OGH 11Os49/15p

OGH11Os49/15p28.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. April 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Michel als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kampitsch als Schriftführer in der Strafsache gegen Abdelrahman A***** wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 30 HR 58/15i des Landesgerichts Innsbruck, über dessen Grundrechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom 9. März 2015, AZ 7 Bs 63/15w (unjournalisiert in den Akten 30 HR 58/15i des Landesgerichts Innsbruck, 21 St 26/15g der Staatsanwaltschaft Innsbruck) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Abdelrahman A***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Dem Bund wird der Ersatz der Beschwerdekosten von 800 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.

Gründe:

Mit Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 25. Februar 2015 wurde die über Abdelrahman A***** am 11. Februar 2015 verhängte (ON 10) Untersuchungshaft aus den Haftgründen des § 173 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit a StPO fortgesetzt (ON 23).

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobenen Haftbeschwerde des Beschuldigten (ON 24) gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit dem angefochtenen Beschluss vom 9. März 2015 nicht Folge und ordnete seinerseits die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Verdunkelungs- und der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit a StPO an.

Dabei erachtete das Beschwerdegericht Abdelrahman A***** korrespondierend mit dem Erstgericht als dringend verdächtig, seit zumindest Anfang 2014 Mitglied eines Regiments der in Syrien operierenden islamistischen Terrorgruppe „Junud Ash Sham“ zu sein, welche gemeinsam mit dem „Islamischen Staat (IS)“ und der „Al Quaida“ operiere. Im Zuge seiner Beteiligung an dieser terroristischen Vereinigung habe er Anfang 2014 in einer I***** Moschee Tamalan S***** für den „Dschihad“ in Syrien angeworben und in das Kampfgebiet begleitet. Im gleichen Zeitraum habe er versucht, Deblitsch S***** für den „Dschihad“ anzuwerben, was jedoch nicht gelungen sei. Darüber hinaus stehe A***** nach Auffassung des Oberlandesgerichts im dringenden Verdacht, im Mai oder Juni 2014 Abdulkadir C***** für die Terrorgruppe „Junud Ash Sham“ rekrutiert und Mitte Juni 2014 in ein Camp der Terrorgruppe in Syrien begleitet zu haben, wobei C***** eine weitere Fahrt im September 2014 in der Türkei abgebrochen habe.

In rechtlicher Hinsicht subsumierte das Oberlandesgericht dieses Verhalten gerade noch hinreichend deutlich erkennbar dem Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (BS 7 f).

Gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck richtet sich die fristgerecht erhobene, gegen die Annahme des dringenden Tatverdachts gerichtete Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten (ON 28).

Soweit der Beschwerdeführer Feststellungen zur von ihm intendierten Subsumtion nach § 278 f StGB vermisst, lässt er keinen Bezug zur Entscheidung des Oberlandesgerichts erkennen.

Mit Recht wendet die Grundrechtsbeschwerde allerdings im Ergebnis das Fehlen einer Sachverhaltsbasis zur Annahme der Beteiligung an einer terroristischen Organisation ein.

Setzt das Oberlandesgericht im Rahmen einer Beschwerdeentscheidung (§ 87 Abs 1 StPO) die Untersuchungshaft fort, muss es nämlich selbst Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht treffen, welche die rechtliche Beurteilung ermöglichten, ob durch die solcherart als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen ‑ objektiv wie subjektiv ‑ eine hafttragende strafbare Handlung begründet wird (RIS‑Justiz RS0120817).

Diesem Erfordernis wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht, weil sie durch den inhaltsleeren Verweis auf den im Sprachgebrauch differenziert verwendeten Begriff „Dschihad“, die verba legalia des § 278b Abs 2 iVm § 278 Abs 3 StGB und die Bezugnahme auf Erhebungsergebnisse des Landesamts für Verfassungsschutz in ON 20 „Beschreibung der Gruppe Junud Ash Sham“ alleine keine zur Beurteilung der „Junud Ash Sham“ als terroristische Vereinigung tauglichen Feststellungen trifft.

Nach § 278b Abs 3 StGB ist eine terroristische Vereinigung ein auf längere Zeit angelegter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, der darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung eine oder mehrere terroristische Straftaten (§ 278c Abs 1 StGB) ausgeführt werden oder Terrorismusfinanzierung (§ 278d StGB) betrieben wird. Die Annahme der Begehung einer terroristischen Straftat, auf die sich die Ausrichtung des Zusammenschlusses im ersten Fall beziehen muss, hat somit drei Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen. Zunächst muss die Ausrichtung des Zusammenschlusses auf die Verwirklichung zumindest einer der in § 278c Abs 1 StGB taxativ aufgezählten strafbaren Handlungen abzielen. Weiters muss eine solche Tat eine terroristische Eignung aufweisen, diese objektiv vorliegen und vom Vorsatz umfasst sein (vgl dazu Plöchl in WK2 StGB § 278c Rz 6 ff; Fabrizy, StGB11 § 278c Rz 3). Schließlich muss der Täter mit dem erweiterten Vorsatz handeln, dass die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise eingeschüchtert, öffentliche Stellen oder internationale Organisationen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staats oder einer internationalen Organisation ernsthaft erschüttert oder zerstört werden (vgl dazu Fabrizy, StGB11 § 278c Rz 4; Plöchl in WK2 StGB § 278c Rz 12 ff). Feststellungen dazu lassen sich der Beschwerdeentscheidung nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit entnehmen. Hinsichtlich der Beteiligung als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung (§ 278b Abs 2 StGB) verweist das Gesetz auf die Definition des § 278 Abs 3 StGB. Darunter ist sowohl die Begehung einer konkreten der Vereinigung zurechenbare strafbare Handlung ‑ gleich in welcher Täterschaftsform des § 12 StGB ‑ als auch die (aktive) Beteiligung an sonstigen Aktivitäten der Vereinigung zu verstehen, sofern Letzteres im Wissen (§ 5 Abs 3 StGB) geschieht, dass dadurch die Vereinigung oder durch sie zu begehende Straftaten gefördert werden (Fabrizy, StGB11 § 278b Rz 4). Auch zu dieser nach der Verdachtslage angenommenen Intention des Beschuldigten trifft die Beschwerdeentscheidung keine Feststellungen.

Die aufgezeigten Defizite der Sachverhaltsannahmen verletzen den Beschuldigten in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit und erfordern eine unverzügliche Klärung der Haftvoraussetzungen im Rahmen einer Haftverhandlung (Kier in WK² GRBG § 2 Rz 32 f, § 7 Rz 6 ff). Mit Blick auf die eine dringende Verdachtslage nach §§ 278b Abs 2, 12 zweiter Fall, 15, 278 Abs 2 StGB indizierenden Verfahrensergebnisse (vgl insbesondere ON 2 S 147 ff, 153, 103 f, ON 20 S 5 f, 9, 17, 19, 125) erzwingen sie aber nicht die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses (§ 7 Abs 1 GRBG; RIS‑Justiz RS0119858).

Der Kostenausspruch beruht auf § 8 GRBG.

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