OGH 3Ob84/17z

OGH3Ob84/17z7.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Mag. Dr. Stephan Medwed, Rechtsanwalts-Kommanditpartnerschaft in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei ÖBB Personenverkehr AG, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, sowie der Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. ÖBB‑Immobilienmanagement GmbH, *****, vertreten durch Dr. Günther Medweschek, Rechtsanwalt in Klagenfurt, 2. M***** GmbH, *****, vertreten durch Tautschnig Rechtsanwälte GmbH in Villach, 3. ÖBB-Infrastruktur AG, *****, vertreten durch Dr. Walter Brunner, Rechtsanwalt in Klagenfurt und 4. J*****, vertreten durch Mag. Ulrich Nemec, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 11.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 20. Jänner 2017, GZ 2 R 167/16w‑149, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 24. März 2016, GZ 27 Cg 25/12y‑133, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0030OB00084.17Z.0607.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 782,70 EUR und den 1., 2. und 3. Nebenintervenienten jeweils die mit 939,24 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin hinsichtlich der Nebenintervenienten je 156,54 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Vorinstanzen wiesen die auf Schadenersatz sowie die Feststellung der Haftung für künftige Schäden gerichtete Klage mit der Begründung ab, die Beklagte sei ihren aus dem Beförderungsvertrag mit der Klägerin abzuleitenden Verkehrssicherungspflichten nachgekommen, weshalb sie für die Folgen des Sturzes der Klägerin auf der Stiege im Bahnhofsbereich nicht aufzukommen habe. Die Kontroll‑ und Reinigungsmaßnahmen der Beklagten/Nebenintervenienten seien ausreichend und die festgestellten Abweichungen der Unfallstiege von maßgeblichen bautechnischen Richtlinien seien nicht ursächlich für den Sturz der Klägerin gewesen.

Das Berufungsgericht sprach über Abänderungsantrag der Klägerin (nachträglich) aus, dass die ordentliche Revision (doch) zulässig sei; es bedürfe der Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof, ob der vom Berufungsgericht den erstgerichtlichen Feststellungen beigemessene Sinn in Wahrheit eine Abweichung vom festgestellten Sachverhalt sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin, mit der sie ihr Schadenersatzbegehren weiter verfolgt, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Die Auslegung der in einer gerichtlichen Entscheidung enthaltenen Feststellungen ist jeweils einzelfallbezogen und bildet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO. Nur eine unvertretbare Auslegung der erstgerichtlichen Feststellungen durch das Berufungsgericht bedürfte einer Korrektur des Obersten Gerichtshofs durch gegenteilige Sachentscheidung (RIS‑Justiz RS0118891).

Hier ist das vom Berufungsgericht den erstgerichtlichen Feststellungen beigelegte Verständnis jedoch nicht korrekturbedürftig sondern naheliegend. Von einer im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigierenden Fehlbeurteilung kann daher nicht gesprochen werden, wenn die Berufungsentscheidung davon ausgeht, dass die Klägerin bei Benützung des Stiegenabgangs vom Bahnsteig zunächst auf die erste unterhalb des Bahnsteigniveaus befindliche Stiegenstufe trat und nicht in einem Zug (unter Auslassung der ersten abgesenkten Stufe) gleich auf die nächst tiefere.

Zwar ist die Frage, ob in einem konkreten Fall ein Tatbestand vorliegt, der nach den Regeln des Anscheinsbeweises eine Verschiebung des Beweisthemas und der Beweislast zulässt, eine revisible Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0022624, RS0022549); der Lösung dieser Frage kommt allerdings im Hinblick auf die Vielzahl denkbarer Fälle und die jeweils maßgeblichen Umstände des Einzelfalls keine erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu (RIS‑Justiz RS0022624 [T4, T5, T10]; RS0022549 [T3]).

Der Anscheinsbeweis beruht darauf, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist (RIS‑Justiz RS0040266). Es muss ein typischer Erfahrungszusammenhang bestehen (RIS‑Justiz RS0040274, RS0039895). Der Anscheinsbeweis darf nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen (RIS‑Justiz RS0040287). Die Tatsache eines Sturzes allein lässt noch nicht – auch nicht prima facie – auf ein Fehlverhalten schließen (4 Ob 18/15y; vgl RIS‑Justiz RS0111453).

Es bildet daher keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung, dass das Berufungsgericht einen typischen Erfahrungszusammenhang zwischen baulichen Abweichungen der Stiege von den bautechnischen Normen und dem Sturz der Klägerin verneinte, wenn die von der Klägerin beim Sturz betretene Stufe gar keine solche bautechnische Abweichung aufwies. Das Erstgericht wies in diesem Zusammenhang ebenso unbedenklich darauf hin, dass die Klägerin stets von einem Wegrutschen sowie einer feucht/klebrigen Oberfläche oder einem ebensolchen Belag, nie aber von baulichen Unregelmäßigkeiten der Stiege sprach. Aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte besteht aber – entgegen der Revisionsargumentation – auch kein Widerspruch zur Bejahung des Anscheinsbeweises bei einem Sturz auf einer schlecht beleuchteten und unregelmäßig gebauten Gasthausstiege (3 Ob 18/00v).

Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO; die Beklagte und die auf ihrer Seite dem Verfahren beigetretenen, am Revisionsverfahren noch beteiligten Nebenintervenienten wiesen jeweils auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision hin.

Stichworte