European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00014.16H.0316.000
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der Kläger und seine Frau (sie zedierte ihre Ansprüche an ihn) sind je zur Hälfte Eigentümer einer Liegenschaft. Am 4. 6. 2013 ereignete sich ein Hochwasser, von dem die Liegenschaft des Klägers betroffen war und das ua eine Stützmauer beschädigte.
Der Kläger hat bei der Beklagten unter anderem einen Sturmschadenversicherungsvertrag abgeschlossen. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Sturmversicherung (AStB 2002), die Besonderen Bedingungen St 120 und die Besonderen Bedingungen GaN‑2010 zugrunde.
Nach Art 1.1 AStB 2002 sind die Gefahren Sturm, Hagel, Schneedruck, Felssturz/Steinschlag und Erdrutsch versichert.
Im Übrigen lauten die wesentlichen Bedingungen wie folgt:
ALLGEMEINE BEDINGUNGEN FÜR DIE STURMVERSICHERUNG
„[...]
Besonderer Teil
[...]
Art 2
Nicht versicherte Schäden
Nicht versichert sind, auch nicht als unvermeidliche Folge eines Schadenereignisses
1. [...]
2. Schäden durch Lawinen oder Lawinenluftdruck, Sturmflut, Hochwasser, Überschwemmung oder Vermurung;
[...]
Art 3
Versicherte Sachen und Kosten
1. Versicherte Sachen
[...]
1.3 Nur aufgrund besonderer Vereinbarung versicherte Sachen:
[...]
1.3.2 Außenanlagen aller Art, zB Firmenschilder und Werbeanlagen, Außenbeleuchtungen, Einfriedungen, Antennenanlagen, Solaranlagen, Markisen,
[...]“
BESONDERE BEDINGUNGEN St 120:
„Sturm
Grundstückseinfriedungen
Schäden an baulichen Einfriedungen oder lebenden Grenzzäunen an der Grundstücksgrenze
- verursacht durch ein versichertes Schadensereignis,
sind einschließlich Aufräum‑, Abbruch‑, und Entsorgungskosten auf erstes Risiko bis zur Höhe der vereinbarten und in der Polizze ausgewiesenen Versicherungssumme mitversichert.
Bei Schäden an baulichen Einfriedungen mit angebrachtem Sichtschutz (Planen, Matten udgl) wird ein Selbstbehalt in Höhe von 200 EUR in Abzug gebracht.“
BESONDERE BEDINGUNGEN GaN‑2010:
„Sturm
AUSSERGEWÖHNLICHE
NATUREREIGNISSE
Voraussetzung für einen Versicherungsschutz nach Maßgabe dieser Bedingungen ist in jedem Fall der gleichzeitige Abschluss oder aufrechte Bestand einer Sturmschadenversicherung bei der ... [Beklagten]
In Ergänzung und Abänderung der Allgemeinen Bedingungen für die Sturmschadenversicherung ..., besteht für nachstehend genau umschriebene Naturereignisse (Art 1.) nach Maßgabe der nachfolgenden Versicherungsbedingungen Versicherungsschutz für Schäden an Gebäuden und zwar bis zur Höhe der jeweils vereinbarten und auf der Polizze ausgewiesenen Versicherungssumme auf erstes Risiko.
Art 1 ‑ Versicherungsfall, zeitlicher Geltungsbereich und versicherte Gefahren
[...]
3. Versicherte Gefahren
[...]
3.1. Überschwemmung
Überschwemmung ist eine Überflutung der versicherten Gebäude, verursacht durch außergewöhnliche und/oder langanhaltende Niederschläge und zwar
[...]
Art 3 ‑ Versicherte Sachen und Kosten, Erstrisikosumme
1. Versicherte Sachen
Versichert sind ausschließlich die in der Polizze bezeichneten auf dem Versicherungsgrundstück befindlichen Gebäude samt dazugehörenden Baubestandteilen und Gebäudezubehör. Im Übrigen gilt Art 3.1. der AStB sinngemäß.
[...]“
Die Versicherungspolizze lautet auszugsweise:
„[...]
Sturm
[…]
Versicherte Gefahren : Sturm, Hagel, Schneedruck, Steinschlag, Erdrutsch und Felssturz
Versicherte Gebäude :
[…]
Zusätzlich gelten versichert:
- Grundstückseinfriedungen auf erstes Risiko bis 5.000 (Selbstbehalt je Schaden bei angebrachtem Sichtschutz)(St 120)
[…]
Vereinbarte Deckungserweiterungen:
[…]
- Außergewöhnliche Naturereignisse auf erstes Risiko bis 7.500 (Überschwemmung, Rückstau, Grundwasseranstieg, Vermurung, Lawine, Lawinenluftdruck und Erdbeben) (GaN 2010)
[...]“
Der Kläger begehrt die Zahlung von 5.653,15 EUR sA. Die an der baulichen Einfriedung/der Stützmauer verursachten Schäden seien vom Versicherungsschutz umfasst.
Die Beklagte bestreitet. Die Stützmauer sei vom Versicherungsschutz nicht umfasst. Nach Art 1.1 AStB seien lediglich die Gefahren Sturm, Hagel, Schneedruck, Felssturz, Steinschlag und Erdrutsch versichert. Nach Art 2.4 AStB seien Schäden durch Wasser ausdrücklich vom Versicherungsschutz ausgenommen. Gemäß Art 3.1.1. AStB seien nur die in der Polizze bezeichneten Sachen versichert, somit das Gebäude. Zwar seien Grundstückseinfriedungen durch die Bedingung St 120 zusätzlich versichert; dies aber nur dann, wenn sie durch Sturm, Hagel, Schneedruck, Felssturz, Steinschlag und Erdrutsch verursacht worden seien. Die nach der Klausel GaN‑2010 vereinbarte Deckungserweiterung auf Überschwemmungsschäden beziehe sich nicht auf Stützmauern oder Einfriedungen, weil es sich dabei um kein Gebäude im Sinne der vereinbarten Versicherungsbedingungen handle.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Allgemeine Sturmversicherung decke keine Schäden, die an Einfriedungen entstanden seien, soweit keine besondere Vereinbarung bestehe. Zusätzlich zur allgemeinen Sturmversicherung hätten die Streitteile eine Deckungserweiterung durch die Klausel für außergewöhnliche Naturereignisse GaN‑2010 vereinbart. Diese stelle für den aufrechten Versicherungsschutz ausdrücklich auf den Begriff des Gebäudes ab. In der Polizze werde unter der Überschrift der versicherten Gebäude nur das Einfamilienhaus des Klägers bezeichnet, nicht aber die Grundstückseinfriedung. Die Stützmauer als Einfriedung falle daher nicht unter den Gebäudebegriff der GaN-2010 und daher nicht unter den Versicherungsschutz gegen Hochwasser. Die Klausel St 120 beziehe sich nur, was auch einem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer klar sein müsse, auf die Schadenereignisse der Sturmversicherung und nicht auch auf sämtliche vereinbarten Deckungserweiterungen.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf. In der Versicherungspolizze seien zunächst die versicherten Gefahren Sturm, Hagel, Schneedruck, Steinschlag, Erdrutsch und Felssturz vermerkt, darunter die versicherten Gebäude sowie die versicherten Risiken, Schäden und Summen. Weiters fänden sich unter der etwas kleineren Überschrift „zusätzlich gelten versichert“ die Grundstückseinfriedungen auf dem Grundstück. Unter der Überschrift „vereinbarte Deckungserweiterungen“ sei zu lesen, dass auch außergewöhnliche Naturereignisse unter Setzung einer Karenzfrist auf erstes Risiko bis 7.500 EUR versichert seien; dies unter Hinweis auf die GaN‑2010. Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer könne die Polizze nur dahin verstehen, dass die Deckungserweiterung auf außergewöhnliche Naturereignisse auch für Schäden im erweiterten Bereich, nämlich für Grundstückseinfriedungen gelten solle. Da das Erstgericht den Versicherungsschutz verneint habe, habe es sich mit dem weiteren Vorbringen und Beweisanträgen der Parteien nicht auseinandergesetzt. Zu diesem Zweck sei das Urteil aufzuheben.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil auch bei Auslegung einer Versicherungspolizze davon auszugehen sei, dass sie einen größeren Personenkreis betreffen könne. Nur dann wenn eine Bestimmung in einem Versicherungsvertrag so eindeutig sei, dass nur eine Möglichkeit der Auslegung in Betracht komme, sei eine Anrufung des Höchstgerichts nicht zulässig.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Rekurs der Beklagten mit einem Abänderungsantrag.
Der Kläger begehrt, dem Rekurs keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zur Klarstellung zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914, 915 ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RIS‑Justiz RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]). Es findet deshalb auch die Unklarheitenregelung des § 915 ABGB Anwendung. Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RIS‑Justiz RS0050063 [T3]). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (RIS‑Justiz RS0008901).
1.1 Art 1.1 AStB führt zunächst die versicherten Gefahren (Sturm, Hagel, Schneedruck, Felssturz, Steinschlag, Erdrutsch) an. Art 3.1 AStB definiert die versicherten Sachen, wobei Art 3.1.3.2 AStB ausdrücklich festhält, dass die dort genannten Anlagen, insbesondere Einfriedungen, nur aufgrund besonderer Vereinbarungen zu den versicherten Sachen gehören. Durch die Klausel St 120 erfolgte die Einbeziehung der Grundstückseinfriedungen in die versicherten Sachen. Durch die Klausel GaN‑2010 wird der Versicherungsschutz bei gleichzeitig abgeschlossener oder aufrecht bestehender Sturmschadenversicherung auf die dort genannten Risiken (wie Überschwemmungen) erweitert. In Art 3.1 GaN‑2010 werden die versicherten Sachen als die in der Polizze bezeichneten, auf dem Versicherungsgrundstück befindlichen Gebäude, samt dazugehörenden Baubestandteilen und Gebäudezubehör bezeichnet, wobei im Übrigen auf die sinngemäße Geltung des Art 3.1 der AStB verwiesen wird. Art 3 AStB enthält ‑ wie ausgeführt ‑ in seinem Punkt 1.3.2 das Erfordernis der gesonderten Vereinbarung für die Einbeziehung von Einfriedungen in den Versicherungsschutz.
1.2 Nach dem Wortlaut des Art 1.1 AStB iVm Art 3.1 AStB ist völlig klar, dass die Einbeziehung von Außenanlagen (wie insbesondere Einfriedungen) in den Versicherungsschutz gegen die genannten Gefahren (Sturm, Hagel, Schneedruck, Steinschlag, Erdrutsch und Felssturz) einer gesonderten Vereinbarung bedarf. Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer, der die Geltung der Klausel St 120 und damit die Einbeziehung von Außenanlagen festlegt, wird, wenn er gleichzeitig die Erweiterung um die in der Klausel GaN-2010 genannten Risiken vereinbart, die Bedingungslage dahin verstehen, dass die Einbeziehung der ‑ auch in der Polizze ausdrücklich angeführten ‑ Grundstückseinfriedung für den gesamten Bereich der Sturmversicherung und damit auch auf deren durch die Klausel GaN‑2010 bewirkte Deckungserweiterung erfolgt: Art 1.3 GaN‑2010 iVm Art 3.1 GaN‑2010 verweist ausdrücklich auf Art 3.1 AStB und somit auf die auch hier bestehende Möglichkeit der Einbeziehung von Grundstückseinfriedungen im Sinn des Art 3.1.3.2 AStB. Aus dem Wortlaut der Klausel St 120, dass durch ein versichertes Schadenereignis verursachte Schäden an Grundstückseinfriedungen mitversichert sind, wird der Versicherungsnehmer zum einen schließen, dass dadurch die Einbeziehung der Grundstückseinfriedungen erfolgte und zum anderen, dass sich diese, aufgrund des Hinweises auf die versicherten Schadenereignisse auch auf die vereinbarte Deckungserweiterung nach der Klausel GaN‑2010 bezieht, zumal Voraussetzung für diese Deckungserweiterung durch die Klausel GaN‑2010 das Bestehen einer Sturmschadenversicherung ist, bei der eben die Grundstückseinfriedungen eingeschlossen sind.
2. Damit erweist sich die Aufhebung des Ersturteils durch das Berufungsgericht zur Ergänzung des Beweisverfahrens bereits aufgrund der Auslegung der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Bedingungen als berechtigt.
3. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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