OGH 24Os2/14w

OGH24Os2/14w23.4.2014

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 23. April 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Bartl und Dr. Hofstätter sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als weitere Richter in der Disziplinarsache gegen Dr. Norbert S*****, Rechtsanwalt in Fürstenfeld, über die Beschwerden des Kammeranwalts gegen die Beschlüsse des Disziplinarrats der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 4. Juni 2013, GZ D 9/13‑7 und D 16/13‑15 nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 60 Abs 1 OGH‑Geo. 2005 den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Den Beschwerden wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Mit den angefochtenen Beschlüssen wurde festgestellt, dass kein Grund zur disziplinären Behandlung des Rechtsanwalts Dr. Nobert S***** wegen Berufspflichtenverletzung oder Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes in Hinblick auf den Verdacht bestehe, er habe Renate K***** im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts J***** auftrags‑ und vollmachtslos vertreten und am 12. Jänner 2012 vor diesem Gericht wahrheitswidrig erklärt, die Genannte sei nicht anwesend.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die rechtzeitigen Beschwerden des Kammeranwalts; sie schlagen fehl.

Den beiden ‑ denselben Sachverhalt betreffenden ‑ Verfahren lagen Anzeigen der Renate K***** vom 21. August 2012 und des Christian K***** vom 28. Februar 2013 zugrunde. Nach den darin enthaltenen Vorwürfen sei der Disziplinarbeschuldigte von Christian K***** mit der Vertretung dessen ‑ im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts J***** wegen 561,60 Euro (Bezahlung von Installationskosten) geklagter ‑ Schwester Renate K***** beauftragt worden. Er habe jedoch die Genannte niemals kontaktiert, sodass es zu keiner Bevollmächtigung und keinem Auftrag durch diese gekommen sei. Zur Tagsatzung am 12. Jänner 2012 sei sie entsprechend ihrer Ladung als beklagte Partei erschienen, jedoch vom Diszplinarbeschuldigten, dem überdies bekannt gewesen sei, dass sie an schwerer Epilepsie leide, weggeschickt worden. Sodann habe dieser Renate K***** im Verfahren vollmachts- und auftragslos vertreten und dem Richter gegenüber wahrheitswidrig behauptet, sie sei nicht anwesend.

Der Disziplinarbeschuldigte nahm dahin Stellung, dass Christian K***** ihm gegenüber angegeben hätte, die Auftragserteilung sei mit seiner Schwester abgesprochen. Der Auftraggeber habe ihn darum ersucht, dafür zu sorgen, dass die Schwester nicht als Partei aussagen müsse, weil sie aus Gesundheitsgründen dazu nicht in der Lage sei und über den Sachverhalt keine Informationen habe. Zur vorbereitenden Tagsatzung vom 12. Jänner 2012 sei Renate K***** erschienen und habe bekundet, mit der Vertretung durch den Disziplinarbeschuldigten einverstanden zu sein, vom Sachverhalt des Verfahrens jedoch keine Kenntnis zu haben, weil nur ihr Bruder mit der klagenden Partei Kontakt gehabt habe. Entsprechend dem von Christian K***** geäußerten Wunsch habe ihr der Disziplinarbeschuldigte erklärt, dass sie an der Tagsatzung nicht teilnehmen müsse, zumal in dieser keine Beweisaufnahme erfolge, weshalb sie sich erleichtert wieder entfernt habe. In weiterer Folge wurde dem Klagebegehren mit Urteil vom 30. März 2012 stattgegeben. Erstmals nach erstinstanzlichem Prozessverlust sei von den Anzeigern die Behauptung aufgestellt worden, der Disziplinarbeschuldigte habe Renate K***** im Verfahren auftrags‑ und vollmachtslos vertreten.

Der Disziplinarrat stellte die Verfahren mit der Begründung ein, dass selbst aus der Anzeige der Renate K***** deren Kenntnis von der Vertretung durch den Disziplinarbeschuldigten ableitbar sei. Nach dem Inhalt der vorliegenden Urkunden und den beiden Anzeigevorbringen sei diesem zumindest konkludent Vollmacht erteilt worden.

In seinen Beschwerden rügt der Kammeranwalt, dass der Disziplinarrat keine Einsicht in den Akt ***** des Bezirksgerichts J***** genommen habe. Dadurch hätte sich überprüfen lassen, ob „sich der Disziplinarbeschuldigte auf eine ihm erteilte Bevollmächtigung [...] berufen konnte bzw ob eine allfällige Vollmacht für Renate K***** von ihm vorgelegt wurde“. Denn mit Urteil des Landesgerichts E***** als Berufungsgericht vom 12. September 2013, AZ *****, seien das Ersturteil und das ihm vorangegangene Verfahren bis zur Klagszustellung als nichtig aufgehoben worden, weil die Beklagte dem Gericht am 30. April 2012 mitgeteilt habe, sie habe dem Disziplinarbeschuldigten weder Vollmacht erteilt noch ihn mit ihrer Vertretung beauftragt. Das Disziplinarverfahren sei daher mit „grober Mangelhaftigkeit“ behaftet, weil „ein gegenteiliger Sachverhalt zum Inhalt des angefochtenen Beschlusses festgestellt“ worden sei.

Nach dem genannten Berufungsurteil erfolgte die Kassation jedoch ausschließlich deshalb, weil aufgrund des im Pflegschaftsverfahren eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachtens davon auszugehen war, dass Renate K***** infolge einer „mäßiggradigen hirnorganischen Beeinträchtigung“ als Folge eines langjährigen Epilepsieleidens ‑ schon zum Zeitpunkt der Klagszustellung - prozessunfähig war. Zur Frage der Vollmachtserteilung an den Disziplinarbeschuldigten trifft das Urteil hingegen keine Aussage. Es steht daher nicht im Widerspruch zum angefochtenen Beschluss.

Warum dem vom Kammeranwalt vermissten Akt wiederum zu entnehmen sein soll, was der Disziplinarbeschuldigte und Renate K***** vor der Verhandlung vom 12. Jänner 2012 besprachen, woraus ableitbar wäre, ob sich Ersterer also zu Recht auf eine ihm erteilte Vollmacht berief, ist weder dem Beschwerdevorbringen zu entnehmen, noch aus der Aktenlage ersichtlich.

Anhaltspunkte dafür, dass dem Disziplinarbeschuldigten bei dieser Besprechung die Prozessunfähigkeit der Beklagten auffallen hätte müssen, lassen sich aus den im Urteil des Landesgerichts E***** ausführlich dargestellten Depositionen des Sachverständigen nicht ableiten, zumal dieser davon ausging, dass sie ausreichende Einsichts‑ und Urteilsfähigkeit betreffend Geschäfte des täglichen Lebens besitzt und nur für über diese hinausgehende Rechtsgeschäfte eines Sachwalters bedarf.

Einen Einstellungsbeschluss darf der Disziplinarrat nur fassen, wenn kein Verdacht eines ein Disziplinarvergehen begründenden Verhaltens des angezeigten Rechtsanwalts iSd § 28 Abs 2 DSt vorliegt (vgl AnwBl 1988, 697). Vom Fehlen eines solchen Verdachts ist ‑ im Licht des § 212 Z 2 StPO (§ 77 Abs 3 DSt) - auszugehen, wenn das vorliegende Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass seine Dringlichkeit und sein Gewicht nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Disziplinarbeschuldigten auch nur für möglich zu halten, und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist. Diese Beurteilung ist Sache der Beweiswürdigung des Senats gemäß § 28 DSt, während dem erkennenden Senat gemäß § 30 DSt die Prüfung vorbehalten bleibt, ob sich der Verdacht zum Schuldbeweis verdichtet hat (RIS‑Justiz RS0056973 [T5]).

Vorliegend ist nach der Sach- und Rechtslage eine Verurteilung des Disziplinarbeschuldigten ebenso wenig zu erwarten wie eine Intensivierung des Verdachts durch weitere Ermittlungen.

Den unbegründeten Beschwerden war daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ ein Erfolg zu versagen.

Stichworte