OGH 7Ob240/13i

OGH7Ob240/13i29.1.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache der Bewohnerin M***** G*****, vertreten durch den Verein VertretungsNetz-Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung, *****, (Bewohnervertreterin Mag. Angelika Brugger), dieser vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien; Einrichtungsleiter F***** H*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Bewohnervertreters gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 28. September 2013, GZ 52 R 108/13h-23, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00240.13I.0129.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 62 Abs 1 AußStrG ist gegen einen im Rahmen des Rekursverfahrens ergangenen Beschluss der Revisionsrekurs nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt. Eine solche Frage zeigt der außerordentliche Revisionsrekurs des Bewohnervertreters nicht auf.

Er beruft sich darauf, die Entscheidung des Rekursgerichts weiche von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ab, weil „der therapeutische Zweck der Medikation nicht ausreichend geklärt wurde“ und das Vorliegen psychotischer Störungen auch der Dokumentation nicht zu entnehmen sei, die nicht im Nachhinein durch ein aufwändiges Beweisverfahren unter Einholung eines Sachverständigengutachtens ergänzt werden dürfe.

Dem ist zu erwidern:

Bereits in der vom Rekursgericht zutreffend zitierten Entscheidung (3 Ob 176/10v) wird ausgeführt, dass eine Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel nach der Rechtsprechung nur dann zu bejahen ist, wenn die Behandlung unmittelbar (7 Ob 186/06p; 1 Ob 21/09h), also primär (2 Ob 77/08z) die Unterbindung des Bewegungsdrangs bezweckt; nicht hingegen im Fall von unvermeidlichen bewegungsdämpfenden Nebenwirkungen , die sich bei der Verfolgung anderer therapeutischer Ziele ergeben können (RIS-Justiz RS0121227; 7 Ob 142/11z mwN aus Lehre und Rechtsprechung; so auch 7 Ob 62/12m und 7 Ob 193/13b sowie Zierl , Muss das am wenigsten in die persönliche Freiheit eingreifende Medikamten verwendet werden, wenn aus therapeutischer Sicht mehrere gleichwertige Alternativen in Frage kommen?, ÖZPR 2013/132).

Auch der Revisionsrekurs gibt die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wieder, wonach die abschließende Beurteilung, ob eine Freiheitsbeschränkung vorliegt, Aussagen darüber erfordert, welchen therapeutischen Zweck die Anwendung jedes einzelnen der zu überprüfenden Medikamente verfolgt, ob das Medikament (insbesondere in der dem Bewohner verabreichten Dosierung) dieser Zweckbestimmung entsprechend eingesetzt wurde oder wird und welche konkrete Wirkung für den Bewohner mit dem Einsatz der Medikamente verbunden war und ist (RIS-Justiz RS0123875).

Zu diesen Fragen haben im vorliegenden Fall die Tatsacheninstanzen detaillierte ‑ in dritter Instanz nicht mehr angreifbare ‑ Feststellungen getroffen.

Demnach leidet die Bewohnerin an einem demenziellen Syndrom in fortgeschrittenem Stadium und an Epilepsie sowie ‑ auf Grund der Demenzerkrankung ‑ auch an psychotischen Störungen , die Agitiertheit und aggressives Verhalten bewirken. Die therapeutischen (medikamentösen) Maßnahmen sollten eine Ortsveränderung gegen oder ohne ihren Willen aber keineswegs unterbinden: Konnten doch die Medikamente „Psychopax“ und „Xanor“ schon infolge Geringfügigkeit der Dosierung keine Hinderung willkürlicher Bewegungen bewirken; und die (nach dem Behandlungsansatz gar nicht intendierte) nur „anfängliche“ Sedierung (Schläfrigkeit) war lediglich eine Nebenwirkung der ab dem Heimeintritt regelmäßigen Gabe des weiteren ‑ bereits zuvor zwecks Bekämpfung der auf Grund ihrer Demenz auftretenden psychotischen Störungen verordneten, aber nur sporadisch verabreichten ‑ Medikaments „Seroquel“, die sich in der Folge ohnehin „rasch verflüchtigte“.

Die Rechtsmittelwerberin geht demgegenüber davon aus, eine Freiheitsbeschränkung liege schon deshalb vor, weil feststehe, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen den verabreichten Medikamenten und einer „Unterbindung des Bewegungsdrangs“ bestehe, zumal diese „primär der Unterbindung der Unruhezustände und der Beruhigung dienten“. Damit entfernt sie sich von der Tatsachengrundlage der angefochtenen Entscheidung.

Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die eine Freiheitsbeschränkung im Sinn des § 3 Abs 1 HeimAufG durch Verabreichung von Medikamenten verneinten (woran auch die anfängliche, nur vorübergehend den Bewegungsdrang einschränkende Nebenwirkung eines der drei vom Antrag der Bewohnervertreterin betroffenen Medikamente nichts zu ändern vermochte), liegt im Rahmen der dargelegten, von der Lehre gebilligten ( Zierl/Wall/Zeinhofer , Heimrecht I³ [2011], 95 mwN in FN 43; Strickmann , Heimaufenthaltsrecht² [2012], 123 f mwN) Rechtsprechung:

Wurde doch in der Entscheidung 7 Ob 142/11z (ÖZPR 2013/131 [ Zierl ]) bereits festgehalten, eine solche Verneinung ‑ selbst wenn die Medikamente lediglich als bloße Nebenwirkung zu einer (unvermeidlichen) Sedierung der Bewohnerin führen ‑ sei im Einzelfall nicht zu beanstanden und werfe keine erheblichen Rechtsfragen auf, wenn (wie auch im vorliegenden Fall) die Verabreichung der Medikamente zur Behandlung aus therapeutischen Gründen erfolgt, ohne dass eine Ruhigstellung bezweckt ist.

Da somit insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage geltend gemacht wird, ist das außerordentliche Rechtsmittel zurückzuweisen. Gemäß § 71 Abs 3 AußStrG bedarf dies keiner weiteren Begründung.

Stichworte