) schließt die Bezeichnung als Zahlstelle Treuhand für den Zahler keineswegs aus, sodass ein derartiger Vertragsinhalt keiner gesonderten Erörterung bedurfte. Die Tatsache, dass der Beschuldigte Treuhandschaft bestreitet, schließt gegenteilige Annahmen nicht aus, sodass von einem Widerspruch der Entscheidungsgründe (Z 5 dritter Fall) keine Rede sein kann.

Das Oberlandesgericht hat die „schadensgeneigte Vorgangsweise“ keineswegs aus „erheblichen Kosten einer Individualversicherung“ geschlossen, vielmehr die Höhe der Berufshaftpflichtversicherung der Kanzlei des Beschuldigten angesichts des Treuhandrahmens für nicht ausreichend erachtet. Dass der Beschuldigte „in Übereinstimmung mit den Vorstellungen der Anleger diesen durch die von ihnen angestrebten Verlustzuweisungen erhebliche Vorteile gebracht hat“, ist für Treuhandschaft und Verletzung der damit verbundenen Standes- und Berufspflichten in der Tat nicht entscheidend, weshalb sich das Oberlandesgericht damit nicht auseinandersetzen musste. Indem sich die Mängelrüge auf Kundeninformationen aus Bankauszügen beruft, negiert sie bloß die entgegenstehenden Berufspflichten und geht auch insoweit ins Leere.

Dass das Oberlandesgericht trotz Unklarheit über angebliche Gespräche des Beschuldigten mit Revisoren über „Globaltreuhandvertrag (./6)“ und „Aktenvermerk (./7)“ seine Verantwortung, sich ausschließlich als Zahlstelle und nicht als Treuhänder der Anleger gesehen zu haben, mit einer Fülle von Argumenten für widerlegt angesehen hat, ist nicht zu beanstanden. Aus Pflichtwidrigkeiten resultierende steuerliche Vorteile für Treugeber stellen diese nicht in Frage. Daraus resultierende Vorteile haben mit dem aus der Vernachlässigung treuhänderischer Verpflichtungen resultierenden Schaden nichts zu tun.

Was aus einem in der Disziplinarverhandlung nicht vorgekommenen Schreiben des Verteidigers „an das Disziplinargericht“ und „zwecks besserer Vorbereitung auch an alle Disziplinarrichter und die Disziplinaranwältin“ für die Schuldfrage folgen soll, lässt das Rechtsmittel im Dunkeln.

Indem sich die Berufung mit der vom Oberlandesgericht in Anschlag gebrachten divergierenden Sachverhaltsbasis als Grund für die mangelnde Beweiskraft einer Stellungnahme des Univ.‑Prof. Dr. R***** nicht auseinandersetzt, entzieht sie sich einer sachbezogenen Erwiderung.

Mit der Aussage des Zeugen G***** hat sich das Oberlandesgericht ohnehin befasst (US 31 f, 34), auch damit, dass ein Funktionär der Notariatskammer ihm mitgeteilt habe, in den in Rede stehenden Anlagefällen sei „nichts zu unternehmen“ (US 34).

Mit Hinweisen bloß zum Motiv und zu angeblichen wirtschaftlichen Vorteilen aus der Missachtung notarieller Pflichten wird die Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts just dazu ebenso wenig in Frage gestellt wie mit rechtlichen Spekulationen über angebliche Anlegerinteressen. Die vom Oberlandesgericht angenommene Schadenseignung aber ist angesichts der hohen Anlagebeträge wohl begründet.

Die im Rahmen der Rechtsrüge aufgestellte Behauptung, das Oberlandesgericht habe „Vorschriften nicht nach ihrem eigentlichen Schutzzweck, sondern ausschließlich nach ihrer formellen Ausgestaltung“ beurteilt, ist mangels Substantiierung nicht erwiderungsfähig. Indem die Rechtsrüge rechtliche Verbindlichkeit und Nichteinhaltung der Berufs- und Standesregeln nicht in Abrede stellt, vielmehr Gründe wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit dagegen ins Treffen führt, geht sie am Schuldspruch vorbei. Das Oberlandesgericht hat die Aussage des Beschuldigten (mit eingehender Begründung) für unglaubwürdig erachtet, sodass auch die Reklamation von Feststellungsmängeln zu schuldausschließendem Rechtsirrtum und entschuldigendem Notstand nicht verfängt. Unrichtig ist, dass § 156 Abs 1 Z 2 NO auf einen 3.600 Euro übersteigenden Schaden abstellt. Davon abgesehen wurde eine solche Schadenseignung ohnehin festgestellt.

Der Umstand, dass – ex post betrachtet – kein wirtschaftlicher Schaden eingetreten ist, führt zu einer Erledigung nach § 155 Abs 3 NO nur dann, wenn das Verschulden des Notars oder Notariatskandidaten geringfügig ist, was der Berufungswerber nicht erwähnt.

Der wenige Tage vor der Berufungsverhandlung am 7. September 2017 eingelangte Antrag auf Vernehmung eines Zeugen war unzulässig (Ds 26/13, EvBl-LS 2014/80 = AnwBl 2014, 593).

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