OGH 8Ob80/15w

OGH8Ob80/15w26.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn sowie die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter im Schuldenregulierungsverfahren des H*****, vertreten durch Mag. Ingeborg Haller, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 18. Juni 2015, GZ 53 R 110/15f‑43, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Zell am See vom 23. März 2015, GZ 80 S 15/06s‑39, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Begründung

Am 2. 10. 2006 wurde über das private Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet. Die festgestellten Verbindlichkeiten beliefen sich auf insgesamt 701.326,51 EUR. Hauptgläubigerin ist mit einer festgestellten Forderung von 623.013,93 EUR die V***** eG.

Diese Gläubigerin hatte bereits in dem zur AZ 23 S 84/00y des Landesgerichts Salzburg geführten Firmenkonkursverfahren des vormals als Bäcker selbstständigen Schuldners ihre Forderung, damals mit einem Betrag von 492.487,81 EUR, angemeldet. Nach der erfolgreichen Verwertung eines Pfandrechts an einer Liegenschaft des Schuldners schränkte sie diese Forderung auf 266.438,72 EUR ein. Unter weiterer Berücksichtigung der erzielten Konkursquote von 9,37 %, erlangte sie im Firmenkonkursverfahren für insgesamt rund 54 % ihrer festgestellten Forderung Befriedigung.

Mit Beschluss des Erstgerichts vom 11. 12. 2006 wurde im Privatinsolvenzverfahren des Schuldners das Abschöpfungsverfahren eingeleitet. Der Schuldner hat nach Ende des Abschöpfungszeitraums eine Quote von 1,36 % erreicht, überdies wurden Verfahrenskosten von 1.474,23 EUR (0,21 % der Gesamtforderungen) beglichen.

Der Schuldner beantragte die Erteilung der Restschuldbefreiung gemäß § 213 Abs 2 KO (IO) nach Billigkeit, in eventu die Auferlegung von Ergänzungszahlungen gemäß § 213 Abs 3 KO (IO), schließlich in eventu die Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens gemäß § 213 Abs 4 KO (IO). Er habe an den Großteil der Gläubiger bereits vor dem Privatkonkurs Zahlungen geleistet, insbesondere sei rund die Hälfte der Forderung der V***** eG bereits im Zuge des Firmenkonkursverfahrens durch die Verwertung des Absonderungsrechts befriedigt worden. Die im Privatkonkurs angemeldete, gegenüber dem Vorverfahren fast verdreifachte Forderung setze sich hauptsächlich nur mehr aus Zinsen und Zinseszinsen zusammen.

Das Erstgericht wies den auf § 213 Abs 2 KO (IO) gestützten Antrag auf sofortige Erteilung der Restschuldbefreiung (unangefochten) ab, erklärte das Abschöpfungsverfahren für beendet und setzte die Entscheidung über die Restschuldbefreiung für die Dauer von drei Jahren unter Auflage von Ergänzungszahlungen in Höhe von jeweils 8,64 % der festgestellten Forderungen an die namentlich genannten Gläubiger aus. Auf die Forderung der V***** eG sei keine Ergänzungszahlung zu leisten.

In seiner Entscheidungsbegründung verwies das Erstgericht auf die der Hauptgläubigerin bereits im Firmenkonkursverfahren und durch Verwertung des Absonderungsrechts zugeflossenen Zahlungen, die zu einer 10 % der Forderung bei weitem übersteigenden Befriedigung geführt hätten. Es entspreche der Billigkeit, hinsichtlich dieser Gläubigerin von der Auferlegung einer Ergänzungszahlung Abstand zu nehmen. Bezüglich der übrigen Gläubiger seien die ihnen im Firmenkonkursverfahren zugeflossenen Beträge jedoch zu gering, um im Abschöpfungsverfahren ein Unterschreiten der Mindestquote begründen zu können.

Das Rekursgericht gab dem von der Gläubigerin V***** eG erhobenen Rekurs Folge und änderte die erstgerichtliche Entscheidung in ihrem Punkt 2. dahin ab, dass es dem Schuldner auch auf die festgestellte Forderung der Rekurswerberin eine Ergänzungszahlung von 8,64 % binnen drei Jahren ab Rechtskraft des Beschlusses auferlegte.

Es liege in der Natur der Sache, dass der Gläubigerin mit der höchsten Einzelforderung im Firmenkonkursverfahren ein höherer Betrag zugeflossen sei als den übrigen Gläubigern. Es wäre auch nicht sachgerecht, wenn die aus der Verwertung des Absonderungsrechts erzielte Befriedigung zu einer geringeren Quote für den Gläubiger führen würde. Dieser würde ansonsten dafür „bestraft“, bei der Absicherung seiner Forderung besonders vorsichtig gewesen zu sein. Der Schuldner habe auch nicht schlüssig dargestellt, dass die an die Gläubigerin geflossenen Zahlungen allenfalls bereits die Höhe des Kapitals erreicht hätten.

Das Rekursgericht bewertete den Gegenstand seiner Entscheidung mit mehr als 30.000 EUR und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Die Rechtsfrage, ob aufgrund eines Rekurses eines Gläubigers Ergänzungszahlungen angeordnet werden könnten, die über den Antrag des Schuldners hinausgehen, sei über den Einzelfall hinaus von Bedeutung.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs des Schuldners ist zulässig, weil die Rechtsansicht des Rekursgerichts zur Berücksichtigung einer Pfandverwertung bei der Billigkeitsentscheidung nach § 213 Abs 3 KO (IO) einer Klarstellung bedarf. Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

1. Das Abschöpfungsverfahren wurde vor dem 30. 6. 2010 eröffnet. Abgesehen von den Ausnahmen nach § 273 Abs 8 IO gelangen daher (gemäß § 273 Abs 1 IO) die Bestimmungen der Konkursordnung zur Anwendung. Die hier relevante Bestimmung des § 213 Abs 3 Z 1 KO wurde im Wesentlichen unverändert in die Insolvenzordnung übernommen.

2. Die Abwägung der nach Billigkeit zu berücksichtigenden Gründe für und gegen die Restschuldbefreiung ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Sie stellt daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO dar (8 Ob 119/13b), sofern das Rekursgericht von den zutreffenden Rechtsgrundsätzen und gesetzlichen Wertungen ausgegangen ist. Die Ansicht des Rekursgerichts, dass es für den Billigkeitsgrund des § 213 Abs 3 Z 1 KO (IO) nur auf die in einem früheren Verfahren ausgeschüttete Quote, aber nicht auf andere dem Gläubiger zur Tilgung seiner Forderung zugeflossene Erlöse ankomme, ist allerdings nicht haltbar.

3. Liegen die Billigkeitsgründe nach § 213 Abs 2 KO (IO) für eine sofortige Restschuldbefreiung nicht vor, so kann das Gericht das Abschöpfungsverfahren für beendet erklären, die Entscheidung über die Restschuldbefreiung bis zu drei Jahren aussetzen und festlegen, inwieweit der Schuldner den sich auf die Mindestquote ergebenden offenen Forderungsbetrag einzelner oder aller Verbindlichkeiten noch erfüllen muss, damit er von den nicht erfüllten Verbindlichkeiten befreit ist.

In einer Entscheidung nach § 213 Abs 3 KO (IO) müssen die Konkursgläubiger nicht gleich behandelt werden. Das Gericht kann auch festlegen, dass nur an einzelne Gläubiger Ergänzungszahlungen zu leisten sind. Je nach den konkreten Billigkeitsgründen kann es gegenüber einzelnen Gläubigern auch zu einem deutlichen Unterschreiten der 10 %‑Grenze kommen (vgl 8 Ob 107/08f; 8 Ob 51/15f; vgl auch ZIK 2010/229; Mohr , Restschuldbefreiung nach Billigkeit, ZIK 2015/274, 211).

4. Die Gründe, die bei der Billigkeitsentscheidung zu berücksichtigen sind, sind demonstrativ aufgezählt. Nach § 213 Abs 3 Z 1 KO (IO) ist zu berücksichtigen, ob der Konkursgläubiger vom Schuldner vor Konkurseröffnung oder von einem Mitschuldner oder Bürgen bereits einen Teil seiner Forderung erhalten hat. Dies ermöglicht eine Gesamtsicht über die im Rahmen des Schuldverhältnisses erbrachten Leistungen, sei es vor Konkurseröffnung vom Schuldner, sei es vor oder während des Verfahrens von Dritten, etwa von Mitschuldnern oder Bürgen. Dazu zählt etwa auch, dass gegen Hauptschuldner und Bürgen zugleich Abschöpfungsverfahren durchgeführt werden und der Gläubiger in beiden Verfahren Beträge zur Tilgung der Forderung erhalten hat (ErläutRV 1218 BlgNR 18. GP 35f; Mohr in Konecny/Schubert , Insolvenzgesetze § 213 KO Rz 17 ff).

Nach § 213 Abs 3 KO (IO) ist eine Ungleichbehandlung eines Gläubigers hinreichend begründet, wenn er für seine Forderung über die bisher im Konkurs und im Abschöpfungsverfahren erzielte Quote hinaus Befriedigung erlangt hat. Dies kann durch die teilweise Befriedigung außerhalb des Konkurses bewirkt worden sein, insbesondere dann, wenn die Forderung aufgrund langjähriger Verschuldung hauptsächlich nur mehr aus Zinsen und Kosten besteht (8 Ob 342/98x; ErläutRV 1218 BlgNR 18. GP 35).

5. Die Billigkeitsentscheidung nach § 213 Abs 3 KO (IO) beruht also auf einer Gesamtsicht der Forderungssituation beim einzelnen Gläubiger ( Mohr in Konecny/Schubert § 213 KO Rz 19). Nach den Intentionen des Gesetzgebers sollen sämtliche Leistungen zur Tilgung der jeweiligen Forderung berücksichtigt werden.

Erlöse aus einem Aus‑ oder Absonderungsrecht sind ‑ innerhalb desselben Insolvenzverfahrens ‑ zwar nicht auf die Quote anzurechnen, weil diese Rechte lediglich der vorrangigen Befriedigung einzelner Gläubiger dienen. Dessen ungeachtet führt aber die Realisierung eines Absonderungsrechts zur Verminderung der Insolvenzforderung des Absonderungsgläubigers insgesamt ( Kodek , Privatkonkurs² Rz 669/1).

Wenn der Gläubiger aufgrund eines Absonderungsrechts einen größeren Teil seiner Forderung befriedigen konnte, kann dies daher im Rahmen der Billigkeit nach § 213 Abs 3 KO (IO) berücksichtigt werden.

6. Die Rekurswerberin V***** eG konnte aufgrund der erfolgreichen Verwertung ihres Absonderungsrechts insgesamt mehr als 50 % ihrer ursprünglichen Forderung im vorangegangenen Firmenkonkursverfahren einbringlich machen.

Entgegen der Begründung des Rekursgerichts ist es daher offenkundig und auch unbestritten, dass die vier Jahre später im vorliegenden Verfahren in fast verdreifachter Höhe angemeldete Restforderung dieser Gläubigerin überwiegend aus (gemessen am aktuellen Zinsniveau exorbitanten) Zinsen und Zinseszinsen besteht.

Das Rekursgericht hat diese Billigkeitsgründe nicht beachtet, sodass seine Entscheidung keinen Bestand haben kann. Die Billigkeitsentscheidung des Erstgerichts erscheint nach den Intentionen des Gesetzes und den Umständen des Einzelfalls sachgerecht.

Auf die im Zulassungsausspruch des Rekursgerichts dargelegte Rechtsfrage kommt es bei diesem Ergebnis nicht mehr an.

Dem Revisionsrekurs war daher stattzugeben, der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts abzuändern und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

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