OGH 7Ob234/13g

OGH7Ob234/13g26.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei w***** GmbH, *****, vertreten durch MMMag. Dr. Franz Josef Giesinger, Rechtsanwalt in Götzis, gegen die beklagte Partei H***** AG, ***** vertreten durch Dr. Heimo Sunder‑Plaßmann und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 27. September 2013, GZ 5 R 101/13g‑27, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 24. April 2013, GZ 22 Cg 109/13p‑23, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00234.13G.0226.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil lautet:

Das Klagebegehren, es werde zwischen der klagenden und der beklagten Partei festgestellt, dass der Versicherungsvertrag Nr.01LP62679 mit Wirkung vom 25. Februar 2011 rechtswirksam gekündigt wurde und sohin seit dem 25. Februar 2011 nicht mehr aufrecht besteht, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 16.675,06 EUR (darin enthalten 2.371,51 EUR an USt und 2.398 EUR an Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Zwischen den Parteien wurde ein Transportversicherungsvertrag abgeschlossen, dem die AÖTB 1988 idF 1992 (in Hinkunft AÖTB) zugrunde liegen. Deren Artikel 22 lautet:

Kündigung

Ist der Versicherungsvertrag für mehrere Transporte oder auf Zeit abgeschlossen, so ist der Versicherer berechtigt, den Versicherungsvertrag nach dem Eintritt eines Versicherungsfalles zu kündigen. Die Kündigung wird 14 Tage nach Zugang wirksam. Für Güter, die bei Wirksamwerden der Kündigung unterwegs sind, bleibt die Versicherung bis zu dem Zeitpunkt in Kraft, der für das Ende des Versicherungsschutzes nach § 10 maßgeblich ist.

 

Nach einem am 25. Dezember 2010 eingetretenen Schadensfall kündigte die Klägerin mit Schreiben vom 25. Februar 2011 den Versicherungsvertrag mit sofortiger Wirkung. Das Kündigungsschreiben wurde der Beklagten per E‑Mail übermittelt. Bereits 30 Minuten danach langte die Antwort der Beklagten ein, wonach die Kündigung nicht anerkannt werde. Dies wurde unter anderem damit begründet, dass keine Haftpflichtversicherung, sondern eine Transportversicherung bestehe und dem Vertrag die AÖTB 1988 idF 1992 zugrunde lägen, die kein gegenseitiges Recht auf Vertragskündigung im Schadensfall enthielten.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass der Versicherungsvertrag mit Wirkung vom 25. Februar 2011 rechtswirksam gekündigt wurde und seit dem 25. Februar 2011 nicht mehr aufrecht besteht. Ihre Kündigung nach einem Schadensfall sei von der Beklagten zurückgewiesen worden. Die AÖTB 1988 würden in § 2 ausdrücklich bestimmen, dass die Regelungen des VersVG zur Anwendung gelangten. Darüber hinaus ordne § 2 AÖTB ausdrücklich an, dass, soweit in diesen AÖTB und in der Polizze keine besondere Regelung getroffen werde, die einschlägigen österreichischen Gesetze gelten. Zu diesen Gesetzen zähle auch das VersVG. Bei der Transportversicherung handle es sich um eine Sachversicherung. Nach der Rechtsprechung sei im Wege der Analogie das Kündigungsrecht nach dem Schadensfall auf alle Sparten der Sachversicherung zu erstrecken. Die gesetzlichen Vorschriften über die Kündigung im Schadensfall fänden auf den vorliegenden Versicherungsvertrag Anwendung. Die Kündigung sei daher wirksam erfolgt. Da die Beklagte die Wirksamkeit der Kündigung nicht anerkenne, bestehe ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Beendigung des Versicherungsverhältnisses.

Die Beklagte bestreitet. Der Versicherungsvertrag sei befristet von 1. Jänner 2008 bis 1. Jänner 2009 abgeschlossen worden. Er verlängere sich automatisch jeweils um ein weiteres Jahr, wenn der Vertrag nicht mindestens 6 Monate vor Ablauf der Versicherungsperiode seitens des Versicherungsnehmers schriftlich gekündigt werde. Es liege daher ein Dauerschuldverhältnis auf bestimmte Zeit vor, das mangels abweichender Vereinbarung vorzeitig nur aus wichtigem Grund aufgekündigt werden könne. Ein Kündigungsrecht im Schadensfall stehe gemäß § 22 AÖTB nur dem Versicherer zu. Ein Kündigungsrecht aus Anlass eines Schadensfalls sei im VersVG für die Transportversicherung nicht geregelt. Das Fehlen einer entsprechenden Regelung begründe gerade kein Auflösungsrecht. Ein Rechtsschutzbedürfnis, das vertraglich vereinbarte Ende des Versicherungsvertrags mit Urteil feststellen zu lassen, fehle ebenso wie ein diesbezügliches Feststellungsinteresse, zumal das Versicherungsverhältnis zwischen den Streitteilen mit 1. Jänner 2012 jedenfalls geendet habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das gemäß § 2 AÖTB hier anzuwendende VersVG regle im Bereich der Sachversicherung in § 96 für die Feuer- und in § 113 für die Hagelversicherung die Möglichkeit des Versicherers und des Versicherungsnehmers, im Schadensfall die Versicherung zu kündigen. Diese Bestimmungen seien im Wege der Analogie auf alle Sparten der Sachversicherung, zu der auch die Transportversicherung gehöre, zu erstrecken. Daraus folge, dass die Klägerin als Versicherungsnehmerin die Kündigung auf Grund des Schadensfalls wirksam mit 25. Februar 2011 ausgesprochen habe. Da das Urteil für die Parteien bezüglich teils geleisteter, teils einvernehmlich ausgesetzter Prämienzahlungen und der Abwicklung des Schadensakts noch von Bedeutung sei, ergebe sich das für die Klage notwendige rechtliche Interesse.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil mit einer Maßgabe. Es teilte die Rechtsansicht über die analoge Anwendung des § 96 Abs 1 VersVG.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil auch vertreten werden könnte, dass eine analoge Anwendung der Kündigungsmöglichkeit im Schadensfall auf alle Sparten der Sachversicherung mangels planwidriger Lücke nicht in Betracht komme.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin begehrt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

1. Eine Kündigung nach dem Eintritt des Versicherungsfalls ist im VersVG nur für einzelne Versicherungszweige ausdrücklich vorgesehen, nämlich in § 96 für die Feuerversicherung, in § 113 für die Hagelversicherung und in § 158 ‑ unter Bestimmung weiterer Voraussetzungen ‑ für die Haftpflichtversicherung.

2.1 Nach der Rechtsprechung (7 Ob 215/11k mwN) setzt ein Analogieschluss das Vorhandensein einer Gesetzeslücke, einer planwidrigen nicht gewollten Unvollständigkeit, voraus. Eine Lücke ist dort anzunehmen, wo das Gesetz gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie unvollständig und ergänzungsbedürftig ist, ohne dass eine Ergänzung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht. Eine echte Lücke liegt vor, wenn man von einem bestimmten Standpunkt aus die konkrete Regelung eines Sachverhalts erwartet, eine solche aber fehlt. Die bloße Meinung des Rechtsanwenders, eine Regelung sei wünschenswert, rechtfertigt die Annahme einer Gesetzeslücke nicht. Genauso bedeutet es noch keine durch Analogie zu schließende Gesetzeslücke, wenn der Gesetzgeber eine Regelung nicht vorgesehen hat, die als wünschenswert empfunden wird. Den Gerichten kommt nicht die Aufgabe zu, im Wege einer allzu weitherzigen Interpretation rechtspolitische Aspekte zu berücksichtigen, die den Gesetzgeber bisher (bewusst oder unbewusst) nicht veranlasst haben, eine Gesetzesänderung vorzunehmen. Analogie ist daher ausgeschlossen, wenn ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber die Rechtsfolge nur eintreten lassen will, wenn gerade die Voraussetzungen des geregelten Tatbestands erfüllt sind, also die Nichtregelung dem Plan des Gesetzgebers entspricht.

2.2 § 96 VersVG beruht darauf, dass das Versicherungsverhältnis im besonderen Maß auf gegenseitigem Vertrauen basiert. Dem Kündigungsrecht nach Versicherungsfall liegt der Erfahrungssatz zugrunde, dass die Wahrnehmungen anlässlich des Schadensfalls häufig bei dem einen oder dem anderen Teil den begründeten Wunsch hervorruft, an den Vertrag nicht weiter gebunden zu sein. Für den Versicherungsnehmer ist das Kündigungsrecht gewissermaßen ein Korrelat dafür, dass er das Ergebnis einer Schadensbearbeitung durch den Versicherer grundsätzlich hinzunehmen hat. Für den Versicherer begründet es die Möglichkeit, sich von schadensträchtigen Verträgen lösen zu können. Der Grund für das außerordentliche Kündigungsrecht kann auch darin gesehen werden, dass sich der Wert einer Versicherung erst im Ernstfall erweist.

2.3 Nach der in der Literatur vorherrschenden Meinung sollen die in §§ 96, 113, 158 VersVG getroffenen Regeln im Wege der Analogie auf andere Zweige der Sachversicherung erstreckt werden und ein Kündigungsrecht beider Parteien auch in der Diebstahls‑, Leitungswasser‑, Sturm‑, Hausrat‑ und Wohngebäudeversicherung bestehen ( Dörner/Staudinger in Berliner Komm zum VVG, § 96 Rz 2, Römer in Römer/Langheit , VVG 2 § 96 Rn 4, Kollhosser in Prölss/Martin VVG 27 § 96 Rz 2, Martin , GesVR 3 L II 4, Schauer , Das Österreichische Versicherungsvertragsrecht 3 , S 304).

In der Entscheidung 7 Ob 272/04g hat der Oberste Gerichtshof betreffend eine Betriebsunterbrechungsversicherung ausgesprochen, dass das Kündigungsrecht gemäß § 96 VersVG im Wege der Analogie auf alle Sparten der Sachversicherung zu erstrecken ist.

2.4  Die Transportversicherung ist eine Sach‑(Schadens‑)versicherung zugunsten des jeweiligen Eigentümers des transportierten Gutes während seiner Beförderung gegen dabei typisch auftretende Gefahren. Es gilt bei ihr der Grundsatz der Allgefahrendeckung, sofern nicht bestimmte Schäden in den allgemeinen Versicherungsbedingungen vom Versicherungsschutz ausgeschlossen werden (RIS‑Jusitz RS0114765, RS0080988, RS0081065).

2.5 Anders als die zuvor genannten Sparten der Sachversicherung erfuhr die Transportversicherung ‑ wie auch die Tierversicherung ‑ im Versicherungsvertragsgesetz (§§ 129‑147) eine ausdrückliche Regelung. Dabei hat der Gesetzgeber das versicherungsfallbedingte Kündigungsrecht nur für die ‑ ebenfalls gesetzlich geregelten ‑ Versicherungszweige der Feuer‑, Hagel‑ und Haftpflichtversicherung, und zwar jeweils unter ausdrücklicher Wiederholung vorgesehen. Für die Transportversicherung wurde ein solches Kündigungsrecht im Gegensatz dazu gerade nicht aufgenommen. Der Grund dafür wird darin gesehen, dass es sich bei der Transportversicherung um eine Allgefahrenversicherung mit hoher Schadenshäufigkeit handelt und ein Kündigungsrecht die Möglichkeit langfristiger Vertragsschlüsse zu stark einschränken würde ( Martin aaO, Dörner/Staudinger aaO, Römer aaO, Kollhosser aaO). Der Gesetzgeber hat auch in zahlreichen Novellen zum Versicherungsvertragsgesetz ein solches Kündigungsrecht nicht eingeführt. Dies, obwohl §§ 96, 113 und 158 VersVG durch BGBl Nr 509/1994 zu einem Zeitpunkt novelliert wurden, als die AÖTB schon seit mehreren Jahren ein imparitätisches Kündigungsrecht zu Lasten des Versicherungsnehmers vorsahen und immer noch vorsehen. Schon daraus ergibt sich, dass mangels planwidriger Gesetzeslücke eine analoge Anwendung des gesetzlich geregelten Kündigungsrechts im Schadensfall auf die Transportversicherung nicht in Betracht kommt.

Die Kündigung ist damit nicht wirksam erfolgt. Das Klagebegehren ist abzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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