Spruch:
Im Verfahren AZ 36 Hv 73/10z des Landesgerichts Wiener Neustadt verletzen
1./ die am 1. Februar 2012 gefassten Beschlüsse auf „Umbestellung“ der für Herbert S*****, Daniela St*****, Thomas R*****, Marco H*****, Renate B***** und Patrick W***** beigegebenen und bestellten Verfahrenshilfeverteidiger zu Amtsverteidigern (ON 204 S 3 und 5) § 61 Abs 2 und 3 StPO sowie § 62 Abs 1 StPO;
2./ die am 28. September 2012 gefassten Kostenbestimmungsbeschlüsse (ON 233 und 234) § 395 Abs 5 zweiter Satz StPO.
Die genannten Beschlüsse werden aufgehoben.
Die Kostenbestimmungsanträge der Rechtsanwältin Mag. Susanne Ru***** (ON 209) und des Rechtsanwalts Dr. Johannes Sch***** (ON 212) werden zurückgewiesen.
Thomas R***** wird mit seiner Beschwerde gegen den Kostenbestimmungsbeschluss ON 234 auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Im schöffengerichtlichen Verfahren AZ 36 Hv 73/10z beschloss das Landesgericht Wiener Neustadt in der Hauptverhandlung am 1. Februar 2012 über „Antrag“ (vgl aber Achammer, WK‑StPO § 61 Rz 65) der für Herbert S*****, Daniela St*****, Thomas R*****, Marco H*****, Renate B***** und Patrick W***** beigegebenen und bestellten Verfahrenshilfeverteidiger (§§ 61 Abs 2, 62 Abs 1 StPO), diese Rechtsbeistände zu Amtsverteidigern (§ 61 Abs 3 StPO) „umzubestellen“ (ON 204 S 3 und 5).
Mit (rechtskräftigem) Urteil dieses Gerichts vom 1. Februar 2012 (ON 206, 207) wurden die genannten Angeklagten (unter anderem) eines oder mehrerer Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 Z 2 (Renate B***** auch nach Z 3) SMG schuldig erkannt und zu Freiheitsstrafen verurteilt.
Mit Beschlüssen vom 28. September 2012 setzte der Vorsitzende die Entlohnung der für Thomas R***** und Herbert S***** „bestellten“ Verteidiger Mag. Susanne Ru***** und Dr. Johannes Sch***** fest und trug den genannten Verurteilten jeweils die Zahlung des festgesetzten Betrags auf (ON 233, 234). Über die dagegen erhobene Beschwerde des Thomas R***** (ON 235) wurde noch nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
Die genannten Beschlüsse stehen ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt ‑ mit dem Gesetz nicht in Einklang.
Kommt das Strafgericht nach Beigebung eines Verteidigers im Sinn des § 61 Abs 2 StPO zur Auffassung, dass die Verfahrenshilfevoraussetzungen von Anfang an nicht vorlagen oder zufolge verbesserter Einkommens‑ oder Vermögenssituation des Beschuldigten oder Angeklagten nicht mehr gegeben sind, so ist die Beigebung zu widerrufen (dh die weitere Verfahrenshilfe zu entziehen), der Verfahrenshilfeverteidiger zu entheben und bei (wie hier) notwendiger Verteidigung dem Beschuldigten oder Angeklagten nach Aufforderung und fruchtlosem Verstreichen der zur Beauftragung eines Wahlverteidigers zu bestimmenden Frist mit neuem Beschluss ein vom Beschuldigten oder Angeklagten zu entlohnender Amtsverteidiger nach § 61 Abs 3 zweiter Satz StPO beizugeben. Ohne ordnungsgemäß erfolgte Aufforderung ist die ‑ dem Angeklagten Kosten verursachende ‑ Beigebung eines Verteidigers gemäß § 61 Abs 3 zweiter Satz StPO nicht zulässig (RIS‑Justiz RS0119765, RS0117951; Danek , WK‑StPO § 221 Rz 25).
Indem das Gericht auch die Verteidigerbestellung vorgenommen, diese also nicht der zuständigen Rechtsanwaltskammer (§ 62 Abs 1 StPO) überlassen hat, hat es sich eine ihm nach dem Gesetz nicht zukommende Entscheidungskompetenz angemaßt. Die demnach wirkungslosen Aussprüche (ON 204 S 3 und 5) waren zur Klarstellung zu beseitigen (vgl RIS‑Justiz RS0116267, RS0116270; Ratz , WK‑StPO § 292 Rz 45 mwN).
Wegen der Wirkungslosigkeit der Verteidigerbestellung fehlt es an der gesetzlichen Grundlage für eine Kostenbestimmung im Sinn des § 395 Abs 5 zweiter Fall StPO.
Da die Kostenbestimmungsbeschlüsse zum Nachteil der Verurteilten Herbert S***** und Thomas R***** ausschlugen, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst (§ 292 letzter Satz StPO), die festgestellten Gesetzesverletzungen auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.
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