OGH 9Ob26/16p

OGH9Ob26/16p25.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Mag. Wolfgang Webhofer, Rechtsanwalt in Telfs, gegen die beklagten Parteien 1. H*****, 2. S*****, vertreten durch DDr. Ruth Hörtnagl, Rechtsanwältin in Fulpmes, wegen Räumung, über den Rekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 25. Februar 2016, GZ 3 R 20/16m‑19, mit dem die Berufung der beklagten Parteien gegen das Urteil des Bezirksgerichts Silz vom 26. November 2015, GZ 2 C 264/14s‑12, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0090OB00026.16P.0525.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Zurückweisungsbeschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die meritorische Behandlung der Berufung der beklagten Parteien aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

 

Begründung:

Der Kläger begehrt die Räumung einer den Beklagten vermieteten Wohnung. Das klagsstattgebende Urteil erster Instanz wurde den Vertretern der Parteien jeweils am 30. 11. 2015 zugestellt. Am 23. 12. 2015 brachte die Vertreterin der Beklagten im elektronischen Rechtsverkehr einen Schriftsatz ein, der neben der Bezeichnung der Rechtssache den Vermerk „Berufung“ enthält. Außer dem Satz: „In umseitiger Rechtssache erhebt die klagende Partei (gemeint offenbar „die beklagten Parteien“) gegen das Urteil des Bezirksgerichts Silz vom 26. 11. 2015, Gzl. 3+4/147s Berufung“ enthält der Schriftsatz keine weiteren Rechtsmittelausführungen. Eine Berufungsschrift war auch nicht als Anhang angeschlossen.

Aufgrund eines vom Erstgericht telefonisch eingeleiteten Verbesserungsverfahrens langte beim Erstgericht am 8. 1. 2016 eine von der Beklagtenvertreterin übermittelte, nun auch inhaltlich ausgeführte, Berufungsschrift ein. Im Begleitschreiben wurde darauf verwiesen, dass aufgrund technischer Probleme dieser Schriftsatz nicht im elektronischen Weg übermittelt werden könne.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht die „Berufungseingaben vom 23. 12. 2015 und vom 8. 1. 2016“ zurück und sprach aus, dass die Parteien die Kosten ihrer Rechtsmittelschriftsätze selbst zu tragen hätten. Rechtlich führte es aus, dass eine inhaltliche Verbesserung eines Rechtsmittels nur dann verfügt werden dürfe, wenn sich der Schriftsatz nicht in der bloßen Benennung des Rechtsmittels oder in der Erklärung erschöpfe, die Entscheidung zu bekämpfen. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass durch eine bewusst unvollständige Eingabe eine Verbesserungsfrist erschlichen werde.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, den Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht eine Entscheidung aufzutragen, in eventu den Beschluss aufzuheben und der Berufung stattzugeben.

Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Gemäß § 84 Abs 1 ZPO hat das Gericht die Beseitigung von Formgebrechen, die die ordnungsgemäße geschäftliche Behandlung eines überreichten Schriftsatzes zu hindern geeignet sind, von Amts wegen anzuordnen.

Es trifft zwar zu, dass die Verbesserungsvorschriften nicht dazu führen dürfen, dass eine Partei oder ein Parteienvertreter durch das bewusste Verfassen von unvollständigen oder mit Formfehlern behafteten Schriftsätzen im Ergebnis die gesetzlichen Notfristen verlängert oder zumindest das Verfahren verzögert. In diesem Sinn wird auch judiziert, dass ein Verbesserungsverfahren grundsätzlich nicht stattzufinden hat, wenn sich der Schriftsatz in der bloßen Benennung des Rechtsmittels oder in der Erklärung erschöpft, die Entscheidung zu bekämpfen (RIS‑Justiz RS0036478).

Da diese Beschränkung der gesetzlich vorgesehenen Verbesserungsmöglichkeiten allerdings darauf abzielt, prozessuale Vorteile zu verhindern, die durch bewusstes Fehlverhalten bei der Einbringung von Schriftsätzen entstehen könnten, ist grundsätzlich ein Verbesserungsauftrag zu erteilen, wenn nichts darauf hindeutet, dass durch eine bewusst unvollständige Einbringung die Erschleichung eines Verbesserungsauftrags und damit eine Fristverlängerung erreicht werden soll (RIS‑Justiz RS0036478 [T7]). In der Entscheidung 1 Ob 70/13w wurde dazu darauf verwiesen, dass bei einer Zurückweisung deshalb darzustellen sei, worin die Anzeichen für einen solchen (vermuteten) Missbrauch gesehen werden könnten. Dies sei insbesondere deshalb zu verlangen, weil gerade mit der automationsunterstützten Verfassung und Einbringung von Schriftsätzen zahlreiche mögliche Fehlerquellen verbunden seien, weshalb bei im elektronischen Rechtsverkehr übermittelten Eingaben eine Fehlerhaftigkeit oder Unvollständigkeit in der Regel ohne böswillige Absicht erfolge, die die zuvor zitierte Rechtsprechung in den Griff bekommen wolle.

Auch im vorliegenden Fall spricht der zeitliche Ablauf nicht für einen Missbrauch der Verbesserungsmöglichkeiten. Der aufgrund des vom Erstgericht telefonisch eingeleiteten Verbesserungsverfahrens vorgelegte Berufungsschriftsatz langte noch innerhalb der ursprünglichen Rechtsmittelfrist beim Erstgericht ein. Es gibt daher keinen Grund anzunehmen, dass die ursprüngliche fehlerhafte Eingabe dazu dienen sollte, die gesetzlichen Notfristen missbräuchlich zu verlängern.

Da das Berufungsgericht somit zu Unrecht eine Verspätung der Berufung der Beklagten angenommen hat, ist der Zurückweisungsbeschluss aufzuheben. Das Berufungsgericht wird die Berufung meritorisch zu behandeln haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO (Obermaier, Kostenhandbuch² [2010] Rz 299).

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