OGH 6Ob118/13s

OGH6Ob118/13s4.7.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Celina A*****, geboren am 4. Juni 2006, Angelina und Savanna A*****, beide geboren am 23. April 2007, Christian‑Angelo E*****, geboren am 28. Mai 2011, Nina und Michael E*****, beide geboren am 18. September 2012, über den Revisionsrekurs des Landes Niederösterreich, vertreten durch das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, Gruppe Gesundheit und Soziales, Abteilung Jugendwohlfahrt, 3109 St. Pölten, Landhausplatz 1, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 25. April 2013, GZ 23 R 183/13d‑39, mit dem die Beschlüsse des Bezirksgerichts Amstetten vom 7. März 2013, GZ 1 Ps 4/12h, 1 Ps 47/11m, 1 Ps 28/12p, 1 Ps 42/13y‑22, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf Bestimmung der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen.

Begründung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) ‑ Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig:

Das Rekursgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur erst mit dem KindNamRÄG 2013 eingeführten Bestimmung des § 107a AußStrG.

Die Vorinstanzen haben den Antrag, gemäß § 107a Abs 1 AußStrG die vorläufige Zulässigkeit der vom Jugendwohlfahrtsträger gemäß § 211 Abs 1 Satz 2 ABGB gesetzten Maßnahmen durch Übernahme von Pflege und Erziehung sowie Wahrnehmung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die Minderjährigen festzustellen, mangels Antragslegitimation des Jugendwohlfahrtsträgers als unzulässig zurückgewiesen. Gestellt hatten diesen Antrag (formell) die minderjährigen Kinder, diese vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger.

1. Der Jugendwohlfahrtsträger meint in seinem Revisionsrekurs, ihm komme „als Vertreter der Minderjährigen jedenfalls Antragslegitimation“ zu.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 107a Abs 1 AußStrG, eingefügt durch das KindNamRÄG 2013, hat das Gericht in Verfahren über einen Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers nach § 211 Abs 1 Satz 2 ABGB auszusprechen, ob die Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers unzulässig oder vorläufig zulässig ist. Antragslegitimiert sind nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung das Kind und jene Person, in deren Obsorge eingegriffen wird, nicht jedoch auch der Jugendwohlfahrtsträger. Nach insoweit völlig herrschender Auffassung steht es letzterem nicht offen, die von ihm vorgenommene Maßnahme in Zweifelsfällen oder zu seiner (haftungsrechtlichen) Entlastung einer vorläufigen Zulässigkeitsprüfung zuzuführen (Höllwerth, Gerichtliche Kontrolle der Interimskompetenz des Jugendwohlfahrtsträgers, in Gitschthaler, KindNamRÄG 2013 [2013] 227; Fucik in Fucik/Deixler‑Hübner/Huber, Das neue Kindschaftsrecht [2013] 155; ders, Verfahren in Ehe‑ und Kindschaftsangelegenheiten nach dem KindNamRÄG 2013, ÖJZ 2013/32; Fucik/Jelinek, Kindesabnahme durch den Jugendwohlfahrtsträger ‑ vorläufige Zulässigkeitsprüfung, in Barth/Deixler-Hübner/Jelinek, Handbuch des neuen Kindschafts- und Namensrechts [2013] 313).

Das Fehlen einer Antragslegitimation des Jugendwohlfahrtsträgers in Verfahren nach § 107a Abs 1 AußStrG war Thema im Begutachtungsverfahren zum KindNamRÄG 2013 (vgl die Nachweise bei Höllwerth aaO FN 26); sie wurde dennoch nicht in das Gesetz aufgenommen. Damit kann aber insoweit auch nicht von einer ‑ durch Analogie zu füllenden ‑ unbeabsichtigten (planwidrigen) Unvollständigkeit des § 107a Abs 1 AußStrG ausgegangen werden.

Der Jugendwohlfahrtsträger hat im Verfahren erster Instanz keine eigenen Anträge gestellt. Die als Anträge der Kinder formulierten Eingaben können aber aufgrund der dargestellten Rechtslage auch nicht als solche des Jugendwohlfahrtsträgers umgedeutet werden, wie dies das Erstgericht getan hat.

2.1. Die Anträge wurden formell von den Kindern gestellt. Antragsgegner in einem Verfahren nach § 107a Abs 1 AußStrG ist der Jugendwohlfahrtsträger, der die Maßnahmen nach § 211 Abs 1 Satz 2 ABGB gesetzt hat (vgl Höllwerth aaO). Schon allein aus diesem Grund kann der Jugendwohlfahrtsträger infolge formeller Kollision nicht Vertreter der Kinder sein (Fucik/Jelinek aaO). Dies gilt aber auch für die (bisherigen) Obsorgeträger, müssen doch deren Interessenslagen nicht mit jenen der Kinder übereinstimmen (Höllwerth aaO; in diesem Sinn auch Fucik/Jelinek aaO).

2.2. Mündige Minderjährige verfügen auch in Verfahren nach § 107a Abs 1 AußStrG über eine eigene Verfahrensfähigkeit (§ 104 AußStrG; Höllwerth aaO). Unmündige Minderjährige bedürfen grundsätzlich eines Kollisionskurators; dabei ist allerdings auch § 271 Abs 2 ABGB zu beachten, wonach sich eine Kuratorbestellung erübrigt, wenn eine materielle Kollision nicht zu befürchten ist und die Interessen der Kinder vom Gericht allein ausreichend wahrgenommen werden können (Fucik/Jelinek aaO).

3. Das Erstgericht hat die Anträge der Minderjährigen als solche des Jugendwohlfahrtsträgers interpretiert und zurückgewiesen; die Bestellung eines Kollisionskurators für die Kinder hielt es offensichtlich nicht für notwendig. Dies wird im Revisionsrekursverfahren nicht in Zweifel gezogen und ist hier schon allein deshalb durchaus vertretbar, als die Vorgehensweise des Jugendwohlfahrtsträgers zweifellos eigenen Interessen dient; der Jugendwohlfahrtsträger lässt nicht einmal ansatzweise erkennen, weshalb eine vorläufige Genehmigung der gesetzten Maßnahmen im Interesse der Kinder gelegen sein sollte. Die Konzeption des § 107a Abs 1 AußStrG geht vielmehr von einem Interesse des Kindes und der bisherigen Obsorgeträger an der Unzulässigerklärung einer Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers aus.

4. Aufgrund der eindeutigen Rechtslage war der Revisionsrekurs zurückzuweisen; dass einschlägige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs insoweit nicht vorliegt, ändert daran nichts (RIS‑Justiz RS0042656).

Ein Kostenersatz findet nicht statt (§ 107 Abs 5 AußStrG; Höllwerth aaO).

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