OGH 7Nc5/16v

OGH7Nc5/16v6.4.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen H***** A*****, geboren am *****, M***** A*****, geboren am *****, S***** A*****, geboren am *****, und R***** A*****, geboren am *****, wegen Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 2 JN, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070NC00005.16V.0406.000

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Graz‑Ost vom 12. Jänner 2016, GZ 252 Ps 135/15s‑26, gemäß § 111 JN ausgesprochene Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Leopoldstadt wird genehmigt.

Begründung

Die Eltern leben in aufrechter Ehe, aber getrennt. Die Kinder leben im Haushalt der Mutter. Der Vater beantragte die Regelung der persönlichen Kontakte zu den Kindern. Die Mutter beantragte, dem Vater die Obsorge für die Kinder zu entziehen und sie alleine damit zu betrauen. Diese beiden Anträge sind bislang unerledigt. An Beweisaufnahmen liegen dazu nur ein Clearingbericht der Familiengerichtshilfe und eine Stellungnahme des Kinder‑ und Jugendhilfeträgers vor. Unmittelbare Beweisaufnahmen durch das bisher zuständige Bezirksgericht Graz‑Ost sind bislang nicht erfolgt.

Das Bezirksgericht Graz‑Ost übertrug mit dem im Spruch genannten, den Parteien zugestellten und unbekämpft gebliebenen Beschluss die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Leopoldstadt mit der wesentlichen Begründung, dass die Mutter mit den Kindern nunmehr ihren ständigen Aufenthalt im Sprengel des überwiesenen Gerichts habe.

Das Bezirksgericht Leopoldstadt lehnte die Übernahme des Akts unter Hinweis auf die offenen Anträge ab.

Das Bezirksgericht Graz‑Ost legte den Akt dem Obersten Gerichtshof gemäß § 111 Abs 2 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Übertragung ist zu genehmigen.

1. Die Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht nach § 111 JN setzt voraus, dass dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint. Dies trifft dann zu, wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten Schutzes voraussichtlich gefördert wird. § 111 JN nimmt dabei ua darauf Bedacht, dass ein (örtliches) Naheverhältnis zwischen dem Pflegschaftsgericht und dem Minderjährigen in der Regel zweckmäßig und von wesentlicher Bedeutung ist (RIS‑Justiz RS0049144 [T5]). Es ist daher in der Regel das Gericht am Besten zur Führung der Pflegschaftssache geeignet, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat und der Mittelpunkt seiner Lebensführung liegt (RIS‑Justiz RS0047300).

2. Offene Anträge sprechen nicht grundsätzlich gegen eine Zuständigkeitsübertragung (vgl RIS‑Justiz RS0046929 [T3]), es sei denn, dem übertragenden Gericht käme zur Entscheidung eine besondere Fachkenntnis zu (RIS‑Justiz RS0047032). Letzteres trifft im vorliegenden Fall nicht zu, weil das übertragende Gericht bislang selbst keine unmittelbaren Beweisaufnahmen durchgeführt hat (vgl dazu 2 Nc 4/10a; 6 Nc 42/14z). Schließlich können durch die Zuständigkeitsübertragung auch die aktuellen Lebens‑ und Wohnverhältnisse der Kinder bei den anstehenden Entscheidungen besser berücksichtigt werden.

Die Übertragung ist daher zu genehmigen.

Stichworte