OGH 12Os51/15i

OGH12Os51/15i27.8.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. August 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Pottmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dr. Hans‑Jörg M***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB, AZ 14 Hv 42/12y des Landesgerichts Klagenfurt, über die Anträge der Angeklagten Dr. Hans‑Jörg M***** und Mag. Gert X***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0120OS00051.15I.0827.000

 

Spruch:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 1. Oktober 2012, GZ 14 Hv 42/12y‑273, wurden unter anderem Dr. Hans‑Jörg M***** und Mag. Gert X***** des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Mit ihren dagegen gerichteten Nichtigkeitsbeschwerden wendeten sich die Genannten aus Z 4 des § 281 Abs 1 StPO gegen die Abweisung ihrer Anträge, von einer Beiziehung des bereits im Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. Frank S***** und von einer Verlesung seines Gutachtens abzusehen, weil er als Belastungszeuge der Anklage anzusehen sei. In diesem Zusammenhang regten sie eine Antragstellung gemäß Art 89 Abs 2 zweiter Satz B‑VG an den Verfassungsgerichtshof an, zumal es ihnen § 126 Abs 4 letzter Satz StPO verwehre, den auf diesen Umstand gegründeten Einwand der Befangenheit zu erheben. Schließlich bekämpften die Beschwerdeführer aus diesem Nichtigkeitsgrund die Abweisung der Anträge auf „Verlesung der Privatgutachten von Prof. Dr. Thomas K*****, Dr. Bernhard Sch*****, Dkfm. Dr. Manfred A. Ku***** und DDr. Waldemar J*****“ sowie „Beiziehung dieser Privatsachverständigen als Gerichtssachverständige“.

Die dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden der Genannten verwarf der Oberste Gerichtshof mit Urteil vom 11. März 2014, GZ 11 Os 51/13d‑24, und gab deren Berufungen teilweise Folge. Für eine Antragstellung nach Art 89 Abs 2 zweiter Satz B‑VG wurde kein Anlass gefunden.

Unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 10. März 2015, GZ G 180/2014‑30, G 216/2014‑25, G 232/2014‑27, G 42/2015‑4, G 77/2015‑5, mit dem dieser ausgesprochen hat, dass die Wortfolge „Sachverständigen oder“ in § 126 Abs 4 dritter Satz StPO in der bis 31. Dezember 2014 geltenden Fassung verfassungswidrig war, begehren Dr. Hans‑Jörg M***** und Mag. Gert X***** in getrennt vorgelegten Schriftsätzen die Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO und behaupten eine Verletzung ihrer Rechte auf ein faires Verfahren nach Art 6 Abs 1 EMRK, der Waffengleichheit nach Art 6 Abs 3 lit d zweiter Fall EMRK sowie auf eine wirksame Beschwerde nach Art 13 EMRK. Zur Zulässigkeit ihrer Erneuerungsanträge führen sie im Wesentlichen aus, dass die Feststellung einer Konventionsverletzung durch den Verfassungsgerichtshof in Anbetracht des auch für Entscheidungen von Höchstgerichten geltenden Rechts auf eine wirksame Beschwerde vor einer nationalen Instanz nach Art 13 EMRK eine hinreichende Bedingung für eine Erneuerung des Verfahrens nach § 363a StPO per analogiam darstelle, sodass auch in dieser Fallkonstellation eine planwidrige Gesetzeslücke vorliege. Dr. Hans‑Jörg M***** weist überdies darauf hin, durch das zwischenzeitig ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs lägen neue Tatsachen vor, sodass sich der Oberste Gerichtshof nach Art 35 Abs 2 EMRK mit dem Erneuerungsantrag auseinanderzusetzen habe.

Rechtliche Beurteilung

Bei einem nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 EMRK sinngemäß auch für derartige Anträge. Nach Art 35 Abs 2 EMRK sind solche Beschwerden unzulässig, die im Wesentlichen mit einer bereits geprüften Beschwerde übereinstimmen (RIS‑Justiz RS0122737 [insbes T11, T37]).

Die Erneuerungswerber behaupten eine aus der Abweisung des Antrags auf Nichtverlesung und Nichterörterung des Sachverständigengutachtens sowie Nichtzulassung des Sachverständigen Prof. Dr. Frank S***** und aus der Bestellung dieses, ihrer Ansicht nach schon auf Grund seiner von der Staatsanwaltschaft beauftragten Tätigkeit im Ermittlungsverfahren „objektiv befangenen“ Sachverständigen in Verbindung mit der Abweisung des Antrags auf Verlesung und Erörterung von Privatsachverständigengutachten in der Hauptverhandlung resultierende Verletzung von Art 6 EMRK. Darüber hinaus machen sie geltend, in ihrem Recht auf eine wirksame Beschwerde (Art 13 EMRK) beeinträchtigt zu sein, weil der mit der Nichtigkeitsbeschwerde befasste Senat eine Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof wegen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 126 Abs 4 letzter Satz StPO idF BGBl I 19/2004 unterlassen habe, sodass den Beschwerdeführern jegliche Möglichkeit genommen worden sei, dies innerstaatlich effizient zu bekämpfen.

Die vorliegenden Erneuerungsanträge sind unzulässig:

Die behaupteten Grundrechtsverletzungen wurden nämlich bereits in den Nichtigkeitsbeschwerden gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 1. Oktober 2012, GZ 14 Hv 42/12y‑273, releviert, sodass dem Obersten Gerichtshof ‑ ohne vorherige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ‑ eine erneute inhaltliche Befassung verwehrt ist (Schroll, WK‑StPO § 23 Rz 3; Reindl‑Krauskopf, WK‑StPO). Soweit die Anträge ausdrücklich Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs selbst bekämpfen, sind sie überdies darauf zu verweisen, dass diese von vornherein nicht Gegenstand eines Erneuerungsantrags ohne vorherige Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sein können (RIS‑Justiz RS0122737 [insbes T23, T39, T42]; Schroll, WK‑StPO § 23 Rz 3; Reindl‑Krauskopf, WK‑StPO § 363a Rz 36).

Die von den Antragstellern erhobene Forderung nach Zulässigkeit eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens in analoger Anwendung des § 363a StPO trotz Vorliegens einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs auch ohne Feststellung einer Konventionsverletzung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wenn sich eine solche aus einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ergebe, versagt schon im Ansatz:

Voraussetzung für die Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO ist eine mit Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festgestellte Konventionsverletzung durch eine richterliche Entscheidung oder Verfügung im Strafverfahren (vgl Reindl‑Krauskopf, WK‑StPO Vor §§ 363a‑c Rz 10, § 363a Rz 5; ErläutRV 33 BlgNR 20. GP 66), wobei über Individualbeschwerden (Art 34 EMRK) erkennende Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte keine abstrakte Normenkontrolle üben, sondern ‑ grundsätzlich bezogen auf den konkreten Einzelfall ‑ eine Verletzung oder Nichtverletzung der EMRK durch staatliches Verhalten gegenüber einem Individuum feststellen (vgl 11 Os 132/06 mwN). Nur für diesen Fall besteht ‑ bei Erfüllung der weiteren Erfordernisse des § 363a StPO ‑ eine aus Art 46 EMRK resultierende Verpflichtung zur Befolgung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wobei von einer Aufhebung auch eine (meritorische) Entscheidung des Obersten Gerichtshofs betroffen sein kann (vgl ErläutRV 33 BlgNR 20. GP 66).

Im Gegensatz dazu erkennt der Verfassungsgerichtshof im Verfahren nach Art 140 B‑VG über die Verfassungsmäßigkeit von Bundes‑ und Landesgesetzen. Prüfungsgegenstand ist dabei jede förmliche als Gesetz vom Nationalrat oder von einem Landtag erzeugte Norm ( Berka , Verfassungsrecht 5 40.6.2. Rz 1075). Gemäß Art 89 Abs 2 B‑VG ist der Oberste Gerichtshof bei verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine für sein Verfahren präjudizielle Norm verpflichtet (vgl VfSlg 11.248/1987 mwN), durch Antrag ein derartiges Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten. Stellt in der Folge der Verfassungsgerichtshof fest, dass das Gesetz verfassungswidrig war, so wirkt dies nur für den Anlassfall. Auf alle anderen vor dem Inkrafttreten der Feststellung verwirklichten Sachverhalte ist das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht (§ 140 Abs 7 B‑VG).

Die Prüfung einer Entscheidung oder Verfügung des von Art 92 Abs 1 B‑VG zur obersten Instanz in Zivil‑ und Strafrechtssachen bestimmten Obersten Gerichtshofs auf ihre Verfassungskonformität kommt dem Verfassungsgerichtshof ‑ im Gegensatz zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bei Konventionsverletzungen ‑ hingegen nicht zu.

In seinem Erkenntnis vom 10. März 2015, GZ G 180/2014‑30, G 216/2014‑25, G 232/2014‑27, G 42/2015‑4, G 77/2015‑5, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die verfassungswidrige Wortfolge auch in den zum damaligen Zeitpunkt beim Obersten Gerichtshof anhängigen Rechtssachen und in zwei weiteren in erster Instanz entschiedenen Verfahren (AZ 65 Hv 164/13g des Landesgerichts für Strafsachen Wien und AZ 4 Hv 127/14g des Landesgerichts für Strafsachen Graz) nicht mehr anzuwenden ist.

An der Geltung von § 126 Abs 4 dritter Satz StPO idF BGBl I 19/2004 in dem hier in Rede stehenden Verfahren hat sich daher nichts geändert. Vielmehr kann nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ein bereits aufgehobenes oder als verfassungswidrig erkanntes Gesetz wegen entschiedener Sache nicht neuerlich Gegenstand einer entsprechenden Aufhebung sein (Rz 47 des obgenannten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs; vgl auch Mayer/Muzak B‑VG 5 Art 140 B‑VG I.3, V.5). Ließe man nun in einem solchen Fall einen Erneuerungsantrag nach § 363a StPO per analogiam zu, würde dies die Befugnis des Obersten Gerichtshofs begründen, eine zum ursprünglichen Entscheidungszeitpunkt zulässig angewendete Gesetzes-bestimmung als verfassungswidrig zu beurteilen, sich über sie hinwegzusetzen und damit eine nicht einmal mehr dem Verfassungsgerichtshof zukommende Kompetenz wahrzunehmen. Auch aus diesem Grund kommt daher eine analoge Anwendung des § 363a StPO im vorliegenden Fall nicht in Betracht.

Überdies sind Rechtsakte wie Bescheide, Urteile, aber auch Gesetze oder Gesetzesaufhebungen nicht als (neue) Tatsachen anzusehen (vgl Lewisch, WK‑StPO § 353 Rz 43 f), sodass das Vorbringen der Erneuerungsanträge trotz des inzwischen ergangenen Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs mit den bereits geprüften Nichtigkeitsbeschwerden im Wesentlichen übereinstimmt (Reindl‑Krauskopf , WK‑StPO § 363a Rz 36).

Ein Antrag des Verurteilten auf Grund eines Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs, mit dem ein Gesetz als verfassungswidrig aufgehoben wurde, eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aufzuheben und in idem zu entscheiden, ist daher von vornherein unzulässig.

Auf das Vorbringen der Antragsteller zu den weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen und zu den behaupteten Konventionsverletzungen ist somit nicht einzugehen.

Die Anträge waren daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu ergangenen Änderungen der Antragsteller ‑ gemäß § 363b Abs 2 Z 2 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung als unzulässig zurückzuweisen.

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