OGH 1Ob140/14s

OGH1Ob140/14s18.9.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger sowie die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch die Walch & Zehetbauer Rechtsanwälte OG, Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 344.011,19 EUR und Feststellung (Streitwert 50.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 10. Juni 2014, GZ 4 R 202/13g‑54, mit dem das Teilzwischenurteil des Landesgerichts Feldkirch vom 2. August 2013, GZ 8 Cg 143/11y‑46, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0010OB00140.14S.0918.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die Beurteilung des Verschuldensgrads bildet wegen ihrer Einzelfallbezogenheit regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (vgl nur RIS‑Justiz RS0087606, RS0044262 [T46], RS0030644 [T47]). Eine erhebliche ‑ und damit vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende ‑ Fehlbeurteilung ist dem Berufungsgericht nicht unterlaufen, wenn es das Verhalten der für die notwendigen Sicherungsmaßnahmen verantwortlichen Mitarbeiter der Klägerin als grob fahrlässig qualifiziert hat. Gleiches gilt für die Verneinung eines Mitverschuldens des Getöteten bzw des Verletzten (RIS‑Justiz RS0087606).

2. Im vorliegenden Fall hat der für die Spurensicherung nach dem Fund einer Leiche am Bahnkörper verantwortliche ‑ beim anschließenden Zugunglück getötete ‑ Polizeibeamte dem zuständigen Mitarbeiter der Klägerin entgegen der selektiven Sachverhaltswiedergabe in der Revision unmissverständlich erklärt, dass nun ‑ im Zuge der Leichenbergung und Spurensicherung ‑ das Gleis betreten werde und die in nächster Zeit passierenden Züge nur so schnell fahren dürften, dass sie rechtzeitig bremsen könnten. Dass eine solche Maßnahme angeordnet werde, wurde vom Notfallleiter der Klägerin bestätigt, worauf die anwesenden Polizeibeamten und Bestatter darauf vertrauten, dass die vereinbarte Geschwindigkeitsbeschränkung umgesetzt würde, und sich auf das Bahngleis begaben, die Spurensicherung durchführten und die Leichenteile einsammelten. Dieses Vertrauen wurde noch dadurch gestärkt, dass sich tatsächlich der erste Zug, dessen Zugführer entsprechend instruiert worden war, der Gefahrenstelle sehr langsam näherte. Obwohl es bei unverzüglichem Handeln leicht möglich gewesen wäre, auch den Zugführer des nächsten Zugs über die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen zu informieren, was den Unfall vermieden hätte, bemühte sich der zuständige Disponent unverständlicherweise erst viel zu spät um eine Kontaktaufnahme, die schließlich auch nicht mehr rechtzeitig gelang.

Berücksichtigt man, die ganz erhebliche Gefahr für Leib und Leben der mit der Leichenbergung und Spurensicherung befassten Personen, kann dem Berufungsgericht keine unvertretbare Fehlbeurteilung vorgeworfen werden, wenn es davon ausgegangen ist, dass eine unverzügliche Information der in Betracht kommenden Zugführer geboten gewesen wäre und eine unbegründete Verzögerung als grobes Verschulden zu qualifizieren ist.

3. Welche Bedeutung es für die Haftung der Klägerin haben sollte, dass sich nicht nur die Polizeibeamten, sondern auch zwei Bestatter auf dem Gleis bzw im Gleisbereich aufgehalten haben, führt die Revisionswerberin nicht nachvollziehbar aus, ist es doch für die unbedingt gebotenen Vorsichtsmaßnahmen ohne jede Bedeutung, ob durch einen mit unverminderter Geschwindigkeit herannahenden Zug zwei, drei oder fünf Personen gefährdet werden. Nur der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass dem Notfallleiter der Klägerin die Anwesenheit von zumindest zwei Polizeibeamten bekannt war. Dass im Zusammenhang mit einer Leichenbergung auch (zumindest) ein Bestatter herangezogen wird, konnte für die Verantwortlichen der Klägerin nicht überraschend sein. Da es sich um einen zeitlich dringlichen und darüber hinaus mit den zuständigen Mitarbeitern der Klägerin abgesprochenen Einsatz handelte, ist es auch unerheblich, ob in anderen Fällen das Betreten von Gleisanlagen die Ausstellung eines besonderen Erlaubnisscheins voraussetzt.

4. Soweit sich die Revisionswerberin schließlich ‑ im Zusammenhang mit dem Vorwurf einer Fehlberatung durch die Finanzprokuratur bei der seinerzeitigen Abwicklung des Schadensfalls ‑ auf ihre in erster Instanz erhobene Behauptung beruft, die Finanzprokuratur habe seinerzeit den Einwand unterlassen, dass die Traumatisierung des überlebenden Bestatters nicht ausschließlich auf den hier zu beurteilenden Vorfall, sondern auf davon ganz unabhängige Tatsachen zurückzuführen sei, ist ihr entgegenzuhalten, dass sie auf diesen Vorwurf in ihrer Berufung nicht mehr zurückgekommen ist, sodass sie ihn im Revisionsverfahren nicht neuerlich zum Thema machen kann (vgl nur RIS‑Justiz RS0043352 [T24, T26, T27, T33]). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin auch im erstinstanzlichen Verfahren nie behauptet hat, dass die befassten Mitarbeiter der Finanzprokuratur Kenntnis von jenem Vorfall gehabt hätten, der nach Ansicht der Klägerin eine weitere Ursache für die Traumatisierung des Opfers gewesen sei.

5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Stichworte