OGH 9ObA131/13z

OGH9ObA131/13z29.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichthofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin und Mag. Andreas Bach in der Rechtssache der klagenden Partei Angestelltenbetriebsrat der C***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Christian Kuhn Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Feststellung nach § 54 Abs 1 ASGG (Streitwert: 21.800 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 24. Juli 2013, GZ 7 Ra 63/13f‑15, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 26. April 2013, GZ 12 Cga 177/12d‑11, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.329,84 EUR (darin 221,64 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger vertritt die Interessen von 220 ArbeitnehmerInnen der Beklagten. Dabei handelt es sich um Diplomkrankenpfleger, Pflegehelfer, Heimhilfen, Alltagsbetreuer, Therapeuten, Psychologen, Büroangestellte und Reinigungskräfte sowie MitarbeiterInnen der Wäscherei. Seit Juli 2004 kommt der Kollektivvertrag für ArbeitnehmerInnen, die bei Mitgliedern der Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe (BAGS) beschäftigt sind (idF: KV), zur Anwendung. Er lautet in der hier maßgeblichen Fassung (Stand 1. 2. 2012) auszugsweise:

„§ 10 Überstunden und Mehrstunden

[…]

6) Für Überstunden, die nicht in die Zeit von 22:00 bis 6:00 Uhr fallen, bzw nicht Sonn‑ oder Feiertagsüberstunden sind, gebührt außer dem Grundstundenlohn ein Zuschlag von 50 %. Fallen die Überstunden in die Zeit von 22:00 bis 6:00 Uhr oder an Sonn‑ und Feiertagen an, gebührt ein Zuschlag von 100 %. Anstelle der entgeltlichen Überstundenvergütung kann auch ein entsprechender Zeitausgleich vereinbart werden.

[...]

§ 26 Urlaubszuschuss und Weihnachts-remuneration

1) ArbeitnehmerInnen erhalten spätestens mit der Juniauszahlung einen Urlaubszuschuss und mit der Novemberauszahlung jeden Jahres eine Weihnachtsremuneration (Sonderzahlungen). Die Sonderzahlungen berechnen sich aus dem im Auszahlungsmonat gebührenden Monatsgehalt samt Zulagen, die nach diesem Kollektivvertrag gebühren.

Wurden Zulagen in unterschiedlicher Höhe bezahlt, ist die Berechnungsgrundlage der Durchschnitt der in den letzten drei Monaten bezahlten Zulagen. Zuschläge (Überstunden‑, Nacht‑, Sonn‑ und Feiertagszuschläge etc) und etwaige Sachbezüge sind nicht einzurechnen.

[…]

3) Bei ArbeitnehmerInnen mit unterschiedlichem Ausmaß der Arbeitszeit bzw des Entgeltes berechnen sich die jeweiligen Sonderzahlungen aus dem Durchschnittsentgelt (Berechnung wie Abs 1) der letzten drei Monate vor dem Monat der Fälligkeit der Sonderzahlung.“

Die Beklagte berücksichtigt bei den Sonderzahlungen den durchschnittlichen Überstunden-grundlohn der letzten drei Monate vor Fälligkeit der Sonderzahlungen nicht.

Der Kläger begehrte die Feststellung nach § 54 Abs 1 ASGG, dass den Dienstnehmern der Beklagten Sonderzahlungen (Urlaubszuschuss und Weihnachts-remuneration) gebühren, in welchen auch die durchschnittlichen Überstundengrundlöhne und Mehrarbeitsstunden der letzten drei Monate vor Fälligkeit der jeweiligen Sonderzahlung Berücksichtigung zu finden hätten. Da gemäß § 26 Abs 1 KV Zuschläge wie Überstunden-, Nacht‑, Sonn‑ und Feiertagszuschläge nicht einzurechnen seien, ergebe sich im Umkehrschluss, dass sich der Überstundengrundlohn sehr wohl in den Sonderzahlungen niederschlage. Ein „unterschiedliches Ausmaß der Arbeitszeit bzw des Entgelts“ ergebe sich in erster Linie durch die Erbringung von Mehr‑ und Überstunden. Zur Vermeidung von extremen Schwankungen sei eine Durchschnittsberechnung nach Maßgabe des Entgelts der letzten drei Monate vor Fälligkeit der Sonderzahlung vorzunehmen. Die Beklagte berücksichtige dabei jedoch den durchschnittlichen Überstundengrundlohn nicht.

Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Der in § 26 Abs 3 KV enthaltene Verweis auf die „Berechnung wie in Absatz 1“ stelle klar, dass höchstens das Gehalt Vollbeschäftigter im Auszahlungsmonat zuzüglich der Zulagen, jedoch ohne Zuschläge Berechnungsgrundlage sei. Eine Auslegung, dass über das Gehalt und die kollektivvertraglichen Zulagen hinausgehende Entgelte, wie etwa Überstundenentgelt, zur Bemessungsgrundlage zu zählen seien, verbiete sich aufgrund dieses Verweises. Unter Beschäftigungsausmaß (Ausmaß der Arbeitszeit) sei überdies der Prozentsatz der Vollbeschäftigung zu verstehen, nicht aber Überstundenarbeit. Aus dem Umstand, dass ausdrücklich festgelegt werde, dass bestimmte Bestandteile des Entgelts nicht zur Bemessungsgrundlage für die Sonderzahlungen zählten, folge nicht, dass alle erdenklich anderen dazuzählten.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Die Wendung „mit unterschiedlichem Ausmaß der Arbeitszeit bzw des Entgelts“ in § 26 Abs 3 KV könne nur so verstanden werden, dass gerade Fälle von Überstunden- und Mehrarbeit erfasst seien. Für die Berechnung des Durchschnittsentgelts schließe der Kollektivvertrag Überstundenzuschläge, nicht aber den Überstundengrundlohn aus. Die Wendung „im Auszahlungsmonat gebührenden Monatsgehalt“ beziehe sich auf sämtliche dem Arbeitnehmer zukommenden Entgeltbestandteile (arg: das zur Auszahlung Gelangende) und zeige, dass der verwendete Entgeltbegriff ein umfassender sei. Die in § 26 Abs 1 KV enthaltenen Einschränkungen bezüglich der Zuschläge wären redundant, wenn mit dem Begriff ohnedies bloß das Grundgehalt gemeint wäre. Dies gelte sinngemäß auch für Mehrarbeitsstunden.

Das Berufungsgericht teilte diese Beurteilung und gab der Berufung der Beklagten keine Folge. § 26 Abs 1 KV, auf den § 26 Abs 3 KV verweise, nehme ausdrücklich Überstundenzuschläge aus. Im Umkehrschluss sei der Überstundengrundlohn bei der Berechnung der Sonderzahlungen einzubeziehen, zumal er das durchschnittliche Monatsgehalt erhöhe. Arbeitnehmer, die regelmäßig Überstunden im identen Ausmaß leisteten, fielen unter Abs 1, Arbeitnehmer, deren Gehaltshöhe aufgrund unterschiedlich geleisteter Überstunden schwanke, unter Abs 3. Eine Wort- bzw systematische Interpretation der entsprechenden Kollektivvertragsnormen trage das Ergebnis des Erstgerichts. Hinzu komme, dass die Vorgängerbestimmung ausdrücklich Überstunden von der Berechnung ausgenommen habe, in der nunmehrigen Fassung jedoch nur mehr Überstundenzuschläge genannt seien. Die österreichische Rechtsordnung kenne keine strikte Definition des Begriffs Monatsentgelt, die diese Auslegung verbiete. Auch zeige die in den Begriffsbestimmungen des § 3 Abs 2 KV enthaltene Unterscheidung zwischen dem Grundlohn und dem Monatsgehalt ebenso wie zahlreiche Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, dass der Begriff Monatsentgelt oder -gehalt nicht immer zwingend mit dem Grundlohn ohne Ersatz der Überstunden gleichgestellt werde. Die Revision sei zulässig, weil die Auslegung eines Kollektivvertrags eine erhebliche Rechtsfrage darstelle.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung.

Der Kläger beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Die dem normativen Teil eines Kollektivvertrags angehörenden Bestimmungen sind nach den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB, also nach der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und der Absicht des Normgebers auszulegen (RIS‑Justiz RS0008782; RS0008807 ua). Den Kollektivvertragsparteien darf dabei grundsätzlich unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten, sodass bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben ist, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RIS‑Justiz RS0008828; RS0008897). Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RIS‑Justiz RS0010088). Denn die Normadressaten, denen nur der Text des Kollektivvertrags zur Verfügung steht, können die Vorstellungen, die die Kollektivvertragsparteien beim Abschluss vom Inhalt der Normen besessen haben, weder kennen noch feststellen. Sie müssen sich vielmehr darauf verlassen können, dass die Absicht der Parteien in erkennbarer Weise im Vertragstext ihren Niederschlag gefunden hat (RIS‑Justiz RS0010088 [T18] ua).

2. Zur streitgegenständlichen Frage der Einbeziehung des Überstundengrundlohns in die für die Sonderzahlungen maßgebliche Bemessungsgrundlage hält der Oberste Gerichtshof die Begründung der Vorinstanzen im Wesentlichen für zutreffend, sodass zunächst darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).

3. In ihrer Revision meint die Beklagte, dass der Inhalt des Begriffs „Monatsgehalt“ im Sinne der Konsistenz der Rechtsordnung an der zu 9 ObA 125/12s ergangenen Entscheidung festzumachen und als Grundlohn zuzüglich kollektivvertraglicher Zulagen zu verstehen sei. Es bestehe auch kein materieller Unterschied zur Vorfassung der streitgegenständlichen Bestimmung. Die Regelung des § 26 Abs 1 und 3 sei ein Kompromiss zwischen dem Interesse der Arbeitgeberseite an der alleinigen Maßgeblichkeit des Monatsgrundgehalts und jenem der Arbeitnehmerseite an der Maßgeblichkeit des Bruttoentgelts. Auch würden die Begriffe Entgelt und Gehalt im KV differenziert eingesetzt.

4. § 26 Abs 3 KV verweist bei ArbeitnehmerInnen mit unterschiedlichem Ausmaß der Arbeitszeit bzw des Entgelts für die Berechnung des für die Sonderzahlungen maßgeblichen Durchschnittsentgelts auf § 26 Abs 1 KV („Berechnung wie Abs 1“). Zu prüfen ist daher, welche Bedeutung der in Abs 1 verwendete Begriff des „Monatsgehalts samt Zulagen“ im Zusammenhang mit der Berechnung der Sonderzahlungen hat. Auf ein allgemeines Verständnis dieses Begriffs kommt es daher ebenso wenig an wie darauf, wie die Berechnungsgrundlage für Sonderzahlungen in anderen Kollektivverträgen festgelegt ist. Diesbezüglich zeigen die Kollektivverträge auch kein einheitliches Bild. Die Thematik lag auch nicht der Entscheidung 9 ObA 125/12s zugrunde.

5. Die Entlohnung von Überstunden haben die Kollektivvertragsparteien in § 10 Abs 6 KV dahin geregelt, dass für eine geleistete Überstunde der Grundstundenlohn und ein Zuschlag von 50 %, bei Nacht‑, Sonn‑ oder Feiertagsstunden ein Zuschlag von 100 % gebührt. Diese Differenzierung kann im Rahmen des § 26 Abs 1 KV nicht außer Acht gelassen werden. Wenn die Kollektivvertragsparteien dort als Berechnungsgrundlage für die Sonderzahlungen den „im Auszahlungsmonat gebührenden Monatsgehalt samt Zulagen“, jedoch ohne Zuschläge wie Überstunden‑, Nacht‑, Sonn‑ und Feiertagszuschläge und etwaige Sachbezüge festlegten, so kann eine derartige Regelung im Umkehrschluss von den Normadressaten nur dahin verstanden werden, dass für im Auszahlungsmonat geleistete Überstunden lediglich die nach § 10 Abs 6 KV gebührenden Zuschläge, nicht aber der für die Überstunden gebührende Grundstundenlohn außer Betracht zu bleiben hat. Hätten die Kollektivvertragsparteien anderes gewollt, hätte es angesichts der in § 10 Abs 6 KV angelegten Differenzierung zwischen Grundstundenlohn und Überstundenzuschlägen einer Diktion bedurft, die die Einbeziehung beider Bestandteile der Überstundenentlohnung in die Bemessungsgrundlage für Sonderzahlungen ausgeschlossen hätte. Daraus folgt, dass der für Überstunden geleistete Grundstundenlohn bei der Berechnung der Sonderzahlungen sehr wohl zu berücksichtigen ist.

6. Gründe dafür, dass dieser Auslegung der Anspruch auf einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Kollektivvertragsparteien entgegenstehen könnte, sind nicht ersichtlich. Das Ergebnis wird auch von der Literatur geteilt (Löschnigg/Resch, BAGS‑KV 2012, § 26 Erl 5; R. Kaufmann, Der BAGS‑Kollektivvertrag 2004‑2009, Anm zu § 26).

7. Aus dem von der Revision aufgezeigten Umstand, dass § 27 KV den Begriff des Entgelts („Fortzahlung des Entgelts bei Dienstverhinderung“) verwendet, sind für die Auslegung des § 26 Abs 1 und 3 KV keine Schlüsse im Sinne der Rechtsansicht der Beklagten zu ziehen, weil der für die Entgeltfortzahlung bei Dienstverhinderung maßgebliche Entgeltbegriff schon von Gesetzes wegen (§ 8 Abs 3 AngG, § 1154b ABGB) weiter ist und § 27 KV nur darauf Bezug nimmt. Im Übrigen spricht auch § 26 Abs 3 KV vom Durchschnittsentgelt der letzten drei Monate.

8. Die Beklagte meint auch, dass das Berufungsgericht der Änderung des § 26 Abs 1 KV, der in der Stammfassung „Zuschläge (Überstunden, Nacht‑, Sonn‑ und Feiertagszuschläge etc)“ gelautet habe und nunmehr „Zuschläge (Überstunden, Nacht‑, Sonn‑ und Feiertagszuschläge)“ laute, nicht die richtige Bedeutung beigemessen habe. Ihr kann zugestanden werden, dass es sich bei dieser Änderung nur um eine redaktionelle Klarstellung gehandelt haben mag (idS auch Löschnigg/Resch, BAGS‑KV 2012, § 26 Erl 5) ‑ könnte doch einer anderen Deutung des früheren Normtextes schon entgegengehalten werden, dass Überstunden als solche keine Zuschläge sind, der Klammerausdruck daher auch früher nicht anders als eine Konkretisierung der einzelnen Zuschläge zu verstehen war. Nach den vorstehenden Erwägungen ist das allerdings nicht entscheidungswesentlich.

9. Zusammenfassend sind die Vorinstanzen daher zutreffend zum Ergebnis gekommen, dass nach § 26 Abs 1 und Abs 3 KV auch der Überstundengrundlohn in die Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Sonderzahlungen einzubeziehen ist.

Da sich die Revision danach als nicht berechtigt erweist, ist ihr keine Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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