OGH 13Os41/15a

OGH13Os41/15a10.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Juni 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kampitsch als Schriftführer in der Finanzstrafsache gegen Ulrich S***** und einen anderen Angeklagten wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG aF, AZ 12 Hv 80/11t des Landesgerichts Leoben, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 19. März 2012 (ON 25 S 3) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Prof. Dr. Aicher, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0130OS00041.15A.0610.000

 

Spruch:

 

In der Strafsache AZ 12 Hv 80/11t des Landesgerichts Leoben verletzt der Beschluss dieses Gerichts vom 19. März 2012 (ON 25 S 3) § 53 Abs 1 erster Satz StGB iVm § 26 Abs 1 erster Satz FinStrG.

Dieser Beschluss wird ersatzlos aufgehoben.

 

Gründe:

Mit seit 20. Juli 2010 rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Leoben vom 14. Juli 2010, AZ 34 Hv 29/10b, wurden Ulrich S***** und Jochen S***** jeweils des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 StGB, Ersterer auch des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB, schuldig erkannt. Das Gericht verhängte hiefür Freiheitsstrafen von je zwei Monaten, welche es jeweils unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachsah (ON 20 S 1 und ON 21 S 1).

Mit gekürzt ausgefertigtem (§ 270 Abs 4 StPO) Urteil vom 19. März 2012 (ON 25) sprach das Landesgericht Leoben Ulrich S***** und Jochen S***** jeweils (richtig) mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG (zu ergänzen: idF vor BGBl I 2010/104) schuldig und verhängte hiefür über beide Angeklagte unter Bedachtnahme auf § 21 Abs 1 und 2 FinStrG nach § 38 Abs 1 FinStrG eine Geldstrafe von 100.000 Euro, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe (§ 20 FinStrG) von vier Monaten.

Mit zugleich ergangenem Beschluss sah das Landesgericht Leoben vom Widerruf der mit Urteil dieses Gerichts vom 14. Juli 2010, AZ 34 Hv 29/10b, gewährten bedingten Strafnachsichten ab (§ 494a Abs 1 Z 2 StPO) und verlängerte die diesbezüglichen Probezeiten im Sinn des § 494a Abs 6 StPO auf fünf Jahre (ON 25 S 3).

Nach dem Referat im Tenor des Urteils des Landesgerichts Leoben vom 19. März 2012 (ON 25 S 2) haben Ulrich S***** und Jochen S***** als Verantwortliche der S***** OG Verkürzungen an Einkommensteuer und Umsatzsteuer für die Veranlagungsjahre 2004 bis 2009 um insgesamt rund 126.000 Euro (Ulrich S*****) bzw etwa 107.000 Euro (Jochen S*****) bewirkt.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzs zutreffend ausführt, verletzt der Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 19. März 2012 (ON 25 S 3) das Gesetz:

Nach § 26 Abs 1 erster Satz FinStrG gelten für die bedingte Nachsicht der durch die Gerichte für Finanzvergehen verhängten Geldstrafen, Wertersätze und Freiheitsstrafen sowie für die bedingte Entlassung aus einer solchen Freiheitsstrafe die §§ 43, 43a, 44 Abs 1, 46, 48 bis 53, 55 und 56 StGB sinngemäß.

Für die hier interessierende Rechtsfrage bedeutet dies, dass das Gericht die bedingte Strafnachsicht zu widerrufen und die Strafe vollziehen zu lassen hat, wenn der Rechtsbrecher wegen einer während der Probezeit begangenen strafbaren Handlung verurteilt wird und der Widerruf in Anbetracht der neuerlichen Verurteilung zusätzlich zu dieser geboten erscheint, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten (§ 53 Abs 1 erster Satz StGB).

Grundvoraussetzung für eine Entscheidung über den Widerruf infolge erneuter Delinquenz ist somit ‑ soweit hier von Interesse (vgl § 53 Abs 1 letzter Satz StGB) ‑ eine „während der Probezeit begangene strafbare Handlung“, wobei insoweit auf jenen Zeitpunkt abzustellen ist, in dem der Täter gehandelt hat oder hätte handeln sollen (vgl Jerabek in WK 2 StGB § 53 Rz 6).

Bei auf zu veranlagende Abgaben bezogenen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 StGB ist Tatzeitpunkt gegebenenfalls jener der Abgabe der unrichtigen Jahressteuererklärung, im Fall des Unterlassens der Abgabe einer Jahressteuererklärung bis zum gesetzlich vorgesehenen Endzeitpunkt eben dieser (vgl Lässig in WK 2 FinStrG Vorbem Rz 9).

Da das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 19. März 2012 (ON 25) keine Feststellungen dazu enthält, welche dieser Begehungsvarianten hier vorliegt, steht der Handlungszeitpunkt nicht fest, womit die Urteilskonstatierungen den Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten und Verlängerung der diesbezüglichen Probezeiten (§ 53 Abs 3 erster Satz StGB iVm § 26 Abs 1 erster Satz FinStrG) nicht tragen.

Zumal diese Gesetzesverletzung geeignet ist, zum Nachteil der Angeklagten zu wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO), wobei der in Rede stehende Beschluss ersatzlos aufgehoben wurde. Mit Blick auf die vom Schuldspruch umfassten Veranlagungsjahre steht nämlich ‑ ausgehend vom (oben dargelegten) finanzstrafrechtlichen Tatbegriff ‑ fest, dass der spätest mögliche Tatzeitpunkt der gesetzliche Endzeitpunkt zur Abgabe der Steuererklärung für das Jahr 2009, sohin der 30. Juni 2010 (vgl Lässig in WK 2 FinStrG § 33 Rz 36), ist, womit Konstatierungen in Richtung eines innerhalb der Probezeiten ‑ die erst am 20. Juli 2010 zu laufen begannen ‑ liegenden Tatzeitpunkts aus rechtlichen Gründen auszuschließen sind.

Im Hinblick auf die weitere Argumentation der Generalprokuratur sei hinzugefügt, dass der Widerruf bedingter Strafnachsicht aufgrund gerichtlicher Verurteilung wegen eines innerhalb der Probezeit begangenen Finanzvergehens (bei Vorliegen auch der übrigen Voraussetzungen) auch dann im Einklang mit § 53 Abs 1 erster Satz StGB stünde, wenn die der Probezeit zugrundeliegende bedingte Strafnachsicht in Bezug auf den Schuldspruch wegen einer strafbaren Handlung nach dem StGB gewährt worden wäre. § 53 Abs 1 erster Satz StGB stellt insoweit nämlich auf die Begehung einer „strafbaren Handlung“ ab, von welchem Begriff auch „Finanzvergehen“ (als rechtliche Kategorien [hiezu Lässig in WK 2 FinStrG § 1 Rz 1]) umfasst sind (vgl auch Seiler/Seiler , FinStrG 4 § 26 Rz 54). Daraus, dass § 26 Abs 1 erster Satz FinStrG (bloß) „sinngemäß“ auf die Bestimmungen des StGB über die bedingte Strafnachsicht und die bedingte Entlassung verweist, ist insoweit keine Einschränkung abzuleiten. Diese Verweistechnik trägt vielmehr dem Umstand Rechnung, dass die Strafensysteme des StGB und des FinStrG nicht deckungsgleich sind. So umfasst § 26 Abs 1 erster Satz FinStrG beispielsweise auch die Strafe des Wertersatzes (§ 19 FinStrG), welche Sanktion im StGB überhaupt nicht vorgesehen ist.

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