OGH 1Ob59/17h

OGH1Ob59/17h26.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. E* W*, vertreten durch Dr. Roland Kassowitz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. G* W*, vertreten durch Mag. Franz Podovsovnik, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 21. Dezember 2016, GZ 38 R 238/16f‑19, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 4. Juli 2016, GZ 58 C 30/15i‑15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E118092

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.232,45 EUR (darin enthalten 171,40 EUR USt und 204 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Hauptmieter des Geschäftslokals *, Top 6 + 7, in der er als Rechtsanwalt bis zu seiner Emeritierung Mitte des Jahres 2005 seine Kanzlei hatte. Der Beklagte ist seit 1. 5. 2002 Untermieter von Räumlichkeiten in diesem Geschäftslokal. Er benützt aufgrund dieses unbefristeten Untermietverhältnisses zwei Haupt‑ und Nebenräume des Mietgegenstands, in denen er seine Rechtsanwaltskanzlei betreibt. Solange der Kläger noch als Rechtsanwalt tätig war, trugen er und der Beklagte den Mietzins aus dem Hauptmietverhältnis sowie die Betriebskosten für das Mietobjekt in etwa zu gleichen Teilen. Seit der Emeritierung des Klägers bezahlt der Beklagte den gesamten von der Liegenschaftseigentümerin dem Kläger für das Objekt vorgeschriebenen Hauptmietzins einschließlich der Betriebskosten und Umsatzsteuer. Er trägt auch die Gas‑ und Stromkosten sowie die Kosten für die Wartung der Gastherme.

Der Kläger ist Eigentümer eines halben Miteigentumsanteils einer Liegenschaft in Wien 18, der mit einem Pfandrecht von 34.500 EUR belastet ist. Darüber hinaus bezieht er eine Alterspension von 1.900 EUR 14 x jährlich und hat Einkünfte aus einer Vorstandstätigkeit (ca 12.000 EUR jährlich) sowie aus einer Beteiligung (etwa 1.000 EUR jährlich).

Mit gerichtlicher Aufkündigung vom 3. 2. 2015 kündigte er den mit dem Beklagten geschlossenen Untermietvertrag unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist zum 30. 6. 2015 auf. Zur Begründung berief er sich auf § 30 Abs 2 Z 12 MRG und brachte dazu im Wesentlichen vor, er habe ein wichtiges Interesse, den Untermietvertrag aufzulösen, weil ihm die Liegenschaftseigentümerin für die Aufgabe seiner Mietrechte bei gänzlicher Bestandsfreiheit eine Abschlagszahlung von 128.000 EUR zuzüglich USt angeboten habe. Er beabsichtige das Angebot ehestmöglich anzunehmen.

Das Erstgericht hob mit seinem Urteil die am 4. 2. 2015 bewilligte Aufkündigung als rechtsunwirksam auf. Gemäß § 30 Abs 2 Z 12 MRG bilde es einen Kündigungsgrund, wenn bei Untermietverhältnissen durch die Fortsetzung der Untermiete wichtige Interessen des Untervermieters verletzt würden. Zwar werde in der Rechtsprechung auch ein wirtschaftliches Interesse des Untervermieters als wichtiger Grund angesehen, das Bestandverhältnis aufzulösen, doch könne die Möglichkeit, bei Aufgabe der Hauptmietrechte eine Abschlagszahlung zu lukrieren, mit den in der Judikatur bislang als berücksichtigungswürdig eingestuften wirtschaftlichen Interessen des Untervermieters nicht gleichgehalten werden. Weder erleide der Kläger aus der Untervermietung einen wirtschaftlichen Verlust, noch sei seine finanzielle Situation derart, dass er auf die Zahlung angewiesen wäre. Die bloße Erlangung eines wirtschaftlichen Vorteils/Gewinns könne für sich genommen aber kein derart wichtiges Interesse des Untervermieters begründen, dass dadurch der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 12 MRG verwirklicht wäre.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Klägers Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass es die gerichtliche Aufkündigung vom 4. 2. 2015 für rechtswirksam erklärte. Nach seiner Ansicht begründe die Aufgabe der Geschäftsräumlichkeiten und Verwertung der Mietrechte durch einen emeritierten Rechtsanwalt den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 12 MRG, weil dessen Interesse an der für die Rückstellung angebotenen Abschlagszahlung zu berücksichtigen sei, ohne dass eine Interessensabwägung vorzunehmen wäre. Aktenwidrig verwies es zudem darauf, dass bereits das Erstgericht in diesem Zusammenhang die Abschlagszahlung, die gesundheitlichen Probleme des Klägers und das Nichtzustandekommen einer ursprünglich beabsichtigten Übernahme des Kanzleibetriebs durch dessen Sohn in Summe zutreffend als wichtiges Interesse im Sinne des geltend gemachten Kündigungsgrundes gewertet habe.

Die Revision erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil „soweit überblickbar keine Rechtsprechung zur Frage vorliegt, ob auch die wirtschaftliche Verwertung eines Hauptmietrechts durch das Lukrieren einer Abschlagszahlung des Vermieters, bei Fehlen eines Eigenbedarfs, ein wichtiges Interesse des Untervermieters im Sinne des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 12 MRG darstellt“.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger beantwortete Revision des Beklagten ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist auch berechtigt.

1.1 § 30 Abs 2 Z 12 MRG erweitert die dem Untervermieter offenstehenden Kündigungsgründe um weitere Tatbestände, an die geringere Anforderungen gestellt werden als an die Auflösung eines Hauptmietverhältnisses (1 Ob 2149/96b = MietSlg 48.369; T. Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht3 § 30 Rz 93; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht²³ § 30 MRG Rz 56 je mwN). Danach kann ein Untermietverhältnis gekündigt werden, wenn durch die Fortsetzung der Untermiete wichtige Interessen des Untervermieters verletzt würden, namentlich wenn der Untervermieter den Mietgegenstand für sich selbst oder für nahe Angehörige dringend benötigt oder wenn ihm nach den Umständen die Aufrechterhaltung der Wohnungsgemeinschaft mit dem Untermieter billigerweise nicht zugemutet werden kann. Dabei ist anerkannt, dass diese Kündigungsmöglichkeit auch bei Geschäftsraumuntermieten zur Anwendung kommt (6 Ob 79/01p mwN; 10 Ob 44/11k = immolex 2011/87, 269 [Cerha]; 7 Ob 149/12f = immolex 2013/34, 115 [Ruckenbauer]).

1.2 Wichtige Interessen des Untervermieters, in deren Verletzung der Kündigungsgrund nach Z 12 leg cit besteht, sind alle Momente, die für den Untervermieter vom Standpunkt seiner Familieninteressen oder seiner geschäftlichen Bedürfnisse von maßgeblicher Bedeutung sind (RIS‑Justiz RS0070689; Würth/Zingher/Kovanyi aaO § 30 MRG Rz 58). Sie müssen den im Gesetz angeführten Beispielen an Gewicht gleichkommen und vom Untervermieter schon in der Kündigung individualisiert werden (RIS‑Justiz RS0070682; Würth/Zingher/Kovanyi aaO). Auch wirtschaftliche Belange können ein wichtiges Interesse des Untervermieters begründen (6 Ob 79/01p; 6 Ob 151/16y); sie müssen ihrer Bedeutung für den Untervermieter aber den im Gesetz genannten Beispielen (Eigenbedarf; Unzumutbarkeit der Aufrechterhaltung der Wohngemeinschaft) entsprechen (3 Ob 163/15i; RIS‑Justiz RS0070682).

2. Der Kläger begründete sein wichtiges Interesse im Sinne des § 30 Abs 2 Z 12 MRG im Verfahren erster Instanz damit, dass ihm von der Eigentümerin der Liegenschaft für die bestandfreie Rückgabe der Geschäftsräumlichkeiten eine Abschlagszahlung von 128.000 EUR zuzüglich USt angeboten worden sei und er dieses Anbot annehmen wolle. Gesundheitliche Probleme des Klägers oder die unterbliebene Übernahme des Kanzleibetriebs durch dessen Sohn waren demgegenüber nicht Gegenstand seines Vorbringens im Verfahren erster Instanz, was auch nicht durch die Aussage des Klägers als Partei ersetzt werden kann (RIS‑Justiz RS0043157). Entgegen der Begründung des Berufungsgerichts kann ein wichtiges Interesse des Klägers schon aus diesem Grund nicht mit diesen Aspekten begründet werden. Das Erstgericht hat ein wichtiges Interesse des Klägers verneint und nicht, wie das Berufungsgericht in seiner Begründung vermeinte, ein solches unter anderem aus den erstmals von ihm herangezogenen Gründen bejaht.

3.1 In der Rechtsprechung fanden wirtschaftliche Belange des Untervermieters als wichtiges Interesse etwa Berücksichtigung, wenn der Untermietzins wesentlich niedriger als der angemessene Teil des Hauptmietzinses war und eine Erhöhung nicht erreicht werden konnte (RIS‑Justiz RS0070699). In den Entscheidungen 2 Ob 38/03g und 10 Ob 44/11k wurden die geplante Expansion eines Unternehmens durch den Untervermieter und der damit zusammenhängende Bedarf an den untervermieteten Räumlichkeiten als wichtiges Interesse anerkannt. Zu 7 Ob 149/12f lag ebenfalls der Bedarf des Untervermieters an den untervermieteten Räumlichkeiten wegen einer geplanten Unternehmensgründung vor, wobei der Oberste Gerichtshof in dieser Entscheidung auch festhielt, dass der Untervermieter zur Darlegung der wichtigen Interessen das beabsichtigte Unternehmen in groben Zügen zu umschreiben habe.

3.2 Davon unterscheidet sich der vorliegende Fall grundlegend, weil der Kläger die untervermieteten Räumlichkeiten für wirtschaftliche Belange oder sonst für Familieninteressen gar nicht benötigt, will er diese doch zurückstellen. Da der Beklagte nach den Feststellungen den auf das Bestandobjekt entfallenden Hauptmietzins zur Gänze trägt und auch die Betriebskosten bezahlt, droht dem Kläger aus der Aufrechterhaltung des Hauptmietverhältnisses auch kein wirtschaftlicher Nachteil, sodass es allein um die ihm für den Fall der Rückgabe des Objekts in Aussicht gestellte Zahlung geht.

3.3 Da das Untermietverhältnis zwischen den Streitteilen auf unbestimmte Zeit geschlossen wurde, endet es nach ganz einhelliger Auffassung nicht automatisch mit der Beendigung des Hauptmietverhältnisses (7 Ob 28/14i = immolex 2014/86, 323 [Cerha] mwN; 3 Ob 163/15i; Pesek in Schwimann/Kodek,ABGB4 § 1098 ABGB Rz 122 mwN). Den Untervermieter treffen vielmehr Schutzpflichten zu Gunsten seines Vertragspartners (6 Ob 79/01p). Es ist daher anerkannt, dass der Unterbestandgeber, gibt er seine Bestandrechte freiwillig auf, dem Unterbestandnehmer zum Schadenersatz verpflichtet ist, sofern ihm nicht ohnedies gegenüber diesem ein Anspruch auf Vertragsbeendigung zugestanden wäre (7 Ob 28/14i; 3 Ob 163/15i). Grundsätzlich ist der Untervermieter daher seinem Vertragspartner gegenüber verpflichtet, das Hauptmietverhältnis fortzuführen. In der von der Liegenschaftseigentümerin zugesagten Zahlung kann daher nur das Motiv gesehen werden, das den Kläger bewegen soll, die Hauptmietrechte aufzugeben. Als bloßer Beweggrund für die Rückstellung des Bestandobjekts vermag ein solches Zahlungsversprechen wichtige Interessen des Untervermieters im Sinne des § 30 Abs 2 Z 12 MRG, die bei Fortsetzung des Untermietverhältnisses verletzt würden, aber nicht zu begründen, hinge es sonst von der Bereitschaft des Vermieters zur Leistung einer Abschlagszahlung ab, ob sich der Unterbestandgeber von seiner Verpflichtung, dem Untermieter aufgrund des auf unbestimmte Zeit geschlossenen Untermietvertrags die ungestörte Benützung des Bestandobjekts zu ermöglichen, durch Kündigung befreien kann. Die Möglichkeit, für die Aufgabe der Mietrechte einen finanziellen Vorteil zu erlangen, kann damit die Auflösung des Unterbestandverhältnisses nicht rechtfertigen.

4. Da der Kläger sonst keine Umstände von der Gewichtung des § 30 Abs 2 Z 12 MRG ins Treffen führte, fehlt es insgesamt an einem wichtigen Interesse, das ihn zur Aufkündigung des Unterbestandverhältnisses berechtigen würde. Der Revision des Beklagten ist daher stattzugeben und das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Für die Revision gebührt kein erhöhter Einheitssatz gemäß § 23 Abs 9 erster Satz RATG.

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