European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0080OB00145.15D.0226.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der in seinem Punkt 2 angefochtene Beschluss des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass dieser Punkt lautet:
Der Schuldner wird von den im Verfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenz-gläubigern befreit.
Begründung:
Über das Vermögen des Schuldners wurde mit Beschluss vom 12. April 2007 das Schuldenregulierungs-verfahren eröffnet. Einem Zahlungsplan stimmten die Gläubiger nicht zu, weshalb mit Beschluss vom 7. August 2007 das Abschöpfungsverfahren eingeleitet und eine Treuhänderin bestellt wurde.
Nach Ablauf der für die Zeit von sieben Jahren gültigen Abtretungserklärung legte die Treuhänderin am 25. August 2014 Rechnung und gab bekannt, dass die Gläubiger 4,1 % ihrer angemeldeten Forderungen erhalten haben und auf die Quote von 10 % noch 19.011,06 EUR aushaften.
Mit Beschluss vom 11. Februar 2015 beendete das Erstgericht das Abschöpfungsverfahren und sprach aus, dass dem Schuldner die Restschuldbefreiung nicht erteilt werde (ON 67). Dem Rekurs des Schuldners dagegen gab das Rekursgericht teilweise Folge, wies seine Anträge, das Abschöpfungsverfahren unter Erteilung der Restschuld-befreiung sofort für beendet zu erklären, in eventu, die Entscheidung über die Restschuldbefreiung unter Auferlegung von Ergänzungszahlungen auszusetzen, ab und verlängerte das Abschöpfungsverfahren „um sechs Monate ab Rechtskraft dieses Beschlusses“ (ON 72). Der Schuldner habe bescheinigt, dass er von dritter Seite Unterstützungen erwarte, die ihm ein Erzielen der Quote von 10 % ermöglichen würden; seinem Eventualantrag sei daher ‑ allerdings nur im Ausmaß von sechs Monaten ‑ stattzugeben. Dieser Beschluss des Rekursgerichts wurde dem Schuldner, der Treuhänderin und den Gläubigern jeweils individuell zugestellt; die letzte dieser Zustellungen erfolgte am 30. März 2015. Am 2. April 2015 wurde der Beschluss in der Insolvenzdatei bekannt gemacht. Am 20. April 2015 teilte die Treuhänderin dem Erstgericht mit, als Datum für die Endabrechnung habe sie den 19. Oktober 2015 vorgemerkt (ON 73).
Am 19. Oktober 2015 legte die Treuhänderin ‑ unter Hinweis auf die nun abgelaufene Abtretungserklärung ‑ Rechnung und berichtete, die Insolvenzgläubiger hätten im Abschöpfungsverfahren 10 % ihrer angemeldeten Forderungen erhalten und die Treuhandvergütung sei zur Gänze abgedeckt (ON 75). Daher werde ersucht, das Abschöpfungsverfahren für beendet zu erklären und die Restschuldbefreiung auszusprechen.
Die letzten Zahlungen des Schuldners (171,40 EUR und 17.590 EUR) waren am 15. Oktober 2015 auf dem Treuhandkonto eingelangt und wurden am 19. Oktober 2015 an die Gläubiger verteilt.
Das Erstgericht sprach mit Beschluss vom 27. Oktober 2015 aus, dass der Schuldner von den im Verfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit wird. Der Schuldner habe nachgewiesen, dass er innerhalb des verlängerten Abschöpfungsverfahrens 10 % der Forderungen beglichen habe, weshalb ihm die Restschuldbefreiung zu erteilen sei.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Gläubigerin M***** gegen diesen Beschluss Folge, erklärte (in Punkt 1. ‑ unbekämpft) das Abschöpfungs-verfahren für beendet und sprach (Punkt 2.) aus, dass dem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt werde. Der Beschluss des Rekursgerichts über die Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens um sechs Monate sei am 14. April 2015 in Rechtskraft erwachsen, weshalb der letzte Tag dieser Verlängerung der 14. Oktober 2015 gewesen sei. Eine Verpflichtung zur öffentlichen Bekanntmachung des Beschlusses auf Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens habe nicht bestanden; daher sei die letzte individuelle Zustellung fristauslösend gewesen.
Nach einer Verlängerung des Abschöpfungs-verfahrens lehne die Rechtsprechung eine Restschuld-befreiung aus Billigkeitsgründen auch bei nur geringfügigem Unterschreiten der Mindestbefriedigungsquote von 10 % ab. Wenngleich das Gericht eine gesonderte Entscheidung über die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens zu treffen habe, könne daraus nicht zwingend abgeleitet werden, dass dem Schuldner bis zum Zeitpunkt dieser Entscheidung weitere Zahlungsmöglichkeiten eingeräumt werden sollten. Der Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung sei weder vom Schuldner noch von den Gläubigern beeinflussbar und etwa auch vom Zeitpunkt der Rechnungslegung durch den Treuhänder abhängig. Wenn allerdings ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ der tatsächliche Ablauf des Verlängerungszeitraums für die Verfahrensbeteiligten nur schwierig ermittelt werden könne, so spreche dies aus Gründen der Rechtssicherheit für die Möglichkeit des Schuldners, bis zu einer Entscheidung des Gerichts über die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens Zahlungen zu leisten. Letztlich sei jedoch auf den Zeitpunkt des Ablaufs der verlängerten Frist abzustellen, denn das Gesetz erlaube in diesem Fall keine Billigkeitserwägungen. Hier habe der Schuldner die erforderliche Mindestquote von 10 % nicht innerhalb des verlängerten Abschöpfungs-verfahrens (sondern einen Tag zu spät) erfüllt.
Den Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht für zulässig, weil sich hier die in der Rechtsprechung bisher nicht geklärte Frage stelle, ob Zahlungen des Schuldners nach Ablauf der Abtretungserklärung, aber vor einer gerichtlichen Entscheidung über die Beendigung des Abschöpfungs-verfahrens, für das Erreichen der Mindestbefriedigungsquote zu berücksichtigen seien.
Gegen Punkt 2. dieser Entscheidung (Versagung der Restschuldbefreiung) richtet sich der Revisionsrekurs des Schuldners wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, ihn von den nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern zu befreien. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig. Er ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Das Rechtsmittelverfahren in Insolvenzsachen ist nach ständiger Rechtsprechung ‑ mit Ausnahme des Eröffnungsverfahrens (dazu 8 Ob 282/01f) ‑ grundsätzlich einseitig (§ 260 Abs 4 IO; RIS‑Justiz RS0116129).
2. Das Abschöpfungsverfahren wurde vor dem 30. 6. 2010 eröffnet. Abgesehen von den Ausnahmen nach § 273 Abs 8 IO gelangen daher (gemäß § 273 Abs 1 IO) die Bestimmungen der Konkursordnung zur Anwendung. Die hier relevante Bestimmung des § 213 Abs 4 Z 1 KO wurde im Wesentlichen unverändert in die Insolvenzordnung übernommen.
3. Nach § 213 Abs 4 KO kann das Gericht, wenn eine Aussetzung der Entscheidung über die Restschuldbefreiung nicht der Billigkeit entspricht und der Schuldner eine weitere Erklärung nach § 199 Abs 2 KO für diesen Zeitraum abgibt, das Abschöpfungsverfahren um drei Jahre verlängern; das Gericht hat nach Ablauf der Verlängerungsfrist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 213 Abs 1 KO (Erreichung der Mindestbefriedigungsquote) das verlängerte Abschöpfungsverfahren für beendet zu erklären und die Restschuldbefreiung zu erteilen.
4. Hier hat der Schuldner die Mindestbefriedigungsquote zwar erreicht; seine letzten, die Quote erfüllenden Zahlungen sind aber erst ‑ insoweit ist dem Rekursgericht beizupflichten ‑ einen Tag nach Ablauf der Verlängerungsfrist auf dem Treuhandkonto eingelangt.
Ausgehend vom Datum der öffentlichen Bekanntmachung des Beschlusses vom 5. März 2015 über die sechsmonatige Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens (ON 72) wären die letzten Zahlungen des Schuldners noch innerhalb der ihm gesetzten Frist auf dem Treuhandkonto eingelangt. Das Rekursgericht ist aber zu Recht davon ausgegangen, dass hier die Rechtsmittelfrist gegen den Beschluss vom 5. März 2015 bereits durch die individuelle Zustellung des Beschlusses ausgelöst wurde und die Zahlung daher um einen Tag nach Ablauf der verlängerten Frist am Treuhandkonto einlangte. In der dazu vom Rekursgericht zitierten Entscheidung 8 Ob 17/05s hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass die in § 213 Abs 6 KO (§ 213 Abs 6 IO) vorgesehene öffentliche Bekanntmachung die Abweisung von Schuldneranträgen nach § 213 Abs 2 und 3 KO nicht erfasst. Dieser Entscheidung lag ebenfalls ein Beschluss zugrunde, mit dem ‑ neben der Abweisung von Anträgen des Schuldners ‑ das Abschöpfungsverfahren (dort um drei Jahre) verlängert wurde. Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass die öffentliche Bekanntmachung des Beschlusses vom 5. März 2015 nicht dem Gesetz entsprach und daher für den Lauf der (zu diesem Zeitpunkt durch die individuelle Zustellung bereits in Gang gesetzten Rechtsmittelfrist) nicht maßgebend war, ist daher nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0105980).
5. Das Rekursgericht hat hier entschieden, dass bei der Prüfung, ob die Mindestquote von 10 % erreicht wurde, nur solche Zahlungen des Schuldners zu berücksichtigen seien, die er innerhalb der verlängerten Frist geleistet hat, hat aber selbst darauf verwiesen, dass diese Rechtsansicht in Fällen Probleme aufwirft, in denen (wie hier) durch die nicht dem Gesetz entsprechende, widersprüchliche Vorgangsweise des Erstgerichts bei der Zustellung des Beschlusses über die Fristverlängerung Unklarheiten darüber entstehen, wann genau die Frist endet.
Aus § 213 Abs 4 KO lässt sich diese Rechtsauffassung jedoch nicht zwingend ableiten:
6. Die Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens nach § 213 Abs 4 KO, die insgesamt höchstens drei Jahre betragen darf, soll dem Schuldner ermöglichen, die Quote von 10 % und damit die Restschuldbefreiung doch noch zu erreichen (8 Ob 5/10h; RIS‑Justiz RS0126092; Kodek, Privatkonkurs2 Rz 697 f).
Nach § 213 Abs 4 2. Satz KO hat das Gericht das verlängerte Abschöpfungsverfahren bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 nach Ablauf der Verlängerungsfrist für beendet zu erklären und die Restschuldbefreiung zu erteilen. Das Gericht hat daher nach Ablauf der Verlängerungsfrist zu prüfen, ob die Mindestbefriedigungsquote erreicht wurde; haben die Gläubiger zumindest 10 % ihrer Forderungen erhalten, ist die Restschuldbefreiung auszusprechen.
Dass bei dieser Prüfung bereits eingelangte Zahlungen nicht zu berücksichtigen sind, weil bei ihrem Einlangen die verlängerte Frist bereits abgelaufen war, lässt sich weder dem Zweck der Norm ‑ die Gläubiger haben die Mindestquote vor der Beschlussfassung über die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens ja erhalten ‑ noch ihrem Wortlaut entnehmen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass § 213 Abs 4 KO (IO) das Vorliegen der Voraussetzungen des [213] Abs 1 verlangt, in dem darauf abgestellt wird, dass die Gläubiger während des Konkurs‑(Insolvenz‑) und Abschöpfungsverfahrens zumindest 10 % der Forderungen erhalten haben. Schließlich wird das Abschöpfungsverfahren erst mit dem nun zu fassenden Beschluss des Gerichts für beendet erklärt, sodass kein zwingender Grund besteht, die zu diesem Zeitpunkt bereits eingelangten Zahlungen nicht zu berücksichtigen.
7. Der dagegen vom Rekursgericht vorgebrachte Hinweis auf den Auftrag zur Leistung von Ergänzungszahlungen gemäß § 213 Abs 3 KO (IO) überzeugt nicht. Zwar ist richtig, dass nach Kodek (Privatkonkurs² Rz 688) und Mohr (Privatkonkurs² 123; Konecny/Schubert § 213 Rz 19) bereits der Verzug mit einer der im Sinn dieser Gesetzesstelle aufgetragenen Zahlungen die Restschuld-befreiung ausschließt. Die dieser Auffassung zugrunde liegende Rechtslage ist jedoch mit der hier zu beurteilenden Konstellation nicht vergleichbar: Anders als nach § 213 Abs 4 KO (IO) erklärt das Gericht in einem Beschluss nach § 213 Abs 3 KO (IO) das Abschöpfungsverfahren für beendet, setzt die Entscheidung über die Restschuldbefreiung bis zu drei Jahre aus und trägt dem Schuldner Ergänzungszahlungen auf, wobei bei der letztlich zu fassenden Entscheidung über die Restschuldbefreiung nach der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzes (nur) fristgerechte Zahlungen des Schuldners zu berücksichtigen sind.
Auch die Rechtsprechung, nach der nach Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens eine Restschuld-befreiung nach Billigkeit analog § 213 Abs 2 IO nicht mehr möglich ist (RIS‑Justiz RS0121181), steht dem hier erzielten Ergebnis nicht entgegen, zumal hier der Schuldner vor dem Beschluss über die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens die Mindestbefriedigungsquote erreicht hat und demgemäß keine Billigkeitsentscheidung erfolgt.
8. In Abänderung des angefochtenen Ausspruchs (Punkt 2.) der Entscheidung des Rekursgerichts über die dem Schuldner versagte Restschuldbefreiung war daher die vom Erstgericht beschlossene Befreiung von den im Verfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenz-gläubigern wiederherzustellen.
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