Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Text
Begründung
Laut Aktenlage ist die Klägerin Staatsbürgerin der Republik Moldawien (Blg ./B). Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 4. 7. 2005 wurde ihr Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen. Gleichzeitig wurde ihr gemäß § 8 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 3. 7. 2006 erteilt. Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde mit Bescheid des Bundesasylamts vom 29. 6. 2012 zuletzt bis 3. 7. 2013 verlängert. Die Klägerin bezog bis 30. 6. 2012 (befristet) Pflegegeld der Stufe 2.
Mit Bescheid vom 12. 9. 2012 wies die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag der Klägerin vom 12. 7. 2012 auf Gewährung von Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß über den 30. 6. 2012 hinaus mit der Begründung ab, dass sie nicht dem anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem BPGG angehöre.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin rechtzeitig Klage. Sie habe als subsidiär Schutzberechtigte aufgrund der StatusRL 2004/83/EG Ansprüche aus der Krankenversicherung und damit auch auf Pflegegeld.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im Wesentlichen ein, die Klägerin habe gemäß § 13 AsylG nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht und gehöre daher nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis gemäß den §§ 3, 3a BPGG. Zudem habe die von der beklagten Partei durchgeführte ärztliche Begutachtung ergeben, dass kein Pflegeaufwand bestehe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren Folge und erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin das Pflegegeld der Stufe 2 in einer monatlichen Höhe von derzeit 284,30 EUR ab 1. 8. 2012 bis zum 3. 7. 2013 zu gewähren. Es legte seiner Entscheidung in rechtlicher Hinsicht zu Grunde, dass das WPGG mit 31. 12. 2011 außer Kraft getreten sei und die Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenz für das Pflegegeld mit Wirkung vom 1. 1. 2012 von den Ländern auf den Bund übertragen worden sei. Das befristet zuerkannte Pflegegeld sei zunächst nur bis 30. 6. 2012 gewährt worden. Die Antragstellung vom 12. 7. 2012 sei als Neuantragstellung und nicht als Weitergewährungsantrag zu werten. Da die Klägerin jedenfalls über einen längeren Zeitraum in Österreich aufhältig sei, komme ihr als subsidiär Schutzberechtigter Anspruch auf Pflegegeld zu. Aufgrund des festgestellten monatlichen Pflegebedarfs von 106,5 Stunden sei ihr Pflegegeld der Stufe 2 ab 1. 8. 2012 bis 3. 7. 2013 zuzusprechen gewesen. Die Befristung des Zuspruchs ergebe sich aus der Befristung der Aufenthaltsgenehmigung.
Gegen diese Entscheidung erhob nur die beklagte Partei Berufung, sodass die (implizite) Abweisung des Klagebegehrens auf Gewährung des Pflegegeldes vom 1. 7. 2012 bis 31. 7. 2012 in Rechtskraft erwachsen ist.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge. Rechtlich ging das Berufungsgericht davon aus, dass in § 3a BPGG die subsidiär Schutzberechtigten weder bei den in Abs 1 und 2 österreichischen Staatsbürgern gleichgestellten Personen noch bei den in Abs 3 vom Pflegegeldbezug ausgeschlossenen Personen ausdrücklich genannt seien. Art 28 Abs 1 der RL 2004/83/EG sehe die Gewährung der notwendigen Sozialhilfeleistungen an Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte vor, wie sie auch Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats erhalten. Nach Abs 2 dieses Artikels hätten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die Sozialhilfe für Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte auf „Kernleistungen“ zu beschränken. Nach dem Erwägungsgrund Nr 34 der RL sei diese Möglichkeit so zu verstehen, dass diese Kernleistungen jedenfalls auch die Unterstützung bei Krankheit umfassen, sofern diese Leistungen nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats eigenen Staatsangehörigen gewährt werden. Da es sich europarechtlich beim österreichischen Pflegegeld um eine Leistung bei Krankheit handle, sei subsidiär Schutzberechtigten (wie Asylberechtigten) ab dem Zeitpunkt der Zuerkennung dieses Status Pflegegeld wie österreichischen Staatsbürgern zu gewähren. Da der Klägerin bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Gewährung von Pflegegeld am 12. 7. 2012 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt war, sei ihr Anspruch auf Pflegegeld ab 1. 8. 2012 zu bejahen. Die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld und deren Höhe seien von der beklagten Partei im Berufungsverfahren nicht mehr in Zweifel gezogen worden.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage bestehe, ob subsidiär Schutzberechtigte Anspruch auf Pflegegeld haben.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.
Die Klägerin beantragte unter Hinweis auf die zwischenzeitig ergangene Entscheidung 10 ObS 108/13z, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.
Die Revision ist ‑ entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508 Abs 1 ZPO) ‑ unzulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. Die Voraussetzung des Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO muss als Zulässigkeitsvoraussetzung noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gegeben sein (RIS‑Justiz RS0112769 [T1]). Da zu diesem Zeitpunkt der erkennende Senat in den ‑ ebenfalls die Frage des Anspruchs eines subsidiär Schutzberechtigten auf Pflegegeld betreffenden ‑ Entscheidungen 10 ObS 108/13z und 10 ObS 171/13i (zu § 48c BPGG) sowie den Entscheidungen 10 ObS 153/13t und 10 ObS 161/13v (zu § 3a BPGG iVm Art 28 Abs 2, 29 Abs 2 der RL 2004/83/EG) zu den auch hier aufgeworfenen Fragen ausführlich Stellung genommen hat, ist die Revision nicht zulässig.
2. In der in der Revisionsbeantwortung erwähnten Entscheidungen 10 ObS 108/13z, aber auch in der Entscheidung 10 ObS 171/13i wurde ‑ zusammengefasst ‑ ausgeführt, das seit 1. 1. 2012 allein maßgebliche BPGG sehe die in den Landespflegegeldgesetzen enthaltene Möglichkeit der Nachsicht der Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht mehr vor. Aus der Übergangsbestimmung des § 48c BPGG zum Pflegegeldreformgesetz 2012, BGBl I 2011/58, sei aber der Grundsatz zu entnehmen, dass alleine aufgrund der Gesetzesänderung ein Entzug oder eine Herabsetzung des Pflegegeldes nicht erfolgen soll. Es soll daher nach § 48c Abs 10 BPGG Personen, denen von den Ländern zum 31. 12. 2011 ein Pflegegeld zur Vermeidung einer sozialen Härte geleistet wird, von Amts wegen mit Wirkung vom 1. 1. 2012 anstelle des bisher gewährten Pflegegeldes ein Pflegegeld nach den Bestimmungen des BPGG geleistet werden. Dieses Verschlechterungsverbot gelte gemäß § 48c Abs 2 iVm § 48b Abs 2 und 4 BPGG auch in dem Fall der Weitergewährung eines rechtskräftig befristet gewährten Pflegegeldes in sogenannten Härtefällen (§ 9 Abs 2 BPGG). Diese Auslegung trägt dem den Übergangsbestimmungen zu entnehmenden Grundsatz Rechnung, dass alleine aufgrund des durch das Pflegegeldreformgesetz 2012, BGBl I 2011/58, erfolgten Zuständigkeitswechsels vom Land zum Bund bzw vom Landespflegegeld zum Bundespflegegeld ein Entzug oder eine Herabstufung nicht erfolgen soll. Hat ein Kläger bereits aufgrund der Übergangsbestimmung des § 48c BPGG Anspruch auf Weiterbezug des Pflegegeldes, erübrige sich ein Eingehen auf die Frage, ob subsidiär Schutzberechtigte nunmehr aufgrund der Neuformulierung der Anspruchsvoraussetzungen in § 3a BPGG bzw aufgrund sonstiger unionsrechtlicher Verpflichtungen im Fall der Pflegebedürftigkeit Anspruch auf Pflegegeld haben.
3. Davon, dass diese Erwägungen auch auf den vorliegenden Fall zutreffen, kann aber nicht mit Sicherheit ausgegangen werden, weil im vorliegenden Fall kein Vorbringen erstattet und auch keine Feststellung getroffen wurde, dass sich der Pflegegeldbezug der Klägerin vor dem 30. 6. 2012 nach einem Landespflegegeldgesetz (zB dem WPGG) gerichtet hat und sich eine derartige Feststellung auch aus der gesamten Aktenlage nicht eindeutig ableiten lässt.
4. Das von den Vorinstanzen erzielte Ergebnis steht aber jedenfalls im Einklang mit den ‑ ebenfalls ‑ mittlerweile ergangenen Entscheidungen 10 ObS 153/13t und 10 ObS 161/13v, mit denen die Anspruchsberechtigung von subsidiär Schutzberechtigten auf Pflegegeld unter Hinweis auf das Unionsrecht im Allgemeinen bejaht wurde, so auch dann, wenn kein Fall einer Weitergewährung eines nach einem Landespflegegeldgesetz gewährten Pflegegeldes (§ 48c BPGG) vorliegt. In diesen Entscheidungen wurde ausgeführt, nach § 3a Abs 2 Z 1 BPGG seien Fremde, die nicht unter eine der folgenden Ziffern fallen, den österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt, wenn sich eine solche Gleichstellung aus dem Unionsrecht ergibt. Aus dem Unionsrecht ‑ insbesondere aus der VO (EG) Nr 883/2004 ‑ ergebe sich, dass Unionsbürger/innen und anerkannte Flüchtlinge und Staatenlose sowie deren Familienangehörige die gleichen Rechte und Pflichten im Bereich der sozialen Sicherheit genießen wie Inländer/innen. Art 28 der RL 2004/83/EG sehe vor, dass Personen, denen Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt wurde, die notwendige Sozialhilfe für Staatsangehörige des betreffenden Mitgliedstaats erhalten müssen. Im Fall von subsidiär Schutzberechtigten können die Mitgliedstaaten diese allerdings auf „Kernleistungen“ beschränken, die sie im gleichen Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige gewähren. Art 29 der RL 2004/83/EG regelt den Zugang zur medizinischen Versorgung in ähnlicher Weise. Die Bedeutung und die Tragweite des Begriffs „Kernleistungen“ iSd Art 28 Abs 2 und 29 Abs 2 der RL 2004/83/EG seien unter Berücksichtigung des Zusammenhangs und des Ziels der Richtlinie zu ermitteln. Ziel der Richtlinie sei, ein Mindestmaß an Schutz in allen Mitgliedstaaten für Personen zu gewährleisten, die tatsächlich Schutz benötigen, und andererseits sicherzustellen, dass allen diesen Personen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen geboten werde. Nach Erwägungsgrund 34 der Richtlinie sollen bei der Sozialhilfe und der medizinischen Versorgung die Modalitäten und Einzelheiten der Gewährung der Kernleistungen durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften bestimmt werden. Aus Erwägungsgrund 34 der Richtlinie gehe hervor, dass der Begriff der Kernleistungen zumindest ein Mindesteinkommen sowie Unterstützung bei Krankheit, Schwangerschaft und bei Elternschaft umfasse. Die Bedeutung und die Tragweite des Begriffs „Kernleistungen“ seien daher unter Berücksichtigung des Zusammenhangs und des mit der Richtlinie verfolgten Ziels zu ermitteln, wobei es insbesondere zur Vermeidung sozialer Härtefälle angezeigt sei, subsidiär Schutzberechtigten als schutzbedürftigen Personen ohne Diskriminierung im Rahmen der Sozialfürsorge angemessene Unterstützung zu gewähren. Da Pflegegeld europarechtlich eine Leistung bei Krankheit darstelle und der Terminus „Kernleistungen“ jedenfalls auch die Unterstützung bei Krankheit umfasse, sei subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 3a Abs 2 Z 1 BPGG iVm Art 28 RL 2004/83/EG Anspruch auf Pflegegeld zuzuerkennen, weil sich ein Anspruch auf Gleichstellung mit österreichischen Staatsbürgern aus dem Unionsrecht ergibt. Diese Beurteilung trage auch dem Umstand Rechnung, dass gerade der Personenkreis der subsidiär Schutzberechtigten aufgrund der Lebensumstände besonders schutzwürdig ist und diese Personen durch den Eintritt einer Pflegebedürftigkeit keinen zusätzlichen Nachteil erleiden sollen.
Im Hinblick auf diese Rechtsprechung erweist sich die Revision der beklagten Partei mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO jedenfalls als unzulässig.
Eine Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung war nicht zu treffen, da dafür keine Kosten verzeichnet wurden.
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