OGH 8ObA59/16h

OGH8ObA59/16h27.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Rodlauer und Mag. Regina Albrecht als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. B***** O*****, vertreten durch Stampfer & Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch die Neger Ulm Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 614,46 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 15. Juni 2016, GZ 7 Ra 14/16g‑16, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 19. November 2015, GZ 30 Cga 69/15y‑11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBA00059.16H.0927.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revision selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 14. 4. 2014 bis 31. 3. 2015 bei der Beklagten als Sozialtrainerin beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis gelangte der Kollektivvertrag der Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe (BAGS‑KV) idF 2014 zur Anwendung. Bei Begründung des Dienstverhältnisses erfolgte die Einstufung der Klägerin aufgrund des Versicherungsdatenauszugs vom 24. 3. 2014. Nach dieser Einstufung wurden die Gehaltsabrechnungen vorgenommen. Im Verfahren stützt sich die Klägerin auf einen (neuen) Versicherungsdatenauszug vom 7. 4. 2015 mit zusätzlichen Vordienstzeiten.

§ 32 des Kollektivvertrags lautet:

Anrechnung von Vordienstzeiten für Gehalt

1) Facheinschlägige Vordienstzeiten sind bis zum Ausmaß von maximal zehn Jahren anzurechnen. Facheinschlägige Tätigkeiten, die nicht im Rahmen eines unselbständigen Dienstverhältnisses geleistet wurden, sind nur dann als Vordienstzeiten anrechenbar, wenn Inhalt, Ausmaß und Zeitdauer der Tätigkeiten durch eine entsprechende Bestätigung nachgewiesen werden.

2) Falls keine oder weniger als zehn Jahre facheinschlägige Vordienstzeiten vorliegen, sind andere (nicht facheinschlägige) Vordienstzeiten im Ausmaß von maximal vier Jahren zu 50 % anzurechnen. Für nach dem 28. Februar 2013 beginnende Dienstverhältnisse bzw nach diesem Zeitpunkt erfolgende Optierungen sind nicht facheinschlägige Vordienstzeiten im Ausmaß von maximal sechs Jahren zu 50 % anzurechnen. Für nach dem 28. Februar 2014 beginnende Dienstverhältnisse bzw nach diesem Zeitpunkt erfolgende Optierungen sind nicht facheinschlägige Vordienstzeiten im Ausmaß von maximal acht Jahren zu 50 % anzurechnen.

3) Die gemeinsame Obergrenze für alle anrechenbaren Vordienstzeiten (facheinschlägige und nicht facheinschlägige) beträgt höchstens zehn Jahre.

4) Die Vordienstzeiten werden ab dem, der Vorlage bei der Arbeitgeberin folgenden Monatsersten, angerechnet.

5) Nicht als Vordienstzeiten gerechnet werden Schul‑ und sonstige Ausbildungszeiten.

Die Klägerin begehrte die Differenz aus Gehalts- und Sonderzahlungen für den Beschäftigungszeitraum. Sie sei von der Beklagten falsch eingestuft worden. Tatsächlich weise sie 1,21 Jahre an facheinschlägigen und 3,59 Jahre an nicht facheinschlägigen Vordienstzeiten auf, die ebenfalls anzurechnen seien. Nach § 32 BAGS‑KV müssten nur Vordienstzeiten aus selbständigen Tätigkeiten durch eine Bestätigung nachgewiesen werden.

Die Beklagte entgegnete, dass sie die Einstufung der Klägerin auf Basis des bei Begründung des Dienstverhältnisses vorgelegten Versicherungsdatenauszugs korrekt vorgenommen habe. Die von der Klägerin zusätzlich ins Treffen geführten Vordienstzeiten habe diese erst nach Beendigung des Dienstverhältnisses bekannt gegeben. Eine Rückverrechnung von Vordienstzeiten komme nicht in Betracht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach § 32 BAGS‑KV seien Vordienstzeiten ab dem der Vorlage folgenden Monatsersten anzurechnen. Daraus folge, dass die von der Klägerin erst nach Beendigung des Dienstverhältnisses vorgelegten Vordienstzeiten nicht zu berücksichtigen seien.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Entgegen der Ansicht der Klägerin beziehe sich § 32 Abs 4 BAGS‑KV eindeutig auf alle Vordienstzeiten und nicht nur auf selbständige Vordienstzeiten im Sinn des Abs 1 leg cit. Hätten die Kollektivvertragsparteien eine derartige Einschränkung gewollt, so hätten sie eine entsprechende Regelung getroffen. Eine nachträgliche Anrechnung von Vordienstzeiten sehe der Kollektivvertrag nicht vor. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Auslegung eines Kollektivvertrags eine erhebliche Rechtsfrage darstelle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.

Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die ordentliche Revision ist zulässig, weil die Frage, ob für die Anrechnung von Vordienstzeiten nach § 32 Abs 4 BAGS‑KV ein Nachweis des Arbeitnehmers erforderlich ist, vom Obersten Gerichtshof bisher nicht beantwortet wurde. Die Auslegung des Kollektivvertrags ist nicht klar und eindeutig (vgl RIS‑Justiz RS0109942; 8 ObA 84/13f). Die Revision der Klägerin ist aber nicht berechtigt.

1. Die Klägerin begehrt Gehalts- und Sonderzahlungsdifferenzen aufgrund einer höheren Einstufung wegen angeblich nicht berücksichtigter facheinschlägiger (1,21 Jahre) und nicht facheinschlägiger (3,59 Jahre) Vordienstzeiten, die sie gegenüber der Beklagten – auf Basis eines neuen Versicherungsdatenauszugs – erst nach Beendigung des Dienstverhältnisses geltend gemacht hatte. Dabei steht sie auf dem Standpunkt, dass nach § 32 BAGS‑KV eine „Vorlage“ für die Anrechnung von Vordienstzeiten (Abs 4 leg cit) nur für selbständige Tätigkeiten bestehe. Facheinschlägige Vordienstzeiten aus unselbständiger Tätigkeit seien bedingungslos anzurechnen.

Damit ist die Klägerin nicht im Recht.

2.1 Im Anlassfall stellt sich die Frage, ob für die Anrechnung von Vordienstzeiten deren Nachweis gegenüber dem Dienstgeber erforderlich ist. Die einschlägigen Regelungen für die Anrechnung von Vordienstzeiten (für Gehalt) finden sich in § 32 BAGS‑KV. Im Anlassfall ist der Kollektivvertrag idF 2014 anzuwenden.

Schon seit der Fassung 2004 betrifft

‑ Abs 1 die Anrechnung facheinschlägiger Vordienstzeiten, wobei für selbständige Tätigkeiten eine besondere Bestätigung über Inhalt, Ausmaß und Zeitdauer der Tätigkeit vorgesehen ist,

‑ Abs 2 die Anrechnung nicht facheinschlägiger Vordienstzeiten, wobei eine Unterscheidung zwischen unselbständigen und selbständigen Tätigkeiten (Vordienstzeiten) nicht erfolgt, und

‑ Abs 5 (2004 und 2008) bzw Abs 4 (ab 2008) den Nachweis der Vordienstzeiten und den Zeitpunkt, ab wann deren Anrechnung erfolgt. Der Regelungsgehalt dieser Bestimmungen wurde – abgesehen vom Zeitpunkt, zu dem die Anrechnung erfolgt – im Grundsatz unverändert beibehalten.

2.2 Nach der ausdrücklichen Anordnung in der Fassung 2004 und 2008 (Abs 5) waren die Vordienstzeiten nachzuweisen. In der Fassung 2008 wurde hinsichtlich des Zeitpunkts der Anrechnung (in Abs 4) normiert, dass die Anrechnung ab dem der Vorlage folgenden Monatsersten erfolgt (vgl dazu Löschnigg, Vordienstzeitenanrechnung in BAGS‑KV, ASoK 2008, 215). Dabei handelte es sich um eine Klarstellung zum Zeitpunkt der Anrechnung. Am Erfordernis des „Nachweisens“ (Abs 5) hat sich nichts geändert. Vorzulegen war ein Nachweis im Sinn des Abs 5.

2.3 Die Regelung, dass die Vordienstzeiten ab dem der Vorlage folgenden Monatsersten angerechnet werden, wurde in der Folge (in Abs 4) unverändert beibehalten. Das Gleiche gilt für die grundsätzlichen Anrechnungs-bestimmungen in Abs 1 und Abs 2. In der Fassung ab 2009 entfiel nur die Einschränkung, dass Vordienstzeiten für deren Berücksichtigung bis zum Ende des fünften Monats nachzuweisen waren. Aus diesem Grund wurde Abs 5 gestrichen. Am Erfordernis der „Vorlage“ in Abs 4 (seit 2008) hat sich allerdings nichts geändert.

2.4 § 32 Abs 4 BAGS‑KV 2014 regelt weiterhin (unverändert) den Zeitpunkt, zu dem die Anrechnung der Vordienstzeiten erfolgt. Für nicht facheinschlägige Vordienstzeiten wird in Abs 2 weiterhin nicht zwischen unselbständigen und selbständigen Tätigkeiten unterschieden. Das sachliche Argument dafür besteht darin, dass bei nicht einschlägigen (selbständigen) Tätigkeiten eine Beurteilung der Sach- bzw Tätigkeitsbezogenheit, also des Inhalts der Tätigkeit, keine Rolle spielt. Eine Bestätigung nach Abs 1 ist daher nicht erforderlich.

3.1 Insgesamt ergibt sich, dass sich der Begriff der „Vorlage“ in § 32 Abs 4 BAGS‑KV von Anfang an auf einen Nachweis der Vordienstzeiten bezog. Mit dem Begriff „Vorlage“ wird normiert, dass Nachweise zu den Vordienstzeiten vorgelegt werden müssen. Die Notwendigkeit der „Vorlage“ gilt nach der klar erkennbaren Regelungssystematik für die Anrechnung aller Vordienstzeiten (vgl dazu auch Löschnigg/Resch, BAGS‑KV 2014/15, 256: „Kann ein Arbeitnehmer bzw eine Arbeitnehmerin facheinschlägige Tätigkeiten nachweisen, dann sind sie voll anzurechnen, unabhängig davon, wo sie erbracht wurden und wie das Arbeitsverhältnis beendet wurde.“). Die in Abs 1 vorgesehene Bestätigung über Inhalt, Ausmaß und Zeitdauer von facheinschlägigen selbständigen Vordienstzeiten soll die Beurteilung ermöglichen, ob die selbständigen Tätigkeiten die erforderliche Sach- bzw Tätigkeitsbezogenheit aufweisen, diese also einschlägig sind. Dabei handelt es sich um eine spezielle Bestätigung, die nicht mit der „Vorlage“ nach Abs 4 identisch ist.

Der Auslegung der Klägerin, wonach die Vorlage eines Nachweises im Sinn des § 32 Abs 4 BAGS‑KV nur für selbständige facheinschlägige Tätigkeiten erforderlich sei, kann nicht gefolgt werden.

3.2 Da die Klägerin die ihrem Begehren zugrunde liegenden Vordienstzeiten der Beklagten erst nach der Beendigung des Dienstverhältnisses nachgewiesen hat, sind die Voraussetzungen für die Anrechnung weiterer Vordienstzeiten nicht gegeben. Die Vorinstanzen haben das Klagebegehren damit zu Recht abgewiesen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 40, 50 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

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