OGH 17Os6/13f

OGH17Os6/13f27.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Mai 2013 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek und Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kurzthaler als Schriftführer in der Strafsache gegen Maria K***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 14. November 2012, GZ 9 Hv 77/12p‑15, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit ihren Rechtsmitteln werden die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Maria K***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat sie „in Graz vom 1. November 2003 bis 31. März 2011 als Beamtin, nämlich als Hilfsreferentin des Strafamtes der Bundespolizeidirektion Graz mit dem Vorsatz, die Republik Österreich in ihrem Recht auf Strafverfolgung durch gesetzmäßige Führung von Verwaltungsstrafverfahren, Herbeiführung inhaltlich sachgerechter Entscheidungen vor Eintritt der Verjährung und auf Einhebung von Verwaltungsstrafen sowie die Parteien von Verwaltungsstrafverfahren in deren Recht auf zeitnahe Verfahrensführung und inhaltlich sachgerechte Entscheidungen sowie Mitteilung derselben zu schädigen, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen (§§ 43, 44 BDG; §§ 16 Absatz 1 und 2 AVG iVm § 24 VStG, 40 ff VStG, 47 f VStG; Punkte C bis E, insbesondere C.3./ und C.5./ der aufgrund § 13 Absatz 1 SPG festgelegten Kanzleiordnung der Bundespolizeidirektion Graz) wissentlich missbraucht, indem sie teils entgegen der Anweisung ihres Vorgesetzten Referenten OR Mag. Johann G***** die Vornahme von Amtsgeschäften in Form von Rechtshandlungen oder gleichartigen faktischen Verrichtungen ([vorbereitende] Durchführung von Verfahrenseinstellungen und Mitteilungen, Zustellungen, Einholung von Lenkerauskünften, Ausfertigung von Strafverfügungen, Veranlassung von Nachforschungen zur Person des Beschuldigten oder seines Aufenthaltes, Vorlage an den Referenten zur weiteren Erledigung des [ordentlichen] Verfahrens) in insgesamt 333 Verwaltungsstrafverfahren unterließ, die bezughabenden Akten unerledigt ablegte und am Ende eines jeden Quartals für ihren Vorgesetzten Rückstandsausweise (§ 16 Absatz 1 und 2 AVG, § 24 VStG, Punkt C.5./ der Kanzleiordnung der Bundespolizeidirektion Graz) zur Unterfertigung und Weiterleitung an den Strafamtsleiter verfasste, in denen sie pflicht- und wahrheitswidrig die von ihr unbearbeiteten Akten nicht anführte“.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.

Aus ihrem Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Urteil nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 9 lit a) zum Nachteil der Angeklagten anhaftet, die von Amts wegen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) aufzugreifen war.

Der angefochtene Schuldspruch umfasst keine gleichartige Verbrechensmenge nur pauschal individualisierter Taten, sondern 333 (im Urteil einzeln bezeichnete) Fälle des Missbrauchs der Amtsgewalt, die ‑ ungeachtet der Anwendung des Zusammenrechnungsgrundsatzes des § 29 StGB (RIS‑Justiz RS0121981) ‑ rechtlich selbständig sind und solcherart je für sich den Gegenstand von Schuld- und Freispruch bilden (RIS-Justiz RS0117436; Ratz in WK2 StGB § 29 Rz 7; ders, WK-StPO § 281 Rz 568 und 576).

Das Erstgericht hat sich gleichwohl darauf beschränkt, die der Beschwerdeführerin angelasteten Verletzungen ihr zukommender Befugnis bloß pauschal festzustellen (US 3 und 8) und darüber hinaus hinsichtlich der in den einzelnen Verwaltungsstrafverfahren konkret vorgeworfenen Verfehlungen auf eine tabellarische Übersicht zu verweisen, in welcher die (unterlassenen) Verfahrensschritte bloß stichwortartig, zum Teil bloß (in nicht allgemein verständlicher Form) durch Abkürzungen oder Zitierung von Rechtsvorschriften, angeführt sind. Schon deshalb entsprechen die Entscheidungsgründe nicht dem gesetzlichen Auftrag, die als erwiesen angenommenen Tatsachen in Bezug auf das vorgeworfene Verhalten (in jedem Einzelfall) ‑ zwar in gedrängter Form, aber ‑ mit voller Bestimmtheit anzugeben (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO; vgl 14 Os 74/03). Dazu kommt, dass die Beschwerdeführerin nach den ‑ undifferenziert zu allen Taten gleichermaßen getroffenen ‑ Konstatierungen zur subjektiven Tatseite, „im gesamten Deliktszeitraum“ beim (wissentlichen) Befugnismissbrauch „die Schädigung der Republik Österreich in ihrem Recht auf Strafverfolgung durch gesetzmäßige Verfahrensführung und Herbeiführung inhaltlich sachgerechter Entscheidungen vor Eintritt der Verjährung und teils an ihrem Recht auf Einhebung von Verwaltungsstrafen und der Parteien des Verwaltungsstrafverfahrens in deren Rechten auf zeitnahe Verfahrensführung und sachgerechte inhaltliche Entscheidungen sowie Mitteilung derselben, billigend in Kauf“ genommen habe (US 3). Eine Zuordnung, bei welchen Taten sie konkret den Vorsatz gehabt habe, „dadurch“ (vgl § 302 Abs 1 StGB) den Staat oder private Personen an einem (oder mehreren) dieser (ganz unterschiedlichen) Rechte zu schädigen, ist solcherart nicht möglich. Die Feststellungen vermögen daher insgesamt den Schuldspruch nicht zu tragen, weshalb dessen Aufhebung unumgänglich war. Gleichzeitige Behebung des darauf beruhenden Strafausspruchs ist rechtslogische Folge. Eine Erörterung des Beschwerdevorbingens erübrigt sich somit.

Mit ihren Rechtsmitteln waren die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.

Im zweiten Rechtsgang wird zu beachten sein, dass die Verletzung allgemeiner staatlicher Kontroll‑ oder Aufsichtsrechte sowie bloß interner Dienstvorschriften als Gegenstand der Rechtsschädigung so lange nicht in Frage kommt, als hierdurch kein dahinter stehender gesetzlicher Zweck in einem konkreten Fall gefährdet wird. Das vom Schädigungsvorsatz umfasste Recht des Staats darf nämlich nicht allein jenes sein, das den Täter verpflichtet, seine Befugnis den Vorschriften entsprechend zu gebrauchen, somit keinen Befugnismissbrauch zu begehen. Es muss weiter als jenes Recht sein, das darin besteht, die Vorschrift einzuhalten, die bereits den Missbrauch der Befugnis bildet. Das allgemeine Recht des Staats gegenüber dem Beamten auf pflichtgemäße Berufs‑ und Dienstausübung, der abstrakte staatliche Anspruch auf eine korrekte und saubere Verwaltung, allgemeine staatliche Kontroll‑ und Aufsichtsrechte und bloß interne Dienstvorschriften sind demnach keine (konkreten) Rechte, die der Schädigungsvorsatz verlangt. Täuschung (bloß) der Dienstaufsicht ist daher nicht gerichtlich strafbar. Das ist Sache des Disziplinarrechts. Für den Bereich des Strafrechts erübrigen sich damit auch Abgrenzungsprobleme zwischen informeller Befragung über Aktenrückstände und schriftlichen Berichtsaufträgen. Werden diese durch Fehleintragungen unterlaufen, liegt Missbrauch der Amtsgewalt (deshalb allein noch) nicht vor. Will der Täter aber konkrete Schritte eines (Verwaltungs-)Strafverfahrens beeinflussen, kommt Missbrauch der Amtsgewalt ins Spiel (zuletzt eingehend: 17 Os 19/12s, EvBl 2013/63, 423).

Auch subjektive Rechte von Parteien eines Verwaltungsstrafverfahrens als Bezugspunkt von Schädigungsvorsatz bedürfen konkreter (unter Umständen auch bloß verfassungs-)gesetzlicher Verankerung. Diese (unter dem Aspekt von Z 5 erster Fall des § 281 Abs 1 StPO deutlich anzusprechende) Verortung muss vom Täter ‑ zumindest nach Art einer Parallelwertung in der Laiensphäre ‑ erkannt werden, um Gegenstand von Verletzungsvorsatz zu sein. Eine Verpflichtung, dem Beschuldigten eines Verwaltungsstrafverfahrens dessen nicht bescheidmäßig erfolgte Einstellung mitzuteilen, besteht jedenfalls nur, wenn er von dem gegen ihn gerichteten Verdacht wusste (§ 45 Abs 2 zweiter Satz VStG). Ein in den Entscheidungsgründen angedeutetes Recht auf Einstellung binnen angemessener Frist kommt ohne (vom Tätervorsatz erfassten) Bezugspunkt für deren Beginn (vgl § 32 Abs 1 und 2 VStG; vgl C. Fuchs in N. Raschauer/W. Wessely, Kommentar zum Verwaltungsstrafrecht Rz 121) von vornherein nicht in Betracht (vgl aber auch § 31 Abs 3 erster Satz VStG).

Stichworte