OGH 4Ob230/16a

OGH4Ob230/16a24.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache A***** K*****, geboren am ***** 1976, *****, vertreten durch Dr. Adrian Hollaender, Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 28. September 2016, GZ 23 R 406/16b‑238, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Melk vom 18. August 2016, GZ 17 P 24/16s‑230, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0040OB00230.16A.0124.000

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

 

Begründung:

Für den an Schizophrenie leidenden und in einem sozialtherapeutischen Zentrum untergebrachten 40-jährigen Betroffenen war für alle Angelegenheiten ein Rechtsanwalt als Sachwalter bestellt.

Auf Antrag des Betroffenen – der damit begründet war, dass kein Vertrauensverhältnis zum bisherigen Sachwalter bestehe und daher seine Mutter, in eventu Dr. K***** D***** oder der Verein B***** unter der Präsidentschaft von B***** K***** zu bestellen wäre – enthob das Erstgericht den Rechtsanwalt seines Sachwalteramts und betraute den ***** Landesverein für Sachwalterschaft und Bewohnervertretung mit der Sachwalterschaft. Die Mutter sei nicht geeignet, als Sachwalterin zu fungieren, weil aufgrund persönlicher Betroffenheit die nötige Distanz zur objektiven Betrachtung der Situation nur unzureichend vorliege. Hinsichtlich der sonst genannten Personen oder Institutionen sei kein besonderes Naheverhältnis zum Betroffenen und auch keine besondere Eignung anzunehmen.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Mutter akzeptiere die Krankheit ihres Sohnes zumindest nicht in vollem Umfang und kritisiere unberechtigterweise die ärztliche Behandlung. Es liege daher auf der Hand, dass sie nicht zur Übernahme des Amts des Sachwalters geeignet sei. Im Fall der Verhinderung einer nahestehenden Person sehe das Gesetz die Bestellung eines geeigneten Vereins vor. Wegen der bekundeten Bereitschaft des „primär berufenen“ ***** Landesvereins für Sachwalterschaft könne die Eignung des vom Betroffenen vorgeschlagenen Vereins B***** zur Führung der gegenständlichen Sachwalterschaft dahingestellt bleiben.

Der Betroffene beantragt mit seinem – von einem Rechtsanwalt unterzeichneten – außerordentlichen Revisionsrekurs die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, in eventu Abänderung in eine „rekursantragstattgebende“ Entscheidung. Bei der vorliegenden Sachwalterschaft stehe die Personensorge im Vordergrund, das Rekursgericht habe die Eignung der drei vom Betroffenen beantragten (teils natürlichen, teils juristischen) Personen nicht geprüft.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist wegen einer Fehlbeurteilung im Zusammenhang mit dem Stufenbau nach § 279 ABGB zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Die Auswahl des Sachwalters bestimmt sich nach § 279 ABGB. Die Bestimmung wird von der Rechtsprechung im Sinne eines Stufenbaus jener Personenkreise verstanden, die für die Bestellung als Sachwalter potenziell in Frage kommen (RIS-Justiz RS0123297): Primär ist als Sachwalter eine von der betroffenen Person selbst gewählte oder von einer nahestehenden Person empfohlene Person (§ 279 Abs 1 S 2 ABGB) heranzuziehen. Sekundär (mangels Wahl bzw Anregung oder bei fehlender Eignung der vorgeschlagenen Person) ist ein der betroffenen Person nahestehender Mensch zum Sachwalter zu bestellen (§ 279 Abs 2 ABGB). Ist eine solche geeignete Person nicht verfügbar, so ist ein geeigneter Verein oder, wenn auch ein solcher nicht in Betracht kommt, ein Rechtsanwalt oder Notar oder eine andere geeignete Person zu bestellen (§ 279 Abs 3 ABGB). Nur wenn die Besorgung der Angelegenheiten der behinderten Person besondere Fachkenntnisse erfordert, ist von Vornherein ein Rechtsanwalt oder Notar bzw ein geeigneter Verein zu bestellen (§ 279 Abs 4 ABGB).

2. Die Vorinstanzen haben bloß die Eignung der Mutter des Betroffenen geprüft und sind diesbezüglich zum– nachvollziehbar und schlüssig begründeten – Ergebnis der Nichteignung gelangt. Die Prüfung der vom Betroffenen „im Fall ihrer Verhinderung“ beantragten Personen (Dr. K***** D***** bzw Verein B*****) ist jedoch unterblieben. Es kann daher nicht beurteilt werden, ob die Bestellung einer dieser Personen dem Wohl des Betroffenen entspräche. Jedenfalls kann nicht davon die Rede sein, dass der ***** Landesverein primär berufen wäre, zumal der Betroffene die Bestellung anderer Personen wünscht. Im Sinne des oben genannten Stufenbaus ist zunächst noch die Eignung der vom Betroffenen an zweiter und dritter Stelle gewünschten Person bzw Organisation (Dr. D***** bzw B*****) zu prüfen. Erst wenn die Eignungsprüfung diesbezüglich negativ verläuft, kommt die Bestellung des ***** Landesvereins in Betracht (vgl auch 2 Ob 131/14z).

3. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und dem Erstgericht die konkrete Prüfung der Eignung der vom Betroffenen – abgesehen von der Mutter – vorgeschlagenen Personen aufzutragen.

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