OGH 4Ob41/16g

OGH4Ob41/16g15.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden unddie Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers W***** W*****, vertreten durch Blum, Hagen & Partner Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, gegen den Beklagten J***** P*****, vertreten durch Advokaten Pfeifer Keckeis Fiel Scheidbach OG in Feldkirch, wegen 4.758 EUR sA und Unterlassung (Streitwert 2.500 EUR), in eventu Feststellung (Streitwert 2.500 EUR), über die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 6. November 2015, GZ 1 R 309/15x‑45, womit das Urteil des Bezirksgerichts Feldkirch vom 31. August 2015, GZ 1 C 49/13t‑40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0040OB00041.16G.0615.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Das Grundstück des Klägers und das benachbarte Grundstück der Mutter des Klägers grenzen an ein im Hälfteeigentum des Beklagten stehendes Grundstück. Entlang dieser Grundstücksgrenze befindet sich eine Thujenhecke, die auf den Grundstücken des Klägers und seiner Mutter gepflanzt ist und vor den Schnittmaßnahmen 2012 und 2013 mit einem Überhang in das Grundstück des Beklagten hineinragte.

Gegenstand des Verfahrens im zweiten Rechtsgang ist noch das Begehren des Klägers, den Beklagten schuldig zu erkennen, jede nicht fachgerechte Behandlung und Kürzung der Thujenhecke zu unterlassen und dem Kläger 4.758 EUR sA zu zahlen. Zum Zahlungsbegehren erhob der Kläger das Eventualbegehren, es möge festgestellt werden, dass der Beklagte dem Kläger gegenüber für sämtliche Spät- und Dauerfolgen, insbesondere für den Fall des gänzlichen Absterbens der Hecke des Klägers aufgrund des nicht sach‑ und fachgerechten Schnitts der Hecke durch den Beklagten im Juli 2013 haftet.

Der Kläger brachte vor, der Beklagte habe im Jahr 2013 den Überhang der Hecke auf der seinem Grundstück zugewandten Seite über den gesamten Verlauf mit Motorkettensäge und Heckenschere unsachgemäß abgeschnitten. Die Thujenhecke sei seither braun. Würden Thujenhecken ordnungsgemäß geschnitten, blieben sie saftig grün. Dem Beklagten sei bekannt gewesen, dass die Hecke bei unsachgerechtem Vorgehen, insbesondere beim Einsatz einer Kettensäge, ausgefranst und damit beschädigt werde. An der Hecke sei ein Totalschaden entstanden. Die Funktion des Gehölzes könne nicht mehr erreicht werden. Der Schaden an der Hecke in ihrer Gesamtlänge betrage 4.708 EUR. Die Mutter des Klägers habe ihr Ansprüche gegen den Beklagten an den Kläger abgetreten. Zudem begehre der Kläger pauschale Unkosten von 50 EUR.

Der Beklagte wendete ein, im Jahr 2012 habe die Mutter des Klägers bzw eine von ihr beauftragte Person einen Teil der Thujenhecke auf der dem Grundstück des Beklagten zugewandten Seite zurückgeschnitten. Die Hecke sei offensichtlich nicht fertiggeschnitten worden, weil die Äste zu dick gewesen seien. Erst als nach mehrmaliger Aufforderung ein Jahr später die Thujenhecke von Seiten des Klägers nicht zur Gänze zurückgeschnitten worden sei, habe der Beklagte die restliche Thujenhecke geschnitten, und zwar in gleicher Weise wie sie im Jahr 2012 von Klägerseite geschnitten worden sei. Schon vor dem Rückschnitt seien grundsätzliche Erziehungsfehler gemacht worden, weil die Hecke zu lange nicht geschnitten worden sei. Ein Zurückschneiden der Hecke auf die Grundgrenze sei daher nur möglich gewesen, indem man in das braune Holz geschnitten habe. Ein gestaffelter Rückschnitt wäre schwierig gewesen und hätte mehrere Jahre gedauert. Eine solche Vorgangsweise sei vom Beklagten nicht zu verlangen. Ein Schaden sei dem Kläger nicht entstanden. Die Hecke sei lediglich auf der Seite des Beklagten optisch nicht mehr schön.

Das Erstgericht wies das im zweiten Rechtsgang noch unerledigte Klagebegehren ab. Es traf ua zusammengefasst folgende Feststellungen:

Die vor etwa 40 Jahren gepflanzte Thujenhecke ist vital und mittelwüchsig, ca 170 bis 180 cm hoch, ca 45 m lang und besteht aus ca 112 Pflanzen. Vor den Schnittmaßnahmen 2012 und 2013 war die Hecke ca 130 cm breit, danach ca 100 cm. Auf der Seite des Klägers ist die Hecke grün und der Sichtschutz nur gering beeinträchtigt. Die Hecke ist im Laufe der Standzeit im Breitenwachstum zu wenig geschnitten worden. Auf der Seite des Beklagten ist die an das Grundstück der Mutter des Klägers grenzende Hecke (das sind etwa 2/3) 2012 von „Leuten des Klägers“ und der Rest 2013 vom Beklagten durch Entfernen der überhängenden Äste zurückgeschnitten worden. Dieser Rückschnitt erfolgte in beiden Fällen nicht sachgemäß, da er bis ins laublose Holz führte und das „Laub“ im Schnittbereich vollständig entfernt worden ist. Die Vitalität der Hecke ist dadurch beeinträchtigt, sie wird aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gänzlich absterben. Beeinträchtigt ist auch die repräsentative Funktion der Hecke, allerdings nur auf der Seite des Grundstücks des Beklagten. Ob dadurch, dass in dem Bereich, in dem der Beklagte mit einer Motorsäge geschnitten hat und die Zweige ausgefranster sind, die Vitalität der Pflanzen stärker beeinträchtigt ist als in dem Bereich, in dem die Leute des Klägers mit Hecken- und Baumscheren geschnitten haben, kann nicht festgestellt werden. Der Gesamteindruck ist im Wesentlichen gleich. Fachlich wäre ein mehrjähriger gestaffelter Rückschnitt des Überhangs bis zur Grundgrenze angezeigt gewesen. Je nach Ausschlagvermögen wären zusätzliche Begleitmaßnahmen wie Wässern, Düngen usw notwendig gewesen. Diese Methode ist risikoreich und sollte durch einen erfahrenen Gärtner erfolgen oder zumindest begleitet werden. Der Beklagte hat mit seinen Rückschnittmaßnahmen das von den Leuten des Klägers vorgeformte Werk fortgesetzt.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die durch die Verwendung der Motorsäge hervorgerufenen (nur aus der Nähe erkennbaren) ausgefransten Stellen fielen repräsentativ und optisch nicht wesentlich ins Gewicht und verletzten keine rechtlich geschützten Interessen des Klägers.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Das Selbsthilferecht sei nach § 422 ABGB im Interesse des Pflanzeneigentümers eingeschränkt. Dessen Interessen seien aber dann nicht beeinträchtigt, wenn „er selbst“ einen Großteil der Hecke in vergleichbarer Weise bis ins braune, laublose Holz zurückgeschnitten habe. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige; es ließ die Revision nachträglich zur Frage der Gewichtung der Interessen des Eigentümers einer Hecke im Verhältnis zum Selbsthilferecht eines Grundnachbarn, auf dessen Liegenschaft Äste der Hecke ragen, zu.

Rechtliche Beurteilung

Die – vom Beklagten beantwortete – Revision des Klägers ist zur Klärung der Rechtslage zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

1.1. Der Revisionswerber rügt als Verfahrensmangel, dass das Erstgericht nach Teilaufhebung des Urteils im ersten Rechtsgang keine neuen Beweise aufgenommen, sondern die vorliegenden für ausreichend erachtet habe, dennoch aber non‑liquet‑Feststellungen zur Schadenskausalität durch Verwendung einer Motorsäge getroffen habe.

1.2. Dieser Einwand war bereits Gegenstand des Verfahrens zweiter Instanz. Er kann daher in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (vgl RIS‑Justiz RS0042963).

2. In seiner Rechtsrüge macht der Kläger geltend, der Heckenschnitt 2012 sei nicht durch ihn, sondern ohne seine Kenntnis durch seine Familienangehörigen vorgenommen worden. Auch wenn man ihm deren Handeln zurechnen wolle, könne der Beklagte daraus keine Rechtfertigung ableiten, die Hecke des Klägers noch weiter zu beschädigen. Im Übrigen komme es nicht auf subjektive Interessen, sondern nur auf den objektiven Schutz der Pflanzen an.

2.1. Zutreffend ist, dass unsachgemäßes Zurückschneiden eines Teils der Hecke durch dritte Personen den Beklagten nicht dazu legitimiert, betreffend einen anderen Teil der Hecke ebenso vorzugehen. Insoweit greift die Begründung des Berufungsgerichts zu kurz. Im Ergebnis ist aber die Klageabweisung zu Recht erfolgt.

2.2. Nach § 422 Abs 1 ABGB kann jeder Eigentümer die in seinen Grund eindringenden Wurzeln eines fremden Baumes oder einer anderen fremden Pflanze aus seinem Boden entfernen und die über seinen Luftraum hängenden Äste abschneiden oder sonst benützen. Dabei hat er aber fachgerecht vorzugehen und die Pflanzen möglichst zu schonen.

2.3. Ein Verstoß gegen die gebotene Sorgfalt kann Schadenersatzansprüche des Pflanzeneigentümers begründen. Die Selbsthilfe ist jedoch nicht ausgeschlossen, wenn sich trotz schonender und fachgerechter Vorgehensweise die Verletzung oder sogar das Absterben der Pflanze nicht vermeiden lässt (arg: „möglichst“; Wall in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskomm4 § 422 Rz 5). Entscheidend ist, ob die fremde Pflanze durch ein unsachgemäßes Abschneiden der Äste und Wurzeln unverhältnismäßig beeinträchtigt wurde (vgl ErläutRV 173 BlgNR 22. GP  14). Dies ist im Rahmen einer Abwägung zwischen den Interessen des Eigentümers an der Unversehrtheit der Pflanze und jenen des Selbsthilfeberechtigten an der Entfernung des Überhangs zu beurteilen (Kissich/Pfurtscheller, Der Baum am Nachbargrund – wirksamer Rechtsschutz durch das ZivRÄG 2004?, ÖJZ 2004, 706 [721]; Illedits‑Lohr in Illedits/Illedits‑Lohr, Handbuch zum Nachbarrecht3 Rz 13/87).

2.4. Der nach § 422 Abs 1 ABGB berechtigte Grundeigentümer ist nicht verpflichtet, für einen regelmäßigen Rückschnitt des Überhangs zu sorgen. Er kann den Zeitpunkt, in dem er sein Selbsthilferecht nach der genannten Bestimmung ausüben möchte, grundsätzlich selbst wählen, und sein Recht erlischt nicht schon dadurch, dass er es für längere Zeit nicht ausübt. Wird durch Entfernen des Überhangs keine Gefahrenlage (zB durch Eingriff in die Statik eines Baumes) geschaffen, ist ein einmaliger Rückschnitt bis zur Grundgrenze auch dann zulässig, wenn ein fachgerechtes (lauberhaltendes) Rückschneiden nur in kleinen Schritten über mehrere Jahre möglich wäre. Anders wäre allenfalls – aufgrund einer Interessenabwägung – zu entscheiden, wenn der Eigentümer des Baumes einen Rückschnitt auf eigene Kosten angeboten und der beeinträchtigte Nachbar dies verweigert hätte oder wenn der Rückschnitt bis zur Grenze aus anderen Gründen geradezu als Rechtsmissbrauch anzusehen wäre.

2.5. Nach diesen Grundsätzen erweist sich die Klageabweisung im Ergebnis als zutreffend: Zwar wäre es im Anlassfall aus gärtnerischer Sicht geboten gewesen, die Hecke in kleinen Schritten laufend über mehrere Jahre zurückzuschneiden. Dass der Beklagte durch den stattdessen vorgenommenen radikalen Rückschnitt eine Gefahrenlage geschaffen hätte, wurde aber weder behauptet, noch lassen sich den Feststellungen Hinweise darauf entnehmen. Auch andere schwerwiegende Gründe, die im Rahmen einer Interessenabwägung (oben 2.4.) zum Verlust des Rückschnittrechts führen könnten, sind nicht erkennbar. Damit erweist sich das Unterlassungsbegehren ebenso als unberechtigt wie die Begehren auf Zahlung von Schadenersatz und auf Feststellung.

3. Der Revision kann somit kein Erfolg beschieden sein.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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