OGH 14Os20/14v

OGH14Os20/14v25.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Februar 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ent als Schriftführer in der Auslieferungssache des Jakub B*****, AZ 30 HR 463/13w des Landesgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 17. Dezember 2013 (ON 10) und zwei Vorgänge erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Aicher, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Auslieferungssache des Jakub B*****, AZ 30 HR 463/13w des Landesgerichts Innsbruck, verletzen das Gesetz

1. das Unterbleiben der Vernehmung des Jakub B***** zum Gegenstand der Ergänzung des Auslieferungsersuchens des Bundesamts für Justiz der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 9. Dezember 2013 (ON 8) § 31 Abs 1 ARHG;

2. das Unterlassen, vor der nicht öffentlichen Beschlussfassung am 17. Dezember 2013 Jakub B*****, dessen Verteidiger und der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahme zum Gegenstand der Ergänzung des Auslieferungsersuchens des Bundesamts für Justiz der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 9. Dezember 2013 (ON 8) zu geben, § 31 Abs 2 letzter Satz ARHG;

3. der Beschluss vom 17. Dezember 2013 (ON 10) soweit damit die Auslieferung des Jakub B***** an die Schweizerischen Behörden zur Strafverfolgung wegen der im ergänzenden Haftbefehl der Staatsanwaltschaft See/Oberland vom 4. Dezember 2013, AZ C‑2/2013/4846, angeführten Taten J, K und L ohne einen darauf abzielenden Antrag der Staatsanwaltschaft für zulässig erklärt wurde, § 26 Abs 1 erster Satz ARHG iVm § 101 Abs 2 StPO.

Der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 17. Dezember 2013 (ON 10), der im Übrigen unberührt bleibt, wird im Punkt I, soweit die Auslieferung des Jakub B***** an die Schweizerischen Behörden zur Strafverfolgung wegen der im Haftbefehl der Staatsanwaltschaft See/Oberland vom 4. Dezember 2013, AZ C‑2/2013/4846, angeführten Taten J, K und L für zulässig erklärt wurde, aufgehoben und es wird dem Landesgericht Innsbruck aufgetragen, das ergänzende Ersuchen des Bundesamts für Justiz der Schweizerischen Eidgenossenschaft um Auslieferung des Jakub B***** vom 9. Dezember 2013 samt dem zugrunde liegenden Haftbefehl der Staatsanwaltschaft See/Oberland vom 4. Dezember 2013, AZ C‑2/2013/4846, und deren Ersuchen vom 22. Jänner 2014 um Korrektur der im ergänzenden Haftbefehl vom 4. Dezember 2013 zu Punkt L bezeichneten Tatzeit der Staatsanwaltschaft Innsbruck zur weiteren Veranlassung zu übermitteln.

Text

Gründe:

Der am 2. November 2013 festgenommene (ON 3 S 3) polnische Staatsangehörige Jakub B***** befindet sich zum Verfahren AZ 9 St 243/13b der Staatsanwaltschaft Innsbruck (= AZ 31 HR 455/13a des Landesgerichts Innsbruck) in Untersuchungshaft, die über ihn mit Beschluss vom 6. November 2013 verhängt wurde (ON 5).

Ebenso am 6. November 2013 leitete die Staatsanwaltschaft Innsbruck zu AZ 24 St 273/13z (nun AZ 28 St 352/13x) ein Verfahren zur Auslieferung des Genannten zur Strafverfolgung wegen der im Haftbefehl der Staatsanwaltschaft See/Oberland, Kanton Zürich, vom 4. November 2013, AZ C-2/20 13/4846 (ON 4 S 7 ff), angeführten Straftaten ein und beantragte beim Landesgericht die Vernehmung des Betroffenen gemäß § 31 Abs 1 ARHG (ON 1 S 3).

Nach dem bezeichneten Haftbefehl ist Jakub B***** ‑ zusammengefasst ‑ dringend verdächtig, zwischen 29. Mai 2011 und 23. September 2013 in L***** und an anderen Orten in der Schweiz in acht jeweils detailliert angeführten Fällen (A bis F, H und I) Fahrzeuge und andere Gegenstände im Wert von mehr als 1.484.850 CHF teils durch Einbruch weggenommen oder wegzunehmen versucht, eine Brandstiftung versucht (G) und mehrfach Sachbeschädigungen und Hausfriedensbruch begangen zu haben.

Dieser Haftbefehl ist Grundlage des mit 8. November 2013 datierten und an das Bundesministerium für Justiz gerichteten Ersuchens des Bundesamts für Justiz der Schweizerischen Eidgenossenschaft um Auslieferung des Jakub B***** (ON 4).

Im Zuge der gerichtlichen Vernehmungen zu den Vorwürfen dieses Haftbefehls am 20. November 2013 und am 4. Dezember 2013 (ON 6 S 3 ff und S 13 f) erklärte Jakub B*****, dass er sich nicht weiter äußern wolle, mit dem vereinfachten Verfahren nicht einverstanden sei und auf den Spezialitätsschutz nicht verzichte (ON 6 S 15).

Laut Aktenvermerk der Einzelrichterin stimmte die Staatsanwaltschaft am 4. Dezember 2013 der „Bewilligung der Auslieferung an die Schweizer Behörden“ telefonisch zu (ON 1 S 3).

Laut weiterem Aktenvermerk teilte die Staatsanwaltschaft See/Oberland der Einzelrichterin am 4. Dezember 2013 telefonisch unter anderem mit, „dass zwischenzeitig 2 zusätzliche Straftaten dem Betroffenen haben zugeordnet werden können“, und dass entsprechend ergänzte Unterlagen „innert einer Woche“ übermittelt werden. Die Einzelrichterin vermerkte weiters, dass der Verteidiger des Jakub B***** anlässlich einer telefonischen Rücksprache ihr gegenüber am selben Tag eine Erklärung abgegeben hat, wonach „eine weitere ergänzende BV“ (Vernehmung des Betroffenen) unterbleiben könne, weil sich der Betroffene „auch zu den neuen Fakten nicht äußern“ werde (ON 1 S 6).

Mit ‑ am 11. Dezember 2013 beim Bundesministerium für Justiz eingelangter ‑ Note des Bundesamts für Justiz der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 9. Dezember 2013 (ON 8) wurde als Ergänzung zum Auslieferungsersuchen ein ergänzender Haftbefehl der Staatsanwaltschaft See/Oberland vom 4. Dezember 2013, AZ C-2/20 13/4846, übermittelt. Danach ist Jakub B***** dringend verdächtig, in drei weiteren Fällen (J, K und L) zwischen 5. Oktober 2013 und „22./23. November 2013“ (L) Fahrzeuge im Wert von 720.000 CHF teils durch Einbruch weggenommen und in unbekanntem Wert wegzunehmen versucht sowie Sachbeschädigungen begangen zu haben.

Nach dem Aktenvermerk der Einzelrichterin vom 16. Dezember 2013 wurde das ergänzende Ersuchen laut Mitteilung des Bundesministeriums für Justiz „am 11.12. der StA Ibk. geschickt“ und ihr „direkt noch einmal“ übermittelt (ON 1 S 7).

Dass dem Betroffenen, seinem Verteidiger und der Staatsanwaltschaft Gelegenheit geboten wurde, zum Gegenstand des ergänzenden Auslieferungsersuchens Stellung zu nehmen, ist ebenso wenig aktenkundig, wie eine diesbezügliche Antragstellung der Staatsanwaltschaft. Auch wurde der Betroffene vom Gericht zum Gegenstand der Ergänzung zum Auslieferungsersuchen nicht vernommen.

Die Einzelrichterin des Landesgerichts Innsbruck entschied ohne Verhandlung mit unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Beschluss vom 17. Dezember 2013, AZ 30 HR 463/13w (ON 10), dass „die Auslieferung des Jakub B***** an die Schweizer Behörden zur Strafverfolgung wegen der in den Haftbefehlen der Staatsanwaltschaft See/Oberland vom 04.11.2013 und 04.12.2013 zur Zahl C‑2/2013/4846 angeführten Straftaten“ zulässig ist (I) und dass gemäß § 37 Z 2 ARHG „die tatsächliche Auslieferung des Betroffenen Jakub B***** bis zu Beendigung des Strafverfahrens 9 St 243/13b (= 31 HR 455/13a) aufgeschoben“ wird (II).

Begründend führt sie aus, der Betroffene habe sich „in seinen Einvernahmen vor dem Landesgericht Innsbruck in der Sache selbst nicht geäußert“ (BS 9). Der für das Auslieferungsverfahren geforderte hinreichende Tatverdacht werde bei schlüssigen Auslieferungsunterlagen vermutet, von der in den Auslieferungsunterlagen enthaltenen Sachverhaltsdarstellung sei auszugehen (BS 10). Erhebliche Bedenken gegen den Tatverdacht und das Vorliegen von Beweismitteln zu einer unverzüglichen Entkräftung desselben verneinte das Gericht unter Berufung auf die Verweigerung der Angaben durch den Betroffenen (BS 11).

Am 7. Jänner 2014 wurde die unmittelbare Vorlage der Akten an das Bundesministerium für Justiz (§ 31 Abs 7 ARHG verfügt (ON 1 S 9). Eine Entscheidung gemäß § 34 ARHG wurde noch nicht getroffen.

Mit Schreiben vom 22. Jänner 2014 ersuchte das Bundesamt für Justiz der Schweizerischen Eidgenossenschaft um Korrektur der im ergänzenden Haftbefehl vom 4. Dezember 2013 zu Punkt L angeführten Tatzeit von „November“ auf „September“.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, stehen das Unterbleiben der Vernehmung des Jakub B***** und das Unterlassen des Bietens von Gelegenheit zur Stellungnahme zum Gegenstand der Ergänzung des Auslieferungsersuchens des Bundesamts für Justiz der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 9. Dezember 2013 vor der nicht öffentlichen Beschlussfassung am 17. Dezember 2013 und der Beschluss vom 17. Dezember 2013 (ON 10) soweit damit die Auslieferung des Jakub B***** ohne einen darauf abzielenden Antrag der Staatsanwaltschaft für zulässig erklärt wurde, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1. Gemäß § 26 Abs 1 erster Satz ARHG kommt die Leitung des Auslieferungsverfahrens „in sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen des 1. und 2. Teils der StPO“ der Staatsanwaltschaft zu. Sie hat daher gemäß § 101 Abs 2 erster Satz StPO die erforderlichen Anträge bei Gericht zu stellen, welches über die Zulässigkeit der Auslieferung (§§ 31 ff ARHG) zu entscheiden hat (Göth-Flemmich in WK² ARHG § 26 Rz 1; Pilnacek/Koenig, WK‑StPO § 105 Rz 44).

Demnach sind auf Auslieferung abzielende Ersuchen vom Bundesministerium für Justiz gemäß § 30 ARHG der Staatsanwaltschaft auch unmittelbar zuzuleiten. Der telefonische Antrag der Staatsanwaltschaft am 4. Dezember 2013 konnte die damals im Auslieferungsverfahren noch gar nicht bekannten drei weiteren Tatvorwürfe des ergänzenden Haftbefehls vom 9. Dezember 2013 nicht umfassen, sodass das Gericht ‑ ungeachtet der direkten Übermittlung der Ergänzung des Auslieferungsersuchens des Bundesamts für Justiz der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 9. Dezember 2013 auf telefonisches Ersuchen durch das Bundesministerium für Justiz ‑ die Auslieferung die Jakub B***** ohne darauf abzielenden Antrag der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der dem ergänzenden Haftbefehl zugrunde liegenden Taten gesetzwidrig für zulässig erklärt hat.

2. Gemäß § 31 Abs 1 ARHG hat das Gericht den Betroffenen ‑ bei sinngemäßer Geltung § 29 Abs 3 ARHG ‑ zum Auslieferungsersuchen und damit auch zu nachträglichen Ergänzungen desselben in einem bereits laufenden Auslieferungsverfahren zu vernehmen. Die bloß zwei nicht spezifizierte „zusätzliche Straftaten“ betreffende Erklärung des Verteidigers am 4. Dezember 2013 hat das Gericht von der Pflicht zur Vernehmung und Belehrung hinsichtlich der konkret von der Ergänzung zum Auslieferungsersuchen umfassten drei weiteren Tatvorwürfe nicht entbunden.

3. Gemäß § 31 Abs 2 letzter Satz ARHG muss das Gericht, wenn es wie hier „ohne Verhandlung“ entscheidet, vor der Beschlussfassung der betroffenen Person und ihrem Verteidiger sowie der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahme bieten.

Dass dies erforderlich gewesen wäre zeigt, dass dem Betroffenen im ergänzenden Haftbefehl vom 4. Dezember 2013 unter anderem der durch Einbruch erfolgte Diebstahl eines Fahrzeugs am 22. oder 23. November 2013 angelastet wurde (Punkt L), zu welchem Zeitpunkt er sich in Österreich bereits in Untersuchungshaft befand, wobei das Gericht im Übrigen im Rahmen seiner formellen Prüfungspflicht des Tatverdachts im Auslieferungsverfahren (Göth-Flemmich in WK2 ARHG § 33 Rz 3 ff) die sich aus den damaligen Unterlagen ergebenden ‑ mittlerweile durch das Ersuchen der Staatsanwaltschaft See/Oberland um Korrektur beseitigten ‑ objektiven Bedenken gegen eine Täterschaft des Angeklagten zur Tat laut Punkt L abzuklären gehabt hätte.

Eine für Jakub B***** nachteilige Wirkung der Gesetzesverletzungen war nicht auszuschließen, weshalb sich der Oberste Gerichtshof veranlasst sah (§ 292 letzter Satz StPO), deren Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte