Spruch:
Im Verfahren AZ 10 Hv 12/13p des Landesgerichts für Strafsachen Graz verletzen
1./ der Beschluss vom 19. August 2013 (ON 63) in der Festsetzung der Verlängerung der Frist bis zu einem bestimmten Kalendertag § 285 Abs 2 StPO;
2./ der Beschluss vom 4. September 2013 (ON 65) in seiner Begründung durch die Annahme des Fristablaufes mit 26. August 2013 § 285 Abs 1 und Abs 3 dritter Satz erster Halbsatz StPO.
Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten Richard A***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 25. Juni 2013, GZ 10 Hv 12/13p‑58, sowie dessen Beschwerde gegen einen Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4, Abs 4 StPO werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 25. Juni 2013, GZ 10 Hv 12/13p‑58, wurden Richard A***** und ein anderer Angeklagter des Verbrechens des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen schuldig erkannt.
Gegen dieses Urteil meldete Richard A***** am 27. Juni 2013 unter anderem Nichtigkeitsbeschwerde an (ON 60).
Das schriftlich ausgefertigte Urteil (ON 58) wurde der Verteidigerin am 23. Juli 2013 zugestellt (Zustellnachweis bei ON 1 S 21). Vor Ablauf der vierwöchigen Frist zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel am 20. August 2013 beantragte der Angeklagte am 16. August 2013 beim Landesgericht für Strafsachen Graz „wegen des außerordentlichen Verfahrensumfangs“ die Verlängerung der Frist zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel um eine Woche (ON 63).
Mit dem der Verteidigerin (nach ihrem zufolge mit „Fensterkuvert“ erfolgter Zustellung [ON 63 S 2] nicht widerlegbaren Vorbringen) am 22. August 2013 zugestellten Beschluss vom 19. August 2013 (ON 63 S 1) verlängerte der Vorsitzende des Schöffengerichts die „Frist bis 26. August 2013“.
Am 2. September 2013 brachte der Angeklagte die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe im Postweg bei Gericht ein (ON 64).
Mit dem der Verteidigerin am 12. September 2013 durch Hinterlegung zugestellten (Zustellnachweis bei ON 65 S 3) Beschluss vom 4. September 2013 (ON 65) wies der Vorsitzende die gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 25. Juni 2013, GZ 10 Hv 12/13p‑58, angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Richard A***** gemäß § 285a Z 2 StPO iVm § 285b Abs 1 StPO zurück.
Die dagegen erhobene, am 30. September 2013 (somit verspätet, das Ende der Beschwerdefrist war nämlich der 26. September 2013) dem Landesgericht für Strafsachen Graz überreichte Beschwerde (ON 66) zog der Angeklagte am 11. Oktober 2013 zurück (11 Os 133/13p).
Die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 19. August 2013 (ON 63) und jener vom 4. September 2013 (ON 65) im nachangeführten Begründungsteil stehen ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt ‑ mit dem Gesetz nicht in Einklang.
Rechtliche Beurteilung
1./ Gemäß § 285 Abs 2 StPO hat das Landesgericht im Falle extremen Umfangs des Verfahrens die in § 285 Abs 1 StPO genannte Frist auf Antrag des Beschwerdeführers um den Zeitraum zu verlängern, der erforderlich ist, um eine ausreichende Verteidigung (Art 6 Abs 3 lit b EMRK) zu gewährleisten. Die Verpflichtung zur Verlängerung um einen bestimmten Zeitraum (vgl JAB zur StP‑Novelle 2000, 289 BlgNR XXI. GP, 7: „im Fall der Stattgebung bei Ausmessung der konkreten Frist“) soll sicherstellen, dass dem Rechtsmittelwerber nicht nur die vom Gericht allenfalls gewährte Frist, sondern von der ‑ nicht in die Dispositionsbefugnis des Gerichts fallenden ‑ vierwöchigen Ausführungsfrist des § 285 Abs 1 erster Satz StPO, deren Fortlauf (ebenfalls indisponibel) gemäß § 285 Abs 3 dritter Satz erster Halbsatz StPO vom Zeitpunkt der Antragstellung nach § 285 Abs 2 StPO (RIS‑Justiz RS0128867: Datum der Postaufgabe) bis zur Bekanntmachung der Entscheidung darüber gehemmt wird (RIS‑Justiz RS0127192), der nach Ende dieser Fortlaufshemmung noch offenstehende Rest zur Gänze zur Verfügung steht.
Entgegen dieser gesetzlichen Verpflichtung verlängerte das Landesgericht für Strafsachen Graz mit Beschluss vom 19. August 2013 (ON 63) die Ausführungsfrist bis zum 26. August 2013. Diese gesetzwidrige Festsetzung eines bestimmten Endtermins kann im Falle längeren Postlaufes der Zustellung des Verlängerungsbeschlusses die vom Gericht intendierte Fristverlängerung sogar konterkarieren (zu dieser Konstellation vgl 15 Os 19/13b).
2./ Das Landesgericht für Strafsachen Graz wies die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Richard A***** im Beschluss vom 4. September 2013 (ON 65) gemäß § 285a Z 2 StPO iVm § 285b Abs 1 StPO mit der Begründung zurück, dass innerhalb der mit Beschluss vom 19. August 2013 (ON 63) bis zum 26. August 2013 verlängerten Frist keine Rechtsmittelausführung eingelangt sei (ON 65 S 2).
Aufgrund der fallaktuell am 23. Juli 2013 erfolgten Urteilszustellung stand dem Angeklagten gemäß § 285 Abs 1 erster Satz StPO eine Frist zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel bis 20. August 2013, 24:00 Uhr, offen (§ 84 Abs 1 Z 3 StPO). Gemäß § 285 Abs 3 dritter Satz erster Halbsatz StPO wird die Zeit von der Antragstellung nach Abs 2 leg cit bis zur Bekanntmachung des Beschlusses nicht in die Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde eingerechnet. Demnach war fallbezogen der Fortlauf der bereits laufenden Rechtsmittelfrist vom 16. August 2013 bis zur Zustellung des Verlängerungsbeschlusses am 22. August 2013 gehemmt (RIS-Justiz RS0127192; Ratz, WK‑StPO § 285 Rz 16). Ab dem der Zustellung des Verlängerungsbeschlusses folgenden Tag, somit ab 23. August 2013, lief der von der Ausführungsfrist des § 285 Abs 1 erster Satz StPO verbliebene Rest (aktuell fünf Tage) der Rechtsmittelfrist weiter, sodass diese am 27. August 2013, 24:00 Uhr, endete. Demnach verletzt die in der Begründung des Beschlusses des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 4. September 2013 (ON 65) vertretene Annahme, wonach die Rechtsmittelfrist bereits am 26. August 2013 abgelaufen sei, das Gesetz in § 285 Abs 1 und Abs 3 dritter Satz erster Halbsatz StPO.
§ 292 letzter Satz StPO räumt dem Obersten Gerichtshof Ermessensübung ein, um einen Beschuldigten (§ 48 Abs 2 StPO) oder Verurteilten vor ungerechtfertigten Nachteilen zu schützen, nicht aber, um solchen Personen prozessual nicht zustehende Vorteile zu verschaffen (Fabrizy, StPO11 Rz 3; Ratz, WK‑StPO Rz 37 ‑ beide zu § 292).
Im Gegenstand kann nicht nur von einem extremen Verfahrensumfang keine Rede sein (vgl grundsätzlich Ratz, WK‑StPO § 285 Rz 17, 18 und hier ON 49 und 57: Gesamtverhandlungsdauer der Hauptverhandlung drei Stunden fünfzehn Minuten) und wäre daher eine Verlängerung der Rechtsmittelausführungsfrist jedenfalls ausgeschieden, sondern hat sich der Angeklagte nicht nur durch verspätete Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde, sondern auch durch verspätete Beschwerdeerhebung gegen den Beschluss gemäß §§ 285a Z 2, 285d Abs 1 StPO des ordentlichen Rechtsschutzes begeben.
Der Oberste Gerichtshof ist nicht gehalten, derartige Versäumnisse auszugleichen (in diesem Sinn Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 38). Es hatte daher mit der Feststellung der Gesetzesverletzungen sein Bewenden zu haben.
Zur Entscheidung über die aus dem Spruch ersichtlichen verbleibenden Rechtsmittel des Angeklagten (ON 60, 64) waren die Akten dem Oberlandesgericht zuzuleiten (§ 285i StPO).
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