European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00155.16S.0124.000
Spruch:
Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat ihre Revisionskosten selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
Strittig ist allein die Rechtsfrage, ob die Versicherungszeiten, die der am 31. August 1955 geborene Kläger in Deutschland erworben hat, im Rahmen der Kontoerstgutschrift (§ 15 APG) zum 1. Jänner 2014 zu berücksichtigen sind.
Mit Bescheid vom 16. Oktober 2015 gab die beklagte Pensionsversicherungsanstalt dem Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 23. Juni 2015, mit dem die Höhe der Kontoerstgutschrift zum 1. Jänner 2014 mit 8.353,94 EUR festgestellt wurde, nicht statt.
Das Erstgericht stellte – entsprechend dem angefochtenen Bescheid – fest, dass die Kontoerstgutschrift des Klägers zum 1. Jänner 2014 8.353,94 EUR beträgt und wies das Mehrbegehren, es möge festgestellt werden, dass weitere 7.697,25 EUR zu berücksichtigen seien und die Höhe der Kontoerstgutschrift zum 1. Jänner 2014 daher insgesamt 16.051,19 EUR betrage, ab. Für die Berechnung der Kontoerstgutschrift gemäß § 15 APG seien nur inländische Versicherungszeiten heranzuziehen; ausländische Versicherungszeiten seien nur bei der endgültigen Leistungsfeststellung zu berücksichtigen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Gegen die Berücksichtigung ausländischer Zeiten bei der Berechnung der Kontoerstgutschrift spreche, dass Art 52 der VO (EG) 883/2004 keine Regelungen für eine eigenständige Rentenberechnung im Sinne einer europäischen Gesamtrente enthalte. Die deutschen Zeiten seien (erst) anlässlich eines Antrags auf Pensionsleistung im Wege des pro rata temporis-Prinzips zu berücksichtigen.
Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, inwieweit auch ausländische Versicherungszeiten bei Ermittlung der Kontoerstgutschrift zu berücksichtigen seien. Angesichts des Umstands, dass die beklagte Partei selbst in ihrer im Internet abrufbaren Broschüre „Pensionskonto Neu – Kontoerstgutschrift“ (Stand 1. Jänner 2014) darauf hinweise, im Datenergänzungsverfahren zur Ermittlung der Kontoerstgutschrift müsse zur Schließung von Lücken im Versicherungsverlauf auch eine Erwerbstätigkeit im Ausland bekannt gegeben werden, löse die Nichtberücksichtigung der ausländischen Versicherungszeiten beim Bürger Unsicherheit aus, sodass eine höchstgerichtliche Klarstellung geboten erscheine.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die von der beklagten Partei beantwortete Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung (einschließlich sekundärer Feststellungsmängel) mit dem Antrag auf Abänderung im klagestattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückweisungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zum Zweck der Klärung der Rechtslage zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.
In seinem Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof stellt der Kläger in den Vordergrund, dass die Verordnung (EG) 883/2004 im Bereich des Pensionsversicherungsrechts vom Grundsatz der Zusammenrechnung der in mehreren Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten beherrscht sei. Aufgrund der Sachverhaltsgleichstellung seien die vom Kläger in Deutschland erworbenen 327 Versicherungsmonate in Österreich so zu behandeln als wären sie in Österreich zurückgelegt worden; sie seien daher auch bei der Ermittlung der Kontoerstgutschrift zu berücksichtigen. Zwischenstaatliche Erwerbskarrieren seien so zu behandeln als wäre die gesamte Erwerbskarriere nur in einem Staat zurückgelegt worden, auch wenn am Ende jeder beteiligte Mitgliedstaat „nur für seine eigenen Versicherungszeiten“ Leistungen zu erbringen habe. Auch das innerstaatliche Recht (§§ 238, 240 ASVG) schreibe eine Zusammenrechnung der in allen EU-Mitgliedstaaten einschließlich Österreich zurückgelegten Versicherungszeiten vor. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die die vom Kläger in Deutschland erworbenen Versicherungszeiten nicht berücksichtige, würde zu einem massiven Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot führen.
Dazu ist auszuführen:
1. Mit dem seit 1. Jänner 2005 geltenden Pensionskonto wurde für Personen, die nach dem 31. Dezember 1954 geboren sind, ein neues System der Pensionsberechnung eingeführt ( Rainer/Pöltner in SV‑Komm [168. Lfg, September 2016] § 15 APG Rz 1). Die Übertragung der bis 31. Dezember 2004 erworbenen Anwartschaften in das neue System durch Parallelrechnung wurde mit Wirkung ab 1. Jänner 2014 durch eine Sockelbetragslösung in Form der sogenannten „Kontoerstgutschrift“ abgelöst ( Rainer/Pöltner in SV‑Komm [168. Lfg] § 15 APG Rz 6). Mit der Kontoerstgutschrift werden alle bis zum 31. Dezember 2013 erworbenen Versicherungsmonate in einem einzigen Betrag zusammengefasst ( Rainer/Pöltner in SV‑Komm [168. Lfg] § 15 APG Rz 19; siehe auch Neuber/Wochner , Das neue Pensionskonto – alles neu? SozSi 2014, 500 [504]). Die Kontoerstgutschrift bildet dann die Basis für die Kontopension ( Rainer/Pöltner in SV-Komm [168. Lfg] § 15 APG Rz 21), gleichermaßen das Startkapital für das Pensionskonto ( Pinggera , Die gesetzliche Pensionsversicherung – ein Ausblick, VR 2015 H 7–8, 52 [54]; Götz-Tiefenbacher , Der Weg zum Pensionskonto NEU – ein Systembruch mit Zukunft, SozSi 2014, 508 [511]).
2. Die gesetzliche Regelung für die Ermittlung der Kontoerstgutschrift findet sich in § 15 APG.
2.1. Nach § 15 Abs 1 APG wird für Personen, die nach dem 31. Dezember 1954 geboren sind und bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 mindestens einen Versicherungsmonat nach dem APG, dem ASVG, dem GSVG, dem FSVG oder dem BSVG erworben haben, eine Kontoerstgutschrift zum 1. Jänner 2014 ermittelt; diese bildet gleichzeitig die Gesamtgutschrift für 2013.
2.2. Zunächst wird eine fiktive Alterspension zum Stichtag 1. Jänner 2014 nach dem Modus des „Altrechts“ unter Heranziehung besonderer, gesetzlich festgelegter Parameter berechnet. Zu diesem Stichtag wird auch eine fiktive Pension nach der Parallelrechnung berechnet und ein Vergleichsbetrag ermittelt, der der fiktiven Alterspension gegenübergestellt wird. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Abweichungen der Kontoerstgutschrift von einer nach der früheren Parallelrechnung zu erzielenden Pensionshöhe zum 1. Jänner 2014 nicht größer als maximal 3,5 % sind (siehe Rainer/Pöltner in SV-Komm [168. Lfg] § 15 APG Rz 20).
2.3. Für die Berechnung der fiktiven Alterspension zum Stichtag 1. Jänner 2014 werden die zu diesem Zeitpunkt geltenden Bestimmungen des „Altrechts“ (ASVG, GSVG, BSVG) herangezogen und die fiktive Alterspension unter Annahme des Vorliegens des Regelpensionsalters (also ohne Abschläge) gebildet, wobei alle bis zum 31. Dezember 2013 erworbenen Versicherungsmonate zu berücksichtigen sind (ausführlich Rainer/Pöltner in SV‑Komm [168. Lfg] § 15 APG Rz 30).
3. Eine unmittelbare Antwort auf die Frage, ob auch ausländische Versicherungszeiten bei der Berechnung der Kontoerstgutschrift zu berücksichtigen sind, fehlt sowohl im Gesetz (BGBl I 2012/35) als auch in den Gesetzesmaterialien zur Einführung der Kontoerstgutschrift (ErläutRV 1685 BlgNR 24. GP 53 f).
3.1 Die österreichischen Rechtsvorschriften stellen in der Regel nur auf das Vorliegen von Versicherungszeiten in Österreich ab. Die Berücksichtigung ausländischer Versicherungszeiten würde eine entsprechende internationale Regelung erfordern ( Spiegel in SV‑Komm [119. Lfg, März 2015] Vor § 251a ASVG Rz 2).
3.2. Im unionsrechtlichen Kontext ist dafür die „Koordinierungsverordnung“, die VO (EG) 883/2004 einschlägig.
3.2.1. Das Erstgericht hat aus Art 3 der VO 883/2004 (nach dieser Bestimmung umfasst der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung Rechtsvorschriften, die „Leistungen“ betreffen) geschlossen, dass eine Einbeziehung ausländischer Versicherungszeiten erst im Leistungsfall erfolgen könne; bei der Kontoerstgutschrift gehe es jedoch nicht um Leistungen, weil das Pensionskonto lediglich der besseren Transparenz diene.
Dagegen spricht jedoch, dass in der Anlage 4 (Erklärungen der Mitgliedstaaten zum Geltungsbereich der VO 883/2004 ) unter dem Punkt „Leistungen bei Alter“ auf das gesamte APG verwiesen wird und nicht bloß auf die leistungsrechtlichen Bestimmungen.
3.2.2. Der gegenüber Art 5 als lex specialis vorrangige Art 6 der VO 883/2004 regelt als tragenden Grundsatz der Koordination, der insbesondere im Bereich der Pensionsversicherung von großer Bedeutung ist, die Zusammenrechnung der in den Mitgliedstaaten erworbenen Versicherungszeiten; diese erfolgt jedoch nur in den in der Vorschrift genannten eingeschränkten Funktionen, nämlich einerseits im Rahmen anspruchsbegründender und anspruchserhaltender Normen, die bestimmte Mindestzeiten voraussetzen, und andererseits im Hinblick auf Zugangs- und Beendigungsbarrieren bei der Pflichtversicherung ( Schuler in Fuchs , Europäisches Sozialrecht 6 [2013] Art 6 Rz 1 ff).
3.3. Von der Zusammenrechnung von Zeiten zu unterscheiden ist die Leistungsberechnung. Die grundsätzlichen Regelungen dafür enthält Art 52 der VO 883/2004 .
3.3.1. Besteht ein Leistungsanspruch allein nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften, ist eine doppelte Berechnung vorzusehen. Zunächst ist eine innerstaatliche Leistung nur mit den im eigenen Staat erworbenen Versicherungszeiten zu ermitteln. Im nächsten Schritt ist eine Berechnung pro rata temporis durchzuführen ( Pöltl in Spiegel , Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [7. Lfg 2012] Art 52 VO 883/2004 Rz 4). Da die Berechnung nach der pro rata temporis -Methode aufwändig ist, ermöglicht es die Verordnung, von dieser zwischenstaatlichen Berechnung abzugehen ( Pöltl in Spiegel , Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [7. Lfg 2012] Art 52 VO 883/2004 Rz 11).
3.3.2. In Österreich wurde zur Vereinfachung von zwischenstaatlichen Pensionsfeststellungsverfahren die so genannte „abgekürzte Berechnung“ geschaffen, nach der die Pension so weit wie möglich immer ausschließlich unter Heranziehung der österreichischen Versicherungszeiten zu berechnen ist ( Pöltl in Spiegel , Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [7. Lfg 2012] Art 52 VO 883/2004 Rz 17).
3.3.3. Nach Art 52 Abs 5 VO 883/2004 kann eine anteilige Berechnung unterbleiben, wenn Zeiträume für die Berechnung einer Leistung an sich keine Rolle spielen. Ein Beispiel dafür ist die österreichische Alterspension nach dem APG, da bei dieser die Leistung durch Division der Gesamtgutschrift durch 14 ermittelt wird und nicht durch Bezugnahme auf Versicherungszeiten. Voraussetzung für das Unterbleiben der anteiligen Berechnung ist eine Eintragung in den Anhang VIII, Teil 2. Die Alterspension nach dem APG wurde in diesen Anhang eingetragen ( Pöltl in Spiegel , Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [7. Lfg 2012] Art 52 VO 883/2004 Rz 19).
3.3.4. Eine pro rata temporis -Berechnung ist also aufgrund der von Art 52 Abs 5 der VO 883/2004 gebotenen Möglichkeit und der Eintragung der Alterspensionen nach dem APG (Pensionskonto) in den Anhang VIII, Teil 2 nicht vorgeschrieben. Bei den Alterspensionen nach APG kommt also ausschließlich das österreichische Pensionskontorecht zur Anwendung ( Rainer/Pöltner in SV-Komm [166. Lfg September 2016] § 5 APG Rz 22).
4. Insgesamt ist daraus der Schluss zu ziehen, dass die VO 883/2004 in einem APG-Pensionsfall keine Einbeziehung ausländischer Versicherungszeiten in die Kontoerstgutschrift fordert. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass trotz der grundsätzlich ausschließlichen Anwendung österreichischen Pensionskontorechts im Leistungsfall auch in Zeiträumen eines Auslandsaufenthalts erworbene Versicherungszeiten maßgeblich werden, etwa Kinderbetreuungszeiten, die nach österreichischem Pensionsversicherungsrecht zu berücksichtigen sind ( Rainer/Pöltner in SV‑Komm [166. Lfg] § 5 APG Rz 24).
5. Die Antwort auf die hier zu lösende Frage, ob im (EU‑)Ausland erworbene Versicherungszeiten in die Kontoerstgutschrift einzubeziehen sind, ist im Fall des Klägers im österreichischen Recht zu suchen.
5.1. Zunächst ist auf den Wortlaut von § 15 APG zu verweisen, in dessen Abs 2 und 4 für die Berechnung der Kontoerstgutschrift auf die Zeiten, die nach dem APG, ASVG, GSVG, BSVG und FSVG erworben wurden, Bezug genommen wird.
5.2. Auch aus den Grundsätzen des österreichischen Pensions‑ und Pensionskontorechts können Rückschlüsse auf die Kontoerstgutschrift gezogen werden. Die österreichischen Rechtsvorschriften zum Pensionskonto (§ 11 APG) stellen auf Beitragsgrundlagen nach den österreichischen Sozialversicherungsgesetzen ab. Dies muss konsequenterweise auch für die Kontoerstgutschrift gelten, da es sich dabei um eine Form des Eintrags auf einem Pensionskonto handelt.
5.3. Auch die Stellungnahmen in der Literatur ( Neuber/Wochner , SozSi 2014, 500; Götz-Tiefenbacher , SozSi 2014, 508; Pinggera , VR 2015 H 7–8, 52) gehen – ohne unmittelbare Bezugnahme auf die Problematik – von einer Berücksichtigung (nur) der österreichischen Versicherungszeiten nach dem APG, dem ASVG, dem GSVG, dem FSVG und dem BSVG bei Erstellung der Kontoerstgutschrift aus (asudrücklich in diesem Sinn Rainer/Pöltner in SV‑Komm [167 Lfg] § 10 APG Rz 12).
5.4. Dazu kommt, dass die Kontoerstgutschrift schon nach dem Gesetzeswortlaut nur vorläufigen Charakter hat (§ 15 Abs 9–10b APG; vgl auch Spiegel in SV‑Komm [119. Lfg] Vor § 251a ASVG Rz 16 für Kindererziehungszeiten). Die Berücksichtigung ausländischer Zeiten erfolgt – soweit sie überhaupt in Österreich relevant werden – erst aus Anlass der Berechnung der Pension unmittelbar für die Leistungserbringung; in diesem Fall sind die Regelungen des internationalen und des europäischen Sozialrechts heranzuziehen (siehe auch Spiegel in SV‑Komm [119. Lfg] Vor § 251a ASVG Rz 36 am Ende, zu Kindererziehungszeiten, und Rainer/Pöltner in SV‑Komm [167. Lfg] § 10 APG Rz 12).
5.5. Da die Berechnung der Kontopension nicht auf Basis von Versicherungszeiten erfolgt, wurde die APG-Pension in den Anhang VIII, Teil 2 der VO 883/2004 aufgenommen. Diese Eintragung hat zur Folge, dass bei APG-Pensionen keine Berechnung nach dem pro rata temporis -Prinzip erfolgt und nur die österreichischen Rechtsvorschriften anzuwenden sind.
6. Die Vorinstanzen haben somit für die Berechnung der Kontoerstgutschrift berechtigterweise die vom Kläger in Deutschland erworbenen Versicherungszeiten nicht berücksichtigt.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers, welche einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus dem Akteninhalt.
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