European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0120OS00055.15B.0827.000
Spruch:
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Gründe:
Mag. Günter S***** und Dr. Gerhard K***** wurden mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 24. Mai 2012, GZ 18 Hv 100/11f‑373a, des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB, Letzterer in der Beteiligungsform des sonstigen Beitrags (§ 12 dritter Fall StGB), schuldig erkannt.
Mit ihren dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden wendeten sich die Genannten unter anderem aus den Gründen der Z 3 und Z 4 des § 281 Abs 1 StPO gegen die Bestellung des bereits im Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft beauftragten Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters Mag. Karl H***** zum Sachverständigen und gegen das Vorkommen (§ 258 Abs 1 StPO) von dessen Befund und Gutachten in der Hauptverhandlung. Das dazu erstattete Beschwerdevorbringen erhoben sie eventualiter zum Inhalt eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens.
Die Nichtigkeitsbeschwerden verwarf der Oberste Gerichtshof mit Urteil vom 2. Juli 2013, GZ 13 Os 131/12g‑18, und gab den Berufungen der Angeklagten Mag. Günter S***** und Dr. Gerhard K***** nicht Folge. Deren Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO wies er mit Beschluss vom selben Tag, GZ 13 Os 135/12w‑9, zurück.
Auch die erneut gestellten, ebenfalls eine aus der Sachverständigenbestellung, der mangelnden Einbeziehung von Privatsachverständigen in das Hauptverfahren und der fehlenden Verfassungskonformität des § 126 Abs 4 letzter Satz StPO resultierende Verletzung des Art 6 EMRK sowie eine Beeinträchtigung des Rechts auf eine wirksame Beschwerde (Art 13 EMRK) monierenden Anträge der Verurteilten Mag. Günter S***** und Dr. Gerhard K***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 11. Februar 2014, GZ 11 Os 177/13h‑5, zurück.
Jeweils unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 10. März 2015, G 180/2014‑30, G 216/2014‑25, G 232/2014‑27, G 42/2015‑4, G 77/2015‑5, mit dem dieser ausgesprochen hat, dass die Wortfolge „Sachverständigen oder“ in § 126 Abs 4 dritter Satz StPO idF BGBl I 2004/19 verfassungswidrig war, begehren Mag. Günter S***** und Dr. Gerhard K***** in getrennt vorgelegten, soweit hier von Relevanz im Wesentlichen jedoch inhaltsgleichen Schriftsätzen ein weiteres Mal die Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO, ohne sich auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berufen.
Rechtliche Beurteilung
Der Erledigung der Anträge ist voranzustellen, dass es sich bei einem nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrag um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt. Demgemäß gelten alle gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 EMRK sinngemäß auch für derartige Anträge. Nach Art 35 Abs 2 EMRK sind solche Beschwerden unzulässig, die im Wesentlichen mit einer bereits geprüften Beschwerde übereinstimmen (RIS‑Justiz RS0122737 [insb T11, T37, T42]).
Zum wiederholten Mal behaupten die Erneuerungswerber eine aus der Abweisung des Antrags auf Nichtverlesung und Nichterörterung des Sachverständigengutachtens sowie Nichtzulassung des Sachverständigen Mag. Karl H***** und aus der Bestellung dieses, ihrer Ansicht nach schon auf Grund seiner von der Staatsanwaltschaft beauftragten Tätigkeit im Ermittlungsverfahren „objektiv befangenen“ Sachverständigen in Verbindung mit der Abweisung des Antrags auf Verlesung und Erörterung von Privatsachverständigengutachten in der Hauptverhandlung resultierende Verletzung des Art 6 EMRK. Darüber hinaus machen sie erneut geltend, in ihrem Recht auf eine wirksame Beschwerde (Art 13 EMRK) beeinträchtigt zu sein, weil der mit der Nichtigkeitsbeschwerde befasste Senat 13 eine inhaltliche Prüfung des Vorbringens zur Verletzung des Art 6 Abs 3 lit d EMRK von einem entsprechenden Antrag abhängig gemacht und die angeregte Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof wegen verfassungsrechtlicher Bedenken an § 126 Abs 4 dritter Satz StPO idF BGBl I 19/2004 nicht vorgenommen habe.
Die vorliegenden Erneuerungsanträge sind unzulässig:
Die behaupteten Grundrechtsverletzungen wurden nämlich wie dargestellt ‑ teils sogar mehrfach ‑ von den Erneuerungswerbern bereits in ihren Nichtigkeitsbeschwerden gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 24. Mai 2012, GZ 18 Hv 100/11f‑373a und in ihren oben angeführten Anträgen auf Erneuerung des Strafverfahrens releviert, sodass dem Obersten Gerichtshof ‑ ohne vorherige Anrufung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ‑ eine erneute inhaltliche Befassung verwehrt ist. Soweit die Anträge ausdrücklich Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs selbst bekämpfen, sind sie überdies darauf zu verweisen, dass diese von vornherein nicht Gegenstand eines Erneuerungsantrags ohne vorherige Anrufung des EGMR sein können (RIS‑Justiz RS0122737 [insb T23, T39, T42]; Schroll , WK‑StPO § 23 Rz 3; Reindl‑Krauskopf , WK‑StPO § 363a Rz 36).
Die von den Antragstellern mit umfänglichem Vorbringen erhobene Forderung nach Zulässigkeit eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens in analoger Anwendung des § 363a StPO trotz Vorliegens einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs auch ohne Feststellung einer Konventionsverletzung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wenn sich eine Verletzung eines Konventionsrechts aus einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ergebe, versagt schon im Ansatz:
Voraussetzung für eine Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO ist eine mit Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festgestellte Konventionsverletzung durch eine richterliche Entscheidung oder Verfügung im Strafverfahren (vgl Reindl-Krauskopf , WK‑StPO Vor §§ 363a‑c Rz 10, § 363a Rz 5; ErläutRV 33 BlgNR 20. GP 66), wobei die über Individualbeschwerden (Art 34 EMRK) erkennenden Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte keine abstrakte Normenkontrolle üben, sondern ‑ grundsätzlich bezogen auf den konkreten Einzelfall ‑ eine Verletzung oder Nichtverletzung der EMRK durch staatliches Verhalten gegenüber einem Individuum feststellen (vgl 11 Os 132/06f mwN). Nur für diesen Fall besteht ‑ bei Erfüllung der weiteren Erfordernisse des § 363a StPO ‑ eine aus Art 46 Abs 1 EMRK resultierende Verpflichtung zur Befolgung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wobei von einer Aufhebung auch eine (meritorische) Entscheidung des Obersten Gerichtshofs betroffen sein kann (vgl ErläutRV 33 BlgNR 20. GP 66).
Im Gegensatz dazu erkennt der Verfassungsgerichtshof im Verfahren nach Art 140 B‑VG über die Verfassungswidrigkeit von Bundes- und Landesgesetzen. Prüfungsgegenstand ist dabei jede förmlich als Gesetz vom Nationalrat oder von einem Landtag erzeugte Norm (Berka, Verfassungsrecht5 40.6.2 Rz 1075). Gemäß Art 89 Abs 2 B‑VG ist der Oberste Gerichtshof bei verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine für sein Verfahren präjudizielle Norm verpflichtet (vgl VfSlg 11.248/1987 mwN), durch Antrag ein derartiges Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten. Stellt in der Folge der Verfassungsgerichtshof fest, dass das Gesetz verfassungswidrig war, so wirkt dies (nur) für den Anlassfall. Auf alle anderen vor dem Inkrafttreten der Feststellung verwirklichten Sachverhalte ist das Gesetz weiterhin anzuwenden, es sei denn, der Verfassungsgerichtshof spricht die Nichtanwendbarkeit aus (Art 140 Abs 7 B‑VG).
Die Prüfung einer Entscheidung oder Verfügung des ‑ von Art 92 Abs 1 B‑VG zur obersten Instanz in Zivil- und Strafrechtssachen bestimmten ‑ Obersten Gerichtshofs auf ihre Verfassungskonformität kommt dem Verfassungsgerichtshof hingegen nicht zu.
In seinem Erkenntnis vom 10. März 2015, G 180/2014‑30, G 216/2014‑25, G 232/2014‑27, G 42/2015‑4, G 77/2015‑5, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die verfassungswidrige Wortfolge auch in allen beim Obersten Gerichtshof zu diesem Zeitpunkt anhängigen Rechtssachen (vgl Rz 45) und in den in erster Instanz bereits entschiedenen Verfahren AZ 65 Hv 164/13g des Landesgerichts für Strafsachen Wien und AZ 4 Hv 127/14g des Landesgerichts für Strafsachen Graz (vgl Rz 48) nicht mehr anzuwenden ist.
An der Geltung von § 126 Abs 4 dritter Satz StPO idF BGBl I 19/2004 in dem hier in Rede stehenden Verfahren hat sich daher nichts geändert. Vielmehr kann nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ein bereits aufgehobenes oder als verfassungswidrig erkanntes Gesetz wegen entschiedener Sache nicht neuerlich Gegenstand einer entsprechenden Aufhebung sein (Rz 47 des obgenannten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs; vgl auch Mayer/Muzak B‑VG 5 [2015] Art 140 B‑VG I.3, V.5). Ließe man nun in einem solchen Fall einen Erneuerungsantrag gemäß § 363a StPO per analogiam zu, würde dies die Befugnis des Obersten Gerichtshofs begründen, eine zum ursprünglichen Entscheidungszeitpunkt zulässig angewendete Gesetzesbestimmung als verfassungswidrig zu beurteilen, sich über sie hinwegzusetzen und damit eine nicht einmal mehr dem Verfassungsgerichtshof zukommende Kompetenz wahrzunehmen. Auch aus diesem Grund kommt daher eine analoge Anwendung des § 363a StPO im vorliegenden Fall nicht in Betracht.
Überdies sind Rechtsakte wie Bescheide, Urteile, aber auch Gesetze oder Gesetzesaufhebungen nicht als (neue) Tatsachen anzusehen (vgl Lewisch, WK‑StPO § 353 Rz 43 f), sodass das Vorbringen der Erneuerungsanträge trotz des inzwischen ergangenen Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs mit den bereits geprüften Nichtigkeitsbeschwerden bzw Erneuerungsanträgen im Wesentlichen übereinstimmt (Reindl‑Krauskopf , WK‑StPO § 363a Rz 36).
Ein Antrag des Verurteilten aufgrund eines Urteils des Verfassungsgerichtshofs, mit dem ein Gesetz als verfassungswidrig aufgehoben wurde, eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aufzuheben und in idem zu entscheiden, ist daher von vornherein unzulässig.
Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof entgegen der von den Erneuerungswerbern unterstellten Prämisse, wonach im gegenständlichen Verfahren die Bestimmung des § 126 Abs 4 letzter Satz StPO präjudiziell sei, in seiner Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerden mit eingehender Begründung dargelegt, dass die angeführte Norm im vorliegenden Verfahren keine Rolle spielte (13 Os 131/12g, US 7). Soweit der Antragsteller Mag. Günter S***** dazu vorbringt, die Zulässigkeit eines Erneuerungsantrags sei immer nach Maßgabe des Antragsinhalts, nicht hingegen nach dem Inhalt der Entscheidungsbegründung zu beurteilen, verkennt er zudem, dass dieser Grundsatz für die Beurteilung des Zulässigkeitskriteriums der Übereinstimmung mit einer bereits geprüften Beschwerde gilt (vgl 11 Os 177/13h; RIS‑Justiz RS0122737 [T11 und T37]). Davon zu unterscheiden ist hingegen die vom Parteivorbringen unabhängige, vom Obersten Gerichtshof in der bekämpften Entscheidung verneinte Präjudizialität im Sinne des Art 89 Abs 2 B‑VG (vgl dazu näher Mayer/Muzak B‑VG 5 [2015] Art 89 B‑VG II.2.).
Auf das Vorbringen der Antragsteller zu den weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 EMRK sowie den behaupteten Konventionsverletzungen ist somit nicht mehr einzugehen.
Die Anträge waren daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerungen der Antragsteller gemäß § 363b Abs 2 Z 2 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung als unzulässig zurückzuweisen.
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