OGH 6Nc11/17w

OGH6Nc11/17w31.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm sowie Dr. Gitschthaler als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Betroffenen E***** G*****, geboren am ***** 1993, *****, vertreten durch den Sachwalter Mag. G***** M*****, aufgrund der vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien verfügten Vorlage des Akts AZ 1 P 65/17t zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060NC00011.17W.0531.000

 

Spruch:

Die vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien verfügte Übertragung der Sachwalterschaftssache an das Bezirksgericht Innsbruck wird genehmigt.

 

Begründung:

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 28. 10. 2014 wurde für den Betroffenen ein Sachwalter gemäß § 268 Abs 3 Z 2 ABGB zur Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern, zur Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen, und zur Bestimmung des Aufenthaltsorts bestellt. Der Betroffene, der aus dem Kosovo stammt, war im Jahr 2012 nach Österreich gekommen und lebte zunächst in *****. Sein Asylantrag wurde mittlerweile rechtskräftig abgewiesen. Er verbüßt seit 14. 5. 2016 eine Freiheitsstrafe, und zwar zunächst in der Justizanstalt ***** und nunmehr in der Justizanstalt *****. Eine Entlassung des Betroffenen nach der Hälfte der Strafhaft würde am 24. 8. 2017, eine solche nach Zweidrittel am 27. 1. 2018 und eine solche nach gänzlicher Verbüßung der Strafhaft am 3. 12. 2018 erfolgen.

Mit rechtkräftigem Beschluss vom 6. 3. 2017 übertrug das Bezirksgericht Innere Stadt Wien die Zuständigkeit zur Besorgung dieser Sachwalterschaftssache gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Innsbruck; der Betroffene halte sich nunmehr ständig in der Justizanstalt ***** auf.

Das Bezirksgericht Innsbruck verweigerte mit Beschluss vom 4. 4. 2017 die Übernahme der Zuständigkeit. Eine Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN setze voraus, dass der Betroffene nicht bloß vorübergehend, sondern längere Zeit an einem Ort bleiben und diesen zum Mittelpunkt seines Lebens, seiner wirtschaftlichen Existenz und seiner sozialen Beziehungen mache; der Betroffene halte sich aufgrund seines abgelehnten Asylantrags nicht mehr legitim in Österreich auf, der Zweck seines Aufenthalts in ***** sei allein der Strafvollzug, ansonsten bestehe kein Bezug dorthin.

Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien legte den Akt dem Obersten Gerichtshof gemäß § 111 Abs 2 JN zur Entscheidung vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Übertragung ist zu genehmigen.

Das Sachwalterschaftsgericht kann gemäß § 111 Abs 1 JN die Zuständigkeit (auch) von Amts wegen einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Betroffenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des sachwalterschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Diese Voraussetzung ist regelmäßig bei Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts des Betroffenen, also seines Lebensmittelpunkts gegeben. Wäre bei Einleitung des Verfahrens (erst) zum jetzigen Zeitpunkt nach § 109 JN das andere Gericht zuständig, kann die Zuständigkeit auf dieses übertragen werden (vgl die Nachweise aus Rechtsprechung und Literatur bei Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG [2013] § 111 JN Rz 11; vgl auch Fucik in Fasching/Konecny³ I [2013] § 111 JN Rz 3; Mayr in Rechberger, ZPO4 [2014] § 111 JN Rz 2). Die Zuständigkeitsübertragung setzt dabei einen stabilen Aufenthaltsort voraus, der allerdings auch im Fall einer auf Dauer angelegten Unterbringung etwa in einer Betreuungseinrichtung gesehen wird (Fucik aaO Rz 3 und 4 unter Hinweis auf zweitinstanzliche Rechtsprechung).

Den Berichten des Sachwalters ist zu entnehmen, dass sich der Betroffene vor seinem Strafantritt zwar in ***** aufhielt, dort jedoch jeweils nur über kurze Aufenthalte in Heimen, Asylzentren und Notschlafstellen verschiedener sozialer Einrichtungen verfügte; das Vorhandensein eines Mittelpunkts der gesamten Lebensführung des Betroffenen an einem konkreten Ort in *****, an den er nach seiner Haftentlassung wieder zurückkehren würde bzw könnte, lässt sich dem Akteninhalt nicht entnehmen. Damit ist aber im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass sich der Lebensmittelpunkt des Betroffenen tatsächlich derzeit in der Justizanstalt ***** befindet.

Stichworte