European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0050OB00061.15D.1123.000
Spruch:
Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.
Begründung:
Gegenstand des Verfahrens ist die Anfechtung eines von den Wohnungseigentümern der Liegenschaft EZ ***** GB ***** gefassten und am 5. Juli 2011 bekannt gemachten Umlaufbeschlusses. Dessen Gegenstand ist, 1. die thermische Sanierung Fassade und Kellerdecke, Balkonsanierung und Erneuerung der Geländer, Dämmung oberste Geschoßdecke, Erneuerung restlicher Fenster sowie 2. eine Kostenrefundierung für diejenigen Wohnungseigentümer, die innerhalb der letzten fünf Jahre einen Austausch von Fenster- und Balkon/Außentüren auf eigene Kosten vorgenommen haben.
Der Antragsteller begehrt mit seinem gegen die übrigen Wohnungseigentümer gerichteten Antrag die gerichtliche Feststellung der Rechtsunwirksamkeit des Beschlusses bzw dessen Aufhebung. Als formellen Mangel des von ihm als Einheit verstandenen Beschlusses machte der Antragsteller insbesondere geltend, dass die von der Hausverwaltung durchgeführte Abstimmung mit längstens 20. April 2011 befristet gewesen sei. Die nach diesem Zeitpunkt eingelangten Stimmen hätten im Abstimmungsergebnis daher keine Berücksichtigung finden dürfen. Es sei unzulässigerweise zu Verlängerungen der Abstimmungsfrist gekommen. Das additive Verfahren gemäß § 25 Abs 3 WEG scheide bei einem Umlaufbeschluss aus.
Die sich am Verfahren beteiligenden Antragsgegner beantragten die Abweisung des Antrags und wandten ein, dass es sich um zwei voneinander getrennt zu behandelnde Umlaufbeschlüsse handle. Der Abstimmungsvorgang sei bei beiden Umlaufbeschlüssen gesetzeskonform erfolgt. Die Verlängerung der ursprünglich bis 20. April 2011 gesetzten Abstimmungsfrist stelle keinen formellen Mangel dar. Da bis zu diesem Zeitpunkt weder eine Mehrheit für noch gegen einen der beiden Beschlüsse festgestanden sei, sei die Hausverwaltung verpflichtet gewesen, vorerst durch faktisches Zuwarten und sodann durch erneute Fristsetzung einen entsprechenden Mehrheitsbeschluss in die eine oder andere Richtung herzustellen.
Das Erstgericht wies den Antrag ab. Die behaupteten formellen Mängel würden nicht vorliegen. Insbesondere liege im Zusammenhang mit der Verlängerung der Abstimmungsfrist angesichts des berechtigten Ziels, ein verbindliches Abstimmungsergebnis herbeizuführen, keine willkürliche Vorgehensweise der Hausverwaltung vor.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers nicht Folge und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 10.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Frage, ob das sogenannte additive Verfahren gemäß § 25 Abs 3 WEG auch im Rahmen eines (bloßen) Umlaufbeschlussverfahrens zulässig sei, habe der Oberste Gerichtshof zwar noch nicht abschließend beantwortet. Es sei aber nicht ersichtlich, warum die Kombination eines Umlaufverfahrens (mit Setzung eines Endtermins) mit einem additiven Verfahren nach § 25 Abs 3 WEG nicht zulässig sein sollte. Nur eine willkürliche Fristverlängerung ohne sachliche Begründung sei nicht zulässig. Entsprechendes sei aber weder aus den getroffenen Feststellungen noch aus den Behauptungen der Parteien abzuleiten. Ob auch die (weiteren) Fristverlängerungen über den 25. Mai 2011 hinaus zulässig gewesen seien oder nicht, brauche nicht geprüft werden. Voraussetzung für eine erfolgreiche Beschlussanfechtung sei nämlich, dass ein formeller Mangel für das Abstimmungsergebnis kausal gewesen sei. Aus den Feststellungen des Erstgerichts ergebe sich, dass die Mehrheiten für beide zur Abstimmung gestellten Maßnahmen bereits nach der ersten Fristverlängerung, also mit 25. Mai 2011, gegeben gewesen seien, sodass die weiteren Fristverlängerungen (durch welche es bei diesen Mehrheiten geblieben sei) nicht mehr kausal für das Abstimmungsergebnis gewesen seien.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung mit dem Antrag die Entscheidungen der Vorinstanzen im antragsstattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise stellt er Aufhebungs- und Zurückverweisungsanträge.
Der Oberste Gerichtshof stellte die Beantwortung des Revisionsrekurses frei. Die sich daraufhin am Revisionsrekursverfahren beteiligenden 3., 6., 12., 18., 20. bis 22., 26. bis 28., 30., 31., 34. bis 36., 42., 46. bis 50., 52., 64. bis 67.-Antragsgegner beantragten den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise diesem nicht Folge zu geben.
Der Revisionsrekurs ist zulässig, der Oberste Gerichtshof kann über diesen allerdings inhaltlich noch nicht entscheiden.
Rechtliche Beurteilung
1. Seit der WRN 2006 hat der Verwalter nach § 52 Abs 2 Z 1 2. Satz WEG (auch dann) Parteistellung, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Verhalten des Verwalters ist. Gegenstand des Verfahrens ist das Tun oder Unterlassen des Verwalters dann, wenn es rechtserheblich im Sinn von den Anspruch begründend oder den Anspruch vernichtend sein kann. Dies trifft insbesondere auf die ‑ in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich als Beispiel genannte Beschlussanfechtung nach § 52 Abs 1 Z 4 WEG zu, wenn als Anfechtungsgrund ein formaler Mangel geltend gemacht ist, der auf ein Verhalten des Verwalters zurückzuführen ist (Würth/Zingher/Kovanyi, Miet‑ und Wohnrecht II²³ § 52 WEG Rz 71; Painsi, Die Parteistellung des Verwalters im wohnungseigentumsrechtlichen Außerstreitverfahren, FS Würth [2014], S 218). Derartige Versäumnisse des Verwalters sind etwa das Unterbleiben der Verständigung eines Wohnungseigentümers von der Beschlussfassung, fehlerhafte Berechnung der Anteilsmehrheit, Beschlussfassung über eine Angelegenheit, die nicht zur Verwaltung zählt, und die ‑ in den ErläutRV als Beispiel angeführte ‑ Beschlussfassung über in der Verständigung nicht angekündigte Angelegenheiten.
2. Der hier vom Antragsteller als formeller Mangel des Abstimmungsvorgangs geltend gemachte Vorwurf der unzulässigen Fristverlängerung und Berücksichtigung nachträglicher Stimmabgabe bei der Ermittlung der Anteilsmehrheit bezieht sich auf ein Verhalten des Verwalters. Dessen Verhalten ist damit (rechtserheblicher) Gegenstand dieses Verfahrens,diesem kommt daher gemäß § 52 Abs 2 Z 1 2. Satz WEG Parteistellung zu. Die als Verwalterin der Liegenschaft auftretende W***** Immobilien Graz GmbH ist in diesem Verfahren bisher zwar ‑ wiederholt und ihrerseits anwaltlich vertreten ‑ als bevollmächtigte Vertreterin zahlreicher Antragsgegner eingeschritten, ihre eigene Parteistellung fand aber weder im erstgerichtlichen Verfahren noch im Rekursverfahren Berücksichtung.
3. Wenn einer Partei durch unterbliebene Beiziehung die Möglichkeit genommen wird, sich am Verfahren (als solche) zu beteiligen, liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor (G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 15 Rz 13 mwN). Das rechtliche Gehör wird aber nicht nur dann verletzt, wenn einer Partei die Möglichkeit, sich im Verfahren zu äußern, überhaupt genommen wurde, sondern auch dann, wenn einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zu Grunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (RIS‑Justiz RS0005915).
Die Verletzung des rechtlichen Gehörs bildet im Außerstreitverfahren einen Verfahrensfehler, der analog § 55 Abs 3 AußStrG zwar aus Anlass eines zulässigen Rechtsmittels auch von Amts wegen aufzugreifen ist, aber nicht ‑ wie die Nichtigkeitsgründe der Zivilprozessordnung ‑ absolut wirkt (RIS‑Justiz RS0119971). Dieser ist nur dann wahrzunehmen, wenn er Einfluss auf die Richtigkeit der Entscheidung haben konnte (RIS‑Justiz RS0120213). Nach § 58 Abs 1 Z 1 und Abs 3 iVm § 71 Abs 4 AußStrG ist insbesondere auch bei diesem (im Zivilprozess einen Nichtigkeitsgrund bildenden) schweren Verfahrensmangel vor der Entscheidung auf Aufhebung und Zurückverweisung der Außerstreitsache an eine Vorinstanz zu prüfen, ob nicht eine Bestätigung „selbst auf Grund der Angaben im [Revisions‑]Rekursverfahren“ oder eine Abänderung ohne weitere Erhebungen möglich ist. Um in diesem Sinne beurteilen zu können, ob die vom Gesetzgeber bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 58 Abs 1 und 3 AußStrG für die Erledigung eines Rechtsmittels in der Sache abgelehnte Aufhebung der angefochtenen Entscheidung vermeidbar ist, ist es aber erforderlich, den bisher nicht gehörten Parteien Gelegenheit zu geben, sich am Rechtsmittelverfahren zu beteiligen und ihre materiellen und/oder prozessualen Rechte geltend zu machen oder auch nicht (RIS‑Justiz RS0123128, insb 5 Ob 237/09b).
4. Demnach sind die Akten dem Erstgericht zurückzustellen, dem die Zustellung dieser Entscheidung, des Sachbeschlusses des Rekursgerichts, des Revisionsrekurses des Antragstellers und der Freistellung der Revisionsrekursbeantwortung durch den Obersten Gerichtshof an die Verwalterin in ihrer Eigenschaft als Partei obliegt. Die Akten werden nach Ablauf der Rechtsmittelbeantwortungsfrist oder Einlangen der Rechtsmittelbeantwortung der Verwalterin wieder dem Obersten Gerichtshof vorzulegen sein.
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