OGH 14Os165/13s

OGH14Os165/13s25.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Februar 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ent als Schriftführer in der Strafsache gegen Alpaslan E***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall, 12 dritter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Alpaslan E***** und Ibrahim A***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 15. Juli 2013, GZ 062 Hv 52/13i‑201, und weiters über die Beschwerden des Alpaslan E***** und der Staatsanwaltschaft gegen den zugleich gefassten Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsicht und bedingter Entlassung sowie Verlängerung von Probezeiten nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Alpaslan E***** und aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung der dem Schuldspruch A/IV zugrunde liegenden Tat (auch) unter § 143 zweiter Fall StGB sowie demgemäß in den Strafaussprüchen der Angeklagten Alpaslan E***** und Ibrahim A***** und in der Anordnung der Unterbringung des Letztgenannten in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB sowie der Alpaslan E***** betreffende, zugleich gefasste Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und Verlängerung der diesbezüglichen Probezeit auf fünf Jahre aufgehoben, insoweit eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache in diesem Umfang an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Alpaslan E***** wird im Übrigen, jene des Ibrahim A*****, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet, zurückgewiesen.

Es werden Ibrahim A***** mit seiner gegen die Anordnung der Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gerichteten Nichtkeitsbeschwerde und seiner Berufung, Alpaslan E***** mit seiner Berufung und der Beschwerde sowie die Staatsanwaltschaft mit ihrer diese beiden Angeklagten betreffenden Berufung und der Beschwerde, soweit sich diese auf Alpaslan E***** bezieht, auf diese Entscheidung verwiesen.

Zur Entscheidung über die jeweils den Angeklagten Söner K***** betreffende Berufung und die Beschwerde der Staatsanwaltschaft werden die Akten zunächst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Alpaslan E***** und Ibrahim A***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden ‑ soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde und für die amtswegige Maßnahme relevant ‑ Alpaslan E***** eines Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (A/IV) und Ibrahim A***** jeweils mehrerer Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (A/I/2 und 4, A/II, A/III und A/IV) und des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (A/I/1 und 3) sowie zweier Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (B), zu B/I auch nach § 15 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Das Schöffengericht verhängte über Letztgenannten gemäß § 31 StGB unter Bedachtnahme auf eine Vorverurteilung und unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem ersten Strafsatz des § 143 StGB eine Zusatzstrafe von zwölf Jahren und ordnete gemäß § 21 Abs 2 StGB seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher an.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs haben in Wien und anderen Orten Österreichs

(A) mit Gewalt gegen eine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib „und“ Leben (§ 89 StGB), teils unter Verwendung von Waffen (A/I/2 und 4, A/II, A/III und A/IV), anderen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz fremde bewegliche Sachen weggenommen und abgenötigt, und zwar

I) ‑ III) Ibrahim A***** im einverständlichen Zusammenwirken teils mit einem unbekannten Mittäter (I und III), teils mit zwei unter einem rechtskräftig verurteilten Mitangeklagten (II) von 28. Juni 2012 bis 11. August 2012 in sechs Fällen Gewahrsamsträgern von Tankstellen, Wettbüros und Supermärkten insgesamt ca 32.000 Euro Bargeld, eine Geldkassette, zwei Geldbörsen, ein Mobiltelefon, Zigaretten und Warengutscheine im Wert von 60 Euro, indem sie die jeweils anwesenden Angestellten und Kunden der Unternehmen mit Spielzeugpistolen (A/I/1, A/I/2), einer Machete (A/I/2) und einer Gaspistole (A/I/4, II und III) sowie verbal bedrohten, diese packten und gewaltsam in Büros und Tresorräume zerrten und drängten (A/I/3, II) sowie in einem Fall einen der Angestellten zu Boden zwangen und ihm mit dem Knauf der (Spielzeug-)Pistole Schläge gegen Kopf und Rücken versetzten (A/I/1), die Bedrohten sodann aufforderten, Geld aus Tresoren und Kassenladen zu übergeben, ihnen Brieftaschen und Kassenladen entrissen und die übrigen Wertgegenstände an sich nahmen;

IV) „Ibrahim A***** als unmittelbarer Täter und Alpaslan E***** als Beitragstäter (§ 12 dritter Fall StGB) am 14. August 2012 … Gerhard J***** als Pächter der Tankstelle ..., Bargeld im Betrag von 1.447,92 Euro, indem sie das Verkaufslokal betraten, Ibrahim A***** eine Gaspistole gegen die Angestellte Cornelia M***** richtete, ihr einen Stoß versetzte, Alpaslan E***** zu ihr sagte, dass sie alles tun solle, was Ibrahim A***** sage, dann werde ihr nichts passieren, Ibrahim A***** sie aufforderte, die Kasse zu öffnen, das Bargeld an sich nahm und beide mit der Beute flüchteten“;

(B) Ibrahim A***** im einverständlichen Zusammenwirken teils mit einem unbekannten Mittäter, teils mit zwei unter einem rechtskräftig verurteilten Mitangeklagten im Anschluss an die zu A/I/2 und A/II beschriebenen Taten insgesamt sieben im Urteil namentlich genannte Personen widerrechtlich gefangen gehalten und dies versucht (B/I), indem sie diese einsperrten, wobei es den drei Opfern vom 29. Juni 2012 (A/I/2) schon nach wenigen Minuten gelang, die Türe gewaltsam aufzubrechen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich von Alpaslan E***** aus den Gründen der Z 5 und „9“ und von Ibrahim A***** aus jenen der Z 3, 4, 5, 9 lit b und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerden. Ersterer kommt teilweise Berechtigung zu.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Alpaslan E***** und zur amtswegigen Maßnahme:

Die leugnende Verantwortung des Beschwerdeführers haben die Tatrichter mit mängelfreier Begründung insgesamt als unglaubwürdig verworfen (US 42 f). Entgegen dem Vorwurf der Mängelrüge waren sie daher unter dem Aspekt der Urteilsvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) nicht verhalten, sich mit sämtlichen Details seiner Aussage in den Entscheidungsgründen auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0098642 [T1]).

Der weitere Einwand, die Feststellung, wonach Alpaslan E***** Cornelia M***** zweifach bedrohte, sei „durch das abgeführte Beweisverfahren nicht gedeckt“, übersieht, dass ihm nicht unmittelbare Täterschaft zur Last liegt, und spricht mit Blick auf die konstatierte weitere Beitragshandlung zum Raub des Ibrahim A***** (durch Leistung von Aufpasserdiensten, US 31) keinen für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage entscheidenden Umstand an (RIS-Justiz RS0099497 [T13]).

Im Übrigen stehen die von der Beschwerde hervorgehobenen Passagen der Aussage der Zeugin Cornelia M***** (dass sie zwar in Panik war, sich dies aber nicht anmerken habe lassen, dass sie „ihnen die Zeit verzögert“ habe und erst nach zwei bis drei Minuten „vom Fleck gekommen“ sei, sowie dass Alpaslan E***** sie nicht angeschrien, sondern ihr „das in Ruhe gesagt“ habe), nicht im erörterungspflichtigen (Z 5 zweiter Fall) Widerspruch zu den ‑ deutlich genug aus den Angaben des unmittelbaren Täters und der Bedrohten, dem Video aus der Überwachungskamera und damit insgesamt aus dem äußeren Täterverhalten abgeleiteten ‑ Urteilsannahmen zum Be-deutungsinhalt der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Äußerungen.

Der weiteren Rüge (Z 5 vierter Fall) zuwider ist der von einem gezeigten Verhalten gezogene Schluss auf ein zugrunde liegendes Wollen (US 43) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden, vielmehr bei (wie hier) leugnender Verantwortung in aller Regel methodisch gar nicht zu ersetzen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 452). Mit der auch in diesem Zusammenhang aufgestellten Behauptung, die Feststellung zu einem auf unrechtmäßige Bereicherung des unmittelbaren Täters gerichteten Vorsatz des Beschwerdeführers sei durch das abgeführte Beweisverfahren in keiner Weise gedeckt und entbehre jeglicher Beweisgrundlage, wird bloß unzulässig die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung bekämpft.

Der Vorwurf fehlender Feststellungen (Z 9 lit a) dazu, dass sich der Beschwerdeführer „damit abgefunden hätte, dass er durch seinen Tatbeitrag eine unrechtmäßige Bereicherung des Ibrahim A***** herbeiführen wollte“, ist mit Blick auf die ‑ von der Beschwerde ohnehin zitierten ‑ Urteilsannahmen zur voluntativen Komponente der subjektiven Tatseite (US 32) unverständlich (vgl im Übrigen zum darin denknotwendig mitenthaltenen Täterwissen RIS‑Justiz RS0089034).

Insoweit war die Nichtigkeitsbeschwerde demnach ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Zutreffend zeigt die gegen die Annahme der Qualifikation des § 143 zweiter Fall StGB gerichtete Mängelrüge demgegenüber unvollständige Begründung (Z 5 zweiter Fall) der Feststellung auf, wonach der unmittelbare Täter Ibrahim A***** ‑ vom Vorsatz des Beschwerdeführers umfasst ‑ den Raub unter Verwendung einer Gaspistole (sohin einer Waffe im Sinn des § 143 zweiter Fall StGB; RIS‑Justiz RS0094112) verübte (US 30, 32). Die Tatrichter stützten die Urteilsannahmen zum objektiven Tatgeschehen nämlich (neben einem Hinweis auf Angaben der Zeugin Cornelia M***** und das Video aus der Überwachungskamera, welchen Verfahrensergebnissen keinerlei Informationen zu Art und Beschaffenheit der Waffe zu entnehmen sind) bloß global auf die „die geständige Verantwortung des Ibrahim A***** (ON 98 S 1341 f), die dieser in der Hauptverhandlung inhaltlich aufrecht hielt“ (US 42 f). Dass der Genannte im (im Sinn der Z 5 zweiter Fall erörterungsbedürftigen) Widerspruch dazu in der Hauptverhandlung mehrfach ausdrücklich angab, bei diesem Raub nur eine Spielzeugpistole zum Einsatz gebracht zu haben (ON 171 S 26 ff [27], 39 ff [40, 42]; vgl dazu RIS-Justiz RS0102720), blieb gänzlich unberücksichtigt.

Da dieser Begründungsmangel den Schuldspruch A/IV des Angeklagten Ibrahim A***** gleichermaßen betrifft, war von Amts wegen so vorzugehen, als hätte auch dieser den angeführten Nichtigkeitsgrund geltend gemacht (§ 290 Abs 1 zweiter Satz zweiter Fall StPO).

Das Urteil war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) in der rechtlichen Unterstellung der dem Schuldspruch A/IV zugrunde liegenden Tat (auch) unter § 143 zweiter Fall StGB und demgemäß in den Strafaussprüchen dieser beiden Angeklagten sowie in der Ibrahim A***** betreffenden ‑ Anordnung nach § 21 Abs 2 StGB (RIS‑Justiz RS0120576) aufzuheben.

Gleiches gilt für den, von der Rechtskraft des Urteils abhängigen Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 erster Halbsatz StPO hinsichtlich einer dem Angeklagten Alpaslan E***** gewährten bedingten Strafnachsicht (RIS-Justiz RS0101886).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Ibrahim A*****:

Ein Eingehen auf deren gegen die Anordnung der Unterbringung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB gerichteten Teil erübrigt sich zufolge deren amtswegiger Aufhebung.

Im Übrigen kommt ihr keine Berechtigung zu.

Entgegen dem Einwand der Mängelrüge lassen die Feststellungen zur Persönlichkeit des Beschwerdeführers in ihrer Gesamtheit (US 17 bis 18) keinen Zweifel an der Überzeugung der Tatrichter, dass dieser zu den Tatzeitpunkten unter dem Einfluss einer geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades stand, seine Diskretions- und Dispositionsfähigkeit jedoch nicht ausgeschlossen und er auch in der Lage war, die Strafbarkeit seiner Taten zu erkennen. Mit der daran anschließenden Passage, wonach „ein Unrechtsbewusstsein hinsichtlich der eigenen strafbaren Handlungen nicht fassbar“ sei, wurde dagegen unmissverständlich bloß seine fehlende Bereitschaft, Verantwortung für sein Tun (im Sinn von mangelnder Normtreue und Reue) zu übernehmen (vgl dazu in Zusammenhang mit den spezialpräventiven Bedenken gegen diversionelle Maßnahmen auch Schroll, WK-StPO § 198 Rz 36), angesprochen. Undeutlichkeit der Feststellungen zur subjektiven Tatseite (Z 5 erster Fall) oder ein Widerspruch zur angenommenen Zurechnungsfähigkeit (Z 5 dritter Fall) liegen damit nicht vor.

Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit b) in diesem Zusammenhang der Sache nach das Vorliegen eines Schuldausschließungsgrundes infolge (nicht vorwerfbaren) Rechtsirrtums (§ 9 Abs 1 StGB) behauptet, geht sie nicht von der Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen getroffenen Urteilskonstatierungen aus und verfehlt damit den gerade darin gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0118342; vgl dazu im Übrigen auch Höpfel in WK² StGB § 9 Rz 11).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war demnach insoweit ebenfalls bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Die Berufungen der Angeklagten Alpaslan E***** und Ibrahim A*****, die (implizite; § 498 Abs 3 dritter Satz StPO) Beschwerde des Erstgenannten gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit, die diese beiden Angeklagten betreffende Berufung sowie die gegen den Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer Alpaslan E***** gewährten bedingten Strafnachsicht gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft sind aufgrund der Kassation des Strafausspruchs und des bekämpften Beschlusses gegenstandslos.

Die Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde der Staatsanwaltschaft, soweit sie sich auf den Angeklagten Söner K***** beziehen, kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenersatzpflicht, welche die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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