OGH 3Ob43/17w

OGH3Ob43/17w30.8.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Hasberger Seitz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 7. Dezember 2016, GZ 34 R 104/16p‑10, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 19. August 2016, GZ 39 Cg 12/15f‑6, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0030OB00043.17W.0830.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.017,90 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 169,65 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Vorinstanzen gaben dem Unterlassungs- und Urteilsveröffentlichungsbegehren der Klägerin (ein klagebefugter Verband im Sinn des § 29 Abs 1 KSchG) gegenüber der Beklagten (ein österreichweit agierendes Unternehmen für Telekommunikationsdienste) zu den beiden in dritter Instanz noch strittigen Klauseln statt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist ungeachtet des nicht bindenden Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig , weil die Beklagte darin keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigt. Der Oberste Gerichtshof ist nämlich zur Auslegung von AGB‑Klauseln nicht „jedenfalls“, sondern nur dann berufen, wenn die zweite Instanz Grundsätze höchstgerichtlicher Rechtsprechung missachtete oder für die Rechtseinheit und Rechtsentwicklung bedeutsame Fragen zu lösen sind (RIS‑Justiz RS0121516; 3 Ob 73/16f).

1. Zur Klausel 5 (Nummerierung wie in der Klage):

1.1.  Beide Vorinstanzen beurteilten die Klausel, die die Ermächtigung der Beklagten zum Gegenstand hat, eine dafür vom Teilnehmer bekannt gegebene E‑Mail‑Adresse zur Zustellung von „rechtlich bedeutsamen Erklärungen und vertragsrelevanten Mitteilungen“ zu nutzen, als intransparent.

1.2.  Eine in AGB oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung ist nach § 6 Abs 3 KSchG unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Das Transparenzgebot soll es dem Kunden ermöglichen, sich aus den AGB zuverlässig über seine Rechte und Pflichten bei der Vertragsabwicklung zu informieren (RIS‑Justiz RS0037107 [T3]). Maßstab für die Transparenz ist das Verständnis des für die jeweilige Vertragsart typischen „Durchschnittskunden“. Einzelwirkungen des Transparenzgebots sind das Gebot der Erkennbarkeit und Verständlichkeit, das Gebot, den anderen Vertragsteil auf bestimmte Rechtsfolgen hinzuweisen, das Bestimmtheitsgebot, das Gebot der Differenzierung, das Richtigkeitsgebot, und das Gebot der Vollständigkeit (RIS‑Justiz RS0115219 [T12]). Das Transparenzgebot soll eine durchschaubare, möglichst klare und verständliche Formulierung allgemeiner Geschäftsbedingungen sicherstellen, um zu verhindern, dass der für die jeweilige Vertragsart typische Verbraucher von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten wird oder ihm unberechtigt Pflichten abverlangt werden (RIS‑Justiz RS0115217 [T8]). Es begnügt sich nicht mit formeller Textverständlichkeit, sondern verlangt, dass Inhalt und Tragweite vorgefasster Vertragsklauseln für den Verbraucher durchschaubar sind (RIS‑Justiz RS0122169).

1.3.  Es wurde bereits mehrfach ausgesprochen, dass Kommunikationsdienstleister (wie die Beklagte) ihren Kunden gegenüber grundsätzlich zur Rechnungslegung verpflichtet sind; das Leistungsentgelt von „Dienstleistern“ wird in der Regel erst mit Zumittlung der Rechnung an den Kunden fällig (4 Ob 141/11f mwN; 2 Ob 20/15b; vgl RIS‑Justiz RS0034319). Dass unter dieser Prämisse eine die Fälligkeit des Entgelts auslösende Rechnung jedenfalls unter den Oberbegriff einer „rechtlich bedeutsamen Erklärung und vertragsrelevanten Mitteilung“ fällt, kann nicht zweifelhaft sein. Rechnungen der Beklagten sind daher von der in Klausel 5 vorgesehenen Möglichkeit (arg „kann“) der Beklagten, uU per E‑Mail zuzustellen, grundsätzlich erfasst.

1.4.  Bei der Beurteilung der Klausel ist die von den Vorinstanzen zutreffend bedachte, von der Revision aber erkennbar in Abrede gestellte Konstellation zu berücksichtigen, dass trotz einer Bekanntgabe der E‑Mail‑Adresse zu dem in der Klausel genannten uneingeschränkten Zweck die (gleichzeitige oder frühere) Wahl der Papierrechnung nach § 100 Abs 1 TKG durch den Verbraucher weiter wirksam blieb.

Auf diese keineswegs abwegige Konstellation nimmt die Klausel nicht Bedacht, weil sie nicht klarstellt, dass (weiter) wirksam verlangte Papierrechnungen ausgenommen sind. Daher ist für einen typischen Teilnehmer an den von der Beklagten angebotenen Telekommunikationsdiensten in dieser Situation nach dem Inhalt der Klausel unklar, ob er weiter Anspruch auf Zustellung einer Papierrechnung hat oder nicht, obwohl § 100 Abs 1 TKG sicherstellen soll, dass der Teilnehmer „nicht gegen seinen Willen mit einer bestimmten Rechnungsform konfrontiert wird“ (vgl 4 Ob 117/14f mit Hinweis auf die Gesetzesmaterialien).

1.5.  Die Beurteilung der Vorinstanzen entspricht somit den dargestellten Grundsätzen der Judikatur und bedarf daher keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof.

2. Zur Klausel 7 (die eine Verlängerung der zuvor vorgesehenen Frist für die ordentliche Kündigung von zwei auf drei Monate ab 20. Mai 2014 enthält (Beilage ./E):

2.1.  Auch der 9. Senat hatte sich vor kurzem mit einer Änderung der AGB eines Mobilfunkanbieters betreffend die Verlängerung der Frist für die ordentliche Kündigung von acht auf zwölf Wochen zu beschäftigen, also mit der identen Problematik (9 Ob 14/17z). Es wurde die Rechtsansicht der Vorinstanzen bestätigt, die dreimonatige Kündigungsfrist sei gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB.

2.2.  Die wesentliche Begründung dafür, der sich der erkennende Senat anschließt, lautet ua:

Auch in diesem Punkt sind die Interessen der Verbraucher, die auf günstigere Konditionen anderer Anbieter rasch reagieren möchten, dem Interesse der Beklagten an einer längeren Frist, innerhalb der sie auf eine Vertragsbeendigung des Kunden reagieren kann, gegenüber zu stellen. Wenn ein Verbraucher‑Kunde auf ein – im Regelfall nur für kurze Zeit als „Aktion“ angepriesenes – Angebot eines Konkurrenzunternehmens reagieren und den Mobilfunkanbieter wechseln möchte, so hat er ein erhebliches Interesse an einer möglichst kurzen Kündigungsfrist. Muss er nämlich im Ergebnis [wie hier] bis zu vier Monate hindurch weiterhin den Vertrag erfüllen, so kann er das günstige Angebot des Konkurrenzunternehmens nur dadurch nützen, dass er für diesen Zeitraum zwei Vertragsverhältnisse gleichzeitig führt. Im Vergleich zu diesem Interesse der Kunden bildet der Hinweis der Beklagten auf eine branchenübliche Dauer von drei Monaten kein überzeugendes Gegengewicht. Ein Interesse daran, auf diese Weise einen Vertragswechsel der Verbraucher‑Kunden zu Konkurrenzunternehmen von vornherein zu erschweren (oder zu verhindern), wäre bei der Abwägung der gegenläufigen Interessen nicht schutzwürdig.

Auch die vom Berufungsgericht zitierte Wertung des § 25d Abs 3 TKG (idF TKG‑Novelle 2015, BGBl I 134/2015; in Kraft getreten mit 26. Februar 2016) liegt auf dieser Linie. Wenngleich diese Bestimmung erst für Vertragsabschlüsse gilt, die rund eineinhalb Jahre (hier 21 Monate) nach dem hier zu beurteilenden Änderungsschreiben der Beklagten liegen, so weisen die Gesetzesmaterialien darauf hin, dass für Konsumenten ein Anbieterwechsel erleichtert werden soll; lange Kündigungsfristen, automatische Vertragsverlängerungen und ungünstige Kündigungstermine seien wesentliche Wechselhindernisse und bewirkten, dass Teilnehmer – auch nach Ablauf ihrer Mindestvertragsdauer – auf aktuelle am Markt befindliche Angebote nicht zeitnahe reagieren könnten (ErlRV 845 BlgNR XXV. GP  10). Der Gesetzgeber hat deshalb für neue Verträge eine einmonatige Kündigungsfrist zu Gunsten der Verbraucher zwingend geregelt.

2.3.  Die Beklagte vermag dem in ihrer Revision nichts Stichhältiges entgegen zu setzen.

2.3.1.  Soweit sie auf andere gesetzliche Bestimmungen verweist, die Kündigungsfristen von drei und mehr Monaten vorsehen, gesteht sie ohnehin selbst zu, dass diese auf einen Mobilfunkvertrag als Vertrag sui generis nicht anwendbar sind. Allenfalls daraus ableitbare Wertungen des Gesetzgebers können schon deshalb nicht einfach auf diesen übertragen werden, wie schon § 25d Abs 3 TKG (idF TKG‑Novelle 2015, BGBl I 134/2015) zeigt.

2.3.2.  Der Hinweis auf die Geltung der Kündigungsfrist von drei Monaten für beide Seiten übergeht den offenkundigen Umstand, dass eine ordentliche Kündigung derartiger Verträge durch den Mobilfunkbetreiber extrem unwahrscheinlich ist, weil er an einer möglichst hohen Zahl an Vertragspartnern interessiert ist. Ein besonderes Interesse des Verbrauchers an einer langen Kündigungsfrist für eine Umorientierung im Fall der ordentlichen Kündigung durch den Betreiber kann somit nicht erblickt werden.

2.3.3.  Dem weiters ins Treffen geführten Interesse des Betreibers an der möglichst vorausschauenden Kalkulierbarkeit seiner Leistungen und der dafür notwendigen Aufwendungen nehmen schon die weiteren Ausführungen der Revision, es sei nicht von einer großen Anzahl wechselwilliger Verbraucher auszugehen, jedes relevante Gewicht.

3.  Da die Bestimmung des § 25d Abs 2 TKG hier nicht zur Anwendung kommt, erübrigt es sich, auf die Anregung eines Vorabentscheidungsverfahrens inhaltlich einzugehen.

4.  Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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