OGH 12Os61/16m

OGH12Os61/16m14.7.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juli 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Jülg, BSc, als Schriftführer im Verfahren zur Unterbringung des Roman G***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 8. März 2016, GZ 84 Hv 3/16z‑56, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0120OS00061.16M.0714.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Unterbringung des Betroffenen Roman G***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet.

Danach hat er am 19. Juli 2015 in W***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, nämlich einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit dissozialen narzistischen und schizotypen Zügen und hochgradigem Verdacht auf eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit einem akut wahnhaft‑psychotischen Zustandsbild Silke H*****, Sita K*****, Ingrid G***** und Caroline Ka***** mit dem Tod gefährlich bedroht, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen, wobei er wusste und wollte (es ihm darauf ankam; US 6), dass auch die übrigen Opfer von den gegenüber Silke H***** getätigten Äußerungen in Kenntnis gesetzt werden, indem er dieser gegenüber sinngemäß äußerte und dabei seine Hände zu Fäusten ballte und mehrmals in die Luft boxte:

‑ ob sie Anders Breivik, den norwegischen Amokläufer, toll finde, weil dieser mit dem Amoklauf ein Zeichen gesetzt habe, das richtig sei;

‑ alle, die Breivik nicht toll fänden, seien Dämonen und gehörten vernichtet; diese Aufgabe übernehme er selbst, weil er der Auserwählte sei;

‑ er hasse seine Cousine Caroline Ka***** und Sita K***** – beide schwanger – und werde auch diese umbringen;

‑ er wisse nicht, ob Silke H***** ein Engel oder ein Dämon sei, sollte sie ein Dämon sein, würde er sie sofort vernichten;

‑ seine Cousine Caroline Ka*****, seine Mutter Ingrid G***** und Sita K***** werde er umbringen, da er sie besonders hasse; seiner Mutter gehörten die Augen ausgestochen und dann gehörte sie getötet; die anderen, Sita K***** und Caroline Ka*****, gehörten langsam getötet,

somit Taten begangen, die ihm, wäre er zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 (zu ergänzen: erster Fall) StGB zuzurechnen wären.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobenen, auf die Nichtigkeitsgründe der Z 3, 5 und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen kommt keine Berechtigung zu.

Der Verfahrensrüge (nominell Z 3, der Sache nach – sowie mit Blick auf § 126 Abs 4 zweiter Satz StPO – Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung des Antrags auf „Ablehnung“ (gemeint: Enthebung) des Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie wegen Befangenheit (§ 47 Abs 1 Z 3 iVm § 126 Abs 4 erster Satz StPO; ON 55 S 22 ff) Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt. Nach dem Antragsvorbringen sei der Sachverständige deshalb befangen, weil er wiederholt seiner Expertise zur nach § 21 Abs 1 StGB qualifizierten psychischen Erkrankung des Betroffenen und zur Gefährlichkeitsprognose die Begehung von Anlasstaten zu Grunde gelegt und solcherart in unzulässiger Weise eine dem erkennenden Gericht vorbehaltene Beweiswürdigung vorgenommen habe.

Die in Betreff der zu Grunde gelegten Sachverhaltsannahmen aus Z 5 oder 5a des § 281 Abs 1 StPO nicht prozessförmig in Frage gestellte und damit nur in rechtlicher Hinsicht zu überprüfende, in Rede stehende prozessleitende Verfügung (vgl RIS‑Justiz RS0118016), derzufolge der Sachverständige ohne Anmaßung einer dem erkennenden Gericht vorbehaltenen Lösung der Schuldfrage bloß Wahrunterstellungen von Verfahrensergebnissen als notwendige Voraussetzung für seine Expertise vorgenommen habe, erweist sich als rechtsrichtig:

Denn eine Gutachtenserstattung (etwa) zur Gefährlichkeitsprognose (§ 21 Abs 1 oder 2 StGB) muss zunächst geradezu notwendigerweise stets unter der Prämisse erfolgen, dass der Betroffene (Angeklagte) die Anlasstat auch verübt hat. Die Entscheidung über die Tatfrage obliegt jedoch ausschließlich dem Gericht; wird sie verneint, dann ist das unter dieser Prämisse erstattete Gutachten ohnedies hinfällig. Darin aber, dass der Gutachter von einer für die Erstattung seines Gutachtens geradezu denknotwendigen Prämisse ausging, über deren tatsächliches Vorliegen (oder Nichtvorliegen) vom Gericht anschließend zu entscheiden ist, liegt weder eine Mangelhaftigkeit noch eine Unrichtigkeit des Gutachtens (RIS‑Justiz RS0090524). Folgerichtig kann daraus auch eine Befangenheit des Sachverständigen (§ 47 Abs 1 Z 3 iVm § 126 Abs 4 erster Satz StPO) nicht abgeleitet werden.

Die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) bezieht sich mit dem Einwand einer offenbar unzureichenden Begründung der Feststellungen zur auf Kenntniserlangung von den Äußerungen auch durch die abwesenden Opfer gerichteten subjektiven Tendenz des Betroffenen nicht auf entscheidende Tatsachen, weil die Voraussetzung einer Anlasstat nach § 21 Abs 1 StGB schon allein durch die gefährliche Drohung (mit dem Tod) gegenüber der anwesenden Silke H***** erfüllt ist. Es ist daher nur der Vollständigkeit halber anzumerken, dass das Erstgericht die in Rede stehende Feststellung logisch und empirisch einwandfrei auf die Konkretisierung und Motivierung der gegen die Abwesenden gerichteten Todesdrohungen stützte (US 9).

Die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) verfehlt mit der Behauptung einer unzureichenden Feststellungsgrundlage für das Vorliegen einer Prognosetat die gebotene Orientierung am Urteilssachverhalt und damit die Ausrichtung am Verfahrensrecht, weil sie die Urteilskonstatierungen vernachlässigt, wonach strafbare Handlungen mit schwerwiegenden Folgen nicht nur wie die verfahrensgegenständlichen (Todesdrohungen; vgl RIS‑Justiz RS0116500), sondern im Hinblick auf eine vorliegend durchaus zu befürchtende Ausführung der Drohungen auch „solche, die erhebliche Verletzungen am Körper einschließen, etwa zum Nachteil von Familienmitgliedern oder wahllosen Opfern“, zu befürchten sind (US 7).

Mit aus Z 11 zweiter Fall überdies vorgebrachter Kritik an der Heranziehung des vom Betroffenen als widersprüchlich und unschlüssig erachteten Sachverständigengutachtens als Erkenntnisgrundlage für die Unterbringung wird nicht der in Rede stehende Nichtigkeitsgrund angesprochen, sondern ein Berufungsvorbringen erstattet (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 680, 693).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Verteidigung bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

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