OGH 2Nc1/15t

OGH2Nc1/15t27.1.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. A***** L*****, geboren am ***** 2007, 2. W***** L*****, geboren am ***** 2008, und 3. M***** L*****, geboren am ***** 2010, wegen Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 2 JN, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020NC00001.15T.0127.000

 

Spruch:

Die vom Bezirksgericht Graz-Ost verfügte Übertragung der Zuständigkeit in der dort zu 259 Pu 252/13w anhängigen Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Wiener Neustadt wird genehmigt.

Text

Begründung

Die Eltern der Kinder haben in Kamerun die Ehe geschlossen. Sie leben nicht im gemeinsamen Haushalt. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Graz‑Ost vom 17. 1. 2014 wurde der Unterhalt für die Kinder festgesetzt. Aufgrund des weiteren Beschlusses vom 16. 4. 2014 werden Unterhaltsvorschüsse gewährt.

Am 17. 6. 2014 beantragte der Vater die Herabsetzung der Unterhaltsleistungen an die Kinder. Er behauptete, seit 1. 10. 2012 einen Export-/Importhandel zu betreiben und legte eine Einkommenssteuererklärung für das Jahr 2013 sowie einen Auszug aus dem Gewerberegister vor. Die vom Kinder- und Jugendhilfeträger vertretenen Kinder übermittelten eine Stellungnahme der Mutter, in der diese behauptete, dass der Vater auch in Gabun eine „Exportfirma“ mit Hauptsitz in Kamerun betreibe.

Anlässlich seiner Vorsprache beim Bezirksgericht Graz‑Ost am 19. 8. 2014 bestritt der Vater diese Behauptung und legte ua einen Bescheid vom 30. 6. 2014 über die Gewährung von Leistungen nach dem Steiermärkischen Mindestsicherungsgesetz vor. Der um eine Äußerung ersuchte Kinder- und Jugendhilfeträger teilte daraufhin dem Pflegschaftsgericht mit, dass die Mutter mit den Kindern mittlerweile an eine (aktenkundige) Adresse in Wiener Neustadt verzogen sei.

Mit Beschluss vom 22. 8. 2014 übertrug das Bezirksgericht Graz‑Ost die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache gemäß § 111 Abs 1 und 2 JN an das Bezirksgericht Wiener Neustadt. Dieses lehnte die Übernahme des Pflegschaftsverfahrens mit dem Hinweis auf den offenen Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters und die bereits aufgenommenen Beweise ab.

Das Bezirksgericht Graz‑Ost, dessen Übertragungsbeschluss unbekämpft in Rechtskraft erwachsen ist, legte die Akten gemäß § 111 Abs 2 JN dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Übertragung ist zu genehmigen.

Wenn es im Interesse des Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird, kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen (§ 111 Abs 1 JN). Ausschlaggebendes Kriterium für die Zuständigkeitsübertragung nach dieser Gesetzesstelle ist das Kindeswohl (RIS‑Justiz RS0047074). Dabei ist in der Regel das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung, sodass im Allgemeinen das Gericht am Besten geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat und der Mittelpunkt seiner Lebensführung liegt (RIS‑Justiz RS0047300). Offene Anträge sprechen im Allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung, sofern nicht dem übertragenden Gericht für die ausstehende Entscheidung besondere Sachkenntnis zukommt (RIS‑Justiz RS0047032).

Im vorliegenden Fall hat das Bezirksgericht Graz‑Ost zwar den Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters protokolliert, ihn zur Behauptung der Mutter, dass er in Gabun ein weiteres Unternehmen betreibe, einvernommen und die von ihm vorgelegten Urkunden zum Akt genommen. Abschließende Erhebungen zu den Einkünften des Vaters wurden aber noch nicht durchgeführt. Davon abgesehen kommt es bei der Unterhaltsfestsetzung in erster Linie auf rechnerische Aspekte an (vgl 2 Nc 23/11x).

Mit Beschluss vom 15. 9. 2014 hatte das Bezirksgericht Graz‑Ost überdies die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache auch hinsichtlich der Personensorge an das Bezirksgericht Wiener Neustadt übertragen. Mit Beschluss vom 12. 1. 2015 wurde diese Zuständigkeitsübertragung durch den Obersten Gerichtshof gemäß § 111 Abs 2 JN genehmigt. Ein unerledigter Obsorgeantrag wurde nicht als Hindernis erachtet, weil insoweit noch gar kein Beweisverfahren stattgefunden hat (2 Nc 31/14b).

Mag es wegen der Eigenständigkeit der in einem gemeinschaftlichen Pflegschaftsakt zusammengefassten Verfahren (vgl § 142 AußStrG) grundsätzlich zulässig sein, nur einzelne der gemeinschaftlichen Akten an ein anderes Gericht zu übertragen, wird es im Allgemeinen doch im Interesse des Kindeswohls liegen und zweckmäßig sein, wenn für die Entscheidung über mehrere offene Anträge in diesen Verfahren ein und dasselbe Pflegschaftsgericht zuständig ist (2 Nc 6/11x).

Die Übertragung ist daher zu genehmigen.

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