European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0040OB00268.16I.0124.000
Spruch:
A. Der Antrag der Beklagten auf Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) wird zurückgewiesen und ihr Antrag auf Unterbrechung des Rekursverfahrens bis zur Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen des Landesgerichts Korneuburg vom 23. 11. 2016 zu AZ 1 Cg 91/14x wird abgewiesen.
B. Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts in Ansehung des Unterlassungsbegehrens und im Kostenpunkt zur Gänze wiederhergestellt wird und der Ausspruch über das Veröffentlichungsbegehren wie folgt lautet:
„Die Klägerin wird ermächtigt, den Ausspruch über das Unterlassungs- und das Veröffentlichungsbegehren binnen sechs Monaten ab Rechtskraft einmal in einer Ausgabe der 'Niederösterreichischen Nachrichten (NÖN)', Lokalausgabe für K*****, auf Kosten der Beklagten mit gesperrt geschriebenen Prozessparteien und in Fettdruckumrandung in Normallettern, somit in gleich großer Schrift wie der Fließtext redaktioneller Artikel, zu veröffentlichen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.“
Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen die mit 7.271,51 EUR (darin 962,22 EUR USt und 1.498,20 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin verfügt über eine Bewilligung der niederösterreichischen Landesregierung zur Durchführung von Glücksspielen in Form der Landesausspielung mit Automaten. Sie betreibt solche Geräte an mehreren Standorten in Niederösterreich.
Die Erstbeklagte, deren Geschäftsführer der Zweitbeklagte ist, betreibt eine Tankstelle samt Coffeeshop in Niederösterreich. Dort befindet sich ein Gerät mit einem Walzenspiel, bei dem die Entscheidung über Gewinn oder Verlust – auf einem in Tschechien von einer dort ansässigen Gesellschaft betriebenen Server – vom Zufall abhängt. Über eine Konzession zur Durchführung von Ausspielungen in Form der elektronischen Lotterie im Sinn des § 12a GSpG verfügt die Erstbeklagte nicht.
Die Klägerin begehrte, den Beklagten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr Geräte für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung zu betreiben oder einem Dritten den Betrieb von Geräten für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung zu ermöglichen. Weiters erhob die Klägerin ein Urteilsveröffentlichungsbegehren. Eine Ausspielung mit Glücksspielautomaten dürfe nur mit behördlicher Bewilligung erfolgen. Da die Beklagten über keine solche Bewilligung verfügten, betrieben sie illegales Glücksspiel und verstießen dadurch gegen § 1 Abs 1 Z 1 UWG (Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch). Weiters lägen Verstöße gegen bestimmte Spielerschutzbestimmungen des GSpG vor, weil es kein Identifikations- oder Zutrittssystem gebe.
Die Beklagten wandten Unionsrechtswidrigkeit und daraus folgende Verfassungswidrigkeit der glücksspielrechtlichen Beschränkungen infolge Inländerdiskriminierung ein.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Ausgehend von den eingangs zusammengefassten Feststellungen vertrat es in rechtlicher Hinsicht, dass sich die Beklagten aufgrund der Negativfeststellung, ob der tschechischen Gesellschaft eine Berechtigung zur Durchführung des gegenständlichen Glücksspiels zukomme, nicht auf die Dienstleistungsfreiheit berufen könnten. Daher erübrige es sich, auf die behauptete Unionsrechtswidrigkeit einzugehen. Überdies erfüllten weder die Beklagten noch die tschechische Gesellschaft die Mindestkapitalvorschrift des § 14 Abs 2 Z 1 und 3 GSpG.
Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Beklagten Folge, hob das Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der Rekurs zulässig sei. Die Regeln über die Konzessionen stünden mit der Ausgestaltung des Glücksspielmonopols in einem untrennbaren Zusammenhang. Die Prüfung der Unionsrechtswidrigkeit dürfe nicht allein deshalb unterbleiben, weil § 14 GSpG – isoliert betrachtet – als unionsrechtskonform zu qualifizieren wäre. Das Erstgericht habe daher im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zur Frage der tatsächlichen Auswirkungen der Regelungen des Glücksspielrechts zu treffen, um die Rechtsbeständigkeit der in Rede stehenden glücksspielrechtlichen Normen nach den vom EuGH dargelegten Grundsätzen beurteilen zu können.
Die Klägerin beantragt in ihrem Rekurs, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und in der Sache das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.
Die Beklagten regen in ihrer Rekursbeantwortung die Vorlage an den EuGH an und beantragen in eventu, das Rekursverfahren bis zur Entscheidung des EuGH über ein vom Landesgericht Korneuburg eingebrachtes Vorabentscheidungs- ersuchen zu unterbrechen.
Der Senat hat zu 4 Ob 31/16m ua mit Beschluss vom 30. 3. 2016 in sechs verbundenen Verfahren, denen Sachverhalte zugrunde lagen, die mit jenem des gegenständlichen Verfahrens vergleichbar sind, die dort näher bezeichneten einzelnen Bestimmungen des GSpG und des NÖ Spielautomatengesetzes 2011 (hilfsweise die genannten Gesetze zur Gänze) beim Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig angefochten. Demnach fehlt dem Glücksspielmonopol die unionsrechtlich erforderliche Rechtfertigung, weil die Werbung für Glücksspiele durch die Konzessionäre im Ergebnis nicht ausschließlich dazu dient, Verbraucher zu den kontrollierten Spielernetzwerken zu lenken, sondern den Zweck verfolgt, insbesondere jene Personen zur aktiven Teilnahme am Spiel anzuregen, die bis dato nicht ohne weiteres zu spielen bereit sind. Aus der vom Senat angenommenen Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielmonopols folgt daher, dass die in Fallgestaltungen, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, weiter anzuwendenden Bestimmungen des Glücksspielrechts eine gegen Art 7 B‑VG verstoßende Inländerdiskriminierung begründen.
Mit Beschluss vom 15. 10. 2016 zu GZ G 103‑104/2016-49 ua wies der Verfassungsgerichtshof die Anträge des Obersten Gerichtshofs und anderer Gerichte als unzulässig zurück. In der Entscheidung wurde zum einen darauf verwiesen, dass der Anfechtungsumfang zu eng gewählt worden sei. Zum anderen erweise sich aber auch die Anfechtung des gesamten GSpG als unzulässig, weil verfassungsrechtliche Bedenken nicht gegen sämtliche Bestimmungen dargelegt worden seien.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist wegen der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 15. 10. 2016 zulässig und auch berechtigt.
1. Mit Erkenntnis vom 15. 10. 2016 zu GZ E 945/2016-24 ua wies der Verfassungsgerichtshof mehrere Beschwerden ab, die gegen die gesetzliche Beschränkung des Glücksspiels gerichtet waren. Den Beschwerden lagen Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zugrunde, in denen die Beschlagnahme und Einziehung von Glücksspielautomaten verfügt bzw Verwaltungsstrafen wegen unerlaubten Glücksspiels mit solchen Automaten verhängt worden waren. Die Beschwerdeführer, die sich den oben referierten Bedenken des Obersten Gerichtshofs anschlossen, erachteten die gesetzliche Beschränkung der Zahl der Konzessionen zum Betrieb von Glücksspielautomaten als Verstoß gegen Unionsrecht. Diese Unionsrechtswidrigkeit führe wiederum zu einer gleichheits- und damit verfassungswidrigen „Inländerdiskriminierung“.
Der Verfassungsgerichtshof ging inhaltlich davon aus, dass die Bestimmungen des GSpG allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts entsprechen. Insbesondere enthalte das GSpG Regelungen, die sicherstellen sollten, dass Werbemaßnahmen der Inhaber von Glücksspielkonzessionen nicht mit den Zielen dieses Gesetzes (die auch in der Vorbeugung der Spielsucht bestehen) in Konflikt geraten. Die österreichischen Bestimmungen liefen auch aufgrund ihrer tatsächlichen Auswirkungen nicht dem Unionsrecht zuwider. Das österreichische System der Glücksspielkonzessionen verstoße daher nicht gegen Unionsrecht. Für eine „Inländerdiskriminierung“, die dieses System als verfassungswidrig erscheinen ließe, bestehe somit kein Anhaltspunkt.
2. Zeitlich zwischen dem Anfechtungsbeschluss des Senats und den Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs wurde die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 16. 3. 2016 zu AZ Ro 2015/17/0022 veröffentlicht, in der sich der Verwaltungsgerichtshof eingehend mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und der unionsrechtlichen Zulässigkeit von Beschränkungen der Glücksspieltätigkeiten durch das GSpG auseinandersetzte. Der Verwaltungsgerichtshof verneinte eine Unionsrechtswidrigkeit der einschlägigen Bestimmungen des GSpG. Es sei belegt, dass das vom österreichischen Gesetzgeber seit langer Zeit gewählte System zur Beschränkung der Möglichkeiten, in Österreich an Glücksspielen teilzunehmen, die vom Gesetzgeber angestrebten Ziele des Spielerschutzes sowie der Bekämpfung von Spielsucht und Kriminalität im Zusammenhang mit Glücksspielen erreiche. Die im GSpG vorgesehenen Bestimmungen eines – sich in der Realität des Glücksspielmarktes nicht auswirkenden – Glücksspiel-monopols des Bundes, kombiniert mit einem Konzessionssystem unter Beschränkung der Anzahl der zu vergebenden Konzessionen betreffend Lotterien und Spielbanken sowie eines (reinen) Bewilligungssystems unter Beschränkung der Anzahl der zu vergebenden Bewilligungen betreffend Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten sowie die Bestimmungen zur Hintanhaltung von illegalem Glücksspiel (§ 52f GSpG), verfolgten in kohärenter und systematischer Weise die angestrebten Ziele des Spielerschutzes, der Spielsuchtbekämpfung, der Verringerung der Beschaffungskriminalität sowie der Verhinderung von kriminellen Handlungen gegenüber Spielern.
3. Auch in der Zusammenschau mit der zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs erachtet der Senat durch die inhaltliche Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs die unions- und verfassungsrechtlichen Fragen als hinreichend geklärt. Ungeachtet der Zurückweisung der Anträge des Senats aus formalen Gründen ging der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis über die Bescheidbeschwerden umfassend auf die Vorgaben des EuGH zur Unionsrechtskonformität von Glücksspielrechtsnormen und auch auf die vom Senat gegen die österreichische Rechtslage geäußerten Bedenken ein. Dabei wurde auch die Frage eines maßvollen Werbeauftritts der Konzessionäre behandelt, insgesamt aber eine gesamthafte Würdigung aller Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt im Sinne der Rechtsprechung des EuGH vorgenommen.
4. Den entsprechenden Einwänden der Beklagten kommt daher keine Berechtigung zu. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts erübrigt sich daher eine Ergänzung des Beweisverfahrens zu den Auswirkungen des Glücksspielmonopols, sodass das Klagebegehren im Sinne einer Klagestattgebung spruchreif ist. In Ansehung des Unterlassungsbegehrens war das stattgebende Ersturteil wiederherzustellen. Die Klägerin war auch zur Urteilsveröffentlichung zu ermächtigen. Entgegen ihrem Antrag hat die Veröffentlichung aber entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl zuletzt etwa 4 Ob 164/12i und 4 Ob 61/16y) in Normallettern zu erfolgen.
5. Ein Antrag einer Partei auf Anrufung des EuGH ist gesetzlich nicht vorgesehen (RIS‑Justiz RS0058452). Der Antrag der Beklagten ist daher zurückzuweisen (vgl 9 ObA 69/15k). Eine amtswegige Vorlage kann unterbleiben, weil zu den Voraussetzungen der unionsrechtlichen Zulässigkeit des Gewinnspielmonopols und der Inanspruchnahme der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit bereits umfangreiche Rechtsprechung des EuGH vorliegt, die im zitierten Anfechtungsbeschluss des Senats bzw in den oben genannten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs umfassend referiert wurde (siehe auch 4 Ob 31/16m ua).
6. Der Senat hält die Rechtsfragen im Anlassverfahren für ausreichend geklärt. Eine weitere Klärung der hier relevanten Rechtsfragen ist vom Ergebnis des Vorabentscheidungsersuchens des Landesgerichts Korneuburg nicht zu erwarten, weshalb der darauf bezogene Unterbrechungsantrag der Beklagten unbegründet und daher abzuweisen ist (vgl auch 4 Ob 19/16x vom 27. 1. 2016).
7. Aufgrund der Fällung einer Sachentscheidung war auch über die Kosten des Berufungs- und Rekursverfahrens abzusprechen. Diese Entscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 43 Abs 2 ZPO. Die geringfügige Teilabweisung in Bezug auf das Veröffentlichungsbegehren fällt kostenmäßig nicht ins Gewicht.
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