Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache dazu an das Erstgericht verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch rechtskräftige (verfehlt auch die rechtliche Kategorie betreffende ‑ Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 1) Freisprüche enthält, wurde Adil S***** der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (I./1./1./ bis 1./4./), des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB (I./2./), der Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105, 106 Abs 1 Z 1 StGB (II./1./ und 2./), des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15 (III./) sowie der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (IV./) schuldig erkannt.
Danach hat er
I./ in O***** Rabishe S***** am Körper verletzt, und zwar
1.1./ von Ende Jänner 2004 bis zum 1. Mai 2008 in einer Vielzahl von wöchentlich stattfindenden Angriffen dadurch, dass er ihr mehrere Faustschläge gegen ihren Körper versetzte, sie an den Haaren zog und sie auf den Boden schleuderte, wodurch sie Prellungen und Hämatome an Händen und Armen erlitt;
1.2./ im Sommer 2005 durch Versetzen von Schlägen mit einem Gürtel gegen ihren Körper, wodurch sie Prellungen, Hämatome sowie Streifspuren am Körper erlitt;
1.3./ am 9. Juli 2006 durch Versetzen eines Faustschlages gegen ihre rechte Schädelhälfte, wodurch sie im rechten Augenbereich eine Schwellung samt Hämatom erlitt;
1.4./ am 1. Mai 2008 durch die unter II./2./ angeführten strafbaren Handlungen, wodurch sie Prellungen und Hämatome an Händen und Armen erlitt;
I./2./ am 26. September 2008 in M***** Rabishe S***** durch Versetzen mehrerer Faustschläge in das Gesicht, gegen die Nase, gegen ihren Nacken sowie gegen ihre Wirbelsäule, was eine an sich schwere Körperverletzung, nämlich den Verlust der vorderen zwei Schneidezähne und der rechts und links daneben liegenden Zähne zur Folge hatte;
II./ in O***** Rabishe S***** zu folgenden Handlungen oder Unterlassungen genötigt, und zwar:
1./ im Sommer 2005 dadurch, dass er Kastriot S***** ein Messer an den Hals hielt und zu ihr sagte, wenn sie etwas zur Nachbarin sage, werde er ihren Sohn umbringen, sohin durch gefährliche Drohung mit dem Tod eines Familienangehörigen, dazu, die Nachbarin nicht über die körperlichen Attacken zu informieren;
2./ am 1. Mai 2008 dadurch, dass er ihr Faustschläge gegen ihren Oberkörper versetzte, sie an den Haaren zog, auf den Boden schleuderte und ihr Fußtritte gegen ihren Körper versetzte, sohin mit Gewalt, sowie dadurch, dass er ihr ein Messer an den Hals hielt und zu ihr sagte, dass sie seinen Anweisungen folgen und in den K***** fliegen müsse oder er werde sie und ihre Familie gleich hier umbringen, sohin durch gefährliche Drohung mit dem Tod, zum Flug mit ihren Kindern in den K*****;
III./ zu einem unbekannten Zeitpunkt in O***** Rabishe S***** dadurch, dass er ihr mehrmals Faustschläge gegen ihren Körper versetzte, sie auf das Bett warf und sie an den Händen festhielt, sohin mit Gewalt, zur Duldung des Beischlafs genötigt;
IV./ im September 2008 im K***** Urkunden, über die er nicht verfügen durfte, und zwar die Reisepässe von Rabishe S*****, Kastriot S***** und Arbnor S***** durch Abnahme unterdrückt, wobei er mit dem Vorsatz handelte, zu verhindern, dass diese im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache, und zwar zum Identitätsnachweis, gebraucht werden.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist im Recht.
Soweit die gegen den Schuldspruch A./III./ gerichtete Beschwerde (nominell Z 5, der Sache nach Z 3) mit Blick auf die bis 30. April 2004 geltende Bestimmung des § 203 StGB (vgl BGBl I 2004/15) eine undeutliche Tatzeitangabe im Urteilsspruch (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) releviert, aber selbst auf die diesen verdeutlichenden Entscheidungsgründe (US 7: „2005“) verweist, spricht sie keinen Nichtigkeitsgrund an (vgl RIS‑Justiz RS0116587 [T2]).
Hingegen reklamiert die Verfahrensrüge (Z 4) zutreffend, dass durch die Abweisung des Antrags auf Vernehmung der Zeugin Rabishe S***** zum Beweis dafür, dass „sie sich gegenüber dem Angeklagten im Jänner 2014 für die Vorwürfe entschuldigte und sie widerrufen hat, und zwar für jene Vorwürfe, die zur Anklage führten“ (ON 45 S 23), Verteidigungsrechte des Angeklagten verletzt wurden. Zwar hatte die Zeugin im Zuge ihrer kontradiktorischen Vernehmung erklärt, von ihrem Zeugnisbefreiungsrecht in der Hauptverhandlung Gebrauch zu machen (ON 12 S 23).
Die Position der Rechtsprechung, wonach neue Beweisergebnisse grundsätzlich keine Auswirkungen auf das Aussageverweigerungsrecht nach § 156 Abs 1 Z 2 StPO haben (vgl RIS‑Justiz RS0118084), wurde in jüngerer Vergangenheit dahin relativiert, dass bei Hervorkommen neuer Umstände und insoweit vorliegenden Kontrollbeweisen eine neuerliche Befragung einer kontradiktorisch vernommenen und von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machenden Zeugin zu einem neuen Beweissubstrat denkbar ist (vgl 11 Os 160/08a; Kirchbacher , WK‑StPO § 156 Rz 18).
Bei vorgebrachten Indizien (im Sinne eines Kontrollbeweises) für eine Änderung der ursprünglich den Angeklagten belastenden Angaben einer Zeugin, ist diese daher trotz des Aussageverweigerungsrechts nach § 156 Abs 1 Z 2 StPO verhalten, eine neuerliche Aussage abzulegen, weil der Schutzzweck des § 156 Abs 1 Z 2 StPO iVm § 165 Abs 5 StPO eine Wiederholung der Vernehmung nur dann ausschließen will, wenn im Zeitpunkt der Hauptverhandlung nur ihre bereits gerichtlich deponierten Wahrnehmungen zum Tatvorwurf in die Hauptverhandlung eingebracht werden sollen.
Kommt also nach einer Vernehmung gemäß § 165 StPO ein neues Beweissubstrat hinzu, das außerhalb des bisherigen Aussageinhalts steht (zB ein neuer Tatvorwurf oder aber eben eine Änderung des bisherigen Aussageinhalts), greift der Schutzgedanke des § 156 Abs 1 Z 2 StPO iVm § 165 Abs 5 StPO nicht mehr, sodass in diesem Umfang eine neuerliche Vernehmung trotz Aussageverweigerungsrechts notwendig wird.
Ein solcher Fall liegt angesichts der konkreten Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung, wonach ihm die Zeugin anlässlich eines späteren Treffens mitgeteilt habe, dass sie „alles gelogen“ habe und sie sich „dafür schäme“ (ON 45 S 5 f), vor. Damit wäre in Stattgebung des vorliegenden Beweisantrags die Zeugin Rabishe S***** (allein) zur Frage, ob sie die Tatvorwürfe gegenüber dem Angeklagten widerrufen hat, neuerlich zu vernehmen gewesen.
Urteilsaufhebung (§ 285e StPO) wie im Spruch ersichtlich ist die Folge, womit sich ein Eingehen auf die weitere Beschwerdeargumentation erübrigt.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
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