OGH 12Os62/15g

OGH12Os62/15g27.8.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. August 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Pottmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Eugen P***** wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 und 3 Z 2 und Abs 4 erster und zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft, gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 19. Jänner 2015, GZ 18 Hv 90/14v‑81, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0120OS00062.15G.0827.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Eugen P***** der Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 2 und Abs 4 erster und zweiter Fall StGB (1./) und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 vierter Fall StGB (2./) schuldig erkannt. Über den Angeklagten wurde eine Freiheitsstrafe verhängt, weiters wurde er gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Nach dem Schuldspruch hat er im Zeitraum von 1. Mai 2015 (richtig: 2014; US 4) bis 15. Juni 2014 in Pe*****

1./ gegen Carmen S***** eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er sie zwei bis drei Mal wöchentlich

a./ misshandelte und vorsätzlich am Körper verletzte, indem er ihr Faustschläge und Tritte ins Gesicht und gegen den Körper versetzte, sie würgte, ihr mit Gegenständen, und zwar unter anderem mit einer abgeschlagenen Kachel, mit einer abgeschlagenen Flasche, mit einer heißen Kaffeekanne und mit einem Besenstiel gegen den Kopf und den Körper schlug, wodurch sie Rippenbrüche und weitere im Urteil bezeichnete Körperverletzungen erlitt,

b./ wiederholt durch die Ankündigungen, sie umzubringen, mit dem Tod gefährlich bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, wobei er mit einer Axt, einem Messer, einer Bierflasche und sonstigen Gegenständen auf sie „losging“ oder sie würgte,

c./ durch Anwendung von Körperkraft und Drohungen zur Duldung des Geschlechtsverkehrs nötigte, somit Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Integrität des Opfers beging,

wobei er durch die Tat eine umfassende Kontrolle des Verhaltens der Carmen S***** herstellte, eine erhebliche Einschränkung ihrer autonomen Lebensführung bewirkte und die Tat auf qualvolle Weise beging;

2./ Carmen S***** mit Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zur Duldung des Beischlafs und dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt, wobei er Carmen S***** in besonderer Weise erniedrigte, indem er sie in zumindest vier Fällen zunächst mit dem Penis vaginal penetrierte, sie dabei an den Handgelenken festhielt und in weiterer Folge seinen Penis über ihrem Gesicht masturbierte, ihr sodann das Ejakulat in den Mund spritzte und durch Aufdrücken ihres Mundes mit der Hand, anschließendes Zuhalten ihres Mundes und Überstrecken des Halses dazu nötigte, das Ejakulat zu schlucken.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die nominell aus Z 4, 5 und 10a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Die aus Z 4 kritisierte Ablehnung der Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass Carmen S***** als Zeugin eine „nicht realitätsorientierte Aussage“ tätigte, erfolgte zu Recht, weil die Antragstellung die insofern erforderliche Bereitschaft des Opfers zur Mitwirkung an einer Begutachtung nicht darzustellen vermochte (RIS‑Justiz RS0118956). Zudem kommt gemäß § 258 Abs 2 StPO die Beweiswürdigung ausschließlich dem Gerichtshof zu, wobei die Richter sich aufgrund des Beweisverfahrens, des persönlichen Eindrucks des Zeugen sowie aufgrund ihrer Berufs‑ und Lebenserfahrung über die Verlässlichkeit der Aussagen schlüssig zu werden haben. Das Gutachten eines Psychiaters oder Aussagepsychologen ist nur in besonders gelagerten Fällen erforderlich. Ein psychiatrisches Gutachten setzt in diesem Zusammenhang voraus, dass sich aus dem Beweisverfahren objektive Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung, Entwicklungsstörung oder einen sonstigen Defekt beim Zeugen ergeben, welche als erhebliche, dem Grad des § 11 StGB nahekommende Störungen einzustufen sind und gegen die allgemeine Wahrnehmungs‑ und Wiedergebefähigkeit oder die Aussageehrlichkeit des Zeugen schlechthin sprechen müssen. Ein aussagepsychologisches Gutachten ist demgegenüber dann geboten, wenn durch Beweisergebnisse aktenmäßig belegte Ansatzpunkte für eine nicht realitätsorientierte Aussage, insbesondere etwa für eine Beeinflussung des Aussageverhaltens von unmündigen oder psychisch kranken Personen vorliegen (RIS‑Justiz RS0097733, [insb T5 und T7]). Beide Voraussetzungen werden in der lediglich Rechtssätze referierenden Beschwerde nicht dargetan.

Zur Gefährlichkeitsprognose nach § 21 Abs 2 StGB beantragte der Angeklagte in der Hauptverhandlung die Einholung eines weiteren psychiatrischen Gutachtens, weil das Gutachten Dris. W***** „aufgrund mangelhafter Befundaufnahme und weil es sich vor allem auf den Umstand stützt, dass der Angeklagte die Taten so begangen hat, wie sie ihm in der Anklage vorgeworfen wurden, somit in vorgreifender Beweiswürdigung und nicht aufgrund fachgerechter Exploration fußt, weshalb es nicht lege artis erstellt“ sei. Der Angeklagte lässt jedoch eine substanziierte Auseinandersetzung mit dem Gutachten des genannten Sachverständigen vermissen, weshalb er damit keinen Mangel von Befund und Gutachten im Sinn des § 127 Abs 3 StPO aufgezeigt, sondern bloß eine Überprüfung der Beurteilung des Experten in der nicht indizierten Erwartung eines für den Antragsteller günstigeren Ergebnisses begehrt. Damit zielt der Antrag auf unzulässige Erkundungsbeweisführung ab (RIS‑Justiz RS0117263 [T17]).

Der Angeklagte beantragte in der Hauptverhandlung weiters die Vernehmung der Zeugin Dijana „B***** oder Bo*****“ zum Beweis dafür, dass „die Zeugin S***** noch am 14. Juni 2014 alleine im Auto vor dem Billa in F***** angetroffen worden sei, wobei sie in unmittelbarer Umgebung jedenfalls hätte Zuflucht suchen können, wenn sie dies wollen hätte, dies zum Beweis für die Unglaubwürdigkeit der Angaben der Zeugin S***** und zur Verbreiterung der Beweisgrundlage“ (ON 69 S 52).

Dieser Antrag bezog sich in Übereinstimmung mit dem Erstgericht jedoch nicht auf erhebliche Tatsachen, zumal auch das Opfer nie angegeben hat, vom Angeklagten während des Tatzeitraums gefangengehalten worden zu sein.

Entgegen dem Vorwurf der Unvollständigkeit der Urteilsbegründung (Z 5 zweiter Fall) haben die Tatrichter die Aussagen der Zeugen Maria H*****, Friedrich He*****, Josef Su*****, Maria Pa*****, Johann Sc*****, Martin We*****, Hermelinde G***** und Josef K***** sehr wohl gewürdigt (US 15 ff). Die Mängelrüge bekämpft nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung, indem sie aus den Aussagen der Zeugen eigene, für den Angeklagten günstigere Schlüsse zieht. Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde auf Zeugenaussagen hinweist, aus welchen sich ergäbe, dass das Opfer während des Tatzeitraums etwa durch ein Fenster oder bei einem Supermarktbesuch mit dem Angeklagten hätte die Flucht ergreifen können, wird weder ein entscheidender noch ein erheblicher Umstand angesprochen (zu den Begriffen vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 399, 429), zumal nach den Angaben der Zeugin Carmen S***** diese sich aufgrund der „massiven Misshandlungen und der ‑ teilweise mit Waffen bzw Gegenständen untermauerten ‑ Todesdrohungen nicht getraut habe, zu fliehen“ (US 12).

Der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen aufgrund des von diesem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks führende kritisch‑psychologische Vorgang als solcher ist der Anfechtung mit Mängelrüge entzogen (RIS‑Justiz RS0106588). Die Beurteilung der Überzeugungskraft von Aussagen kann zwar unter dem Gesichtspunkt einer Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat. Unter diesem Gesichtspunkt waren allerdings die Angaben des Opfers betreffend allfällige Mietzinsrückstände nicht erörterungsbedürftig.

Soweit der Nichtigkeitswerber behauptet, das Erstgericht hätte Widersprüchlichkeiten in den Angaben des Opfers, etwa zur Frage wie oft es mit dem Angeklagten freiwilligen Geschlechtsverkehr hatte oder wie oft er in den Mund ejakuliert hatte, ungewürdigt gelassen (vgl dagegen US 12 f) verkennt er, dass kein Begründungsmangel vorliegt, wenn das Gericht nicht den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen wie überhaupt alle Verfahrensergebnisse im Einzelnen erörtert und darauf untersucht, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen, und sich nicht mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde konkret erhobenen Einwand im Voraus auseinandersetzt. Es genügt vielmehr, wenn der Gerichtshof im Urteil in gedrängter Form die entscheidenden Tatsachen bezeichnet und logisch einwandfrei und zureichend begründet, warum er von der Richtigkeit einer Annahme überzeugt ist, ohne dagegen sprechende wesentliche Umstände mit Stillschweigen zu übergehen (RIS‑Justiz RS0098377).

Dementsprechend waren die Tatrichter auch nicht verhalten, sich mit der genauen Größe eines Loches, das der Angeklagte nach Angaben der Zeugin S***** in eine Tür geschlagen hatte, oder mit der Frage auseinanderzusetzen, wo konkret in der Wohnung des Angeklagten sich Blutspritzer des Opfers und des Angeklagten befanden.

Zum Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 10a StPO wird kein inhaltliches Vorbringen erstattet, wodurch eine inhaltliche Erwiderung nicht möglich ist.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Zu der handschriftlichen Eingabe des Angeklagten vom 5. Mai 2015 wird angemerkt, dass auf diese keine Rücksicht zu nehmen war, weil er durch seine ausgewiesene Verteidigerin eine Nichtigkeitsbeschwerde eingebracht hat und nur diese maßgeblich ist (RIS‑Justiz RS0100046).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a StPO.

Stichworte