OGH 9Ob58/16v

OGH9Ob58/16v20.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr. Maximilian Ellinger, Dr. Günther Ellmerer, Rechtsanwälte in Kufstein, gegen die beklagte Partei P*****, vertreten durch Marschitz‑Petzer‑Bodner- Telser, Rechtsanwälte in Kufstein, wegen Feststellung und Unterlassung (Streitwert 7.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 4.666,67 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 2. Juni 2016, GZ 4 R 19/16x‑17, mit dem über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Kufstein vom 16. November 2015, GZ 2 C 196/15b‑8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0090OB00058.16V.0420.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 501,91 EUR (darin enthalten 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Eigentümer einer Liegenschaft (geschlossener Hof „S*****“), zu dessen Gutsbestand unter anderem die Grundstücke 91/4 (Wiese) und 147/1 (Wiese und Wald) gehören. Der Beklagte ist Eigentümer einer anderen Liegenschaft (geschlossener Hof „D*****“), auf der das Grundstück 114/1 liegt. Die Hofstelle der Rechtsvorgänger des Beklagten wurde 1964 auf dieses Grundstück übersiedelt. Seit damals wird das Vieh, wenn es zur Sommerweide aufgetrieben wird, zunächst über das im Eigentum des Beklagten stehende Grundstück 114/1 auf das Grundstück 91/4, das nunmehr im Eigentum des Klägers steht, über einen dort befindlichen Durchlass und dann über das im Eigentum des Klägers stehende Grundstück 147/1 Richtung Sommerweide getrieben. Ebenso erfolgt seit 1964 der Abtrieb des Viehs auf diesem Weg. Das auf dem Grundstück 147/1 gelegene Teilstück des für den Viehtrieb verwendeten Wegs wird auch als Wanderweg sowie als Forstmeile genutzt. Ob der Viehtrieb schon vor 1964 auf diesem Weg erfolgte, ist nicht feststellbar.

Der Kläger war Mitglied der Interessenschaft „H*****“. 1986 wurde beim Amt der Tiroler Landesregierung ein Regulierungsverfahren zur grundbücherlichen Durchführung des Einzelteilungsplans „H*****“ angeordnet. Dabei wurde festgehalten, dass die Liegenschaft des Klägers als Abfindung die Bauparzelle 7 Baufläche, die Grundparzelle 91/4, die Grundparzelle 177/1 und die Grundparzelle 147/7 erhält.

Aufgrund einer Dienstbarkeit zugunsten des Klägers und zu Lasten der Liegenschaft der Rechtsvorgänger des Beklagten wurden diese vom Verfahren und den damit verbundenen grundbücherlichen Durchführungen verständigt.

2012 kam es beim Viehtrieb des Beklagten über den gewohnten Weg zu einem Zwischenfall, bei dem das Bestehen eines Viehtriebrechts thematisiert wurde. 2013 erklärte der Kläger dem Beklagten, den Viehtrieb gegen Vorankündigung und einen Kostenbeitrag zu gestatten, womit der Beklagte nicht einverstanden war.

Mit der im April 2015 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrt der Kläger, zwischen den Parteien festzustellen, dass der Beklagte bzw seine Rechtsnachfolger als Eigentümer der eingangs genannten Liegenschaft gegenüber dem Kläger als Eigentümer der Grundstücke 91/4 und 147/1 bzw seinen Rechtsnachfolgern über keine Dienstbarkeit des Viehtriebs und keine Dienstbarkeit des Gehrechts verfügen sowie den Beklagten zu verpflichten, gegenüber dem Kläger das Treiben von Vieh und das Gehen über die Grundstücke des Klägers zu unterlassen.

Ein zunächst ebenfalls geltend gemachter Anspruch auf Feststellung und Unterlassung hinsichtlich eines Fahrrechts ist nicht mehr verfahrensgegenständlich.

Der Kläger brachte vor, trotz ausdrücklicher Untersagung habe der Beklagte sein Vieh über die Liegenschaften des Klägers getrieben. Er behaupte zu Unrecht das Bestehen einer Dienstbarkeit. Im Einzelteilungsverfahren, das vom Amt der Tiroler Landesregierung 1986 durchgeführt worden sei, habe weder der Beklagte noch sein Rechtsvorgänger ein Viehtriebs‑, Geh‑, oder Fahrrecht geltend gemacht. Aufgrund des rechtskräftig beendeten Einzelteilungsverfahrens seien sämtliche Grunddienstbarkeiten und Reallasten, sofern sie davor bestanden hätten und nicht neu auferlegt worden seien, jedenfalls erloschen. Gerechnet ab Beendigung dieses Verfahrens sei die Ersitzungszeit jedenfalls noch nicht abgelaufen.

Der Beklagte bestritt und brachte vor, das Vieh sei zumindest 50 Jahre über diesen Weg aufgetrieben worden. Die Dienstbarkeit sei zwar nicht einverleibt, aber ersessen worden. Der Weg sei in der Natur ersichtlich, es sei ein typischer Viehtriebsweg, der auch als Wanderweg genutzt werde. Das Einzelteilungsverfahren aus dem Jahr 1986 ändere nichts an der ersessenen Dienstbarkeit. Durch die von der Landesregierung vorgenommene Realteilung des Besitzes der Agrargemeinschaft sei der Kläger Alleineigentümer der hier interessierenden Grundstücke geworden. Der Beklage sei am Verfahren nicht beteiligt gewesen. Die Dienstbarkeit sei dadurch nicht erloschen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Liegenschaften seien zwar seit 1964 zum Zweck des Viehtriebs vom Beklagten bzw seinen Rechtsvorgängern verwendet worden. Allerdings habe 1986 ein Einzelteilungs‑ und Regulierungsverfahren nach dem Tiroler Flurverfassungslandesgesetz (TFLG 1978) stattgefunden. An diesem seien unter anderem die Liegenschaft des Klägers und die des Beklagten beteiligt gewesen. Gleichzeitig seien die Grundstücke 147/1 und 91/4 neu geschaffen und dem Kläger zugewiesen worden. Damit seien allenfalls bestehende Rechte beseitigt worden. Gerechnet ab 1986 sei aber die Ersitzungszeit noch nicht abgelaufen.

Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Beklagten gab das Berufungsgericht Folge und wies das Klagebegehren ab. Das Einzelteilungsverfahren 1986 unterliege dem TFLG 1978. In den verschiedenen Abschnitten dieses Gesetzes fänden sich unterschiedliche Regelungen zu Grunddienstbarkeiten und Reallasten. Für Einzelteilungsverfahren gelte § 58 TFLG 1978, nach dem Grunddienstbarkeiten, die aufgrund der Teilung entbehrlich würden, ohne Entschädigung aufzuheben seien. Grunddienstbarkeiten und Reallasten seien nur dann neu aufzuerlegen, wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen notwendig seien. Daraus ergebe sich aber, dass grundsätzlich Einzelteilungsverfahren nichts am Fortbestand von anderen Dienstbarkeiten änderten. Es sei daher von einer Ersitzung einer Dienstbarkeit durch den Beklagten auszugehen.

Die Revision an den Obersten Gerichtshof wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil zum Einfluss von Einzelteilungsverfahren auf die Ersitzung keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Besteht der Entscheidungsgegenstand nicht ausschließlich in einem Geldbetrag, so hat das Berufungsgericht nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO eine Bewertung vorzunehmen. Dabei ist das Berufungsgericht an die Bewertung des Klägers nach § 56 Abs 2 JN nicht gebunden ( Kodek in Rechberger 4 § 500 Rz 3 mwN). An die Bewertung des Streitgegenstands durch das Berufungsgericht ist auch der Oberste Gerichtshof gebunden (RIS‑Justiz RS0042515), sofern keine offenkundige Fehlbewertung vorliegt (RIS‑Justiz RS0118748).

Dass das Berufungsgericht eine höhere Bewertung als der Kläger vorgenommen hat, ist, da diese nicht offenkundig unangemessen ist, nicht zu beanstanden und nur dieser Wert für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision relevant.

Zu prüfen ist weiters, ob nach § 55 JN eine Zusammenrechnung der vom Kläger geltend gemachten Ansprüche zu erfolgen hat. Eine Zusammenrechnung setzt einen tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang voraus. Ein tatsächlicher Zusammenhang liegt vor, wenn alle Ansprüche aus demselben in der Klage behaupteten Sachverhalt abgeleitet werden können und die Behauptung eines ergänzenden Sachverhalts für einen der mehreren Ansprüche nicht erforderlich ist. Ein rechtlicher Zusammenhang ist zu bejahen, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag oder derselben Rechtsnorm abgeleitet werden ( Mayr in Rechberger 4 § 55 JN Rz 2 f). Dem Berufungsgericht ist darin zu folgen, dass die kumulativ gestellten Begehren auf Feststellung und Unterlassung bezogen auf dieselbe behauptete Eingriffshandlung ins Eigentum des Klägers in einem rechtlichen Zusammenhang stehen (vgl 6 Ob 80/98b; Gitschthaler in Fasching/Konecny 3  I § 55 JN Rz 21/5). Da die Berühmung des Eingriffsrechts, die dem Beklagten vorgeworfen wird, aus derselben Störungshandlung, dem Viehtrieb resultiert und eine anderweitige Nutzung der Grundstücke des Klägers durch den Beklagten auch nicht behauptet wird, kann im konkreten Fall auch hinsichtlich sowohl des Rechts auf Viehtrieb als auch des Gehrechts von einem einheitlichen Sachverhalt ausgegangen werden. Eine gesonderte Bewertung ist nicht erforderlich. Die Revision ist daher nicht nach § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.

2. Der Kläger macht in der Revision geltend, dass die allfälligen Dienstbarkeiten, die auf seinen Grundstücken lasteten, aufgrund des Einzelteilungsverfahrens jedenfalls erloschen seien und eine laufende Ersitzungsfrist dadurch unterbrochen wurde.

3. Unstrittig war auf das 1986 abgeschlossene Einzelteilungsverfahren das Tiroler Flurverfassungslandesgesetz 1978 (TFLG 1978) anzuwenden. Wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat, besteht das TFLG 1978 aus vier Hauptstücken. Das erste Hauptstück regelt die Zusammenlegung land‑ und forstwirtschaftlicher Grundstücke, das zweite die Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse an agrargemeinschaftlichen Grundstücken.

Im ersten Hauptstück sind das Zusammenlegungsverfahren und das Flurbereinigungs-verfahren geregelt. Darin findet sich in § 26 unter der Überschrift „Grunddienstbarkeiten, Reallasten und Baurechte“ die Bestimmung, dass Grunddienstbarkeiten und Reallasten, die sich auf einen der im § 480 ABGB genannten Titel gründen, mit Ausnahme der Ausgedinge ohne Entschädigung erlöschen. Sie seien jedoch von der Agrarbehörde ausdrücklich aufrecht zu erhalten und neu zu begründen, wenn sie im öffentlichen Interesse oder aus wirtschaftlichen Gründen notwendig sind.

Richtig hat das Erstgericht ebenso wie die Revision darauf verwiesen, dass der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 8 Ob 44/08s sowie 8 Ob 130/08p zu dieser Bestimmung bzw der gleichlautenden Regelung des § 24 Abs 1 Oö FLG 1979 unter Hinweis auf die Materialien zu § 6 Flurverfassungs‑Grundsatzgesetz 1951 (FlVfGG 1951) sowie der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs dargelegt hat, dass es für die Aufrechterhaltung einer bestehenden Dienstbarkeit oder für eine Neubegründung ausschließlich darauf ankomme, ob die Dienstbarkeit im öffentlichen Interesse oder aus wirtschaftlichen Gründen notwendig sei. Die Regelung bezwecke keinen Schutz wohlerworbener Rechte, umso weniger den eines noch nicht berechtigten bloßen Ersitzungsprätendenten.

Richtig verweist das Berufungsgericht aber darauf, dass der zweite Abschnitt des zweiten Hauptstücks des TFLG 1978 für Teilungen und Einzelteilungen eine davon abweichende Regelung für Grunddienstbarkeiten enthält (§ 46 Abs 4 bzw § 58 TFLG 1978). Danach sind Grunddienstbarkeiten, die infolge der Teilung für das herrschende Grundstück entbehrlich werden, ohne Entschädigung aufzuheben. Grunddienstbarkeiten und Reallasten sind nur dann neu aufzuerlegen, wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen notwendig sind.

Bei Teilungsverfahren geht der Gesetzgeber daher anders als in § 26 TFLG 1978 nicht davon aus, dass Grunddienstbarkeiten und Reallasten grundsätzlich erlöschen, sofern sie nicht ausdrücklich aufrecht erhalten werden, sondern grundsätzlich unberührt bleiben, sofern sie nicht als entbehrlich aufgehoben werden.

Dies findet seine Bestätigung auch in den Materialien zu § 6 FlVfGG 1951 (RV 237 BlgNR 11. GP , 12) die zwar im Zusammenlegungsverfahren eine Neuregelung für Grunddienstbarkeiten und Reallasten im zuvor beschriebenen Sinn für erforderlich erachteten, die § 58 TFLG 1978 erster Satz entsprechende Regelung des § 26 FlVfGG 1951 für Teilungsverfahren aber unverändert beließ. Dem entspricht auch, dass Zusammenlegungsverfahren, die unter anderem dazu dienen, der Zersplitterung von Grundbesitz entgegen zu wirken, auch dazu führen sollen, dass Grunddienstbarkeiten und Reallasten überflüssig werden und damit weitestgehend beseitigt werden können, während beim Teilungsverfahren die anteilsmäßige Abfindung der Parteien, wenn auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedürfnisse der Stammsitzliegenschaften zu erfolgen hat.

Dementsprechend geht auch der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass sich am Fortbestand anderer Dienstbarkeiten, also solchen, die nicht im Zuge der Teilung entbehrlich werden, durch das Teilungsverfahren nichts ändert (VwGH 7. 10. 1980, 3374/79). Auch der Oberste Gerichtshof hat bereits zu einer vergleichbaren Regelung, § 33 des Gesetzes vom 25. 2. 1911, LGuVBl für das Erzherzogtum Österreich ob der Enns Nr 16, § 16 RGBl 1883/92), das vorsah, dass Grunddienstbarkeiten nur wegfallen, wenn sie infolge des Zusammenlegungsverfahrens entbehrlich werden, wenn dies nicht der Fall sei, jedoch auf dem dienstbaren Grundstück verbleiben, Stellung genommen. Das Gesetz sehe den Wegfall von Grunddienstbarkeiten nur vor, wenn sie entbehrlich geworden seien. Sei dies nicht der Fall, würden sie durch das Zusammenlegungsverfahren nicht verändert. Bestehe aber keine Veranlassung für den Fortfall einer bereits ersessenen Wegedienstbarkeit, könne auch kein Grund gefunden werden, weshalb die Ersitzungszeit für ein noch nicht ersessenes Recht wegen des Zusammenlegungsverfahrens hätte unterbrochen werden sollen (1 Ob 115/14i; 3 Ob 588/87).

§ 58 TFLG 1978 ist daher dahin zu verstehen, dass Grunddienstbarkeiten und Reallasten, die nicht ausdrücklich aufgehoben werden, weil sie durch das Teilungsverfahren entbehrlich wurden, vom Teilungsverfahren unberührt bleiben. Dies gilt auch für ersessene Dienstbarkeiten sowie den Lauf der Ersitzungszeit.

Wurde die Ersitzung des klagsgegenständlichen Viehtriebs‑ und Wegerechts aber nicht durch das Einzelteilungsverfahren unterbrochen, war die Ersitzungszeit, was auch der Kläger in der Revision nicht mehr bestreitet, zum Zeitpunkt der Klagseinbringung bereits abgelaufen.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Dabei ist für die Bemessungsgrundlage von der Bewertung des Klägers auszugehen, die aufgrund der Einschränkung im Revisionsverfahren 4.666,67 EUR beträgt.

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