OGH 12Os42/16t

OGH12Os42/16t22.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. September 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Beran als Schriftführer in der Strafsache gegen Dusan R***** wegen des Verbrechens der betrügerischen Anmeldung zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter‑Urlaubs‑ und Abfertigungskasse nach § 153d Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 26. Jänner 2016, GZ 12 Hv 68/15b‑31, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0120OS00042.16T.0922.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dusan R***** (richtig: jeweils) des Verbrechens der betrügerischen Anmeldung zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter‑Urlaubs‑ und Abfertigungskasse (richtig:) nach § 153d Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB (a./) sowie nach § 153d Abs 2 und Abs 3 zweiter Fall StGB (b./) schuldig erkannt.

Danach hat er – teilweise ergänzt bzw (mithilfe der Entscheidungsgründe; vgl RIS‑Justiz RS0116587; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 15) verdeutlicht – „in Wien im Zeitraum März 2013 bis Februar 2014 dadurch, dass er dem abgesondert verfolgten Christian U***** sowie der ahnungslosen Nadine B***** die Namen sowie Sozialversicherungsnummern von insgesamt 520 Dienstnehmern zur Anmeldung bei der Sozialversicherung und der Bauarbeiter‑Urlaubs‑ und Abfertigungskasse übermittelte“ und „dadurch 278 Dienstnehmer auf die I***** GmbH, 4 Dienstnehmer auf die BL***** KG sowie 238 Dienstnehmer auf die H***** GmbH NfG KG angemeldet wurden“,

a./ die Anmeldung von Personen zur Sozialversicherung „in dem Wissen, dass die infolge der Anmeldung auflaufenden Sozialversicherungsbeiträge nicht vollständig geleistet werden sollen“, vermittelt (vgl US 7, 13 f und 19) sowie

b./ „die Meldung mehrerer Personen zur Bauarbeiter‑Urlaubs‑ und Abfertigungskasse in dem Wissen, dass die infolge der Meldung auflaufenden Zuschläge nach dem Bauarbeiter‑Urlaubs‑ und Abfertigungsgesetz nicht vollständig geleistet werden sollen, vermittelt“,

wobei „Sozialversicherungsbeiträge bei der WGKK“ im Gesamtausmaß von 1.030.674,01 Euro sowie „Zuschläge nach dem Bauarbeiter‑Urlaubs‑ und Abfertigungsgesetz“ im Gesamtausmaß von 87.421,41 Euro „nicht vollständig“ – bzw überhaupt nicht (US 19) – „bezahlt“ und „die unter Punkt a./ und b./ angeführten Taten [jeweils] in Bezug auf eine größere Anzahl“ von Personen, „nämlich 520 Dienstnehmern“ begangen wurden.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten dagegen aus § 281 Abs 1 Z 3, 4 und 10 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde schlägt fehl.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 3) ist ein Verstoß gegen § 157 Abs 1 Z 1 StPO durch unvollständige (oder – wie hier behauptet – gar fehlende) Belehrung eines Zeugen über ein ihm wegen Selbstbezichtigungsgefahr zukommendes Zeugnisverweigerungsrecht in der Hauptverhandlung (im Gegensatz zu § 152 Abs 1 Z 1 StPO aF) nicht mehr mit Nichtigkeit bewehrt (vgl §§ 157 Abs 2, 159 Abs 3 zweiter Satz StPO; RIS‑Justiz RS0124907; Kirchbacher, WK‑StPO § 159 Rz 24, 26; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 226).

Dem Standpunkt der aus Z 4 erhobenen Verfahrensrüge zuwider wurde in der Hauptverhandlung – dem unangefochten gebliebenen Verhandlungsprotokoll vom 26. Jänner 2016 (ON 30) zufolge – eine „Auswertung eines vorgelegten Versicherungsdatenauszugs“ nicht beantragt. Aus dem – überdies keinen für die Schuld‑ oder Subsumtionsfrage erheblichen Umstand betreffenden (RIS‑Justiz RS0118444; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 321) – Vorbringen, der Verteidiger habe „einen Versicherungsdatenauszug“ eingebracht, aus dem hervorgehe, „dass der Angeklagte im gegenständlichen Zeitraum angestellt […] und nicht in der Lage war, selbst Arbeitnehmer anzustellen“ (ON 30 S 29), lässt sich eine solche Antragstellung jedenfalls nicht ableiten.

Auch durch Abweisung der Anträge auf „kriminaltechnische Auswertung des Reisepasses […] zur Feststellung der genauen Einreise‑ und Ausreisedaten von Serbien im März 2013 bis Februar 2014 zum Beweis dafür, dass der Angeklagte im anklagegegenständlichen Zeitraum zumindest zeitweise nicht in Österreich aufhältig war“, sowie „auf Ausforschung, Ladung und Vernehmung der auf der Liste ON 17 S 247 bis 259 genannten Personen“ zum „Beweis der subjektiven und objektiven Unschuld des Angeklagten, weil diese Menschen den Angeklagten weder als Arbeitgeber oder Vermittler kennen noch jemals bei ihm oder auch mit der Vermittlung des Angeklagten bei unbekannten Dritten beschäftigt waren“ (ON 30 S 30 ff), wurden Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers nicht geschmälert.

Denn unterlassene Beweisaufnahme kann aus diesem Nichtigkeitsgrund nur in Zusammenhang mit der gebotenen Klärung entscheidender, das heißt solcher Tatsachen angefochten werden, welche die rechtliche Beurteilung – die Lösung der Schuld‑ und der Subsumtionsfrage (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) – beeinflussen können (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 320 f). Eine Beweisaufnahme, die schon dem Antragsvorbringen zufolge nicht geeignet ist, eine insoweit erhebliche Tatsache zu beweisen, kann somit unterbleiben (§ 55 Abs 2 Z 2 StPO). Einem Beweisantrag muss daher – soweit dies nicht offensichtlich ist (§ 55 Abs 1 und Abs 2 Z 1 und Z 2 StPO) – nicht nur zu entnehmen sein, warum die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse (widrigenfalls ein unzulässiger Erkundungsbeweis vorläge; vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 330), sondern auch, inwieweit dies für die Schuld‑ oder die Subsumtionsfrage (bzw bei analoger Anwendung der Z 4 im Rahmen einer Sanktionsrüge nach Z 11 erster Fall für die Frage der Beurteilung der Sanktionsbefugnis) von Bedeutung ist (RIS‑Justiz RS0118444 [insbes T3, T4]; Danek/Mann, WK‑StPO § 238 Rz 7; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 327 ff).

Bei der Anfechtung aus Z 4 ist überdies zu berücksichtigen, dass der Oberste Gerichtshof die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung des Schöffengerichts, eine begehrte Beweisaufnahme abzulehnen (bzw ohne förmlichen Beschluss zu unterlassen), immer nur mit Blick auf den Inhalt des Beweisantrags bezogen auf den jeweiligen Zeitpunkt der Antragstellung überprüfen kann. Jedes davon abweichende oder den Beweisantrag ergänzende Vorbringen im Rechtsmittel ist daher unzulässig und insoweit unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099117; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 325).

Davon ausgehend konnte die begehrte Beweisaufnahme gänzlich unterbleiben, ist doch aus dem Antragsvorbringen nicht ersichtlich, inwieweit die angestrebten Beweisthemen geeignet wären, einen sich auf den gesamten Tatzeitraum erstreckenden ständigen und ununterbrochenen Auslandsaufenthalt des Angeklagten nachzuweisen bzw zu beweisen, dass die inkriminierten Anmeldungen zur Sozialversicherung und zur Bauarbeiter‑Urlaubs‑ und Abfertigungskasse nicht von ihm veranlasst wurden.

Die Subsumtionsrüge (Z 10) lässt die Gesamtschau der von den Erstrichtern getroffenen Feststellungen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 581, 584) außer Acht, wonach die dem Angeklagten zur Last gelegten Taten – im Sinn der Anklage (ON 22) – auch den (bereits im Tatzeitraum in Geltung stehenden) Tatbestand des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall StGB (idF vor BGBl I 2015/112) als Beitragstäter nach § 12 dritter Fall StGB erfüllen (US 4 ff; vgl auch US 27 f; Kirchbacher/Presslauer in WK2 StGB § 153d Rz 29 ff [zur alten Rechtslage]), und legt nicht dar, weshalb sie nicht gemäß dem nach §§ 1, 61 StGB gebotenen Günstigkeitsvergleich nunmehr den für den Täter vorteilhafteren, weil mit geringerer Strafe bedrohten Tatbeständen des § 153d Abs 1 bzw Abs 2 und (jeweils) Abs 3 zweiter Fall StGB zu subsumieren sein sollten.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Verteidigung bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus gemäß § 285i StPO die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über seine sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft folgt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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