OGH 3Ob92/15y

OGH3Ob92/15y17.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. A. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr. Hubert Köllensperger, Mag. Wolfgang Stockinger, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei Mag. D*****, vertreten durch Dr. Ernst Fiedler, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Feststellung und Einverleibung einer Dienstbarkeit, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 15. Jänner 2015, GZ 53 R 268/14i‑23, womit das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 25. August 2014, GZ 17 C 1357/13s‑17, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0030OB00092.15Y.0617.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 838,44 EUR (hierin enthalten 139,74 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Die ‑ vom Berufungsgericht als Argument für die nachträgliche Zulassung der ordentlichen Revision übernommene ‑ Behauptung der Beklagten, das Berufungsgericht sei von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen, indem es sowohl bei der Beurteilung der ersessenen Dienstbarkeit als offenkundig iSd § 1500 ABGB als auch bei der Annahme, es bestehe ein unbeschränktes Geh‑ und Fahrtrecht, die tatsächliche Nutzung des dienenden Grundstücks während der Ersitzungszeit und allfällige künftige Erweiterungen dieser Nutzung in unzulässiger Weise vermischt habe, trifft nicht zu:

1. Der Inhalt von ersessenen Dienstbarkeiten bestimmt sich nach dem Zweck, zu dem das belastete Grundstück am Beginn der Ersitzungszeit verwendet wurde, also danach, was der Eigentümer des herrschenden Guts während dieser Zeit benötigte. Die Grenzen der Rechtsausübung sind bei ersessenen Dienstbarkeiten besonders genau zu beachten (RIS‑Justiz RS0011664 [T9]).

Von dieser Rechtsprechung sind die Vorinstanzen entgegen der Ansicht der Beklagten nicht abgewichen, indem sie von der Ersitzung eines uneingeschränkten Geh‑ und Fahrtrechts der Klägerin als der Eigentümerin einer (zu Wohnzwecken dienenden) Liegenschaft an der im Eigentum der Beklagten stehenden Stichstraße ausgegangen sind. Nach den Feststellungen wurde diese Stichstraße, die die Beklagte im Jahr 2008 (mehrere Jahre nach Ablauf der dreißigjährigen Ersitzungszeit) um den Kaufpreis von 500 EUR erworben hat (Beilage ./I, Punkt II.2.), nämlich während der gesamten Ersitzungszeit von der (damaligen) Eigentümerin des herrschenden Grundstücks und deren Angehörigen, Besuchern und sonstigen Besitzmittlern, wie insbesondere von ihr beauftragten Handwerkern und Lieferanten, regelmäßig nicht nur begangen, sondern auch mit Kraftfahrzeugen befahren, und zwar ‑ zum Ein‑ und Ausladen von eingekauften/mitgebrachten/wegzubringenden Sachen -überwiegend bis zum Gartentor, das sich etwa auf halber Höhe der Stichstraße befindet, und ein bis zwei Mal pro Jahr auch bis zu deren oberen Ende, von wo aus Heizmaterial auf das Grundstück der Klägerin gekippt wurde.

Es kann also keine Rede davon sein, dass die Rechtsvorgängerin der Klägerin das dienende Grundstück während der Ersitzungszeit lediglich in eingeschränktem Umfang, also nur zu einem bestimmten Zweck, wie beispielsweise für die Anlieferung von Heizmaterial, verwendet hätte; nur in diesem Fall wäre aber der Einwand der Beklagten berechtigt, dass die Klägerin sich nicht auf eine ersessene unbeschränkte Wegedienstbarkeit berufen könne. Vielmehr sind die festgestellten regelmäßigen Nutzungen der Stichstraße (Begehen, Befahren, Halten/Parken von Kraftfahrzeugen) derart umfassend, dass eine weitere potenzielle Verwendungsart (bei Nutzung des herrschenden Grundstücks zu Wohnzwecken) kaum denkbar erscheint.

Auf die vom Berufungsgericht ohnehin nur ergänzend angestellten Überlegungen, dass es sich bei einer (allfälligen künftigen) Erhöhung der Frequenz der Benützung der Zufahrtsstraße für wöchentliche Einkäufe mit dem Pkw um keine unzulässige Ausweitung der Servitut handeln würde, kommt es deshalb gar nicht an.

Durch die Klagestattgebung wäre die Beklagte auch nicht daran gehindert, in Zukunft gegebenenfalls eine nach § 484 ABGB unzulässige Ausweitung der Servitut ‑ beispielsweise im Rahmen einer künftigen gewerblichen Nutzung der Liegenschaft der Klägerin, also bei einer „Änderung der Bewirtschaftungsart“ (vgl dazu RIS‑Justiz RS0011718;

RS0011725) ‑ geltend zu machen.

2. Die Beklagte macht (wie schon in der Berufung) geltend, die Rechtsvorgängerin der Klägerin könne schon deshalb kein uneingeschränktes Geh‑ und Fahrtrecht an der Stichstraße ersessen haben, weil ein Einfahren auf ihr Grundstück während der gesamten Ersitzungszeit nicht möglich war (und nach wie vor ist). Dem ist zu erwidern, dass es allein im Ermessen des Eigentümers liegt, ob er seine Liegenschaft nicht nur betritt, sondern auch mit einem Fahrzeug befährt (§ 362 ABGB), und dass er dafür insbesondere nicht die Zustimmung des Eigentümers eines anderen (hier des dienenden) Grundstücks bzw eine entsprechende Dienstbarkeit benötigt. Es liegt deshalb auf der Hand, dass die Ersitzung der Wegedienstbarkeit, die das Zufahren (wie auch den Zugang) zum herrschenden Grundstück überhaupt erst ermöglicht, nicht davon abhängig sein kann, ob der Servitutsberechtigte seine Liegenschaft so gestaltet hat, dass er mit einem Kraftfahrzeug auch in diese einfahren kann.

3. Im Hinblick darauf, dass der Klägerin bereits ausgehend vom festgestellten Nutzungsumfang, der der Beklagten, wie sie in der Revision ausdrücklich zugesteht, während der Ersitzungszeit positiv bekannt war, ein uneingeschränktes Wegerecht zusteht, gehen die weiteren Revisionsausführungen zur Frage der (vermeintlich) fehlenden Offenkundigkeit der Servitut und der daraus resultierenden Gutgläubigkeit der Beklagten iSd § 1500 ABGB, nämlich dass diese nicht nachforschen habe müssen, ob eine über die festgestellte Nutzung hinausgehende (nach ihrer Ansicht ohnehin faktisch nicht mögliche) Verwendung der Stichstraße erfolgt sei, ins Leere. Aus diesem Grund ist auch die in der Revision zitierte Entscheidung 10 Ob 291/99p nicht einschlägig.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RIS‑Justiz RS0035979 [T16]).

Stichworte