OGH 2Ob41/13p

OGH2Ob41/13p7.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Renate W*****, vertreten durch Dr. Klaus Perner, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. E***** AG, *****, vertreten durch Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte Partnerschaft in Wien, und 2. M***** Bank AG, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 6.000 EUR sA, über den Rekurs der erstbeklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 7. November 2012, GZ 22 R 305/12z‑23, womit das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 1. Juni 2012, GZ 25 C 1433/10x‑19, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit 614,86 EUR (darin enthalten 102,48 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin schloss am 29. März 2005 einen Konto‑ und Depoteröffnungsantrag/Kaufauftrag zum Ankauf von „Aktien“ der Meinl European Land ldt. (kurz: MEL) und vereinbarte einen Anlageplan, wonach 120 Monatsraten á 50 EUR, beginnend ab Mai 2005, insgesamt somit 6.000 EUR bezahlt werden sollten.

Die Klägerin sowie der im ursprünglich verbundenen Verfahren auftretende weitere Kläger haben sich in der Folge um die Veranlagung nicht gekümmert. Ende Juli 2007 kam es zu einem massiven Kurseinbruch. Per Ende August hatte MEL bezogen auf den Jahresbeginn 2007 bereits 35 % an Wert verloren. Ab ca Mitte August 2007 setzte eine intensive Medienberichterstattung über den Kursverfall und die dafür möglichen Gründe ein. Die Kurseinbrüche waren ab 23. August 2007 beinahe täglich Thema und Gegenstand der Berichterstattungen in sämtlichen Medien sowohl in den gängigen Tageszeitungen als auch im ORF. Die öffentliche Wahrnehmbarkeit der massiven Kursverluste und das Absinken des Wertes von MEL waren in der letzten Augustwoche 2007 eindeutig gegeben. Laut Berichterstattung in „Zeit im Bild“ am 29. August 2007 hatten Anleger von MEL bis zu 50 % des eingesetzten Kapitals verloren. Am 4. September 2007 gab es Berichte über Klagen großer Investoren. In den Folgetagen war in sämtlichen Medien fast täglich über die Kurseinbrüche und Probleme zu hören.

Auch die Kläger haben „letztlich“ von diesen Kursabstürzen und Problemen erfahren, wobei der genaue Zeitpunkt nicht festgestellt werden konnte. Sie haben „in der Folge“ ihre Anlageberaterin auf diese Probleme angesprochen und diese sagte ihnen, dass sie ohnedies Klage einbringen würde, die beiden Kläger könnten sich dann „anhängen“. Tatsächlich haben sich die Kläger aber auch weiterhin nicht wirklich um die Sache gekümmert, sondern im November 2007 ihre monatlichen Zahlungen eingestellt. „Letztlich“ haben die Kläger im Fernsehen einen Bericht gesehen, wonach der Klagevertreter in einem derartigen Fall erfolgreich gewesen sei. Wann genau die Kläger diesen Bericht gesehen haben, konnte nicht festgestellt werden.

Die Klage wurde am 20. September 2010 bei Gericht eingebracht.

Die Klägerin begehrt 6.000 EUR sA Zug um Zug gegen die Rückgabe der Zertifikate, hilfsweise die Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für den eingetretenen Kursverlust und dadurch eingetretenen gegenwärtigen und zukünftigen Schaden in Zusammenhang mit der Veranlagung von 6.000 EUR.

Die Beklagten wandten unter anderem Verjährung ein.

Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf die Frage der Verjährung ein und wies beide Klagen aus diesem Grund ab. Der Kausalzusammenhang zwischen dem erlittenen Schaden und dem Fehlverhalten der später Beklagten sei ausgehend von den Feststellungen über die Medienberichterstattung und die öffentliche Wahrnehmbarkeit jedenfalls mit Ende August 2007 gegeben gewesen. Ein Geschädigter dürfe sich aber grundsätzlich nicht passiv verhalten, sondern müsse seiner Nachforschungspflicht nachkommen, weshalb es nicht darauf ankomme, ob die Kläger tatsächlich die entsprechenden Medienberichte wahrnahmen. Maßgebend für den Beginn der Verjährungsfrist sei nur, ab wann den Klägern ‑ wie jedem sorgfältigen Durchschnittsmenschen ‑ bei entsprechender Aufmerksamkeit der bereits eingetretene massive Kursverlust und Schaden erkennbar werden musste. Spätestens zu diesem Zeitpunkt, der mit der letzten Augustwoche des Jahres 2007 anzusetzen sei, habe die Verjährungsfrist zu laufen begonnen. Wenn die Kläger ausführten, von diesen Medienberichten keine Kenntnis erlangt bzw sie nicht wahrgenommen zu haben, könne es nicht angehen, dass durch dieses Verhalten der Kläger der Beginn der Verjährungsfrist hinausgeschoben werde. Es sei vielmehr von der objektiven Erkennbarkeit auszugehen, weil es nicht im Belieben des Anlegers stehen könne, den Beginn einer Verjährung durch behauptetes Desinteresse oder Nichterkundigungen hinauszuschieben. Die am 20. September 2010 eingebrachte Klage sei daher verjährt.

Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung über Berufung beider Kläger auf. Die bloße Möglichkeit der öffentlichen Kenntnisnahme des Schadens und der Person des Ersatzpflichtigen genüge nach der Judikatur im Regelfall nicht, um die Verjährungsfrist auszulösen. Nur wenn die Berichte tatsächlich wahrgenommen würden und dennoch weiterhin ein völlig passives Verhalten an den Tag gelegt werde, gelte die Kenntnis schon mit dem Zeitpunkt als erlangt, in welchem sie bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre. Auch gehe aus den Feststellungen hervor, dass ‑ zumindest der Kläger im verbundenen Verfahren ‑ auch nach dem Ankaufstag noch Risikohinweise, Prospekte, Folder und monatliche Depotauszüge erhalten habe, zu deren Zeitpunkt und Inhalt keine Feststellungen getroffen worden seien. Insofern leide das Urteil an sekundären Feststellungsmängeln. Erst wenn geklärt sei, ob die Kläger die Medienberichte gehört und schriftliche Mitteilungen oder Broschüren erhalten hätten, aus denen leicht und ohne weitere umfangreiche Erhebungen erkennbar gewesen wäre, dass die von ihnen gewählte Veranlagung entgegen einer ausdrücklichen Zusage nicht risikolos, sondern risikobehaftet gewesen sei, könne beurteilt werden, ob bereits ein Schaden erkennbar gewesen sei. In diesem Fall wären weitere Feststellungen darüber erforderlich, ob den Klägern die tatsächliche Kenntnisnahme des Primärschadens ohne Mühe möglich gewesen wäre und sie dennoch die Medienberichte oder allenfalls auch entsprechende schriftliche Informationen ohne nachvollziehbaren Grund zur Kenntnis nahmen, ohne weitere Schritte zu setzen. Das Erstgericht werde gegebenenfalls auch zur Frage, welche Risikozusagen gemacht wurden und ab wann den Klägern die Hinweise auf den möglichen Schadenseintritt tatsächlich wahrnahmen, ergänzende Feststellungen zu treffen haben.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, weil zur Frage, ob der Geschädigte auch dann, wenn er noch keinen Hinweis auf den Eintritt eines Schadens habe, in Bezug auf die von ihm erworbenen Zertifikate die öffentliche Berichterstattung verfolgen müsse, andernfalls dadurch die Erkundigungspflicht und somit auch die Verjährungsfrist ausgelöst werde, keine oberstgerichtliche Judikatur vorliege. Im Hinblick auf den Streitwert sei der Rekurs allerdings nur im Verfahren der Klägerin zuzulassen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Erstbeklagten mit dem Abänderungsantrag, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen, in eventu es abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig (§ 526 Abs 2 ZPO).

1. Die Rekurswerberin stützt sich auf die Entscheidung 8 Ob 135/10a, wonach den Geschädigten eine Erkundigungspflicht trifft, wenn er die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann. Das Erstgericht habe unzählige Feststellungen zum Kurseinbruch bei MEL getroffen und auch festgestellt, dass ab Mitte August 2007 eine intensive Medienberichterstattung über den Kursverfall eingesetzt habe. Die dadurch bedingte öffentliche Wahrnehmbarkeit der Kursverluste und das Absinken des Wertes seien daher „omnipräsent“ gewesen. Das Erstgericht habe auch festgestellt, dass die Kläger von diesen Kursabstürzen und Problemen erfuhren, wenn auch der genaue Zeitpunkt nicht feststellbar gewesen sei. Judikatur zur Frage der nur theoretisch bestehenden Möglichkeit der Kenntnisnahme von Schaden und Schädiger durch „Omnipräsenz“ eines relevanten Umstands liege nicht vor. Die Klägerin hätte jedenfalls die öffentliche Berichterstattung verfolgen und sich im Zuge ihrer Erkundigungspflicht Kenntnis verschaffen können und auch müssen. Da sie dies unterlassen habe, sei ihr Begehren verjährt und daher abzuweisen.

2. Nach der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs beginnt die Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB mit Kenntnis des Verletzten vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen zu laufen (RIS‑Justiz RS0034374), die durch die verschuldete Unkenntnis nicht ersetzt wird (RIS‑Justiz RS0034686). Die bloße Möglichkeit der Kenntnis genügt grundsätzlich ebenso wenig wie die bloße Möglichkeit der Ermittlung einschlägiger Tatsachen. Kennen müssen reicht daher grundsätzlich nicht aus (RIS‑Justiz RS0034366 [T3, T6]).

3. In gewissem Umfang wird dann eine Erkundigungsobliegenheit des Geschädigten angenommen (RIS‑Justiz RS0034686 [T12]), wenn er die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann (RIS‑Justiz RS0034524 [T21]; RS0034366 [T20]), wobei die Erkundigungspflicht aber nicht überspannt werden darf (RIS‑Justiz RS0034327). Nur insoweit darf sich der Geschädigte nicht einfach passiv verhalten (RIS‑Justiz RS0065360).

In diesem Sinne hat die im Rechtsmittel zitierte Entscheidung 8 Ob 135/10a ausgesprochen, dass Anleger, die ihnen übermittelte Urkunden komplett ignorieren und damit jegliche Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten vermissen lassen, nicht besser gestellt werden könnten, als jene, die diese Unterlagen lesen.

4. Mit diesem Judikaturhinweis wird aber keine hier entscheidungsrelevante Frage aufgeworfen, weil im vorliegenden Fall der Beginn der Verjährungsfrist ‑ jedenfalls in Bezug auf die Klägerin ‑ nicht an übersandte Rechenschaftsberichte, aus denen der Schaden allenfalls ableitbar gewesen wäre, geknüpft wird.

5. Zur Frage der Relevanz von Medienberichterstattung besteht ebenfalls bereits Judikatur (vgl 7 Ob 204/05h, 1 Ob 68/05i, 6 Ob 172/05w, 8 Ob 98/09h), die jeweils Schäden aus irrtümlich zu viel bezahlten Zinsen bei Kreditverträgen zur Grundlage hatte. In diesen Fällen wurde als entscheidend angesehen, ob und wann sich die Medieninformation derart verdichtet hatte, dass die Kreditnehmer ersehen konnten, dass ihre konkreten Kreditverträge unkorrekt abgerechnet worden wären (6 Ob 172/05w) bzw dass der Anspruchsteller ohne nennenswerte Mühe Umstände entnehmen konnte, dass „in seinem Fall“ bzw wenigstens „durch seine Bank“ unrichtige Berechnungen von Zinsen erfolgt wären (8 Ob 98/09h), oder dass „ihre Kreditverträge“ inkorrekt abgerechnet worden seien (1 Ob 68/05i).

Unbestimmt und allgemein gehaltene Meldungen, dass „Banken Zinssenkungen nicht entsprechend weitergegeben hätten“, reichen dagegen nicht aus, um den Beginn der Verjährungsfrist anzunehmen (1 Ob 68/05i).

6. Hier mag zwar von einer wesentlich konkreteren und daher „verdichteteren“ Medienberichterstattung auszugehen sein. Ob die Klägerin diese Berichterstattung aber tatsächlich wahrnahm und ihr auch entnehmen konnte, dass es sich bei den gemeldeten Kursverlusten um ihre konkrete Anlageform handelte, wird noch genauer festzustellen sein.

In diesem Zusammenhang sei auf die Entscheidung 7 Ob 204/05h verwiesen, wonach Feststellungen zur Verdachtslage in völlig unbestimmter Form („danach“, „daraufhin“) nicht geeignet sind, den Beginn der Verjährungsfrist des Schadenersatzanspruchs verlässlich zu beurteilen. Auch hier wird daher im fortgesetzten Verfahren konkret festzustellen sein, wann die Klägerin von Verdachtsmomenten Kenntnis erlangte bzw aufgrund bekanntgewordener, verdichteter Medieninformation bei Einhalten ihrer dann gegebenen Erkundigungsobliegenheit Kenntnis hätte erlangen müssen.

Schließlich hat derjenige, der sich auf die Verjährungsfrist beruft, auch die „Kenntnis“ des Geschädigten zu beweisen (RIS‑Justiz RS0034686 [T12]).

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Da die Klägerin in ihrer Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

Stichworte