OGH 1Ob229/14d

OGH1Ob229/14d22.1.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** GesmbH, *****, vertreten durch die Kölly Anwälte OG, Oberpullendorf, gegen die beklagte Partei Elisabeth B*****, Inhaberin der Firma K***** eU, *****, vertreten durch Dr. Stefan Wurst und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen 212.020,55 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei (Rekursinteresse: 211.804,19 EUR sA) gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 29. September 2014, GZ 18 R 27/14w‑31, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 11. November 2013 (Ausfertigung datiert mit 31. Dezember 2013), GZ 9 C 1002/11d‑27, aufgehoben wurde, den

Beschluss

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung zurückverwiesen.

Begründung

§ 6 Haftung, Gewährleistung, Schadenersatz

Die Beklagte gehörte dem Unternehmen der Klägerin 18 Jahre an und kannte daher im Jahr 2004 jedenfalls die Art des Geschäfts und die Struktur des Unternehmens. Dem Vertragsabschluss gingen über Monate hinweg intensive Gespräche voraus.

Anders als die Klägerin, die ihre Dienstnehmer als Angestellte beschäftigt hatte, arbeitet die Beklagte mit freien Dienstverträgen und Werkverträgen. Ebenso wie zuvor die Klägerin muss die Beklagte jährlich eine Tourismusabgabe an alle Gemeinden abführen, in denen sie tätig ist und deren Höhe sich nach dem erzielten Umsatz je Gemeinde errechnet. Das von der Klägerin überlassene Buchhaltungsprogramm schlüsselt diese Umsätze nicht nach Gemeinden auf. Auf diesen Umstand wurde die Klägerin bereits im Jahr 2004 hingewiesen. Die Beklagte nahm nach 2004 dahingehend Änderungen im Mahnwesen vor, dass sie einen engeren Mahnrhythmus vorgab und säumige Klienten telefonisch und schriftlich mahnte. Aus diesem Grund ergaben sich technische Probleme mit dem automatisierten Mahnwesen des überlassenen Buchhaltungsprogramms.

Das Berufungsgericht ließ gemäß § 519 (Abs 1 Z 2) ZPO den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil zur Frage des Beginns der Gewährleistungs‑ und Schadenersatzfristen bei (Software‑)Lizenzverträgen mit monatlichen Lizenzgebühren Rechtsprechung fehle.

Gegen den Beschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Klägerin mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, dem Rechtsmittel der Prozessgegnerin nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsbegehrens auch berechtigt.

1. Gegenstand des am 28. 6. 2004 abgeschlossenen Kooperations‑ und Lizenzvertrags ist die „Lizenzvergabe an der von der Klägerin entwickelten Software‑Branchenlösung, die Zurverfügungstellung der von der Klägerin aufgebauten Strukturen und die Bereitstellung des branchen‑ und unternehmensspezifischen Know‑hows“ der Klägerin an die Beklagte gegen Zahlung monatlicher Lizenzgebühren.

Zu diesem Zweck räumte die Klägerin der Beklagten das Nutzungs‑ und Bearbeitungsrecht an zwei Internetplattformen, deren Domaininhaberin sie ist, ein und stellt ihr einen Partnervermittlungsvertrag zur Verfügung. Diese Leistungen nutzt die Beklagte nach wie vor.

Weiters überließ ihr die Klägerin eine EDV‑Datenbank mit (vorformulierten) Inseraten und Textbausteinen, die die Beklagte nach ihrem Vorbringen für nicht mehr brauchbar erachtet, weil sie für jeden Partnersuchenden ein individuelles Inserat schaltet. Die Klägerin erbringt aber insofern die vereinbarte und geschuldete Leistung, stellt sie doch eine Datenbank mit Textbausteinen zur Verfügung, womit sich kundenspezifische Inserate in kürzerer Zeit und damit kostengünstig erstellen lassen. Wenn die, dies nicht bestreitende, Beklagte demgegenüber mit der Datenbank individuelle Inserate gestalten will, liegt weder eine Leistungsstörung noch ein rechtswidriges Verhalten der Klägerin vor, sodass die Beklagte daraus keine Ansprüche ableiten kann.

Zudem räumt die Klägerin der Beklagten die Nutzung eines in ihrem Eigentum stehenden und urheberrechtlich geschützten Software‑Pakets ein, an dem der Beklagten ein Bearbeitungsrecht zusteht; weiters stellt sie ihr die Vernetzung dieses Software‑Pakets mit einem Buchhaltungsprogramm, das bestimmte Kriterien erfüllt, zur Verfügung. Hinsichtlich des Software‑Pakets und der Verknüpfung mit dem Buchhaltungsprogramm bestehen keine Wartungs‑, Instandhaltungs‑ oder Updateverpflichtungen der Klägerin, was die Beklagte auch nicht behauptet.

Anlässlich des Vergleichsabschlusses am 16. 3. 2009 im Vorprozess vereinbarten die Parteien eine Einschränkung des Leistungsumfangs der Klägerin und die Beklagte verpflichtete sich zur Zahlung einer (nunmehr verminderten) wertgesicherten Lizenzgebühr von monatlich 8.400 EUR (inklusive USt).

Aicher Rummel Verschraegen Kletečka/Schauer 1.02 Binder/Spitzer Schwimann/Kodek 4 M. Walter Staudegger Jahnel/Mader/Staudegger Staudegger Blaha Staudegger Brenn Aicher Verschraegen Appl MR 2010, 211 [213] [Anmerkung zu 1 Ob 145/08t]; vgl Staudegger, Rechtsfragen 150 f, die Software aus technischer Sicht zwar als unverbrauchbare Sache wertet, dies aus ökonomischer Sicht aber wegen der kurzen Lebenszyklen marktüblicher Software als fraglich erachtet) liegt ein Lizenzvertrag vor, auf den die bestandvertraglichen Regelungen entsprechend anzuwenden sind, wenn dem Erwerber der Software die Nutzung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit mit Kündigungsmöglichkeit und Rückgabeverpflichtung überlassen wird (Dauerschuldverhältnis).

3. Die Vereinbarung über die Nutzung des weiterhin im Eigentum der Klägerin stehenden Software‑Pakets, das mit einem Buchhaltungsprogramm verknüpft ist, gegen Zahlung eines monatlichen Entgelts ist als Dauerschuldverhältnis im Sinn eines Bestandvertrags zu werten. Die Klägerin überlässt hier ja der Beklagten die Software nicht zur freien Verfügung, sondern räumt ihr nur auf unbestimmte Zeit ein Nutzungs‑ und Bearbeitungsrecht ein. Der Beklagten steht nach § 2 Punkt 2. des Kooperations- und Lizenzvertrags „aus rechtlichen oder anderen triftigen Gründen“ ein Recht auf teilweisen oder gänzlichen Rücktritt zu, wodurch die Klägerin ihren Entgeltanspruch ganz oder teilweise verliert. Zwar ist die Verpflichtung zur Rückgabe der Software nicht ausdrücklich geregelt, jedoch festgehalten, dass die Klägerin Eigentümerin des Software‑Pakets bleibt. Damit liegt ‑ entgegen der vom Berufungsgericht (implizit durch Anwendung der §§ 924, 933 ABGB) vertretenen Rechtsansicht ‑ kein Kaufvertrag vor.

Riss Kletečka/Schauer 1.01 Iro 4

Staudegger

6. Nach dem erstinstanzlichen Vorbringen der Beklagten sei das Software‑Paket deshalb nicht vertragskonform, weil es sich dabei nur um eine „Access‑Datenbank mit 08/15‑Feldern wie Name, Adresse“ handle. Das Erstgericht hat dazu die von ihr in der Berufung mit Beweisrüge bekämpften Feststellungen getroffen, dass ihr insbesondere das verwendete EDV‑System sehr gut bekannt war und das seit 2010 eingesetzte neue Software‑Paket hinsichtlich der Partnervorschläge mit der Software der Klägerin identisch ist. War ihr aber das vereinbarte Software‑Paket bekannt und ist auch die nunmehr eingesetzte neue Software hinsichtlich der Partnervorschläge ‑ und damit vom Leistungsumfang her ‑ vergleichbar mit jener der Klägerin, fehlen entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts dazu keine Feststellungen. Vielmehr überging das Berufungsgericht die dazu getroffenen Feststellungen und befasste sich nicht mit der Beweisrüge der Beklagten.

7. Zutreffend weist die Klägerin im Rekurs darauf hin, dass den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zu Mängeln des Buchhaltungsprogramms betreffend die Tourismusabgabe (ebenso wie jenen zu Softwareproblemen im Zusammenhang mit dem Handelsvertretergesetz) keine erstinstanzlichen Tatsachenbehauptungen zugrunde liegen. Eine Zeugen‑ oder Parteienaussage kann fehlendes Prozessvorbringen nicht ersetzen (RIS‑Justiz RS0043157). Das Berufungsgericht, das aus diesen (unzulässigen) überschießenden Feststellungen rechtliche Schlüsse zog, hat insofern die Sache rechtlich unrichtig beurteilt (RIS‑Justiz RS0036933 [T10, T12]; RS0037972 [T11]; RS0040318 [T2]; RS0112213 [T1, T4]).

8. Zum Einwand der Beklagten, das Mahnwesen habe nicht wie vereinbart funktioniert, ging das Berufungsgericht (aktenwidrig) davon aus, dass das Erstgericht dazu keine Feststellungen getroffen hätte. Dabei übergeht es die von der Beklagten mit Beweisrüge bekämpften Feststellungen, dass diese nach dem Jahr 2004 Änderungen im Mahnwesen (engerer Mahnrhythmus sowie telefonische und schriftliche Mahnung säumiger Klienten) vorgenommen habe, woraus sich technische Probleme mit dem Buchhaltungsprogramm ergeben hätten. Diese Probleme seien auch Gegenstand der Verhandlungen im Vorfeld der Einigung im Jahr 2009 gewesen, wobei das Erstgericht ‑ disloziert in der rechtlichen Beurteilung ‑ noch feststellte, dass über die Möglichkeiten, das automatisierte Mahnwesen der Beklagten zu verbessern, gesprochen worden sei und sie eine weitere Verbesserung nicht begehrt habe. Diesbezüglich erhob die Beklagte in der Berufung auch eine Verfahrensrüge, die ebenso wie die Beweisrüge vom Berufungsgericht nicht behandelt wurde.

Neumayr 4

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