OGH 12Os28/13d

OGH12Os28/13d8.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. August 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Sol und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bandarra als Schriftführer in der Strafsache gegen Edis I***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Jugendschöffengericht vom 7. September 2012, GZ 34 Hv 87/12z-27, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen Privatbeteiligtenzuspruch enthält, wurde Edis I***** „des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB“ schuldig erkannt.

Danach hat er am 30. Dezember 2011 in V***** Jana S*****, indem er

1./ sie an der Hand nach unten zog, sodass sie zum Knien kam, anschließend mit beiden Händen um den Nacken erfasste und ihren Kopf zu seinem Penis drückte, sie auf diese Weise festhielt, seinen Penis in ihren Mund steckte, ihren Kopf auf und ab bewegte und mit ihr gegen ihren Willen und Widerstand den oralen Geschlechtsverkehr vollzog, mit Gewalt zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt;

2./ sowohl von vorne als auch von hinten mit den Händen unter ihre Unterhose fuhr und mehrfach gegen ihren Widerstand versuchte, mit den Fingern in ihre Vagina einzudringen, obwohl sie versuchte, ihn wegzudrücken und ihm mehrfach sagte, dass sie das nicht wolle, wobei er nur deshalb davon abließ, weil er spürte, dass sie einen Tampon in der Vagina hatte, (erg: also mit Gewalt; vgl US 4 f) zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 4, 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider durfte das Erstgericht die vom Angeklagten in der Hauptverhandlung gestellten Anträge (ON 26 S 12) ohne Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten abweisen (ON 26 S 12 f).

Das Begehren auf Vernehmung der Carina E***** zum Beweis dafür, dass sie entgegen den Behauptungen von Jana S***** vom Angeklagten nie gegen ihren Willen zu sexuellen Handlungen genötigt bzw von diesem vergewaltigt wurde, erweist sich schon deshalb als unberechtigt, weil, auch unter dem Aspekt einer - grundsätzlich zulässigen (vgl RIS-Justiz RS0098429, RS0028345) - Beweisführung zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit des Tatopfers, weder dessen habituelle Falschbezichtigungstendenz noch ein Zusammenhang früherer falscher Angaben mit dem Verfahrensgegenstand behauptet wird (vgl RIS-Justiz RS0120109).

Aber auch die Anträge auf Vernehmung des Selemchan Is***** zum Beweis dafür, dass Jana S***** ihn mehrmals und immer wieder gebeten hat, mit dem Angeklagten Kontakt herzustellen bzw er über deren Ersuchen im Jugendzentrum B***** ein Treffen arrangierte, weil sie den Angeklagten liebt, und des Thomas H***** zum Beweis dafür, dass Jana S***** außergewöhnlichen Sexualpraktiken nicht abgeneigt ist, indem sie mit zwei Männern ins Bett geht und ein dritter zuschaut, verfielen zu Recht der Abweisung. Sie legen nämlich nicht dar, weshalb die begehrte Beweisaufnahme das behauptete, überdies für die Lösung der Schuld- und Subsumtionsfrage unerhebliche (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 321) Ergebnis erwarten lasse und erweisen sich somit als im Stadium der Hauptverhandlung unzulässige Erkundungsbeweisführung (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330 f).

Das ergänzende Vorbringen in der Nichtigkeitsbeschwerde unterliegt dem sich aus dem Wesen des Nichtigkeitsgrundes der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO ergebenden Neuerungsverbot und ist demnach unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618, RS0099117).

Dass Jana S***** im Rahmen ihrer kontradiktorischen Vernehmung angab, nicht versucht zu haben, wegzulaufen, und auch nicht geschrien zu haben (weil, was die Rüge übergeht, „da nichts außer Keller“ gewesen sei; ON 15 S 27), steht der Annahme der Unfreiwilligkeit nicht entgegen, sodass diese Depositionen entgegen dem Vorwurf unvollständiger Begründung (Z 5 zweiter Fall) nicht gesondert erörterungsbedürftig waren.

Ferner unternimmt die Mängelrüge im Wege eigenständiger Beweiswerterwägungen den im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Versuch, nach Art einer Schuldberufung die vom Erstgericht als glaubwürdig erachteten Angaben des Tatopfers zu einem fehlenden Einverständnis (vgl insbes US 6 f) in Zweifel zu ziehen und der Zeugin Jana S***** demgegenüber unter Hinweis auf die vom Erstgericht ohnedies erörterte, aber mit zureichender Begründung verworfene Verantwortung des Angeklagten, sie habe sich aufgrund seiner Zurückweisung rächen wollen (US 7), verleumderische Bezichtigung zu unterstellen.

Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780).

Mit dem Hinweis, die Zeugin S***** hätte angesichts des an der versperrten Türe steckenden Schlüssels den Keller schon weitaus früher verlassen können, gelingt es der Beschwerde nicht, derartige erhebliche Bedenken zu wecken.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810). Der Beschwerdeführer muss von diesem Gesamtzusammenhang ausgehend zur Geltendmachung eines aus Z 9 oder Z 10 gerügten Fehlers klarstellen, aus welchen ausdrücklich zu bezeichnenden Tatsachen (einschließlich der Nichtfeststellung von Tatsachen) welche rechtliche Konsequenz (§ 259, § 260 Abs 1 Z 2 StPO) hätte abgeleitet werden sollen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 584).

Diesen Erfordernissen wird die Rechtsrüge (Z 9 lit a) schon deshalb nicht gerecht, weil sie die Feststellungen zu der nicht unerheblichen Gewaltanwendung des Angeklagten (US 4 f) übergeht und mit spekulativen Erwägungen dessen Tathandlungen als Begleitumstände eines einverständlichen Sexualakts darzustellen sucht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Bleibt anzumerken, dass nach dem Tatsachensubstrat des Urteils beide sexuellen Angriffe des Angeklagten eine von einheitlichem Vorsatz getragene tatbestandliche Handlungseinheit darstellen (vgl RIS-Justiz RS0120233, RS0117038; 13 Os 1/07g vS, EvBl 2007/114, 614 = SSt 2007/27 = JBl 2008, 467 m Anm Schütz; Ratz in WK2 Vor §§ 28 bis 31 Rz 89). Die demnach verfehlte Annahme zweier Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB bietet jedoch für eine amtswegige Maßnahme nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO keinen Anlass, weil lediglich die „Tatwiederholung“, nicht aber das Zusammentreffen zweier Verbrechen als erschwerend gewertet wurde (US 8). An die insoweit fehlerhafte Subsumtion ist das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufung nicht gebunden (RIS-Justiz RS0118870; Ratz, WK-StPO § 290 Rz 27a).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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