OGH 15Os101/14p

OGH15Os101/14p3.12.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Dezember 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krampl als Schriftführerin in der Strafsache gegen DI Tarig E***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten E***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 9. April 2014, GZ 37 Hv 71/12v‑121, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0150OS00101.14P.1203.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch in Rechtskraft erwachsene Freisprüche dieses und eines weiteren Angeklagten enthält, wurde DI Tarig E***** (zu A./I./) des Vergehens der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1 (iVm Abs 5 Z 3 und 4), Abs 4 Z 1, § 161 Abs 1 StGB, (zu A./II./) des Vergehens der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 2 (iVm Abs 5 Z 3 und 4), § 161 Abs 1 StGB und (zu B./) des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er zusammen mit Dagmar E***** in I***** und an anderen Orten

A./ als leitender Angestellter (§ 74 Abs 3 StGB) der „H***** GmbH“ (vormals „To***** GmbH“ bzw „T***** GmbH“) mit Sitz in zuletzt H*****

I./ in der Zeit von zumindest 2006 bis zum 31. Dezember 2007 als faktischer Geschäftsführer der genannten Gesellschaft grob fahrlässig deren Zahlungsunfähigkeit herbeigeführt, indem er entgegen Grundsätzen ordentlichen Wirtschaftens kridaträchtig handelte, indem er

1./ zumindest im Wirtschaftsjahr 2007 übermäßigen, mit den Vermögensverhältnissen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gesellschaft in auffallendem Widerspruch stehenden Aufwand für Werbung, Marketing und für zu Werbezwecken geleaste Fahrzeuge trieb (KFZ-Werbeaufwand im Jahr 2007 gesamt 39.968,14 Euro, Werbeaufwand 2007 gesamt 348.281,41 Euro bei Umsatzerlösen 2007 in Höhe von 2.098.140,99 Euro) und

2./ in den Geschäftsjahren 2006 und 2007 Geschäftsbücher oder geschäftliche Aufzeichnungen so führte, dass ihm ein zeitnaher Überblick über die wahre Vermögens‑, Finanz‑ und Ertragslage der Gesellschaft erheblich erschwert wurde, indem er das Rechnungswesen abweichend von den Zahlen in späteren Jahresabschlüssen führte und die Buchhaltungskonten, insbesondere Debitorenkonten trotz Überarbeitung der bezughabenden Zahlen in den Jahresabschlussarbeiten nicht korrigierte sowie Geschäftsfälle zumindest teilweise nicht in Kundenkonten und damit nicht im Rechnungswesen erfasste,

wobei ein 800.000 Euro übersteigender Befriedigungsausfall der Gläubiger der Gesellschaft oder wenigstens eines von ihnen bewirkt wurde;

II./ als faktischer und ab 13. November 2009 auch handelsrechtlicher Geschäftsführer der genannten Gesellschaft nach Eintritt deren Zahlungsunfähigkeit in der Zeit vom 28. April 2009 bis Anfang Jänner 2010 grob fahrlässig die Befriedigung wenigstens eines ihrer Gläubiger vereitelt oder geschmälert, indem er in Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit entgegen Grundsätzen ordentlichen Wirtschaftens kridaträchtig handelte, und zwar

1./ indem er im Wirtschaftsjahr 2009 übermäßigen mit den Vermögensverhältnissen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gesellschaft in auffallendem Widerspruch stehenden Aufwand einerseits für Werbung und Marketing und für Fahrzeuge, die für Werbezwecke geleast waren, trieb und indem er im Geschäftsjahr 2009 der Gesellschaft einen Betrag in Höhe von 22.675,38 Euro entnahm und

2./ indem er Geschäftsbücher oder geschäftliche Aufzeichnungen so führte, dass ein zeitnaher Überblick über die wahre Vermögens‑, Finanz‑ und Ertragslage erheblich erschwert wurde, indem er die im Zuge der Jahresabschlusserstellung 2008 vorgenommenen Wertberichtigungen von Forderungen und Erlösen nicht in das Rechnungswesen der Gesellschaft überführte, die Buchhaltungs‑ und Saldenlisten unrichtig und unvollständig so weiterführte, dass diese die tatsächliche Vermögens‑, Finanz‑ und Ertragslage der Gesellschaft nicht wiedergaben, im Wirtschaftsjahr 2009 eine Reihe von Pro‑Forma‑Rechnungen, denen keine tatsächlichen Lieferungen und Leistungen zugrunde lagen, in die Buchhaltung aufnahm, sich inhaltlich mit dem Rechnungswesen nicht auseinandersetzte und Kontrollmaßnahmen, die ihm einen Überblick verschafft hätten, unterließ;

B./ mit dem Vorsatz, sich oder Dritte durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, andere durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen verleitet, wodurch diese mit den angeführten 50.000 Euro übersteigenden Beträgen an ihrem Vermögen geschädigt wurden, und zwar in der Zeit zwischen Mai und August 2009 verantwortliche Mitarbeiter der „T***** Ltd.“ durch die Vorgabe, das von ihm als faktischer Geschäftsführer vertretene Unternehmen „T***** Ltd.“ sei in der Lage und willens, die bestellten acht Container Energy‑Drinks im Gesamtwert von 344.736 Euro zu produzieren und zu liefern, zur Vorauszahlung des gesamten Kaufpreises in Höhe von 344.736 Euro, wodurch die „T***** Ltd.“ infolge nur teilweiser Lieferung der Ware mit 172.368 Euro an ihrem Vermögen geschädigt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 4, 5, 5a und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung am 26. Februar 2014 gestellten Antrags auf Vernehmung mehrerer Zeugen (Steuerberater des Unternehmens, Bankmitarbeiter) zum Beweis dafür, dass nicht der Beschwerdeführer, sondern Peter He***** ab Juli 2007 faktischer und ab 24. Mai 2008 auch handelsrechtlicher Geschäftsführer der „H***** GmbH“ gewesen sei, dieser als Alleinverantwortlicher das Buchhaltungswesen der „T***** GmbH“ geführt habe und als alleiniger Entscheidungsträger gegenüber Banken, Steuerberatern und Kunden aufgetreten sei (ON 110 S 21 iVm ON 106), wurden ‑ der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider -Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht beeinträchtigt. Die Tatrichter gingen nämlich ohnehin davon aus, dass ausschließlich Peter He***** die Geschäftstätigkeit bei den Banken verrichtete (US 24, 28 letzter Absatz), dieser auch den Kontakt zu den Steuerberatern hielt (US 24 zweiter Absatz) und ab 24. Mai 2008 handelsrechtlicher Geschäftsführer war (US 8; § 55 Abs 2 Z 3 StPO). Vor dem Hintergrund der erstgerichtlichen Annahme, der Mitangeklagte He***** sei vorgeschobener „Stroh-Geschäftsführer“ gewesen (US 9, 16 ff), legte der Antrag zudem nicht dar, aus welchem Grund zu erwarten sei, dass die Durchführung der angestrebten Beweise das vom Antragsteller behauptete Ergebnis (nämlich, dass er nicht faktischer Geschäftsführer gewesen sei) haben werde (vgl RIS‑Justiz RS0118123, RS0099453).

Die in der Beschwerde nachgetragenen Gründe als Versuch einer Fundierung des Antrags sind angesichts der auf Nachprüfung der erstgerichtlichen Vorgangsweise angelegten Konzeption dieses Nichtigkeitsgrundes und des damit verbundenen Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618).

In der Hauptverhandlung (richtig:) am 9. April 2014 wurde dem Verteidiger des Beschwerdeführers ein mit schriftlichem Antrag vom 8. April 2014 (ON 119) vorgelegtes „Privatgutachten“ („Stellungnahme der Steuerberatungskanzlei E*****“) „retourniert und … nicht zum Akt genommen“ (ON 120 S 4; vgl RIS‑Justiz RS0118421). Das dazu erstattete Vorbringen der Verfahrensrüge (Z 4), durch die „Abweisung des Privatgutachtens als Beweismittel in seinen Verteidigungsrechten beschnitten“ worden zu sein, scheitert schon daran, dass der Beschwerdeführer nach dem ungerügten Protokoll in der Hauptverhandlung weder einen Antrag gestellt hat, das Privatgutachten zum Akt zu nehmen noch es zu verlesen (vgl ON 120 S 17: „keine weiteren Verlesungen gewünscht“).

Entgegen dem Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 dritter Fall) besteht zwischen der Feststellung, der Angeklagte habe die operativen Geschäfte mit einer Generalvollmacht der handelsrechtlichen Geschäftsführerin Dagmar E***** geführt (US 9), und der beweiswürdigenden Erwägung, der Mitangeklagte He***** habe die finanzielle Situation der Gesellschaft aufgrund seiner Vertretung gegenüber den Banken kennen müssen (US 25 letzter Absatz), kein Widerspruch, schließen einander doch beide Tatsachen nicht aus (vgl RIS‑Justiz RS0119089). Gleiches gilt für die Annahme der Erkennbarkeit eines 800.000 Euro übersteigenden Befriedigungsausfalls zu A./I./ (US 11 f), die in keinem Widerspruch zur Konstatierung (zu A./II./) steht, wonach es zu keinem 800.000 Euro übersteigenden weiteren Befriedigungsausfall nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens gekommen ist (US 14 zweiter Absatz).

Mit der Zeugenaussage des Steuerberaters Wolfgang F***** haben sich die Tatrichter ‑ dem Einwand der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider - gar wohl auseinandergesetzt (US 26), wobei sie ohnehin von der Unterfertigung der Steuererklärungen durch Peter He***** ausgingen (US 24 zweiter Absatz). Die Aussage der Zeugin P*****, dass He***** Prognoserechnungen erstellt und einen neuen Steuerberater gesucht sowie sie selbst mehr mit He***** als mit dem Angeklagten Kontakt gehabt habe, bedurfte ‑ weil nicht entscheidungswesentlicher Natur ‑ keiner gesonderten Erörterung.

Die von der Beschwerde als übergangen reklamierten, mit schriftlichem Beweisantrag vom 14. Dezember 2012 (ON 85) vorgelegten Urkunden wurden in der Hauptverhandlung nicht verlesen (ON 87 S 43) und fanden somit nicht Eingang in das Beweisverfahren. Ihre Erörterung im Urteil war daher weder zulässig noch geboten. Im Übrigen ging das Schöffengericht ohnehin von dem unter Beweis gestellten Umstand aus, dass der Beschwerdeführer den Mitangeklagten He***** die Korrespondenzen durchführen ließ und dieser auch Überweisungen tätigte (US 24).

Aktenwidrigkeit im Sinn der Z 5 fünfter Fall liegt nur dann vor, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS‑Justiz RS0099431). Sie betrifft stets die Begründungsebene, nicht aber ‑ worauf das die Urteilsannahme, der Aufwand für Werbung, Promotion und Repräsentation habe 22 % bis 28 % des Umsatzes ausgemacht (US 10), bekämpfende Vorbringen abzielt ‑ die Feststellungsebene des Urteils (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 393).

Im Übrigen befinden sich an der auf US 10 angeführten Fundstelle „Gutachten Mag. Ge***** AS 281 in ON 37“ genau jene in den Konstatierungen wiedergegebenen Prozentzahlen. Dass die Rüge deren Richtigkeit bezweifelt, stellt den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nicht dar.

Auch mit dem Einwand, den erstgerichtlichen Feststellungen seien die ursprünglichen gutachterlichen Äußerungen des Sachverständigen zu Pro‑Forma‑Rechnungen zugrunde gelegt worden, obwohl dieser Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten (vgl ON 97 S 59 ff) seine belastenden Aussagen abgeschwächt habe, wird eine Falschzitierung gar nicht behauptet (Z 5 fünfter Fall), sondern lediglich die Beweiswürdigung der Erstrichter ‑ in unzulässiger Form ‑ kritisiert. Diese haben das Ergänzungsgutachten im Übrigen in ihre Erwägungen miteinbezogen (US 22 zweiter Absatz).

Die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens ist nach der Feststellung zu A./I./ mit 31. Dezember 2007 eingetreten (US 12). Die unter Bezugnahme auf Äußerungen des Sachverständigen in der Hauptverhandlung angestellten Erwägungen der Beschwerde (Z 5 fünfter Fall), die objektive Zahlungsunfähigkeit könne sich unter bestimmten Prämissen ins erste Quartal 2008 verschieben, sprechen keine entscheidende Tatsache an und gehen somit ins Leere.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) beschränkt sich zu A./ auf die Wiederholung der Verantwortung des Nichtigkeitswerbers, die Geschäftsführung nicht faktisch ausgeübt und daher die Zahlungsunfähigkeit subjektiv nicht wahrgenommen zu haben, unterzieht dabei Aussagen und Urkunden einer eigenständigen Beurteilung und bezweifelt Ergebnisse von Gutachten und Ergänzungsgutachten des Sachverständigen. Damit gelingt es ihr nicht, erhebliche Bedenken beim Obersten Gerichtshof gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden Tatsachen zu erwecken.

Gleiches gilt für das Vorbringen zu B./, wonach der Beschwerdeführer die finanzielle Situation des Unternehmens mangels faktischer Geschäftsführung nicht gekannt habe. Die Behauptung, die Tatrichter hätten den „Akteninhalt völlig unrichtig gewürdigt“, stellt diesen Nichtigkeitsgrund nicht dar. Weshalb in diesem Geschäftsfall nicht bloß von grober Fahrlässigkeit, sondern von bedingt vorsätzlicher Gläubigerschädigung ausgegangen wurde, legten die Tatrichter zudem aufgrund verschiedener Indizien (finanzielle Situation; Annahme des Auftrags gegen Vorkasse) begründet dar (US 24 f). Schließlich lässt das Vorbringen, die Bestellung des nigerianischen Unternehmens sei ‑ entgegen den Feststellungen (US 14) ‑ schon 2008 erfolgt, die Bezeichnung jenes Aktenteils vermissen, dem dies entnommen werden könne, sodass die Tatsachenrüge mangels Bezugnahme auf konkrete Aktenbestandteile auch hier nicht erfolgreich sein kann.

Die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) macht mit dem Einwand, in Anbetracht des Überwiegens der Milderungsgründe sei eine unverhältnismäßig drakonische Strafe verhängt worden, keinen Nichtigkeitsgrund, sondern lediglich ein Berufungsvorbringen geltend.

Durch die Anführung der Schadenshöhe von 172.368 Euro als erschwerend wurde auch nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 StGB) verstoßen, weil das - die Strafdrohung nicht bestimmende ‑ mehrfache Überschreiten der Qualifikationsgrenze jedenfalls aggravierend berücksichtigt werden durfte (RIS‑Justiz RS0099961).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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