Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.046,88 EUR (darin enthalten 174,48 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin buchte am 23. 5. 2011 bei einem Reisebüro die Kreuzfahrtreise „Vom Amazonas in die Karibik“ mit Reisebeginn am 7. 11. 2011 und schloss gleichzeitig einen Reisestornoversicherungsvertrag mit der Beklagten ab, dem die Europäischen Reiseversicherungsbedingungen (ERV‑RVB) 2009 zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:
„Art 13 Was ist versichert? [...]
2. Ein Versicherungsfall liegt vor, wenn die versicherte Person aus einem der folgenden Gründe die Reise nicht antreten kann oder abbrechen muss:
2.1. plötzlich eintretende schwere Erkrankung, schwere unfallbedingte Körperverletzung, Impfunverträglichkeit oder der Tod der versicherten Person.
Die Erkrankung, unfallbedingte Körperverletzung oder Inpfunverträglichkeit gilt als schwer, wenn sich daraus für die gebuchte Reise zwingend die Reiseunfähkeit ergibt. [...]
Bestehende Leiden (siehe jedoch Art 14) sind nur versichert, wenn sie unerwartet akut werden.
2.2. [...]
Art 14 Was ist nicht versichert (Ausschlüsse)?
Kein Versicherungsfall liegt vor, wenn [...]
2. Der Reisestornogrund bei Versicherungsabschluss bzw der Reiseabbruchgrund bei Reiseantritt bereits vorgelegen hat oder voraussehbar gewesen ist.“
Bereits am 20. 8. 2009 wurde die Klägerin wegen eines Sehnenrisses am linken Sprunggelenk operiert. Diese Operation führte zu keiner Heilung. Mangels Bildung eines knöchernen Durchbruchs erwies sich eine weitere Operation als erforderlich, die anlässlich einer ambulanten Untersuchung am 21. 5. 2011 für den 14. 6. 2011 festgesetzt wurde. Bei dieser Untersuchung wurde die Klägerin über das bei ihr bestehende Risiko aufgeklärt, dass auch die zweite Operation fehlschlagen könne. Ebenso wurde sie über das mit ihrer Erkrankung an Morbus Bechterev verbundene erhöhte Infektionsrisiko aufgeklärt.
Bei normalem, komplikationslosem Heilungsverlauf hätte sie die Reise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit antreten können. Allerdings weist jede Re‑Operation ein höheres Komplikationsrisiko auf. Ohne Berücksichtigung der bei der Klägerin beschriebenen Grunderkrankung kommt es in ca 30 % der Fälle zu Komplikationen wie Entzündungen oder mangelndem knöchernen Durchbau und einer dadurch bedingten deutlich verzögerten Heilung. Am 23. 5. 2011 (dem Tag der Buchung und des Abschlusses des Versicherungsvertrags) war die Klägerin nicht reisefähig, sie war jedoch optimistisch und hoffte, die Reise nach der Operation antreten zu können.
Der Heilungsverlauf nach der am 14. 6. 2011 tatsächlich durchgeführten Re‑Operation entsprach zunächst den Erwartungen. Im August traten jedoch neuerlich Schmerzen auf. Bei einer Kontrolle am 8. 9. 2011 wurde bei der über deutliche Schmerzen klagenden Klägerin neuerlich ein unzureichender Durchbau des Gelenks, darüber hinaus auch eine gebrochene Klammer festgestellt. Es war jedenfalls ab Anfang September 2011 erkennbar, dass die Klägerin hinsichtlich der für November geplanten Reise weiterhin reiseunfähig sein werde.
Am 20. 10. 2011 stolperte die Klägerin und stürzte. Nach anhaltenden Schmerzen (inwieweit diese auf den Sturz zurückzuführen waren, konnte nicht festgestellt werden) begab sie sich vom 20. 10. 2011 bis 25. 10. 2011 in stationäre Behandlung. Am 2. 11 .2011 wurde ihr für drei Wochen ein Unterschenkelgips angelegt. Auch im Zeitpunkt des geplanten Reiseantritts (7. 11. 2011) war sie nicht reisefähig.
Am 24. 10. und 28. 10. 2011 teilte die Klägerin den Eintritt des Versicherungsfalls der Beklagten mit, die jedoch jede Versicherungsleistung ablehnte.
Die Klägerin begehrt zuletzt die Zahlung von 16.890 EUR sA. Sie habe die Reise wegen ihres Sturzes am 20. 10. 2010 und damit ausschließlich unfallbedingt nicht antreten können. Bei diesem Sturz sei eine anlässlich der Operation im Juni 2011 eingesetzte Klammer abgebrochen, weshalb sich die Abheilung am Fuß erheblich verschlechtert habe. Es sei daher von einem unerwarteten Akutwerden der Beschwerden auszugehen. Zuvor sei ihr die Reisefähigkeit für die geplante Reise ärztlich bestätigt worden.
Die Beklagte bestreitet das Klagebegehren. Der Reisestornogrund sei bereits bei Versicherungsabschluss vorgelegen oder zumindest voraussehbar gewesen. Die Klägerin habe ihre Reise gebucht, obwohl aufgrund der bisherigen Amnanese ihre Reisefähigkeit im Hinblick auf die bevorstehende Re‑Operation samt intensiver Nachbehandlung nicht zu erwarten gewesen sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin habe aufgrund des vor Reisebuchung geführten Aufklärungsgesprächs keinesfalls von einem unproblematischen Heilungsverlauf und einer entsprechenden Reisefähigkeit im Reisezeitpunkt ausgehen dürfen. Wegen ihrer medizinischen Vorgeschichte habe ein erhebliches Komplikationspotential bestanden, welches ihr auch bewusst gewesen sei. Die bloße Hoffnung auf einen positiven Heilungsverlauf sei nicht versichert.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Eine unerwartet schwere Erkrankung trete dann ein, wenn bei der versicherten Person oder der Risikoperson aus dem Zustand des Wohlbefindens und der Arbeits‑ und Reisefähigkeit heraus unerwartet Krankheitssymptome aufträten, die der Nutzung der gebuchten Hauptreiseleistung in diesem gesundheitlichen Befinden entgegenstünden. Werde in Kenntnis einer geplanten Operation eine Reiserücktrittsversicherung gebucht, liege weder in der Operation noch in einem etwa verzögerten Heilungsverlauf ein versichertes Ereignis. Bei einer bestehenden körperlichen Behinderung oder einer anderen dauernden Beeinträchtigung der Gesundheit könne die versicherte Person sich dann darauf berufen, dass die Krankheit unerwartet aufgetreten sei, wenn der Arzt vor der Reisebuchung bestätigt habe, dass ungeachtet dessen die Reise ohne gesundheitliches Risiko durchgeführt werden könne. Eine Erkrankung sei daher dann nicht als unerwartet anzusehen, wenn im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses objektiv eine relative Wahrscheinlichkeit für deren Auftreten bestehe. In subjektiver Hinsicht sei ferner erforderlich, dass der Versicherungsnehmer die den wahrscheinlichen Krankheitseintritt begründenden Tatsachen im Wesentlichen gekannt habe und er infolge dessen mit dem Eintritt des Versicherungsfalls rechnen habe müssen.
Der Klägerin sei bereits bei Abschluss des Versicherungsvertrags bekannt gewesen, dass aufgrund des bisherigen mit dem Auftreten von Komplikationen verbundenen Heilungsverlaufs eine weitere Operation bevorgestanden sei. Trotz ihres subjektiven Optimismus habe sie mit weiteren Komplikationen rechnen müssen, die einem Reiseantritt entgegenstehen könnten, zumal ihr eine Reisefähigkeit für die von ihr ins Auge gefasste Reise gerade nicht attestiert worden sei.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu Risiko‑ und Leistungsausschlüssen in der Reiserücktrittsversicherung fehlten.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
1. Zweck und Wesen einer Reiserücktritts‑ oder Stornoversicherung bestehen darin, einem Reisenden bei einem im Vertrag angegebenen Rücktrittsgrund den finanziellen Verlust abzudecken, sodass sich das Buchungsrisiko in einem solchen vom Vertrag erfassten Fall auf einen eventuell auf ihn entfallenden Selbstbeteiligungsbetrag (Selbstbehalt) beschränkt, der regelmäßig erheblich hinter der ansonsten anfallenden ‑ und im Regelfall nach Reiseart und Rücktrittszeitpunkt gestaffelten ‑ Stornopauschale zurückbleibt. Insoweit besteht nur Einzelgefahrendeckung (7 Ob 124/04t mwN).
2. Nach ständiger Rechtsprechung sind allgemeine Versicherungsbedingungen nach Vertragsauslegungsgrundsätzen (§§ 914 ff ABGB) auszulegen. Die Auslegung hat sich am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren (RIS‑Justiz RS0050063). Die einzelnen Klauseln der Versicherungsbedingungen sind, wenn sie ‑ wie hier ‑ nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf ihren Wortlaut auszulegen. In allen Fällen ist der einem objektiven Beobachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0008901). Nach objektiven Gesichtspunkten als unklar aufzufassende Klauseln müssen daher so ausgelegt werden, wie sie ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer verstehen musste, wobei Unklarheiten im Sinn des § 915 ABGB zu Lasten des Verwenders der AGB, also des Versicherers gehen (RIS‑Justiz RS0050063).
3. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikoabgrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll (RIS‑Justiz RS0080166, RS0080068). Entscheidend dafür, ob es sich um eine Risikoumschreibung oder einen Risikoausschluss handelt, ist der materielle Inhalt einer Versicherungsbedingung, nicht aber ihre äußere Erscheinungsform (RIS‑Justiz RS0109365, zur Unterscheidung Risikoausschluss ‑ Obliegenheit).
3.2 Art 13.2.1. ERV‑RVB dient der primären Risikoumschreibung. Es wird festgelegt, welche ‑ zwingend zur Reiseunfähigkeit führenden ‑ Ereignisse von der Versicherungsdeckung umfasst sind. Durch die Bestimmung wird präzisiert, dass der Versicherungsfall dann eintritt, wenn plötzlich eine schwere Erkrankung oder eine schwere unfallbedingte Körperverletzung auftritt oder bestehende Leiden unerwartet akut werden, wodurch die Reiseunfähigkeit bewirkt wird.
3.3 Den Eintritt des Versicherungsfalls hat nach ständiger Rechtsprechung der Versicherungsnehmer (RIS‑Justiz RS0043438; RS0043563), sohin die Klägerin zu beweisen.
4. Nach dem Wortlaut des Art 13.2.1. der ERV‑RVB genießen im versicherten Zeitraum plötzlich auftretende schwere Erkrankungen, schwere unfallbedingte Körperverletzungen oder das unerwartete Akutwerden bestehender Leiden Versicherungsschutz, wobei der Gegenstand der Versicherung nicht das aufgezählte Ereignis schlechthin ist; vielmehr muss das Ereignis die Reiseunfähigkeit bewirken und damit für die Stornierung der Reise kausal sein.
4.1 Der Begriff „reiseunfähig“ ist objektiv dahin zu verstehen, dass dem Versicherungsnehmer der Antritt der Reise aus medizinischen Gründen nicht möglich ist.
4.2 Die Risikoumschreibung des Art 13.2.1. letzter Absatz ERV‑RVB hingegen wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer dahin verstehen, dass es für das Vorliegen des Merkmals „unerwartet“ auf die subjektive Sicht des Versicherungsnehmers ankommt. Unerwartet ist damit ein Ereignis, dessen Eintritt der Versicherungsnehmer im Zeitpunkt seiner Vertragserklärung nicht vorhersah und dass er tatsächlich nicht miteinberechnete, wobei ihm auch keine Tatsachen bekannt waren, die für eine erhebliche Wahrscheinlichkeit des Eintritts sprachen (BGH VersR 2012, 89 mwN, Gebert/Steinbeck in Terbille/Höra , Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht 3 § 30 Reiseversicherung Rn 48 f; Knappmann in Prölls/Martin VVG 28 Nr 2 VB‑Reiserücktritt 2008 RN 7 ff).
5. Die Klägerin war aufgrund der Beeinträchtigung ihres linken Sprunggelenks bereits bei der Reisebuchung und beim Abschluss der Reiserücktrittsversicherung in einem reiseunfähigen Zustand. Kurz davor war sie ärztlich darüber aufgeklärt worden, dass ein Fehlschlagen der geplanten Re‑Operation realistisch ist, womit ihr bekannt war, dass die Gefahr bestand, dass sich ihr Zustand, so wie er vor der Operation bestand, durch diese auch nicht nachhaltig ändern werde. Genau dieser Fall trat dann ein. Bereits im August 2011 litt die Klägerin wieder an Schmerzen, eine Klammer war gebrochen und der Duchbau des Gelenks unzureichend, sodass zu diesem Zeitpunkt wieder ein ‑ dem nicht reisefähigen ‑ Anfangszustand entsprechendes Befinden der Klägerin vorlag, was für sie im Hinblick auf die erteilte Aufklärung aber keinesfalls unerwartet kam. Somit trat weder plötzlich eine schwere Erkrankung auf, noch wurde ein bestehendes Leiden der Klägerin unerwartet akut.
Zwar kam die Klägerin am 20. 10. 2011 (unerwartet) zu Sturz, sie war aber schon seit Anfang September 2011 (wieder) reiseunfähig. Es steht auch nicht fest, dass der Sturz ihren Zustand verschlechtert hat und dass dadurch ihr bestehendes Leiden wieder akut geworden ist. Der Sturz, der zu keiner die Reiseunfähigkeit (mit)bewirkenden unfallbedingten Körperverletzung führte, war nicht kausal für den Nichtantritt der Reise.
6. Zusammengefasst hat die Klägerin schon den Eintritt des Versicherungsfalls nicht bewiesen, weshalb ihrer Revision keine Folge zu geben ist.
7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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