OGH 12Os143/13s

OGH12Os143/13s3.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. April 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel‑Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Müllner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rasim B***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Rasim B***** und Imam G*****, die Berufung des Angeklagten Hasan K***** und die Berufung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Angeklagten Rasim B***** und Hasan K***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 21. August 2013, GZ 10 Hv 69/13w‑209, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Rasim B***** wird zurückgewiesen.

2. In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Imam G***** wird der ihn betreffende Schuldspruch, demgemäß auch der Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache insoweit an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

3. Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das Rasim B***** betreffende Verfallserkenntnis aufgehoben und die Sache auch in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

4. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte Imam G***** auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

5. Zur Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten Rasim B***** und Hasan K***** sowie der Staatsanwaltschaft hinsichtlich dieser Angeklagten werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

6. Dem Angeklagten Rasim B***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unangefochten gebliebenen Schuldspruch des Mitangeklagten Hasan K***** sowie ein Verfallserkenntnis betreffend einen Bargeldbetrag von 16.781,31 Euro (US 3) enthält, wurden - soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerden von Relevanz ‑ Rasim B***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, § 12 zweiter Fall StGB (1./) und Imam G***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 15 Abs 1, 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall SMG (2./) schuldig erkannt.

Danach haben

1./ Rasim B***** in S***** und anderen Orten bislang unbekannte unmittelbare Täter dazu bestimmt, vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) (zu ergänzen:) übersteigenden Menge ein‑ und auszuführen, indem er gemeinsam mit bislang unbekannten Beteiligten einen Herointransport nach Mitteleuropa organisierte, Anfang August 2012 54.127,4 Gramm Heroin (18.600 +/- 780 Gramm [richtig:] Diacethylmorphin in Reinsubstanz) in einem Lkw verstecken ließ, sodann die Schmuggelfahrt über die Route beginnend von Istanbul über Bulgarien, Serbien, Kroatien und Slowenien, den Grenzübergang S***** und einer Zwischenstation in Sa***** mit dem Ziel in Richtung Deutschland in Auftrag gab und gemeinsam mit Hasan K***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als „Mittäter“ die Schmuggelfahrt beginnend in Sa***** mit dem Ziel Richtung Deutschland organisiert, wobei die genannte Suchtgiftmenge am 22. August 2012 in S***** im Zuge einer zollrechtlichen Kontrolle sichergestellt wurde, weshalb es bei Hasan K***** aufgrund der Sicherstellung der Suchtgiftmenge beim Versuch blieb;

2./ Imam G***** zur Ausführung der zu Punkt 1./ beschriebenen Tathandlung „versucht beizutragen“ (gemeint: zum Versuch der Ausfuhr nach Deutschland beigetragen [US 10]; vgl RIS‑Justiz RS0089552), indem er am 22. August 2012 in Sa***** auf die Suchtgiftlieferung wartete und diese in einem von Hasan K***** angemieteten Lkw nach Deutschland hätte schmuggeln sollen, wobei er wusste, dass die zu transportierende Suchtgiftmenge zumindest die Grenzmenge (§ 28b SMG) überschritt und es lediglich aufgrund der Sicherstellung der Suchtgiftmenge beim Versuch blieb.

Gegen dieses Urteil richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Rasim B***** und Imam G*****, wobei Rasim B***** die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 4 und 5a StPO, Imam G***** jene des § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a und 9 lit b StPO geltend macht.

Wie bereits die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zutreffend ausführt, kommt nur Letzterer Berechtigung zu:

Rechtliche Beurteilung

1./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Rasim B*****:

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider verfiel das Begehren auf „Beischaffung des türkischen Strafaktes gegen den Zweitangeklagten Hasan K*****, um auszuforschen, ob es [sich] bei einem seiner Mittäter um Ramazan handelt“ (ON 208 S 7), zu Recht der Abweisung, zielte dieses doch bloß auf eine unstatthafte Erkundungsbeweisführung (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 330 f) ab, die im Übrigen auch keine Rückschlüsse auf schuld‑ und subsumtionsrelevante Aspekte erkennen ließ. Im Rechtsmittel nachgetragene Argumente zur Fundierung des Antrags sind prozessual verspätet und daher unbeachtlich (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 325).

Die unter einem (vergeblich) beantragte Vernehmung der (in der Türkei aufhältigen) Zeugen Emre C***** und Cihat Ka***** zum Beweis dafür, dass „der Erstangeklagte das (im LKW mittransportierte) Lokum (türkischer Geleezucker) am 13. August 2012 zur Speditionsfirma I***** gebracht hat“ (ON 208 S 7), betraf gleichermaßen keinen für die Schuld‑ oder Subsumtionsfrage erheblichen Tatumstand, sodass die begehrte Beweisaufnahme ebenfalls ohne Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten abgelehnt werden durfte (RIS‑Justiz RS0118319; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 332 und 340).

Die Tatsachenrüge als Aufklärungsrüge (Z 5a) moniert die unterbliebene amtswegige Ausforschung und Vernehmung einer in Istanbul in Erscheinung getretenen Person namens „Ramazan“, macht aber ‑ unter bloßem Hinweis auf eingeschränkte Recherche‑ bzw Kommunikationsmöglichkeiten während aufrechter Untersuchungshaft ‑ keineswegs deutlich, wodurch der (anwaltlich vertretene) Beschwerdeführer an der Ausübung seines Rechts, entsprechende Beweisaufnahmen in der Hauptverhandlung sachgerecht zu beantragen, gehindert gewesen sein sollte (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 480 mwN).

Die prozessordnungsgemäße Geltendmachung einer Tatsachenrüge setzt voraus, dass die ins Treffen geführten aktenbezogenen Beweismittel in Hinsicht auf ihre Eignung, erhebliche Bedenken hervorzurufen, an der Gesamtheit der beweiswürdigenden Erwägungen gemessen werden. Eindrücke, Hypothesen und Spekulationen des Rechtsmittelwerbers sind aus Z 5a hingegen nicht statthaft und daher unbeachtlich (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 487).

Unter Hinweis auf seine (vom Erstgericht als unglaubwürdig verworfene [US 10 f]) Einlassung, seine Unbescholtenheit und ein bereits getrübtes Vorleben des Mitangeklagten Hasan K***** (vgl aber US 4) unternimmt der Rechtsmittelwerber den Versuch, die Überzeugungskraft der ihn belastenden Depositionen des genannten Mitangeklagten und ‑ daran anknüpfend ‑ das Vorliegen eines tragfähigen Schuldnachweises mit dem Ziel zu bestreiten, eine gegen ihn gerichtete Intrige und Verleumdung glaubhaft zu machen. Er setzt damit den tatrichterlichen Überlegungen (US 10 bis 13) bloß eigenständige Beweiswerterwägungen entgegen, die nicht geeignet sind, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zu Grunde gelegten Tatsachen zu erwecken. Vielmehr bekämpft er ‑ außerhalb der von Z 5a eröffneten Anfechtungskategorien ‑ die tatrichterliche Beweiswürdigung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Rasim B***** war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Graz zur Entscheidung über seine Berufung sowie der Berufungen des Angeklagten Hasan K***** und der Staatsanwaltschaft folgt (§ 285i StPO).

2./ Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Imam G*****:

Zu Recht kritisiert die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) eine unvollständige Begründung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite des Angeklagten Imam G***** (US 2, 7, 10, 12 und 15), welche die Tatrichter ausschließlich darauf gründeten, dass es „nicht lebensnah“ erscheint, dass sich der Genannte „trotz der verdächtigen Umstände“ ohne Kenntnis der Suchtgiftlieferung bereit erklärt hätte, den Transport durchzuführen. Der äußere Ablauf der Fahrten nach Bulgarien und in die Türkei, die Anweisung, Wertkartentelefone zu benützen, die Anmietung eines Fahrzeugs auf seinen Namen sowie dessen fehlende Information über die genaue Zieladresse und den Lieferzeitpunkt führten „zwangsläufig“ zum Schluss, dass „Imam G***** von dem die Grenzmenge übersteigenden, versteckten Suchtmittel gewusst haben musste und dies in Kauf nahm“ (US 12 und 15).

Unter Hinweis auf jene Passagen der ‑ in den Entscheidungsgründen nur hinsichtlich der eigenen Verantwortlichkeit als geständig (US 12) beschriebenen - Aussage des Hasan K*****, wonach er dem (von ihm als Fahrer angeworbenen) Imam G***** erklärt habe, es wären „nur Süßigkeiten“ ‑ nämlich „Kekse und Lokum“ ‑ zu transportieren, weshalb Imam G***** „nicht wusste, dass es sich bei diesem Transport um einen getarnten Suchtmitteltransport handelte“ (ON 199 S 4 ff), zeigt die Beschwerde Verfahrensergebnisse auf, welche die Einlassung des Nichtigkeitswerbers, er habe nur beim Transport von Süßwaren helfen wollen und vom versteckten Heroin keine Kenntnis gehabt (vgl US 12), nicht unbedeutend unterstützen und den insofern getroffenen (gegenteiligen) Urteilsannahmen als erörterungsbedürftig entgegenstehen.

Die erstrichterliche Beweiswürdigung, welche erwähnt, dass Hasan K***** eingeräumt habe, seinerseits von den in der Lieferung versteckten Suchtmitteln gewusst und daher den Angeklagten Imam G***** gebeten zu haben, den Lkw zu lenken (US 12), unterzieht diese ‑ den Beschwerdeführer entlastenden ‑ Bekundungen keiner Würdigung, weshalb der Urteilsbegründung mit Blick auf eine entscheidende Tatsache ‑ nämlich betreffend die subjektive Tatseite des Angeklagten Imam G***** in Ansehung der in Aussicht genommenen Ausfuhr einer die Grenzmenge übersteigenden Menge (§ 28b SMG) an Heroin ‑ eine Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) anhaftet (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 421).

Bereits dieser Begründungsmangel erfordert die Kassation des Schuldspruchs des Angeklagten Imam G***** (2./), demzufolge auch des ihn betreffenden Strafausspruchs (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und macht insofern die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung (§ 285e StPO) unumgänglich, weshalb sich ein Eingehen auf dessen weitere Beschwerdeargumentation (Z 5a, 9 lit a und 9 lit b) erübrigt.

Mit seiner Berufung war dieser Angeklagte auf die Kassation zu verweisen.

3./ Zur Maßnahme gemäß § 290 Abs 1 StPO:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) hat sich der Oberste Gerichtshof von einer nicht geltend gemachten, dem Angeklagten Rasim B***** jedoch zum Nachteil gereichenden Nichtigkeit hinsichtlich des Ausspruchs des Verfalls des „bei der Durchsuchung des Erstangeklagten Rasim B***** am 22. August 2012 aufgefundenen und laut Sicherstellungsprotokoll vom 23. August 2012 zu GZ D1/38562/2012‑Ta sichergestellten Bargeldbetrags in der Höhe von 16.781,31 €“ überzeugt:

Gemäß § 20 Abs 1 StGB hat das Gericht Vermögenswerte, die für die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder durch sie erlangt wurden, für verfallen zu erklären. Die Entscheidung, welche den vorliegenden Verfallsausspruch (US 3) ausschließlich mit dem Verweis auf „§ 20 Abs 1 StGB“ begründet (US 16), trifft jedoch keine Aussage zu Herkunft und Widmung des beim Angeklagten Rasim B***** vorgefundenen und sichergestellten (vgl ON 2 S 6; ON 3 S 125 f) Geldbetrags. Insoweit fehlen daher klärende Feststellungen.

Da der Berufung des Erstangeklagten lediglich ein gegen die Strafe gerichteter Anfechtungswille zu entnehmen ist, war die das Verfallserkenntnis betreffende Nichtigkeit (Z 11) bereits vom Obersten Gerichtshof von Amts wegen aufzugreifen (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), weil dem Berufungsgericht zufolge Beschränkung auf die der Berufung unterzogenen Punkte die amtswegige Wahrnehmung der den Ausspruch betreffenden Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 StPO zu Gunsten des Angeklagten verwehrt ist (Ratz, WK‑StPO § 294 Rz 10 und § 295 Rz 7).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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