OGH 2Ob143/15s

OGH2Ob143/15s9.9.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. W***** E*****, und 2. H***** E*****, beide vertreten durch Dr. Peter Wagner und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. G***** J*****, 2. L***** u. W*****-Gesellschaft mbH, *****, 3. D*****, alle vertreten durch Dr. Haymo Modelhart und Dr. Elisabeth Humer-Rieger, Rechtsanwälte in Linz, wegen zuletzt 30.000 EUR sA (Erstkläger) und 14.500 EUR sA (Zweitklägerin), über die Revisionen des Erstklägers (Revisionsinteresse 15.000 EUR) und der Zweitklägerin (Revisionsinteresse 10.000 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 6. Mai 2015, GZ 2 R 75/15k‑44, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 19. Februar 2015, GZ 5 Cg 84/13z‑40, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Die erstklagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit 1.125,35 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 187,56 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Die zweitklagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit 855,77 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 142,63 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Begründung

Der am ***** 1983 geborene Sohn der Kläger wurde bei einem vom Erstbeklagten verschuldeten Verkehrsunfall am 5. 9. 2011 getötet. Die Zweitbeklagte haftet für die Unfallfolgen als Halter, die Drittbeklagte als Haftpflichtversicherung.

Nach dem Unfall begehrten die anwaltlich vertretenen Kläger von der Drittbeklagten „Trauerschmerzengeld“. Diese zahlte ein Akonto von jeweils 5.000 EUR und bot jeweils weitere 10.000 EUR an. Der Vertreter der Kläger erklärte, dass dieser Betrag „hinsichtlich der Ansprüche [des Erstklägers] als endgültige Erledigung angesehen werden“ könne, während der Zweitklägerin aus näher dargestellten Gründen „zusätzlich zum Trauerschmerzengeld noch Schmerzengeld nach § 1325 ABGB“ zustehe. Die Drittbeklagte zahlte daraufhin beiden Klägern die zugesagten 10.000 EUR. In einem Schreiben an deren Vertreter bezeichnete sie diese Zahlung als „Trauerschmerzengeld“. Weitere Kosten für „kausale, medizinisch indizierte Behandlungen“ der Zweitklägerin seien davon nicht erfasst, darüber hinaus bestehe aber kein „weiterer Schmerzengeldanspruch“.

Im vorliegenden Verfahren begehrten die Kläger unter Hinweis auf psychische Beeinträchtigungen mit Krankheitswert zunächst weiteres Schmerzengeld von jeweils 20.000 EUR. Nach Vorliegen von Gutachten, in denen der Sachverständige für beide Kläger den Krankheitswert der Trauer bejaht und „Schmerzperioden“ ermittelt hatte, zahlte die Drittbeklagte der Zweitklägerin 5.500 EUR, worauf diese ihr Begehren auf 14.500 EUR einschränkte. Der Erstkläger dehnte hingegen sein Begehren unter Hinweis auf das Gutachten auf 30.000 EUR aus. Zur Begründung stützen sich beide Kläger darauf, dass das Schmerzengeld wegen eines eigenen Gesundheitsschadens (Schockschadens) zusätzlich zum Trauerschmerzengeld gebühre; das bereits gezahlte Trauerschmerzengeld sei daher nicht auf die nun geltend gemachten Ansprüche anzurechnen. Auch die Abfindungserklärung des Erstklägers habe sich nur auf das Trauerschmerzengeld bezogen.

Die Beklagten wendeten ein, dass das Schmerzengeld global zu bemessen sei. Die vorprozessual gezahlten Beträge seien daher anzurechnen. Hinsichtlich des Erstklägers liege zudem eine verglichene Rechtssache vor.

Das Erstgericht sprach den Klägern die zuletzt begehrten Beträge zu. Diese seien nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens, insbesondere nach den vom Sachverständigen ermittelten Schmerzperioden, angemessen. Das bereits gezahlte Trauerschmerzengeld sei darauf nicht anzurechnen, weil es auf einer anderen Rechtsgrundlage beruht habe. Aus diesem Grund sei auch der Anspruch des Erstklägers nicht von seiner Abfindungserklärung erfasst.

Das Berufungsgericht reduzierte den Zuspruch an den Erstkläger auf 15.000 EUR und an die Zweitklägerin auf 4.500 EUR, das Mehrbegehren wies es ab. Die Revision ließ es zunächst nur in Bezug auf den den Erstkläger betreffenden Teil der Entscheidung zu.

Die Abfindungserklärung des Erstklägers habe sich, für die Drittbeklagte erkennbar, nur auf das Trauerschmerzengeld im engeren Sinn bezogen. Bei Auftreten einer krankheitswerten Beeinträchtigung sei daher eine Nachforderung möglich. Allerdings sei das Schmerzengeld auch in diesem Fall global zu bemessen (beim Erstkläger 30.000 EUR, bei der Zweitklägerin 25.000 EUR), wobei nicht zwischen „normaler“ und „krankheitswerter“ Trauer zu unterscheiden sei. Die bereits geleisteten Zahlungen seien daher auf den nun geltend gemachten Anspruch anzurechnen. Die Revision sei (nur) hinsichtlich des Begehrens des Erstklägers zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die Vorhersehbarkeit weiterer Schadensfolgen, die für die Reichweite der Bereinigungswirkung eines Vergleichs maßgebend sei, konkret oder abstrakt beurteilt werden müsse.

Gegen diese Entscheidung richten sich eine ordentliche Revision des Erstklägers und eine mit einem Zulassungsantrag nach § 508 ZPO verbundene ordentliche Revision der Zweitklägerin. Sie stehen weiterhin auf dem Standpunkt, dass das von der Drittbeklagten gezahlte Trauerschmerzengeld nicht auf den Anspruch wegen eines eigenen Gesundheitsschadens (Schockschadens) anzurechnen sei. Eine solche Anrechnung führe zum ‑ offenbar abzulehnenden ‑ Ergebnis, dass die Kläger „insgesamt an Trauer- und Schockschadenersatz nur so viel [erhielten], wie [ihnen] allein für den Schockschadenersatz zustehen würde“. Insofern liege noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor. Zur vom Berufungsgericht als erheblich bezeichneten Rechtsfrage äußert sich der Erstkläger nicht.

Das Berufungsgericht ließ die Revision der Zweitklägerin nachträglich zu, weil sich der Oberste Gerichtshof noch nicht „explizit“ zur damit angestrebten gesonderten Bemessung von Schmerzengeld wegen (bloßer) Trauer und Schmerzengeld wegen eines Schockschadens geäußert habe und die Zulassung auch für einen „Gleichklang“ mit der Schmerzengeldforderung des Erstklägers sorge.

Die Beklagten erstatteten getrennte Revisionsbeantwortungen. Sie beantragen, die Revisionen der Kläger zurückzuweisen, hilfsweise ihnen nicht Folge zu geben. Aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ergebe sich, dass auch das Schmerzengeld für seelische Schmerzen global zu bemessen sei.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Der Senat hat bereits in 2 Ob 141/04f (ZVR 2004/86) klargestellt, dass (auch) Schmerzengeld wegen seelischer Schmerzen global zu bemessen ist. Dabei führte er aus, dass sich das Erleiden einer eigenen Gesundheitsschädigung regelmäßig „erhöhend“ auswirke, ein „gesonderter Zuspruch“ habe dafür ‑ trotz des Hinzutretens eines weiteren Zurechnungsgrundes ‑ nicht zu erfolgen. Aus dem Zusammenhang ergibt sich, dass der Begriff „seelische Schmerzen“ dabei sowohl solche mit als auch solche ohne Krankheitswert erfassen sollte. Denn nur bei diesem Verständnis kann von einer „globalen“ Bemessung gesprochen werden, bei der sich eine zur „bloßen“ Trauer hinzutretende Gesundheitsbeeinträchtigung (nur) „erhöhend“ auswirkt.

2. Am Grundsatz der Globalbemessung hat der Senat in 2 Ob 135/07b (ZVR 2008/59 [ Ch. Huber ] und 2 Ob 99/08k ausdrücklich festgehalten. Diese Entscheidungen betrafen, anders als 2 Ob 141/04f, psychische Beeinträchtigungen mit Krankheitswert. In 2 Ob 135/07b wiederholte der Senat die Formulierung, dass sich Gesundheitsbeeinträchtigungen „erhöhend“ auswirkten; auf dieser Grundlage nahm er, auch unter Bedachtnahme auf im Verfahren festgestellte Schmerzperioden, eine Globalbemessung des Schmerzengeldes vor. Konkret wurden der Verlassenschaft nach dem geschädigten Angehörigen - der aufgrund jener Depression, die durch den Tod seiner Mutter ausgelöst worden war, Selbstmord begangen hatte ‑ 35.000 EUR zugesprochen. In 2 Ob 99/08k billigte der Senat eine von den Vorinstanzen vorgenommene Globalbemessung. In keiner der beiden Entscheidungen wurde ein gesondertes Schmerzengeld für „bloße“ Trauer ausgemittelt oder zugesprochen, vielmehr ergab sich die Höhe des Schmerzengeldes jeweils aus einer ‑ an die Feststellung von Schmerzperioden anknüpfenden, aber nicht darauf beschränkten - Gesamtbetrachtung.

3. Den dargestellten Entscheidungen liegt der Gedanke zugrunde, dass die Abgrenzung zwischen „bloßer“ und „krankheitswerter“ Trauer häufig problematisch ist (2 Ob 84/01v SZ 74/90 = ZVR 2001/73 [ Karner ], 2 Ob 141/04f ZVR 2004/86); es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die eine Form mit der Zeit in die andere entwickelt (vgl 2 Ob 135/07b ZVR 2008/59 [ Ch. Huber ]: „zeitverzögerte“ Depression). Die von den Klägern angestrebte gesonderte Bemessung von Schmerzengeld für bloße Trauer einerseits und für Trauer mit Krankheitswert andererseits ist damit unvereinbar. Es besteht daher kein Anlass, vom Grundsatz der Globalbemessung abzugehen.

4. Ausgehend von einer Globalbemessung fallen die Zusprüche des Berufungsgerichts nicht aus dem Rahmen der bisherigen Rechtsprechung. Der Erstkläger erhält damit insgesamt 30.000 EUR, die Zweitklägerin 25.000 EUR. Diese Beträge liegen zwar unter dem Zuspruch in 2 Ob 135/07b (35.000 EUR), aber über jenem in 2 Ob 99/08k (20.000 EUR). Im erstgenannten Fall war die Depression des Angehörigen allerdings sowohl nach den festgestellten Schmerzperioden als auch in Anbetracht ihrer Folgen (Selbstmord) weitaus massiver als hier, im zweitgenannten wog sie zumindest nach den festgestellten Schmerzperioden weniger schwer (vgl die detaillierten Wiedergaben in Danzl , Schmerzengeld‑Entscheidungen [CD‑ROM, Ausgabe 1/2015], OLG Innsbruck 2 R 115/07i, Nr 929 = zweitinstanzliche Entscheidung, die durch Zurückweisung der außerordentlichen Revision zu 2 Ob 99/08k bestätigt wurde). Damit bedarf die Entscheidung des Berufungsgerichts keiner Korrektur im konkreten Einzelfall. Die Revisionen sind daher zurückzuweisen.

5. Da die Beklagten in den Revisionsbeantwortungen auf die Unzulässigkeit hingewiesen haben, sind die Kläger zum Ersatz von deren Kosten verpflichtet. Eine Verbindung war nicht möglich, weil die Revision der Zweitklägerin erst nachträglich zugelassen wurde. Damit gebühren jeweils nur 15 % Streitgenossenzuschlag, weil der Beklagtenvertreter immer nur einer Partei gegenüberstand.

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