OGH 11Os154/14b

OGH11Os154/14b10.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. März 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bachl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Harald M***** wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 19. August 2014, GZ 26 Hv 23/13g‑83, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Mandl zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0110OS00154.14B.0310.000

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, in den Freispruchspunkten 1./ und 3./ aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache dazu an das Landesgericht Feldkirch verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Harald M***** gemäß § 259 Z 3 StPO von dem wider ihn erhobenen Vorwurf (zu Unrecht auch von der rechtlichen Kategorie) freigesprochen, er habe

„in N***** die ihm durch Rechtsgeschäft, nämlich Anstellungsvertrag und Prokura eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, wissentlich missbraucht und dadurch dem anderen einen Vermögensnachteil zugefügt, wobei er einen 50.000 Euro übersteigenden Schaden herbeigeführt habe, indem er als Angestellter und Prokurist der L***** GmbH Provisionsverträge mit der La***** Ltd abgeschlossen und nachgenannte Beträge, die der La***** Ltd mangels Verdienstlichkeit gar nicht zugestanden hätten, als (vorgebliche) Provisionen anweisen ließ, und zwar im Zusammenhang mit dem Projekt

1./ P*****, Projekt *****, im Dezember 2006 71.950 Euro;

2./ A*****, Projekt *****, im März bzw August 2007 jeweils 38.300 Euro, insgesamt sohin 76.600 Euro;

3./ Po*****, Projekt ***** bzw *****, im August 2006 46.000 Euro.“

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft

Über Ersuchen der Staatsanwaltschaft Feldkirch war der Zeuge Richard My***** am 14. Mai 2012 von der Polizeibehörde in M*****/Norwegen zum Sachverhaltskomplex „P*****“ und „Po*****“ vernommen worden (ON 13 S 3 ff). Abschließend erklärte er dabei sinngemäß, an einer Hauptverhandlung nur teilzunehmen, wenn sich dies mit seinen beruflichen Verpflichtungen vereinbaren lasse (ON 13 S 11).

Mit Schreiben vom 24. Juli 2014 (ON 81 S 3) teilte diese Polizeibehörde mit, Richard My***** die Ladung zu der am 19. August 2014 vor dem Landesgericht Feldkirch stattfindenden Hauptverhandlung ausgefolgt zu haben. Dieser sei darüber informiert, nicht verpflichtet zu sein, dieser Ladung Folge zu leisten, und im Übrigen der Auffassung, das Notwendige beigetragen zu haben, um Licht in die Angelegenheit zu bringen und den Fall aufzuklären.

In der Hauptverhandlung am 19. August 2014 beantragte der Staatsanwalt die Vernehmung des ‑ nicht erschienenen ‑ Zeugen Richard My***** im Rechtshilfeweg mittels Videokonferenz, erforderlichenfalls unter Vorführung des Zeugen im Weg des zuständigen Rechtshilfeorgans zum Beweis dafür, dass dessen bisherige Aussagen richtig sind, wonach nie besprochen worden und/oder vorgesehen gewesen sei, dass er etwas von den gegenständlichen Geldern erhalte und er tatsächlich auch nichts erhalten habe (ON 82 S 4).

Nach der abweislichen schöffengerichtlichen Beschlussfassung behielt sich der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft die Nichtigkeitsbeschwerde vor (ON 82 S 5).

Von einer Verlesung der polizeilichen Niederschrift über die Vernehmung des Zeugen My***** im Rechtshilfeweg (ON 13) sah das Erstgericht über Begehren von Anklage und Verteidigung ‑ ausdrücklich ‑ ab (ON 82 S 5, 6).

Die die Abweisung des Beweisantrags bekämpfende Verfahrensrüge (Z 4) ist ‑ teilweise ‑ berechtigt.

Gemäß § 247a Abs 2 StPO kann ein Zeuge, der wegen seines Aufenthalts im Ausland nicht in der Lage oder willens ist, vor Gericht zu erscheinen, unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung (Abs 1 leg cit) vernommen werden, sofern die zuständige ausländische Behörde Rechtshilfe leistet.

Staatsanwaltschaft und Angeklagter können angesichts der gegenüber einer Verlesung einer früheren Aussage höheren Beweisqualität (Kirchbacher, WK-StPO § 247 Rz 9) ‑ unter dem Schutz des § 281 Abs 1 Z 4 StPO ‑ die in dieser Form vorzunehmende Vernehmung eines Zeugen in der Hauptverhandlung beantragen (vgl 13 Os 135/11v).

Gemäß der kraft Verweisung (§ 238 Abs 1 StPO) auch für das Hauptverfahren geltenden Vorschrift des § 55 Abs 1 StPO hat ein Antrag auf Beweisaufnahme Beweisthema, Beweismittel und jene Informationen, die für die Durchführung der Beweisaufnahme erforderlich sind, zu enthalten. Soweit dies nicht offensichtlich ist, ist zu begründen, weswegen das Beweismittel geeignet sein könnte, das Beweisthema zu klären.

Im vorliegenden Fall betrifft das Beweisthema, dass mit Richard My***** ‑ betreffend die Projekte P***** und Po***** ‑ weder eine Provision vereinbart worden wäre noch dass er eine solche im Weg der La***** Ltd erhalten habe, eine entscheidende Tatsache, nämlich den behaupteten Rechtsgrund für die zu 1./ und 3./ inkriminierten Zahlungen. Ein Beweisergebnis dazu ist im Hinblick auf die bei seiner polizeilichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren gemachten, den Angeklagten belastenden Angaben des Zeugen Richard My*****, auf die die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Beweisantragstellung in der Hauptverhandlung verwiesen hat, offensichtlich zu erwarten.

Was der Zeuge My***** in Bezug auf das Projekt A***** (2./ des Freispruchs) zur Überführung des Angeklagten beitragen könnte, ist hingegen nicht ohne weiteres ersichtlich, weil er von der norwegischen Polizei nur zu den Projekten P***** und Po***** befragt wurde und seine Angaben keinen Hinweis auf irgendeine Involvierung seiner Person in ein weiteres Projekt enthalten. Es wäre daher Sache der Staatsanwaltschaft gewesen, die Erheblichkeit der Aussage des Zeugen My***** (auch) in Bezug auf den Anklagevorwurf 2./ bei der Antragstellung in der Hauptverhandlung darzulegen. Das dazu in der Nichtigkeitsbeschwerde nachgetragene Vorbringen ist wegen des spezifischen Neuerungsverbots unbeachtlich (vgl RIS‑Justiz RS0099618).

Gemäß § 55 Abs 2 StPO sind unzulässige, unverwertbare und unmögliche Beweise nicht aufzunehmen. Nach dem bisherigen Verfahrensverlauf ist die Unmöglichkeit der begehrten Beweisaufnahme aber nicht anzunehmen. Vielmehr ist der Zeuge My***** im gegenständlichen Zusammenhang den Ladungen vor norwegischen Behörden stets nachgekommen. Dass er der Ladung zur Hauptverhandlung vor dem Landesgericht Feldkirch keine Folge geleistet, sondern schon bei Übernahme der Ladung auf seine bisher vor der Polizei gemachten Angaben verwiesen hat, lässt nicht den Schluss zu, dass er eine mittels Videokonferenz dem österreichischen Gericht übertragene Vernehmung (Art 10 EURHÜ) vor einer norwegischen Behörde (Beitritt des Königreich Norwegens zum EURHÜ am 19. Dezember 2003, ABl 2004/26, 3) verweigern würde. Dafür, dass die norwegische Behörde in diesem Fall von Zwangsmitteln absehen würde, deren Zulässigkeit sie nach ihrem Recht (§ 115 der norwegischen Strafprozessordnung [Straffeprosessloven 1981]) als ersuchter Staat zu beurteilen hätte, fehlt ebenfalls jeder Anhaltspunkt. Dass nach Art 8 EuRHÜb Zwangsmittel gegenüber Zeugen, denen auf Ersuchen eines anderen Staats eine Vorladung zugestellt worden ist, grundsätzlich unzulässig sind und § 72 Abs 1 ARHG für einen solchen Fall schon die Androhung von Zwang gegenüber einem Zeugen verbietet, schließt keineswegs aus, dass der ersuchte Staat die Vernehmung eines Zeugen im Aufenthaltsstaat nach nationalem Recht erzwingt (Art 10 Abs 4 EURHÜ).

Zwar setzt eine Videokonferenz mit einem Zeugen in der Hauptverhandlung voraus, dass die zuständige ausländische Behörde Rechtshilfe leistet; das erforderliche Einvernehmen mit den Justizbehörden des Aufenthaltsstaats des Zeugen hat aber das Gericht herzustellen (Kirchbacher, WK-StPO § 247a Rz 7).

Demnach wurden durch Abweisung des Beweisantrags betreffend die Freispruchspunkte 1./ und 3./ Verfahrensgrundsätze hintangesetzt, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Strafverfolgung sichernden, fairen Verfahrens geboten ist.

In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Verteidigers war das angefochtene Urteil daher in diesem Umfang aufzuheben und dem Landesgericht Feldkirch die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen; im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

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