Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden ‑ mit Ausnahme der rechtskräftigen Abweisung des Zinsenmehrbegehrens für die Zeit vor dem 24. 12. 2011 ‑ aufgehoben; die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Die Klägerin ist ein Elektrizitätsunternehmen und betreibt mehrere Windkraftanlagen. Sie ist als Erzeugerin und Einspeiserin an das Verteilernetz der Beklagten, einer Verteilernetzbetreiberin im Sinn des Elektrizitätswirtschafts‑ und ‑organisationsgesetzes (ElWOG), angeschlossen. Für die Lieferung elektrischer Energie bestehen behördliche Tarifvorschriften. Früher fanden diese in § 25 ElWOG 1998 und in den auf Basis dieser Norm erlassenen Systemnutzungstarife‑Verordnungen (SNT‑VO) ihre Grundlage (siehe dazu Würthinger , Systemnutzungstarife für Elektrizitätsnetze 5). Für den Anlassfall waren die SNT‑VO 2006, Novelle 2009, die SNT‑VO 2010 sowie die SNT‑VO 2010, Novelle 2011, maßgebend. Darin waren unter anderem für das von den Entnehmern und Einspeisern zu entrichtende Netzverlustentgelt zwingende Tarife festgelegt (zu den Entgeltkomponenten siehe Würthinger aaO 17 f). Das Netzverlustentgelt soll jene Kosten abgelten, die dem Netzbetreiber aus dem Zukauf jenes Stroms erwachsen, den er zum Ausgleich von technisch unvermeidbaren Verlusten des vom Einspeiser übertragenen Stroms benötigt.
Die Beklagte stellte der Klägerin für die Einspeisung in ihr Netz monatliche Netzverlustentgelte in Rechnung. Die Klägerin bezahlte unter anderem für den Zeitraum Jänner 2009 bis Dezember 2011 die von der Beklagten vorgeschriebenen Beträge unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Im vorliegenden Verfahren macht sie nunmehr die Rückforderung dieser Beträge geltend.
Vor Einbringung der Klage am 22. 5. 2009 leitete die Klägerin am 13. 3. 2009 (später auch noch am 25. 1. 2010) ein außergerichtliches Streitbeilegungsverfahren ein. Ihr Antrag wurde mit Bescheid vom 20. 4. 2009 (bzw vom 9. 3. 2010) von der Regulierungsbehörde abgewiesen.
Infolge Anfechtung von Vorschriften des ElWOG 1998 sowie der auf dieser Basis ergangenen SNT‑VO stellte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit Erkenntnis vom 21. 6. 2011, G 3/11 ua, fest, dass § 25 Abs 1 Z 1 und 3, § 25 Abs 4 und § 25 Abs 12 ElWOG 1998 wegen Verletzung des Bestimmtheitsgebots verfassungswidrig waren. Mit weiterem Erkenntnis vom 27. 9. 2011, V 59/09 ua, hob der VfGH die SNT‑VO 2006, die SNT-VO 2006, Novellen 2008 und 2009, sowie die SNT‑VO 2010 samt der Novelle 2011 als gesetzwidrig auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die gesetzliche Grundlage dieser Verordnungen durch das Erkenntnis vom 21. 6. 2011 weggefallen sei. Die Aufhebung trete mit Ablauf 31. 3. 2012 in Kraft. Die Anlassfallwirkung sei gemäß § 139 Abs 6 zweiter Satz B‑VG auch für die im Erkenntnis im Einzelnen bezeichneten Gerichtsverfahren herbeizuführen. Der vorliegende Rechtsstreit ist von der Anlassfallwirkung erfasst.
Die Streitteile schlossen am 2. 6. 2003 einen Netzzugangsvertrag, der auszugsweise lautet:
„5. Systemnutzung
Für die Netzinanspruchnahme hat die Energie‑Control Kommission basierend auf den Bestimmungen des Elektrizitätswirtschafts‑ und -organisationsgesetzes (ElWOG) Systemnutzungstarife verordnet.
...
6. Sonstige Vereinbarungen
6.1 Allgemeine Bestimmungen
6.1.1 Voraussetzungen
...
6.1.2 Bedingungen
Es gelten die jeweiligen Allgemeinen Verteilernetzbedingungen der *****, die einen integrierenden Bestandteil dieses Vertrags bilden. Diese Netzbedingungen (ANB) liegen diesem Vertrag bei.
...“
Die Allgemeinen Bedingungen für den Zugang zum Verteilernetz der ***** GmbH (ANB, genehmigt durch die Energie‑Control Kommission am 19. 5. 2008) lauten auszugsweise:
„I Gegenstand
1. Die Allgemeinen Verteilernetzbedingungen regeln das den Netzzugang betreffende Rechtsverhältnis zwischen ***** und dem Netzkunden und bilden einen integrierenden Bestandteil des Netzzugangsvertrags.
...
II Begriffsbestimmungen
...
Netzkunde: Entnehmer und Einspeiser, die Strom in das Verteilernetz der ***** einspeisen oder entnehmen oder Netzdienstleistungen in Anspruch nehmen. Als Netzkunden sind auch künftige Netzkunden zu verstehen;
...
X Netzverlustentgelt
Der Netzkunde ist verpflichtet, der ***** das nach den jeweils geltenden Systemnutzungstarifen festgelegte Netzverlustentgelt zu bezahlen. Sollten keine Systemnutzungstarife verordnet sein, hat der Netzkunde das angemessene Entgelt zu entrichten. ***** hat dem Netzkunden auf Wunsch ein Preisblatt mit detaillierter Auflistung der Entgeltkomponenten zu übergeben.
...
XXIII Änderung der Allgemeinen Verteilernetzbedingungen und der Systemnutzungstarife
1. ...
3. Im Falle der Aufhebung der amtlichen Regelung der Systemnutzungstarife hat ***** dem Netzkunden jedenfalls den Netzzugang zu sachlichen und nicht diskriminierenden Bedingungen und unter Zugrundelegung von an ihrem tatsächlichen Aufwand orientierten Kosten zu gewähren.
...“
Mit Klage vom 22. 5. 2009 begehrte die Klägerin die Rückzahlung der ihr von der Beklagten vorgeschriebenen Netzverlustentgelte ‑ nach Umstellung des Feststellungs-begehrens in ein Leistungsbegehren und Ausdehnung letztlich ‑ für den Zeitraum Jänner 2009 bis Dezember 2011; der Höhe nach ist der Klagsbetrag nicht strittig. Dazu brachte sie vor, dass nach den Erkenntnissen des VfGH die den Rechnungen der Beklagten zugrunde liegenden SNT‑VO nicht mehr anzuwenden seien. Ein Rückgriff auf die ANB würden auf eine Aushebelung der verfassungsrechtlich garantierten Anlassfallwirkung hinauslaufen. Außerdem würden sich die Vertragsbestimmungen nur darauf beziehen, dass von vornherein überhaupt keine Tarife verordnet worden seien.
Die Beklagte entgegnete, dass die Klägerin nach Aufhebung der SNT‑VO durch den VfGH gemäß Pkt XXIII Z 3 der ANB zur Zahlung des Netzverlustentgelts verpflichtet sei. Die Höhe dieses Entgelts habe sich am tatsächlichen Aufwand der Beklagten zu orientieren. Die verrechneten und von der Klägerin bezahlten Netzverlustentgelte würden den an diesem Aufwand orientierten Kosten der Beklagten entsprechen, sodass ein Rückforderungsanspruch nicht bestehe. Darüber hinaus stehe dem Rückforderungsanspruch der Klägerin auch § 354 UGB entgegen. Es sei nicht vereinbart worden, dass die Inanspruchnahme des Leitungsnetzes durch die Klägerin unentgeltlich erfolge.
Das Erstgericht gab ‑ nach Verwerfung der Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs ‑ dem Klagebegehren zur Gänze statt. Aus zahlreichen Bestimmungen des ElWOG 1998 und ebenso des ElWOG 2010 sei abzuleiten, dass der Gesetzgeber die dem Netzbetreiber gebührenden Entgeltbestandteile auf Basis der SNT‑VO zwingend und abschließend habe regeln wollen. Damit sei die Regelung der Systemnutzungsentgelte ausschließlich der Regulierungsbehörde vorbehalten. Es sei strikt zwischen den allgemeinen Bedingungen des Netzbetreibers einerseits und den verordneten Systemnutzungsentgelten andererseits zu unterscheiden. Subsidiäre Entgeltvereinbarungen würden gegen zwingendes Recht verstoßen und seien damit nichtig.
Das Berufungsgericht bestätigte den Beschluss des Erstgerichts über die Zulässigkeit des Rechtswegs und im Wesentlichen auch die Entscheidung in der Hauptsache; nur das Zinsenmehrbegehren für die Zeit vor dem 24. 12. 2011 wurde (unbekämpft) abgewiesen. Grundsätzlich sei es nicht undenkbar, dass privatautonom vereinbarte Regelungen an die Stelle von (aufgehobenen) öffentlich‑rechtlichen Normen treten. Die Auslegung der ANB ergebe jedoch, dass Pkt XXIII Z 3 unanwendbar sei. Der VfGH habe nämlich nur bestimmte Teile des ElWOG 1998 aufgehoben, die öffentlich‑rechtliche Bestimmung der Systemnutzungstarife an sich aber nicht in Frage gestellt. Das System der amtlichen Regelung der Systemnutzungstarife sei daher nicht aufgehoben worden. An der amtlichen Regelung der Systemnutzungstarife habe es zu keiner Zeit gefehlt. Dementsprechend sei in der Entscheidung 1 Ob 32/11d festgehalten worden, dass der Gesetzgeber die im Rahmen der Systemnutzungstarife gebührenden Entgeltbestandteile abschließend habe regeln wollen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil sich die Beklagte in dem der Entscheidung 1 Ob 32/11d zugrunde liegenden Verfahren nicht auf die ANB berufen habe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten, die auf eine Abweisung des Klagebegehrens abzielt.
Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, der Revision der Gegenseite den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts von der zwischenzeitlich ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht. Dementsprechend ist die Revision im Sinn des subsidiär gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
1.1 Das Berufungsgericht geht nicht von der grundsätzlichen Unanwendbarkeit der ANB der Beklagten nach Aufhebung der zugrunde liegenden SNT‑VO aus. Das Berufungsgericht hält es vielmehr für zulässig, dass (auch) bei Wegfall einer öffentlich‑rechtlichen Verpflichtung (durch Aufhebung der öffentlich‑rechtlichen Norm) eine vertragliche Regelung an deren Stelle treten kann.
1.2 Diese Ansicht entspricht der zwischenzeitlich gefestigten Rechtsprechung. So hat der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 4 Ob 126/12a, 4 Ob 186/12z, 5 Ob 150/12p, 5 Ob 242/12t, 1 Ob 149/12m und 4 Ob 2/13t im Wesentlichen ausgesprochen, dass der Wegfall öffentlich‑rechtlicher (Preis‑)Regelungen (hier der SNT‑VO 2006 bis 2011) grundsätzlich kein Hindernis dafür ist, über den öffentlich‑rechtlich ungeregelten Sachverhalt eine privatrechtliche Vereinbarung innerhalb der Grenzen des rechtlich Erlaubten abzuschließen. Dem steht auch nicht die Absicht des Normengebers entgegen, einen bestimmten Preisregelungssachverhalt (hier Systemnutzungsentgelte nach § 25 ElWOG 1998 und der darauf gegründeten SNT‑VO) abschließend regeln zu wollen. Wird daher bei einem behördlichen Preisregelungssystem die preisfestsetzende Norm nachträglich unanwendbar, so fällt die Kompetenz zur Preisregelung wiederum den Vertragsparteien zu.
1.3 Dieses Ergebnis wird durch folgende Überlegungen bestätigt: Den Leistungen des Netzbetreibers entsprechend unterscheidet das Tarifsystem des ElWOG verschiedene Entgelttypen bzw Entgeltkomponenten. So bestimmte sich das für die Netznutzung zu entrichtende Entgelt gemäß § 25 ElWOG 1998 unter anderem aus dem Netznutzungsentgelt (Z 1), dem Netzbereitstellungsentgelt (Z 2), dem Netzverlustentgelt (Z 3) und dem Netzzutrittsentgelt (Z 6). Während das Netznutzungsentgelt, das Netzbereitstellungsentgelt und das Netzverlustentgelt unter Zugrundelegung eines Tarifs zu ermitteln waren, der von der Regulierungsbehörde durch Verordnung oder Bescheid zu bestimmen war, war das Netzzutrittsentgelt aufwandsorientiert zu verrechnen. Das ElWOG 1998 definierte den Begriff der Systemnutzungstarife nicht. Aus dem Konzept des § 25 ElWOG 1998 iVm den SNT‑VO ergibt sich allerdings, dass es sich dabei um behördlich festgelegte Preise handelt, die die Netzbetreiber für die Systemnutzung verlangen dürfen (10 Ob 31/12z). Die Systemnutzungstarife sind kostenorientiert zu bestimmen und haben dem Grundsatz der Kostenwahrheit sowie der Gleichbehandlung aller Systembenutzer zu entsprechen. Systemnutzungsentgelte sind für jene Leistungen zu bezahlen, die von den Netzbetreibern in Erfüllung ihrer (gesetzlichen) Verpflichtungen erbracht werden (vgl nunmehr ausdrücklich § 51 Abs 1 ElWOG 2010).
Daraus folgt, dass nach den hier maßgebenden gesetzlichen Grundlagen behördlich geregelte Preiskomponenten (Systemnutzungstarife) und privatrechtlich bestimmte Entgeltbestandteile nebeneinander bestanden. Soweit und solange eine behördliche Preisregelung besteht, ist diese zwingend und geht einer Vereinbarung vor. Nur in diesem Sinn kann von einer „abschließenden behördlichen Preisregelung“ gesprochen werden.
Der VfGH hat nun in seinem zweiten Erkenntnis (vom 27. 9. 2011) ausgesprochen, dass die aufgehobenen SNT‑VO 2006 bis 2011 in den darin ausdrücklich genannten Verfahren nicht mehr anzuwenden sind. Dies bedeutet nichts anderes, als dass (auch im Anlassverfahren) die behördliche Preisregelung (hier für das Netzverlustentgelt) weggefallen ist und demnach fehlt. Damit ist auch der Vorrang der behördlichen Preisregelung weggefallen. Dies hat zur Konsequenz, dass der privatrechtlichen Preisbestimmung keine öffentlich‑rechtliche Norm und damit kein Hindernis entgegensteht.
1.4 Eine solche privatautonome Preisregelung bei Unanwendbarkeit des behördlichen Preisregelungssystems bzw der preisfestsetzenden öffentlich‑rechtlichen Norm ist auch ex ante, also schon vor Eintritt dieser Bedingungen, im Rahmen Allgemeiner Geschäftsbedingungen zulässig.
Bei den Bestimmungen in Pkt X und Pkt XXIII Z 3 der ANB handelt es sich um solche privatautonomen Preisregelungen für den Fall des Fehlens bzw der Aufhebung der grundsätzlich vorgesehenen amtlichen Preisregelung.
1.5 In einer solchen Vereinbarung liegt auch keine „Aushebelung“ der verfassungsrechtlich garantierten Anlassfallwirkung des Art 139 Abs 6 B‑VG. Diese Bestimmung regelt nur den zeitlichen Anwendungsbereich der aufgehobenen Verordnungen (hier SNT‑VO), ohne aber eine Aussage über die Zulässigkeit einer privatrechtlichen Vereinbarung über jene Materie zu treffen, die bisher durch die aufgehobenen Verordnungen geregelt war.
1.6 Es ergibt sich damit, dass einer subsidiären vertraglichen Regelung der grundsätzlich behördlich festgelegten Entgeltkomponenten, die Netzbetreiber für die Systemnutzung verlangen dürfen, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen für den Fall der Unanwendbarkeit der behördlichen Preisvorschriften weder ein gesetzliches Verbot noch ‑ bei Vereinbarung eines angemessenen oder eines aufwandsorientierten Entgelts ‑ Sittenwidrigkeit entgegen-steht.
1.7 Auf die Entscheidung 1 Ob 32/11d (1 Ob 65/11g) kann sich die Klägerin nicht berufen. In der Entscheidung 1 Ob 149/12m hat der erste Senat des Obersten Gerichtshofs dazu selbst ausgeführt, dass die in der Entscheidung 1 Ob 32/11d angestellten Überlegungen deshalb nicht zutreffen, weil sich die Beklagte damals nicht auf eine privatrechtliche Vereinbarung über die Netzverlustentgelte berufen hat (vgl auch 5 Ob 150/12p und 4 Ob 2/13t).
Auch die Entscheidung 10 Ob 31/12z betrifft eine andere Konstellation. Ihr lag ein Streit zwischen einem Strom-Verbraucher und der Betreiberin des Stromverteilernetzes über das Netznutzungsentgelt, das Netzbereitstellungsentgelt und das Netzzutrittsentgelt zugrunde. Es ging gerade nicht um den Fall des Fehlens der öffentlich‑rechtlichen Preisregelung. Vielmehr war die Situation einer den bestehenden und anwendbaren Systemnutzungstarifen widerstreitenden Vereinbarung zu beurteilen. Aus dieser Entscheidung folgt, dass nur eine den Systemnutzungstarifen widerstreitende Vereinbarung, also eine neben die gültigen amtlichen Tarife tretende Preisvereinbarung gemäß § 917a bzw § 879 ABGB nichtig ist und in diesem Fall die Systemnutzungstarife als zwingender Bestandteil des Netzzugangsvertrags gelten.
2.1 Damit stellt sich die Frage nach der Auslegung der zugrunde liegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Allgemeine Vertragsbedingungen sind grundsätzlich objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut so auszulegen, wie sie sich einem durchschnittlichen Angehörigen aus dem angesprochenen Adressatenkreis erschließen. Es muss aber zudem der erkennbare Zweck der Klausel beachtet werden (RIS‑Justiz RS0008901; RS0112256).
2.2 Der Auffassung des Berufungsgerichts, Pkt XXIII Z 3 der ANB finde keine Anwendung, weil der VfGH nur bestimmte Teile des ElWOG 1998, aber nicht die amtliche Regelung der Systemnutzungstarife an sich aufgehoben habe und eine amtliche Regelung der Systemnutzungstarife zu keiner Zeit gefehlt habe, ist nicht zu folgen. Durch das Erkenntnis des VfGH vom 27. 9. 2011 sind die SNT‑VO 2006, die SNT‑VO 2006, Novelle 2008, die SNT‑VO 2006, Novelle 2009, die SNT‑VO 2010 und die SNT‑VO 2010, Novelle 2011, als gesetzwidrig aufgehoben worden. Damit sind nicht nur die amtlichen Vorschriften über das Netzverlustentgelt (als eine von mehreren Komponenten des für die Netznutzung zu entrichtenden Entgelts) weggefallen, vielmehr ist der gesamte Tarif unanwendbar geworden.
Der Zweck der zugrunde liegenden Regelung in Pkt XXIII Z 3 der ANB ist darin gelegen, bei Aufhebung der amtlichen Preisregelung sicherzustellen, dass einerseits dem Netzkunden weiterhin Netzzugang zu nicht willkürlichen Bedingungen gewährt wird und andererseits der Netzbetreiber als Gegenleistung dafür den Ersatz von an seinem tatsächlichen Aufwand orientierten Netznutzungskosten verlangen darf (1 Ob 149/12m; 5 Ob 150/12p). Der Fall der Aufhebung der (gesamten) amtlichen Preisregelung in Form der Systemnutzungstarife ist hier eingetreten. Nicht geklärt werden muss, ob unter Zugrundelegung der Zweckbestimmung die auszulegende Vorschrift die Aufhebung des gesamten anzuwendenden Systemnutzungstarifs (also der gesamten Verordnung) voraussetzt, oder ob auch die Aufhebung einzelner Entgeltkomponenten genügt.
2.3 Es ergibt sich damit, dass die Regelung in Pkt XXIII Z 3 der ANB im Anlassfall grundsätzlich einen tauglichen Rechtsgrund für die von der Klägerin geleisteten Zahlungen an Netzverlustentgelten unter der Voraussetzung bildet, dass ihrer Bemessung die aufwandsorientierten Kosten zugrunde liegen.
3.1 Außerdem kann sich die Beklagte auch auf Pkt X der ANB stützen. Offenkundiger Zweck dieser Vertragsbestimmung ist es, im Fall des Fehlens behördlicher Tarifvorschriften („sollten keine Systemnutzungstarife verordnet sein“) sicherzustellen, dass der Netzbetreiber ein angemessenes Entgelt verlangen darf, um auf diese Weise eine Gegenleistung für den vertraglich zugesagten Netzzugang und die damit verbundenen Leistungen zu erlangen (4 Ob 186/12z). Dieser Zweck verlangt die Anwendbarkeit der Regelung nicht allein für den Fall, dass überhaupt bzw von vornherein keine amtliche Regelung der Systemnutzungstarife bestanden hat, sondern auch dann, wenn (wie hier) die jeweils anwendbaren SNT‑VO nachträglich weggefallen sind. Auch die Aufhebung der SNT‑VO durch den VfGH ist somit unter diesen Tatbestand zu subsumieren.
3.2 Es ergibt sich damit, dass die Situation des nachträglichen Wegfalls der amtlichen Preisregelung mit jener des Fehlens derartiger behördlicher Vorschriften gleichzusetzen ist. Bei Fehlen oder Wegfall behördlicher Tarifvorschriften darf die Beklagte nach der in Rede stehenden vertraglichen Grundlage ein angemessenes Netzverlustentgelt verlangen.
4. Die Behauptung der Klägerin, es sei unsachlich und diskriminierend, Einspeiser mit Netzverlustentgelten zu belasten, wird in der Revisionsbeantwortung nicht näher begründet. Eine unsachliche Benachteiligung der Einspeiser gegenüber den Strom-Verbrauchern ist auch nicht erkennbar. Da auch Erzeuger das Verteilernetz zum Absatz der von ihnen erzeugten Energie benötigen, ist ihre Beteiligung an den Netzkosten, zu denen auch das Netzverlustentgelt gehört, sachlich gerechtfertigt. Diese Wertung hat auch in das ElWOG 2010 Eingang gefunden. Dementsprechend sieht § 53 Abs 1 leg cit vor, dass Einspeiser und Entnehmer das Netzverlustentgelt zu tragen haben (näher dazu K. Oberndorfer , Das neue Systemnutzungsentgelte‑Regime nach dem ElWOG 2010, ZTR 2011, 4 [5]). Erst jüngst vermochte der VfGH in der Anordnung des § 53 Abs 1 ElWOG 2010, wonach auch Einspeiser Netzverlustentgelt zu tragen haben, keinen Verstoß gegen die Verursachungsgerechtigkeit als Erscheinungsform des Gleichheitssatzes zu erkennen (VfGH 12. 10. 2012, V 22/12 ua).
5.1 Richtig ist, dass erstmals § 6 der SNT‑VO 2006, Novelle 2009 (ab 1. 1. 2009), vorsah, dass auch Einspeiser ein Netzverlustentgelt zu zahlen haben. Richtig ist ebenso, dass nach Aufhebung der SNT‑VO 2006 bis 2011 die Entscheidung so zu erfolgen hat, als wären die aufgehobenen Vorschriften niemals in Geltung gestanden. Unrichtig ist jedoch, dass durch das (zweite) Erkenntnis des VfGH vom 27. 9. 2011 derselbe Zustand wie Ende des Jahres 2008 hergestellt worden sei. Wie bereits ausgeführt, hat der VfGH tatsächlich die SNT‑VO 2006, die SNT‑VO 2006, Novelle 2008, die SNT‑VO 2006, Novelle 2009, weiters die SNT‑VO 2010 und die SNT‑VO 2010, Novelle 2011, als gesetzwidrig aufgehoben.
Daraus folgt (im Verein mit dem ersten Erkenntnis des VfGH vom 21. 6. 2011 zur Verfassungswidrigkeit des § 25 ElWOG 1998), dass für die Bestimmung der der Beklagten gebührenden Entgeltbestandteile allein auf die ANB Bedacht zu nehmen ist. Nach Pkt XXIII Z 3 der ANB hat die Beklagte (zufolge Aufhebung der amtlichen Systemnutzungstarife) gegenüber dem Netzkunden Anspruch auf jene Entgelte für den Netzzugang, die sich unter Zugrundelegung der ‑ an ihrem tatsächlichen Aufwand orientierten ‑ Kosten ergeben. Nach Pkt X der ANB hat der Netzkunde (zufolge Wegfalls der amtlichen Systemnutzungstarife) ein angemessenes Netzverlustentgelt zu entrichten. Gemäß Pkt II der ANB sind „Netzkunden“ Entnehmer und Einspeiser, die Strom in das Verteilernetz der Beklagten einspeisen oder entnehmen oder Netzdienstleistungen in Anspruch nehmen.
5.2 Die Klägerin weist in der Revisionsbeantwortung zutreffend darauf hin, dass die von der Beklagten vorgelegten und von der Klägerin nicht bestrittenen ANB (Beilage ./4) aus dem Jahr 2008 stammen. Den hier geltend gemachten Rückforderungsansprüchen (Netzverlustentgelte ab Jänner 2009) sind die unbestrittenen ANB daher zugrunde zu legen.
5.3 Es ergibt sich damit, dass die Zahlungspflicht der Klägerin für die in Rede stehenden Netzverlustentgelte für die strittigen Zeiträume in den zugrunde liegenden ANB (Pkt X und Pkt XXIII Z 3) grundsätzlich eine taugliche Grundlage findet.
6.1 Gegen die Zulässigkeit der privatrechtlichen Entgeltbestimmung (hier) für das Netzverlustentgelt auf Basis der ANB führt die Klägerin unionsrechtliche Überlegungen ins Treffen. Unionsrechtliche Grundlage sei die Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 6. 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG , ABl L 176 vom 15. 7. 2003, S 37. Nach dieser Richtlinie sei die Festlegung der Bedingungen für den Netzzugang auf vertraglicher Basis beseitigt worden. Die Verteilernetzbetreiber hätten ihre Kunden nach Art 3 Abs 3 iVm Art 23 Abs 2 sowie nach Art 20 der Richtlinie ausschließlich unter Zugrundelegung ex ante genehmigter und veröffentlichter Tarife bzw genehmigter Methoden zur Ermittlung der Tarife an das Netz anzuschließen gehabt. Der Netzzugang zu vertraglich ausgehandelten Bedingungen sei unionsrechtlich unzulässig. Die angemessenen Tarife laut ANB seien zudem nicht im Vorhinein genehmigt worden, sondern sollten nunmehr erst im Nachhinein bestimmt werden.
6.2 Zunächst ergibt sich aus den Überlegungen der Klägerin keineswegs die unionsrechtliche Unzulässigkeit eines verhandelten Netzzugangs auf Vertragsbasis. So wird in Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 2003/54/EG ausdrücklich auf den Abschluss von Verträgen durch Elektrizitätsunternehmen zur Versorgung von zugelassenen Kunden Bezug genommen.
In der Entscheidung C‑439/06, citiworks , führte der Europäische Gerichtshof aus, dass die Richtlinie 96/92/EG in den Art 16 bis 20 für Elektrizitätsübertragungs‑ und ‑verteilernetze ein System des Netzzugangs auf Vertragsbasis vorgesehen habe, das der Gemeinschaftsgesetzgeber abgeschafft habe, um den Elektrizitätsbinnenmarkt weiter zu öffnen. In diesem Zusammenhang sprach der Gerichtshof weiters aus:
„Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass der freie Zugang Dritter zu den Übertragungs‑ und Verteilernetzen eine der Hauptmaßnahmen ist, die die Mitgliedstaaten durchzuführen haben, um zur Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarkts zu gelangen (Rn 44). Der Grundsatz des freien Zugangs gilt nach Art 20 Abs 1 der Richtlinie 2003/54 für die Elektrizitätsübertragungs‑ und ‑verteilernetze (Rn 45). Art 20 Abs 1 der Richtlinie 2003/54 überlässt es den Mitgliedstaaten, die Maßnahmen zu treffen, die zur Einführung eines Systems für den (freien) Zugang Dritter zu den Übertragungs‑ und Verteilernetzen erforderlich sind. Daraus ergibt sich, dass entsprechend Art 249 EG den Mitgliedstaaten die Wahl der Form und der Mittel dieser Einführung überlassen ist. Angesichts der Bedeutung des Grundsatzes des freien Zugangs zu den Übertragungs‑ und Verteilernetzen berechtigt dieser Spielraum sie aber nicht, diesen Grundsatz, abgesehen von den Fällen, in denen die Richtlinie 2003/54 Ausnahmen oder Abweichungen vorsieht, nicht anzuwenden (Rn 55).“
Die Aussage des Gerichtshofs über den Netzzugang auf Vertragsbasis bedeutet demnach nicht, dass für den Netzzugang eine vertragliche Grundlage zwischen Netzbetreibern und Netzbenutzern nicht mehr möglich wäre. Vielmehr wird das Recht des freien Netzzugangs im Sinn einer freien Auswahlmöglichkeit in den Vordergrund gerückt, woraus sich ergibt, dass eine Verweigerung des Netzzugangs grundsätzlich nicht zulässig ist und insofern ein Eingriff in die Privatautonomie stattzufinden hat.
6.3 Die Richtlinie 2003/54/EG verpflichtet die Mitgliedstaaten auch nicht dazu, dass die Tarife für den Netzzugang behördlich festgelegt werden. Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang zitierte Bestimmung des Art 3 Abs 3 der Richtlinie 2003/54/EG bezieht sich auf die Bereitstellung der Grundversorgung von Haushalts‑Kunden und, soweit die Mitgliedstaaten dies für angezeigt halten, auch für Kleinunternehmen. In diesem Zusammenhang findet sich weiters die Bestimmung, dass die Mitgliedstaaten den Verteilerunternehmen die Verpflichtung auferlegen, Kunden nach Modalitäten, Bedingungen und Tarifen an ihr Netz anzuschließen, die nach dem Verfahren des Art 23 Abs 2 festgelegt worden sind. Nach Art 23 Abs 2 der Richtlinie obliegt es den Regulierungsbehörden, zumindest die Methoden zur Berechnung oder Festlegung folgender Bedingungen vor deren Inkrafttreten festzulegen oder zu genehmigen: „a) Die Bedingungen für den Anschluss an und den Zugang zu den nationalen Netzen, einschließlich der Tarife für die Übertragung und die Verteilung. Diese Tarife oder Methoden sind so zu gestalten, dass die notwendigen Investitionen in die Netze so vorgenommen werden können, dass die Lebensfähigkeit der Netze gewährleistet ist.“
In der Entscheidung C‑274/08, EK gegen Schweden , führte der Europäische Gerichtshof zu dieser Bestimmung aus, dass sich unmittelbar aus dem Wortlaut ergebe, dass die nationalen Regulierungsbehörden zumindest die Methoden zur Berechnung oder Festlegung der Bedingungen für den Anschluss an und den Zugang zu den nationalen Netzen, einschließlich der Tarife für die Übertragung und die Verteilung, vor deren Inkrafttreten festzulegen oder zu genehmigen hätten. Art 23 Abs 2 lit a der Richtlinie verlange somit einen hinreichenden Grad der Vorhersehbarkeit dieser Tarife, um die Vornahme der für die Lebensfähigkeit der Netze für die Übertragung und die Verteilung von Elektrizität notwendigen Investitionen zu gewährleisten. Das Ziel der Richtlinie lasse sich nur dadurch erreichen, dass konkrete Tarife oder Elemente einer Methode zur Berechnung der Tarife aufgestellt würden, die so genau seien, dass die Wirtschaftsteilnehmer ihre Kosten für den Zugang zu den Übertragungs‑ und Verteilernetzen abschätzen könnten (Rn 37 ff).
Die dargestellten unionsrechtlichen Vorgaben begnügen sich in Bezug auf die Tarife also mit der regulierungsbehördlichen Genehmigung der Berechnungsmethoden für die Tarife. Diese Verpflichtung aus Art 23 Abs 2 lit a der Richtlinie 2003/54/EG bezieht der Europäische Gerichtshof allgemein auf die Übertragung und Verteilung von Elektrizität. Die Übertragung von Elektrizität (Art 2 Nr 3 der Richtlinie) bezieht sich auf die Belieferung von Endkunden oder Verteilern, die Verteilung (Art 2 Nr 5 der Richtlinie) auf Kunden, das sind nach Art 2 Nr 7 der Richtlinie Großhändler und Endkunden, die Elektrizität kaufen, nicht aber Erzeuger bzw Einspeiser.
6.4 Die Klägerin führt schließlich noch Art 20 Abs 1 der Richtlinie 2003/54/EG ins Treffen. Diese Bestimmung gilt für den Zugang Dritter zu den Übertragungs‑ und Verteilernetzen auf der Grundlage veröffentlichter Tarife; die Zugangsregelung gilt für alle zugelassenen Kunden (vgl Art 2 Nr 12 der Richtlinie).
Der Europäische Gerichtshof führte in seiner Entscheidung C‑239/07, Sabatauskas , zu Art 20 Abs 1 der Richtlinie 2003/54/EG Folgendes aus:
„Es ist festzustellen, dass die Begriffe Zugang und Anschluss in der Richtlinie unterschiedliche Bedeutung haben. Der Begriff Zugang ist mit dem Bezug von Strom verknüpft und schließt unter anderem die Qualität, die Regelmäßigkeit und die Kosten der Dienstleistung ein. Er wird häufig im Zusammenhang mit der Gewährleistung nicht diskriminierender Tarife verwendet (Rn 40). Der Begriff Anschluss wird eher in einem technischen Zusammenhang verwendet und betrifft die physische Verbindung (der Anlagen) mit dem Netz (Rn 41). Somit ergibt sich aus dieser Prüfung der Richtlinienbestimmungen, dass der Begriff des Netzzugangs das Recht umfasst, die Stromnetze zu benutzen, und dass der Anschluss die physische Verbindung mit dem Netz bezeichnet. Art 20 der Richtlinie regelt die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nur hinsichtlich des Zugangs zu den Netzen, nicht aber hinsichtlich des Anschlusses an sie (Rn 42). Es wird folglich das Recht der zugelassenen Kunden auf Zugang zu den Netzen über einen Lieferanten ausgeübt, den diese Kunden frei wählen können müssen (Rn 43).
Sodann ist zum Begriff Dritter festzustellen, dass Art 20 Abs 1 der Richtlinie durch seinen Wortlaut selbst diesen Begriff präzisiert, indem er auch den Begriff Netzbenutzer verwendet, der in Art 2 Nr 18 der Richtlinie definiert wird und der natürliche oder juristische Personen erfasst, die Elektrizität in ein Übertragungs‑ oder Verteilernetz einspeisen oder daraus versorgt werden. Zu diesen Personen zählen (auch) die Kunden (Rn 44). Indem Art 20 Abs 1 der Richtlinie die Netzbenutzer in seinen Anwendungsbereich einbezieht, verleiht er folglich auch den zugelassenen Kunden ein Recht auf diskriminierungsfreien Zugang zu den Netzen (Rn 45).“
Trotz ausdrücklicher Bezugnahme auf (zugelassene) Kunden (siehe Art 2 Nr 12 und Art 2 Nr 7 der Richtlinie 2003/54/EG) , gilt Art 20 Abs 1 der Richtlinie nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch für Einspeiser. Danach stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Tarife (für den Netzzugang) oder die Methoden zu ihrer Berechnung vor deren Inkrafttreten gemäß Art 23 von der Regulierungsbehörde genehmigt werden, und dass die Tarife bzw die Berechnungsmethoden vor ihrem Inkrafttreten veröffentlicht werden.
Wie schon erwähnt, weist die Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung ausdrücklich darauf hin, dass die von der Beklagten vorgelegten ANB, „deren grundsätzliches In‑Geltung‑Stehen von der Klägerin niemals bestritten wurde“, aus dem Jahr 2008 stammen. Der Vermerk der Regulierungsbehörde auf den zugrunde liegenden ANB lautet (vgl dazu RIS‑Justiz RS0121557): „Genehmigt durch die Energie‑Control Kommission am 19. 5. 2008 gemäß § 31 ElWOG idF BGBl I Nr 106/2006 iVm NÖ ElWG 2007, LGBl 7800‑0“ .
Die zugrunde liegenden ANB und damit auch die Entgeltbestimmungen in Pkt X und Pkt XXIII Z 3 leg cit wurden von der Regulierungsbehörde somit im Mai 2008 genehmigt. Ob mit diesen vertraglichen Entgeltregelungen in den ANB den Anforderungen nach Art 20 Abs 1 der Richtlinie 2003/54/EG in Bezug auf die Festlegung von Tarifen oder auf die Berechnungsmethoden (vgl dazu C‑474/08: ausschlaggebende Bestandteile zur Berechnung der Tarife) inhaltlich entsprochen ist, kann hier letztlich offen bleiben. Die Klägerin kann sich im horizontalen Verhältnis zur Beklagten auf die Richtlinienvorgaben nämlich nicht berufen. Aufgrund ihrer belastenden Wirkung für die Beklagte kommt den fraglichen Richtlinienbestimmungen keine unmittelbare Wirkung zu. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen (Belastungen) für einen Einzelnen begründen, sodass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist (C‑227/09, Accardo , Rn 45 mwN; C‑282/10, Dominguez , Rn 37 mwN).
6.5 Es ergibt sich damit, dass im Anlassfall die Bestimmung des Netzverlustentgelts nach den zugrunde liegenden ANB erfolgt.
7.1 Letztlich verhilft der Klägerin auch die Berufung auf das Grundrecht des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes nach Art 47 Abs 1 der Grundrechtecharta (GRC) nicht zum Erfolg. Die Klägerin leitet aus diesem Prinzip ab, sie müsse in den Genuss dieses Rechtsschutzes kommen, zumal sie den vorgegebenen Weg der Geltendmachung ihrer Rechte eingehalten habe. Effektiver Rechtsschutz werde nur gewährt, wenn ihrem Rückforderungsanspruch stattgegeben werde.
7.2 Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz garantiert, dass einem Betroffenen ein effektiver Rechtsbehelf zur Verfügung steht. Ein solcher Rechtsbehelf muss im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für alle auf EU‑Ebene gewährten Rechte und Freiheiten zur Verfügung stehen. In den Schutzbereich fällt die Verletzung von subjektiven Rechten bzw Ansprüchen, die durch Unionsrecht garantiert werden. Der effektive Rechtsschutz bezieht sich auf die effiziente Durchsetzung eines derartigen subjektiven Rechts (sogenannte „materielle Rüge“: vgl 8 Ob 7/13g).
Nach Art 47 Abs 1 GRC muss also ein effektiver Zugang zu den Gerichten und eine effiziente Durchsetzung der Ansprüche durch geeignete Rechtsbehelfe (etwa auch einstweilige Maßnahmen) ermöglicht werden. Erforderlich ist aber nur eine ernsthafte und unparteiliche Prüfung der „materiellen Rüge“ durch ein Gericht, das von dem für die behauptete Rechtsverletzung zuständigen Organ unabhängig ist. Rechtliche Konsequenzen, wie etwa die Aufhebung des angefochtenen Rechtsakts, der Zuspruch einer Entschädigung oder die Verhängung einer Sanktion, setzen aber eine inhaltlich berechtigte Rüge voraus. Die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs ist nicht mit dessen Erfolgsgarantie gleichzusetzen ( Eser in Meyer , Charta der Grundrechte der Europäischen Union 3 Art 47 Rz 3 und 19).
8.1 Zusammenfassend ergibt sich:
Der Vorrang einer behördlichen Preisfestsetzung gilt nur bis zum Wegfall bzw bis zur Aufhebung der behördlichen Regelung. Der Wegfall bzw die Aufhebung öffentlich‑rechtlicher Preisregelungen (hier der SNT‑VO 2006 bis 2011) ist kein Hindernis dafür, über den öffentlich‑rechtlich ungeregelten Sachverhalt eine privatrechtliche Vereinbarung innerhalb der Grenzen des rechtlich Erlaubten abzuschließen. Eine solche privatautonome Preisregelung ist auch schon ex ante in Form Allgemeiner Geschäftsbedingungen (hier Allgemeiner Verteilernetzbedingungen) zulässig. Im Fall des Wegfalls bzw der Aufhebung behördlicher Systemnutzungstarife kann das Entgelt für den Netzzugang und die damit verbundenen Leistungen des Netzbetreibers (hier Netzverlustentgelt) daher auf vertraglicher Basis verlangt werden. Pkt X und Pkt XXIII Z 3 der zugrunde liegenden ANB stellen grundsätzlich eine taugliche Grundlage für die Bemessung des an die Beklagte zu zahlenden Netzverlustentgelts dar. Auf unionsrechtliche Vorgaben in Gestalt der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinien (hier Art 20 Abs 1 der Richtlinie 2003/54/EG ) kann sich die Klägerin mangels unmittelbarer Wirkung nicht berufen. Für eine richtlinienkonforme Interpretation verbleibt nach Maßgabe der subsidiären vertraglichen Entgeltbestimmungen in den Allgemeinen Verteilernetzbedingungen kein Raum. Das Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nach Art 47 Abs 1 GRC bedeutet nicht, dass der Rechtsbehelf zur Durchsetzung eines subjektiven durch Unionsrecht garantierten Rechts mit einer Erfolgsgarantie verbunden ist.
8.2 Die angefochtene Entscheidung steht mit diesen Grundsätzen nicht im Einklang. Die Beklagte hat sich zum Beweis dafür, dass die von ihr verlangten und von der Klägerin gezahlten Netzverlustentgelte den Vorgaben nach Pkt XXIII Z 3 (bzw Pkt X) der ANB entsprechen, auf die Einholung eines Gutachtens berufen. Die Vorinstanzen haben ausgehend von einer unrichtigen Rechtsansicht zu diesem Beweisthema weder Beweise aufgenommen noch Feststellungen getroffen. Damit ist eine abschließende Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang die der Klagsforderung zugrunde liegenden Zahlungen der Klägerin an Netzverlustentgelten durch einen Rechtsgrund gedeckt sind, nicht möglich. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher aufzuheben; die Rechtssache ist zur neuerlichen Entscheidung nach Verbreiterung der Tatsachengrundlage im dargestellten Sinn an das Erstgericht zurückzuverweisen. Im fortgesetzten Verfahren ist nur der Anspruch der Beklagten auf das Netzverlustentgelt nach den vertraglichen Grundlagen (Pkt XXIII Z 3 bzw Pkt X der ANB) zu beurteilen und gegebenenfalls die Höhe des aufwandsorientierten (bzw angemessenen) Netzverlustentgelts zu ermitteln. Andere von der Klägerin gezahlte Entgeltkomponenten sind nicht Gegenstand des Verfahrens.
8.3 Die Anregung der Klägerin auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens war nicht aufzugreifen, weil zur Auslegung und Bedeutung der unionsrechtlichen Grundlagen und zu den sich daran anknüpfenden rechtlichen Konsequenzen keine Zweifel bestehen (vgl RIS‑Justiz RS0082949).
8.4 Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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