OGH 14Os54/17y

OGH14Os54/17y5.9.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. September 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wukovits, LL.M., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Josef R***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 31 HR 352/14f des Landesgerichts Innsbruck (AZ 27 St 129/14x der Staatsanwaltschaft Innsbruck), über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 5. August 2016, AZ 6 Bs 143/16d (= ON 75), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0140OS00054.17Y.0905.000

 

Spruch:

 

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 5. August 2016, AZ 6 Bs 143/16d, verletzt § 115 Abs 1 Z 3 StPO iVm § 20 Abs 1 StGB.

 

Gründe:

Mit Urteil des Landgerichts Kassel vom 15. Dezember 2014, AZ 5630 Js 42440/11-3KLs, rechtskräftig seit 23. Dezember 2014, wurde der deutsche Staatsangehörige Josef R***** wegen zwischen Juli 2008 und März 2011 begangener Tathandlungen der Beihilfe zur Untreue in vier Fällen schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Nach den Urteilsgründen hat er (zusammengefasst) zur Untreue des Sven M*****, der die ihm als Prokurist der A***** AG eingeräumte Befugnis, unbeschränkt Zahlungen für die Gesellschaft zu leisten, wissentlich missbraucht, indem er von 1998 bis 2011 ohne Rechtsgrundlage „Kommissionszahlungen“ in Höhe von insgesamt 19.167.337,07 Euro, davon 2.312.335,91 Euro im (aus Verjährungsgründen lediglich von Juli 2008 bis März 2011 reichenden) verfahrensgegenständlichen Tatzeitraum auf Konten des Josef R***** oder eines auf dessen Veranlassung auf den Virgin Islands gegründeten Unternehmens, der I***** S.A, überweisen ließ, wodurch der A***** AG ein Vermögensnachteil in dieser Höhe entstand, dadurch beigetragen, dass er den Tatplan gemeinsam mit Sven M***** entwickelte, die Bankkonten zur Verfügung stellte und die zu Unrecht bezogenen Beträge in der Folge behob und mit dem unmittelbaren Täter teilte (Beilage zu ON 43).

Im Zusammenhang mit diesen strafbaren Handlungen führt die Staatsanwaltschaft Innsbruck zum AZ 27 St 129/14x gegen Sven M*****, Josef R***** und dessen Tochter Anna R***** ein Ermittlungsverfahren wegen des Verbrechens der Geldwäscherei nach § 165 Abs 1 und Abs 4 (erster Fall) StGB (hinsichtlich der beiden Letztgenannten wegen des Verdachts des Verbergens von Vermögensbestandteilen, die aus den eben dargestellten Untreuehandlungen herrühren, durch Schenkung von Aktien und sonstigen Wertpapieren im Wert von etwa 130.000 Euro und deren Verwahrung auf einem Wertpapierdepot bei der Ra***** eGen; ON 1 S 1 ff und 39, ON 2 und ON 60).

Am 5. April 2016 verfügte die Anklagebehörde die „Ausdehnung des Ermittlungsverfahren“ gegen Josef R***** auch wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB (ON 1 S 41) und beantragte unter einem die Beschlagnahme der im Eigentum der Anna R***** stehenden 89/510 (B‑LNr 3 verbunden mit Wohnungseigentum an Wohnung 1/Erdgeschoß) und 66/510 (B‑LNr 4, verbunden mit Wohnungseigentum an Wohnung 2/Erdgeschoß) Anteile an der Liegenschaft EZ *****, KG ***** O*****, gemäß § 109 Z 2 lit b iVm § 115 Abs 1 Z 3 und Abs 4 StPO durch das gerichtliche Verbot der Veräußerung, Belastung oder Verpfändung zur Sicherung des Verfalls nach § 20 Abs 1 und Abs 3, § 20b Abs 2 StGB (für den Zeitraum vor 1. Jänner 2011 der Abschöpfung der Bereicherung nach § 20a Abs 1 Z 2 StGB idF BGBl I 2002/124).

Dazu brachte sie unter Bezugnahme auf das oben dargestellte Urteil des Landgerichts Kassel, die diesem zugrunde liegende Anklageschrift und andere aktenkundige Urkunden im Wesentlichen vor, Josef R***** stehe (über die schon bisher erhobenen Vorwürfe nach § 165 Abs 1 und Abs 4 StGB hinaus auch) im Verdacht, er habe am 22. August 2012 in W***** einen Bestandteil seines Vermögens beiseite geschafft und dadurch die Befriedigung seiner Gläubiger oder wenigstens eines von ihnen vereitelt oder geschmälert, indem er mit Notariatsakt einen Schenkungsvertrag vom 20. April 2012 genehmigte, mit welchem der deutsche Rechtsanwalt Jörg B***** die von Josef R***** mit Kaufverträgen vom 19. Februar 2001 und 17. April 2003 erworbenen Anteile der eben genannten Liegenschaft unter Berufung auf eine Vollmacht vom 30. März 2012 an Anna R***** übertragen hatte, wobei er seit 17. Jänner 2012 Kenntnis von der Einleitung eines von den deutschen Strafverfolgungsbehörden gegen ihn geführten Steuerstrafverfahrens wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommensteuer (2006 bis 2009), der Lohnsteuer (2005 bis 2009) sowie der Körperschaft- und Gewerbesteuer (2005 bis 2008) mit einem „Steuerhinterziehungsschaden“ von insgesamt 8.380.577 Euro war und demgemäß zum Zeitpunkt der Schenkung wusste, dass seitens der „deutschen Finanz“, aber auch der A***** AG „maßgebliche Forderungen … auf ihn zukommen würden“.

Davon ausgehend seien die Voraussetzungen für einen – auch gegenüber einem nicht an der Tat beteiligten gutgläubigen Dritten, der die Sache unentgeltlich erworben hat, zulässigen – Verfall nach § 20 Abs 1 StGB gegeben.

Weil nahe liege, dass der Ankauf der in Rede stehenden Liegenschaftsanteile aus Mitteln erfolgte, die der Beschuldigte durch in den Jahren 2001 und 2003 begangene – §§ 12 dritter Fall, 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall des österreichischen StGB subsumierbare – strafbare Handlungen erlangt habe, wäre darüberhinaus – nach Ansicht der Staatsanwaltschaft auch unter Berücksichtigung von § 61 StGB – eine gerichtliche Entscheidung auf erweiterten Verfall nach § 20b Abs 2 StGB sowie in Ansehung des von Juli 2008 bis März 2011 zu Unrecht bezogenen Betrags von 2.312.335,91 Euro ein Verfallsausspruch nach § 20 Abs 3 StGB (bzw für den Tatzeitraum vor 1. Jänner 2011 die Abschöpfung der Bereicherung nach § 20a Abs 1 Z 2 StGB idF BGBl I 2002/124) zu erwarten (ON 1 S 43 ff).

Mit Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 20. April 2016, AZ 31 HR 352/14f (ON 67), wurden die im Antrag genannten Liegenschaftsanteile gemäß § 115 Abs 1 Z 3 StPO (zufolge bestehenden Verdachts auf das Vorliegen aller Verfallsvoraussetzungen nach § 20b Abs 2 StGB [nicht aber jener des § 20 Abs 1 StGB]; BS 7 ff) gerichtlich beschlagnahmt (I). Anna R***** als deren Eigentümerin wurde die Veräußerung, Belastung und Verpfändung der Immobilien untersagt sowie jede andere Handlung verboten, wodurch der Sicherungszweck des Beschlusses gefährdet oder unterlaufen würde, und die Anmerkung dieses Verbots im Grundbuch bei der Liegenschaft EZ *****, KG ***** O*****, zur Plombe TZ ***** verfügt (II). Schließlich wurde gemäß § 115 Abs 5 StPO ein Betrag von 1.160.667,96 Euro bestimmt, durch dessen gerichtlichen Erlag die Beschlagnahme aufgehoben werden würde (III).

Mit Entscheidung vom 5. August 2016, AZ 6 Bs 143/16d, gab das Oberlandesgericht Innsbruck den dagegen erhobenen Beschwerden des Josef R***** und der Anna R***** (ON 69 und 73) Folge, hob den angefochtenen Beschluss auf und wies den diesem zu Grunde liegenden Antrag der Staatsanwaltschaft ab (ON 75).

Das Beschwerdegericht legte seiner Entscheidung die – mit jenen des Erstgerichts übereinstimmenden – Verdachtsannahmen der Staatsanwaltschaft zugrunde und bejahte solcherart eine höhere Wahrscheinlichkeit der Begehung des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB durch die Schenkung der Liegenschaftsanteile an Anna R*****. Es ging weiters davon aus, dass Josef R***** die Mittel zu deren Erwerb durch – nach österreichischem Recht als Verbrechen der Untreue nach §§ 12 dritter Fall, 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB zu qualifizierendes – Verhalten vor 2003 lukriert hatte, das jedoch zufolge nach deutschem Recht eingetretener Verjährung nicht Gegenstand des in Deutschland gegen den Beschuldigten geführten Strafverfahrens war. Hervorgehoben wurde darüber hinaus, dass das Ermittlungsverfahren bislang weder Anhaltspunkte für eine Beteiligung der Anna R***** an der Untreue oder der betrügerischen Krida ihres Vaters noch für deren Kenntnis von diesen strafbaren Handlungen und/oder einer kriminellen Mittelherkunft erbracht habe (BS 2 ff iVm BS 10 bis 12, BS 15 f, 18).

Auf dieser Sachverhaltsgrundlage erachtete das Oberlandesgericht einen Verdacht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Verfalls weder nach § 20b Abs 2 StGB (insoweit mit ausführlicher Begründung auf Basis eines Günstigkeitsvergleichs [§ 61 StGB] zwischen den Bestimmungen über vermögensrechtliche Anordnungen vor und nach Inkrafttreten des sKp, BGBl I 2010/108, mit 1. Jänner 2011, jedoch – trotz des an anderer Stelle erfolgten Hinweises auf die nach deutschem Recht eingetretene Verjährung der vor 2008 gesetzten Untreuehandlungen [BS 11] – ohne jede Auseinandersetzung mit § 57 Abs 4 StGB; BS 13 ff) noch nach § 20 Abs 1 oder Abs 3 StGB für gegeben.

In Bezug auf die – hier relevante – Bestimmung des § 20 Abs 1 StGB (iVm § 156 Abs 1 StGB) erschöpfen sich die Ausführungen in einem Hinweis darauf, dass danach nur Vermögenswerte für verfallen zu erklären sind, die „für die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder durch sie erlangt wurden“, wovon vorliegend nicht auszugehen sei, weil Josef R***** nach der Verdachtslage durch die Begehung des in Rede stehenden Verbrechens der betrügerischen Krida keine Vermögenswerte erlangt, sondern sein Vermögen durch die unentgeltliche Weitergabe der Liegenschaften sogar verringert habe, und für eine Beteiligung der Anna R***** an der strafbaren Handlung – auch nach Ansicht der Staatsanwaltschaft – keine Anhaltspunkte vorlägen (BS 18 f).

Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht dieser Beschluss mit dem Gesetz nicht in Einklang:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 115 Abs 1 Z 3 StPO ist die Beschlagnahme – soweit hier wesentlich – zulässig, wenn die sichergestellten Gegenstände voraussichtlich dazu dienen werden, eine gerichtliche Entscheidung auf Verfall (§ 20 StGB) zu sichern, deren Vollstreckung andernfalls gefährdet oder wesentlich erschwert würde. Sie ist auszusprechen, wenn zum Entscheidungszeitpunkt der Verdacht auf das Vorliegen aller (hier:) Verfallsvoraussetzungen besteht.

Richtig ist, dass § 20 Abs 1 StGB den Verfall nur für solche Vermögenswerte anordnet, die für die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder durch sie erlangt wurden.

Wenn auch der Verfall von Vermögenswerten beim Täter der Regelfall ist, enthält das Gesetz jedoch keine diesbezügliche Einschränkung. Es knüpft insoweit vielmehr an den Gegenstand an, der alleine die oben genannten Voraussetzungen erfüllen muss.

Demgemäß kann ein Verfall nicht nur den Täter einer mit Strafe bedrohten Handlung, sondern prinzipiell auch Dritte, also Personen, die an der Tat selbst nicht beteiligt sind, betreffen, wenn nicht einer der Ausschlussgründe des § 20a StGB vorliegt (vgl ErläutRV 918 BlgNr 24. GP  7 f; zum Ganzen Fuchs/Tipold in WK² StGB Vor §§ 19a–20c Rz 3, § 20 Rz 2 und § 20a Rz 1 und 3; vgl auch Fabrizy , StGB 12 § 20 Rz 2).

Nach den Verdachtsannahmen des Beschwerdegerichts hat Anna R***** die Liegenschaftsanteile, auf die sich der Beschlagnahmeantrag der Staatsanwaltschaft bezieht, unmittelbar durch – der (dem Gläubigerschutz dienenden) Bestimmung des § 156 Abs 1 siebenter Fall StGB subsumiertes – mit Strafe bedrohtes Verhalten des Josef R***** erlangt, der sein Vermögen durch deren Schenkung an seine Tochter verringerte und solcherart die Befriedigung zumindest eines seiner Gläubiger vereitelte oder schmälerte.

Dass der unmittelbare Täter den durch Entzug eines Bestandteils seines Vermögens aus dem Befriedigungsfonds der Gläubiger bewirkten Vermögensvorteil nicht selbst lukriert hat und die Geschenknehmerin nicht an der strafbaren Handlung beteiligt war, ändert nichts daran, dass die betroffenen Vermögenswerte demnach die von § 20 Abs 1 StGB geforderten Eigenschaften aufweisen. Diese Umstände stellen damit nach dem Vorgesagten keine für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Verfallsentscheidung nach dieser Gesetzesstelle relevanten Kriterien dar.

Ebensowenig kommt es bei der dargestellten Fallkonstellation darauf an, ob Anna R***** Kenntnis von den mit Strafe bedrohten Handlungen ihres Vaters hatte, weil sich der Ausschlussgrund des § 20a Abs 1 StGB nur auf den Verfall (gegenüber einem Dritten) von – hier nicht in Rede stehenden – Nutzungen und Ersatzwerten sowie auf den Wertersatzverfall (§ 20 Abs 2 und Abs 3 StGB) bezieht und jener des § 20a Abs 2 Z 1 StGB den – bei einer Schenkung naturgemäß auszuschließenden – entgeltlichen Erwerb des Vermögensvorteils voraussetzt ( Leukauf/Steininger/Stricker , StGB 4 § 20a Rz 5; Fuchs/Tipold in WK² StGB § 20a Rz 7 und 9).

Indem das Oberlandesgericht einen Verdacht auf das Vorliegen der Voraussetzungen (auch) für einen Verfall nach § 20 Abs 1 StGB iVm § 156 Abs 1 StGB ausschließlich mit einer auf die eben dargestellten (demnach insoweit irrelevanten) Umstände bezogenen Begründung verneinte, auf dieser Basis den Beschwerden des Josef R***** und der Anna R***** Folge gab und den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Beschlagnahme der Liegenschaften (auch) zur Sicherung einer solchen vermögensrechtlichen Anordnung abwies hat es das Gesetz in § 115 Abs 1 Z 3 StPO iVm § 20 Abs 1 StGB verletzt.

Dass das Landesgericht Innsbruck die Beschlagnahme auf §§ 115 Abs 1 Z 3 StPO iVm § 20b Abs 2 und Abs 3 StGB stützte und dabei die Zulässigkeit eines Verfalls nach § 20 Abs 1 StGB gleichfalls verneinte (vgl erneut ON 67 S 7 ff), ändert daran übrigens nicht. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nämlich die Sache selbst und nicht der angefochtene Beschluss, womit das Rechtsmittelgericht die erstinstanzliche Entscheidung nicht bloß zu beurteilen, sondern zu

ersetzen hat und solcherart – nach Einräumung rechtlichen Gehörs und unter Beachtung (nur) der Einschränkungen des § 89 Abs 2b letzter Satz StPO  – auch auf Basis anderer Gründe als jener der ersten Instanz zu einer Bestätigung des angefochtenen Beschlusses gelangen kann (§ 89 Abs 2b StPO; Tipold , WK-StPO § 89 Rz 8 ff).

Die aufgezeigte Gesetzesverletzung gereicht weder Beschuldigten noch der vom Verfall Betroffenen zum Nachteil, weshalb es mit ihrer Feststellung sein Bewenden hat (§ 292 vorletzter Satz StPO).

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