OGH 15Os52/13f

OGH15Os52/13f21.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. August 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Dr. Michel‑Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kurzthaler als Schriftführer in der Strafsache gegen Rasim R***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 26. November 2012, GZ 22 Hv 93/11h‑59, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Rasim R***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB idF BGBl 1989/242 (A./I./ und II./), des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (A./III./), der Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB idF BGBl 1989/242 (B./), der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (C./), der Vergehen der sexuellen Belästigung nach § 218 Abs 1 Z 1 und 2 StGB (D./) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 und Z 2 StGB (E./) schuldig erkannt.

Danach hat er in H***** und in T*****

A./ Enesa D***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, wobei die Tat „in einem Fall“ eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung zur Folge hatte, und zwar

I./ im Sommer 2000, indem er sie ins Schlafzimmer drängte, sie auszog, sich auf sie legte und gegen ihren Willen einen Geschlechtsverkehr durchführte;

II./ im Herbst 2000, indem er sie ins Kinderzimmer zwang, sie mit seinem Körper und seinen Händen niederdrückte und gegen ihren Willen einen Geschlechtsverkehr durchführte;

III./ im Sommer 2009, indem er sie an den Händen packte, rücklings gegen die Couch drückte und gegen ihren Willen einen Geschlechtsverkehr durchführte;

B./ außer den Fällen des § 201 StGB in der Zeit zwischen 14. April 1992 und 30. Mai 2001 Enesa D***** mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie in einer Vielzahl von Übergriffen trotz ihrer Gegenwehr und ihres Flehens, damit aufzuhören, küsste, ihre Brüste in den Mund nahm und sie mit seinen Händen bzw seinem erigierten Penis über und unter der Kleidung im Bereich der bereits entwickelten Brüste und an der Scheide berührte und sie dabei festhielt;

C./ in der Zeit zwischen 14. April 1992 und 19. Februar 1994 die am 20. Februar 1980 geborene, und somit unmündige Enesa D***** durch die zu Punkt B./ beschriebenen Tathandlungen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht;

D./ im Dezember 2010 Enesa D***** durch geschlechtliche Handlungen an ihr, nämlich durch Betasten der Scheide und der Brüste über der Kleidung, sowie durch eine geschlechtliche Handlung vor ihr unter Umständen, unter denen dies geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, und zwar durch Entblößen seines erigierten Gliedes, an welchem er für sie wahrnehmbar auch manipulierte, und die an diese gerichtete Aufforderung, ihn dabei zu küssen und zu umarmen, belästigt;

E./ durch die unter Punkt B./ und C./ beschriebenen Tathandlungen in der Zeit vom 14. April 1992 bis 19. Februar 1998 mit einer minderjährigen Person, die seiner Erziehung und Aufsicht unterstand, nämlich der am 20. Februar 1980 geborenen Enesa D***** unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person bzw ab der Adoption mit seinem minderjährigen Wahlkind geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 5 und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

In der gemäß § 276a StPO neu durchgeführten, der Urteilsfällung unmittelbar vorangegangenen Hauptverhandlung vom 26. November 2012 wurde der gesamte Akteninhalt „gemäß § 252 Abs 1 Z 4, Abs 2 und Abs 2a StPO“ ‑ somit mit Zustimmung der Beteiligten - vorgetragen (ON 58 S 21). Entgegen dem auf Z 5 vierter Fall gestützten Beschwerdevorbringen konnten die Erstrichter ihre Feststellungen (zum jeweiligen Tathergang) daher mängelfrei auf die solcherart sehr wohl in der Hauptverhandlung vorgekommene, im Ermittlungsverfahren erfolgte kontradiktorische Vernehmung der Zeugin Enesa D***** (ON 9) stützen (RIS‑Justiz RS0111533).

Gleiches gilt für die Kritik unzureichender Begründung der konstatierten schweren Verletzung des Opfers in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung, weil ‑ nach diesbezüglicher Modifikation der Anklage (ON 58 S 3) ‑ die Aufzeichnung der kontradiktorischen Vernehmung des Opfers im Ermittlungsverfahren in der Hauptverhandlung nicht vorgeführt worden wäre. Soweit der Beschwerdeführer unter diesem Gesichtspunkt auch das Unterbleiben einer Vernehmung des neurologischen und psychiatrischen Sachverständigen in der Hauptverhandlung rügt, ist er auf das nach dem Protokollinhalt (auch diesbezüglich) von ihm erklärte Einverständnis zum die Verlesung ersetzenden Vortrag (§ 252 Abs 2a StPO) des schriftlichen Befunds und Gutachtens dieses Sachverständigen (ON 38; Erörterung des Gutachtens unter Beteiligung des Verteidigers ON 44 S 2 ff) durch die Vorsitzende zu verweisen (ON 58 S 21).

Die Erstrichter gründeten die Feststellungen zur subjektiven Tatseite ‑ zulässigerweise und ohne Verstoß gegen Logik und Empirie ‑ auf das objektive Tatgeschehen (US 24 f; RIS‑Justiz RS0116882, RS0098671). Auch dass der Eintritt der konstatierten schweren Tatfolge für den Angeklagten wie für jedermann durchaus vorhersehbar gewesen sei (US 25), ist unter Rückgriff auf die allgemeine Lebenserfahrung zureichend begründet. Eines bedingten Vorsatzes ‑ wie dies die Beschwerde vermeint ‑ bedarf es in diesem Zusammenhang nicht (§ 7 Abs 2 StGB). Demgegenüber zeigt die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) keine im Beweisverfahren hervorgekommenen konkreten Anhaltspunkte dafür auf, dass dem Angeklagten aufgrund seiner spezifischen Lebenserfahrung diese Einsichtsfähigkeit gefehlt hätte (vgl 15 Os 166/12v).

Die Erstrichter rechneten die Erfolgsqualifikation der schweren Körperverletzung nur einer der Taten, nämlich dem zu A./III./ verwirklichten Verbrechen der Vergewaltigung zu (RIS‑Justiz RS0128224, RS0120828; Philipp in WK2 § 201 Rz 30). Die Annahme der Tatrichter, wonach sämtliche vom Schuldspruch umfassten sexuellen Übergriffe, insbesondere aber die ‑ eine massive Verschlimmerung des psychischen Zustands des Opfers bewirkenden ‑ Vergewaltigungen in tatsächlicher Hinsicht für den Eintritt der festgestellten posttraumatische Belastungsstörung kausal waren (US 11, 26), steht dem nicht entgegen, weshalb dem Urteil der vom Beschwerdeführer behauptete „unlösbare Widerspruch“ (Z 5 dritter Fall) nicht anhaftet.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit b), wonach „im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten“ ‑ in tatsächlicher Hinsicht ‑ anzunehmen wäre, dass (erst) die Tathandlung im Jahr 2009 (A./III./) die schwere Körperverletzung verursacht hätte und sohin hinsichtlich der Tathandlungen im Jahr 2000 (A./I./ und A./II./) Verjährung eingetreten wäre, hält nicht am ‑ oben wiedergegebenen ‑ Urteilssachverhalt in seiner Gesamtheit fest, sondern trachtet diesen in einer den Angeklagten begünstigenden Weise zu modifizieren (RIS‑Justiz RS0099810).

Im Übrigen handelt es sich zu A./ um einen Fall von Realkonkurrenz (Tatmehrheit), also um mehrere Taten, die je eine strafbare Handlung begründen (und im selben Strafverfahren abgeurteilt werden). In Konkurrenz treten dabei nicht die Taten, sondern die strafbaren Handlungen (vgl Ratz in WK2 Vor §§ 28‑31 Rz 14, 16).

Verjähren kann die Strafbarkeit von Taten, nicht aber von strafbaren Handlungen als rechtlichen Kategorien (RIS‑Justiz RS0090571 [T1, T4]). Bei Tatmehrheit verjähren die einzelnen Taten ‑ abgesehen vom Fall des § 58 Abs 2 StGB ‑ grundsätzlich jeweils für sich (Marek in WK2 Vor §§ 57‑60 Rz 2, § 57 Rz 12; Ratz inWK2 Vor §§ 28‑31 Rz 74). Es ist daher jede einzelne Tat (historisches Geschehen) anhand der im Urteil getroffenen Feststellungen einer (oder mehreren) strafbaren Handlung(en) (normativen Kategorien) zu unterstellen und auf dieser Basis zu beurteilen, ob Verjährung eingetreten ist (zu den Begriffen „Tat“ und „strafbare Handlung“ vgl Ratz in WK2 Vor §§ 28‑31 Rz 1).

Fallbezogen sind die im Sommer und Herbst 2000 begangenen, jeweils für die vom Opfer erlittene posttraumatische Belastungsstörung in ihrer konkreten Ausprägung (mit‑)kausalen Taten für sich gesehen jeweils der mit einem Strafsatz von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verknüpften Bestimmung des § 201 Abs 2 und Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl 1989/242 zu subsumieren. Zufolge § 58 Abs 2 StGB, wonach für den Fall, dass der Täter während der Verjährungsfrist neuerlich eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruht, die Verjährung nicht eintritt, bevor auch für diese Tat die Verjährungsfrist abgelaufen ist, ist (auch) in Ansehung dieser Taten wegen des im Sommer 2009 begangenen Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (A./III./) Verjährung nicht eingetreten.

Dies unbeschadet dessen, dass ‑ wie bereits erwähnt ‑ bei gleichartiger (wie ungleichartiger) Realkonkurrenz ein und derselbe Erfolg die darauf bezogene Qualifikation letztlich nur bei einer der zusammentreffenden strafbaren Handlungen begründet, und zwar bei derjenigen mit dem strengsten Strafsatz. Durch die ‑ gerade nicht tatsächliche, sondern (ausschließlich) rechtliche ‑ Annahme materieller Subsidiarität soll nämlich in diesen Fällen (nur) eine mehrfache Anlastung ein und desselben Erfolgs (bei der Strafbemessung vermieden) werden (14 Os 172/11t [verstärkter Senat]).

Für eine ex post vorzunehmende Herabsetzung des tatsächlich im Einzelfall begangenen Unrechts auf eine solcherart unqualifizierte Tatbestandsverwirklichung bei der Prüfung der Frage der Verjährung besteht hingegen keine Veranlassung. Im Übrigen würde eine solche Vorgangsweise den mehrfach delinquierenden Täter ungerechtfertigt privilegieren, indem sie unter Umständen frühere qualifizierte Taten wegen späterer ebenso qualifizierter der Strafbarkeit entzöge.

Zusammengefasst ist daher festzuhalten, dass die rechtliche Annahme scheinbarer Realkonkurrenz (in Form materieller Subsidiarität) in Ansehung der mehrfach verwirklichten Qualifikation der Zufügung einer schweren Körperverletzung, die dazu führt, dass dieser Taterfolg nur einmal zugerechnet wird, nicht auf die zuvor zu prüfende Frage der Verjährung jeder einzelnen Tat durchschlägt (in abstracto, die gegenständliche Fallkonstellation nicht vor Augen habend, allgemein ablehnend ‑ seinerzeit ‑ Burgstaller, JBl 1978, 469).

Dieser Fall unterscheidet sich auch grundlegend von jenem der Konsumtion einer straflosen Nachtat, in dem die Verdrängung der Nachtat durch die Verjährung der ‑ die ausschließliche Bewertungsgrundlage bildenden ‑ Haupttat nicht berührt wird (vgl Burgstaller,JBl 1978, 465 f; ihm folgend Ratz inWK2 Vor §§ 28‑31 Rz 74).

Bleibt anzumerken, dass fallbezogen im Hinblick auf den nach § 61 StGB vorzunehmenden Günstigkeitsvergleich und die Unzulässigkeit einer Kombination aus den in Rede stehenden Rechtsschichten (RIS‑Justiz RS0112939) die Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses (E./) wegen der Idealkonkurrenz mit den Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB idF BGBl 1989/242 (B./) und mit den Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (C./) der Bestimmung des § 212 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 zu unterstellen gewesen wären. Im Hinblick auf die für den Angeklagten nicht ungünstigere aktuelle Fassung des § 212 Abs 1 StGB war jedoch die verfehlte Subsumtion für ihn nicht nachteilig im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung ergibt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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